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Neuer Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie

„Die Psychiatrie ist ein unglaublich vielseitiges Fach“

Prof. Dan Rujescu hat am 1. Mai 2021 die Stelle als Professor für Psychiatrie und Abteilungsleiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien angetreten. Wir baten ihn zu einem ersten Interview und sprachen mit ihm über den Umzug und seine mittel- und langfristigen Pläne für die Klinik.

Prof. Rujescu studierte Medizin in Heidelberg und Essen und absolvierte seine Facharztausbildung an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Dort habilitierte er 2004 über die „Molekulargenetik suizidalen Verhaltens“. Rujescu war lange Zeit an der LMU unter der Leitung von Prof. Möller tätig – unterbrochen von einem Jahr am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried, München –, in der er seine eigene Forschungsgruppe aufbaute und verschiedene Karrierestufen durchlief.

2012 wechselte er an die Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wo er die Stelle des Klinikdirektors und eine Professur für Psychiatrie antrat, bevor er im Frühjahr 2021 dem Ruf nach Wien an die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie folgte.

Prof. Rujescu forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten auf dem Gebiet der molekulargenetischen Ursachen von psychiatrischen Erkrankungen und hat seine Forschungsvorhaben auch nach Wien mitgebracht.

Das Team rund um Prof. Rujescu ist auf die Rekrutierung und klinische Charakterisierung großer Stichproben spezialisiert, die für die Biomarkerforschung und genetische Untersuchungen herangezogen werden. Dieses Forschungsfeld soll nun in Wien weiter betrieben werden, ergänzt um den Bereich der Untersuchung von Stammzellen, aus denen wir verschiedene Zelltypen des Nervensystems differenzieren und untersuchen, wie zum Beispiel Neuronen, Astrozyten, Mikroglia oder Endothelzellen.

Warum haben Sie sich während Ihrer medizinischen Ausbildung zur Spezialisierung auf dem Gebiet der Psychiatrie entschieden? Was hat Sie an der Psychiatrie fasziniert?

D. Rujescu: Die Psychiatrie ist ein unglaublich vielseitiges Fach – das hat mich schon sehr früh während des Studiums fasziniert. Die Neuroanatomie, die Neuropsychologie, die Funktion des Gehirns und auch die psychiatrischen Erkrankungen, später auch die medizinische Psychologie – kurz gesagt, eigentlich alles, was mit dem Gehirn in Verbindung stand, hat mich sehr interessiert. Besonders faszinierend an dieser medizinischen Fachrichtung war für mich von Beginn an, dass die Psychiatrie ein ganzheitliches Fach ist. Sie kümmert sich um die Gesamtheit des Menschen, nicht nur um ein einzelnes Organ.

Sie pflegen seit Langem eine intensive Beziehung zur Psychiatrie in Wien. Wie ist diese entstanden?

D. Rujescu: Die Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie ist international eine durchaus bekannte und angesehene Klinik. Ich konnte über die Jahre hinweg viele Kollegen aus Österreich und speziell auch aus Wien bei Kongressen und Veranstaltungen kennenlernen. Dadurch haben sich bereits vor vielen Jahren die ersten Kooperationen ergeben, vor allem im Bereich der Genetik. Es hat sich dadurch eine ganz natürliche Verbindung ergeben, die seit den 90er-Jahren aufgrund der überlappenden Forschungsinteressen besteht. Wir haben in vielen gemeinsamen Forschungsarbeiten die genetischen Fragestellungen bearbeitet und gemeinsam mit der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie an der MedUni Wien hochrangig publiziert.

Was war für Sie das Reizvolle, dem Ruf nach Wien zu folgen und hier die Stelle als Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Psychiatrie der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie anzutreten?

