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Update Refresher Psychiatrie

Depressionsbehandlung: Bewährtes und Neues

<p class="article-intro">Es ist der Alltag jedes Psychiaters: Menschen mit Depressionen zu behandeln. Doch das kann ziemlich frustrierend sein. Bei vielen wirkt die Therapie nicht, die Depression rezidiviert oder wird chronisch und die Betroffenen leiden unter Komorbiditäten. Wie man therapeutisch vorgeht, um eine Remission zu erreichen, und was es für neue Behandlungsansätze gibt, berichtete Dr. med. Joe Hättenschwiler am Update Refresher Psychiatrie in Zürich.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Depressionen gelten als Volkskrankheiten: Jeder f&uuml;nfte Mensch erkrankt irgendwann in seinem Leben daran,<sup>1</sup> die 12-Monats-Pr&auml;valenz liegt je nach Patientenpopulation zwischen 7,5 und 13 % .<sup>2&ndash;4</sup> Bei jedem dritten Patient dauert eine Episode l&auml;nger als zwei Jahre, sodass sie gem&auml;ss DSM-5 der neuen Kategorie &laquo;persistierende depressive St&ouml;rung&raquo; entspricht. &laquo;Dass das neu ist, m&uuml;ssen wir den Versicherungen sagen&raquo;, findet Dr. med. Joe H&auml;ttenschwiler. &laquo;Denn die Dauer der Depression mit ihren komplexen Auswirkungen hat grossen Einfluss auf die Arbeitsf&auml;higkeit und auch auf den Therapieansatz, wobei dann klar ist, dass die Patienten eine l&auml;nger dauernde Therapie brauchen. &raquo; H&auml;ttenschwiler ist Leiter des Zentrums f&uuml;r Angst- und Depressionsbehandlung in Z&uuml;rich, wo jede Woche Dutzende von Patienten mit Depressionen behandelt werden. &laquo;Das Problem ist, dass Depressionen oft therapieresistent sind und h&auml;ufig mit somatischen oder anderen psychischen Krankheiten einhergehen &ndash; das macht die Behandlung schwierig.&raquo; Depressionen seien nicht nur eine enorme Belastung f&uuml;r die Patienten und ihre Angeh&ouml;rigen, sondern auch f&uuml;r das Gesundheitssystem.<br /><br /> Mehr als zehn Milliarden Franken kosten Depressionen pro Jahr, hat H&auml;ttenschwiler vor ein paar Jahren gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Institut f&uuml;r Sozial- und Pr&auml;ventivmedizin in Z&uuml;rich ausgerechnet. <sup>5</sup> Von den zehn Milliarden Gesamtkosten machen 46 % direkte Kosten aus f&uuml;r die Behandlung und 54 % indirekte, etwa f&uuml;r Arbeitsausf&auml;lle. &laquo;Das ist enorm viel&raquo;, sagte H&auml;ttenschwiler. &laquo;Dabei haben wir heute bew&auml;hrte Behandlungsstrategien, die aber oft nicht voll ausgesch&ouml;pft werden.&raquo; Bei der Therapie hake es an mehreren Stellen: &laquo;Die Depression wird nicht oder zu sp&auml;t erkannt. Wenn sie erkannt wird, bekommen die Patienten dennoch oft keine Behandlung. Werden sie therapiert, dann oft nicht richtig. Werden sie richtig behandelt, dann aber h&auml;ufig nicht lange genug &ndash; diese Zust&auml;nde sind inakzeptabel!&raquo; Es sei davon auszugehen, sch&auml;tzt der Psychiater, dass maximal 1 von 5 Patienten eine leitliniengerechte Therapie erh&auml;lt. Dabei gibt es hilfreiche Behandlungsempfehlungen, u.a. von der Schweizerischen Gesellschaft f&uuml;r Angst und Depression SGAD in Zusammenarbeit mit der SGBP und SGPP. Darin sind die Therapiestrategien erl&auml;utert und auch in Algorithmen auf einen Blick zu erkennen (Abb. 1).<sup>6, 7</sup><br /><br /> Grunds&auml;tzlich gibt es vier prim&auml;re Behandlungsstrategien: Aktiv abwartende Begleitung, Psychotherapie, Medikamente oder eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten. Das kurzfristige Ziel der Akutbehandlung ist die Remission: &laquo;Der Patient soll psychopathologisch, psychosozial und beruflich m&ouml;glichst wieder seine Funktion von fr&uuml;her erreichen&raquo;, erkl&auml;rte H&auml;ttenschwiler. Mittelfristig sollen mit der Erhaltungstherapie Restsymptome beseitigt, der Patient auf das fr&uuml;here Niveau rehabilitiert und R&uuml;ckf&auml;lle vermieden werden. Mit der Rezidivprophylaxe sollen dann als langfristiges Ziel neue depressive Episoden vermieden werden. &laquo;Die Verhinderung von R&uuml;ckf&auml;llen und die Rezidivprophylaxe werden hierzulande immer noch vernachl&auml;ssigt&raquo;, so H&auml;ttenschwiler. &laquo;Nicht nur weil der Arzt die Medikamente zu fr&uuml;h abgesetzt oder keine Psychotherapie mehr verschreibt, sondern auch weil die Patienten mit der Therapie aufh&ouml;ren, weil sie sich besser f&uuml;hlen.&raquo; Wird eine Remission nicht erreicht, habe das aber enorme Konsequenzen: Komorbidit&auml;ten verschlechtern sich, die Patienten haben mehr residuale Symptome, kommen im Alltag nicht so gut klar, ihre Lebensqualit&auml;t sinkt, das R&uuml;ckfallrisiko steigt und es finden sich sogar Hinweise, dass die graue Substanz im Gehirn abnimmt (Abb. 2).<sup>8&ndash;13</sup><br /><br /> Die Wahl der Therapie richtet sich nach der Schwere der Symptome, dem Erkrankungsverlauf und der Pr&auml;ferenz des Patienten. Bei leichter Depression kann man dem Patienten durchaus eine aktiv abwartende Begleitung vorschlagen. &laquo;Man muss aber dabei bedenken, dass viele Patienten schon lange still abwarten, weil sie nicht zum Arzt gegangen sind oder die Depression nicht erkannt wurde&raquo;, gab H&auml;ttenschwiler zu bedenken. Daher sei es wichtig, keine Zeit zu verlieren. Bessern sich die Beschwerden innert zwei Wochen nicht, sollte man zu einer Psychotherapie oder Pharmakotherapie raten. Bei einer mittelschweren Depression beginnt man gleich mit Psychotherapie oder Pharmakotherapie, bei einer schweren kombiniert man von Anfang an beides. Nicht einfach sei die Wahl des passenden