D. Rujescu: Was Wien einen besonderen Reiz verleiht, ist die Tatsache, dass hier ein Neuroscience Cluster aufgebaut wurde. Dadurch ist eine kritische Masse an Arbeitsgruppen entstanden, die auf dem neurowissenschaftlichen Sektor arbeiten und forschen. Mit Neurowissenschaften meine ich ein sehr breit gefächertes Themenfeld von der molekularen Forschung bis hin zur Suizidprävention, mit allem, was dazwischenliegt. Diese kritische Masse, das Umgebensein von vielen im neurowissenschaftlichen Bereich tätigen Arbeitsgruppen, macht Wien äußerst attraktiv.

Gab es so etwas wie eine Eingewöhnungsphase oder den oft angesprochenen „Kulturschock“ nach Ihrer Übersiedelung nach Wien?

D. Rujescu: Nein, inhaltlich gibt es kaum Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich. Wir behandeln nach international geltenden Leitlinien, in Wien wie anderswo. Was für mich nicht ganz so klar war und mich daher etwas überrascht hat, ist, dass die Handelsnamen der Präparate zwischen den Ländern doch sehr voneinander abweichen. Hier war eine Umstellung notwendig.

Einen Kulturschock gibt es ganz sicher nicht. Ich war schon auf zahlreichen Kongressen in der Stadt und kenne Wien und viele meiner Kolleginnen und Kollegen hier seit langen Jahren. Deshalb fühle ich mich hier auch sehr wohl.

Wie hat sich für Sie die Übersiedelung von Halle an der Saale nach Wien gestaltet?

D. Rujescu: Das war schon ein besonderer Umzug! Unter Corona-Bedingungen und -Vorschriften von einem Land in ein anderes Land zu wechseln, war nicht ganz so trivial. Das Reisen, wie man es bisher gewohnt war – morgens nach Wien fliegen, abends wieder zurück –, war nicht mehr möglich. Testungen, Quarantänebestimmungen, Flugstreichungen und -ausfälle – logistisch und administrativ wurde der Umzug zu einer großen Herausforderung. Am Ende hat aber alles geklappt und ich bin mit April komplett nach Wien übersiedelt gewesen.

Ist Ihre Forschungseinheit mit Ihnen nach Wien übersiedelt?

D. Rujescu: Teilweise. Manche sind mit mir mitgekommen. Das mittelfristige Ziel ist, die Forschungsgruppe auf jeden Fall noch weiter auf- und auszubauen. Es werden noch weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachkommen. Der Plan ist, dass zusätzlich zum klinischen Bereich ein weiterer Forschungsschwerpunkt an der Klinik entsteht.

Welche Themen stehen im Moment ganz oben auf Ihrer Prioritätenliste? Worum werden Sie sich zuerst kümmern?

D. Rujescu: Wenn wir in dieser Frage bei der Forschung bleiben: Die Klinik ist im internationalen Vergleich ganz hervorragend aufgestellt im Bereich der Bildgebung und Psychopharmakologie und ich denke, das, was ich forschungsmäßig vorhabe, wird ergänzend dazu sein. Ich werde mich darauf fokussieren, dem molekularen und genetischen Forschungsbereich neue Impulse zu verpassen. Das wird einer der nächsten Schritte sein.

Welche großen Herausforderungen warten auf Sie in den nächsten Jahren?

D. Rujescu: Die Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie ist mir von Prof. Siegfried Kasper in einem hervorragenden Zustand übergeben worden. Wenn es um das Fachliche geht, um die Forschung, um die Behandlung der Patientinnen und Patienten oder um die Lehre, ist die Klinik top aufgestellt.

Was sicher nicht morgen, aber hoffentlich in den nächsten zehn Jahren ansteht, ist der Neubau des Klinikgebäudes. Das ist eine große Aufgabe und bedarf einer langen Vorlaufzeit. Aber wenn ich ehrlich bin, wäre es schön, wenn dieses Projekt bereits vor der Tür stehen würde.

Sommer in Wien – worauf freuen Sie sich?

D. Rujescu: Der Sommer in Wien ist traumhaft, das durfte ich in den letzten Jahren schon einige Male erleben. Ich freue mich besonders auf die Natur. Wien befindet sich in einer traumhaften Lage. Mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen wird es dann auch wieder möglich sein, die Natur und Kultur umfassend zu genießen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!
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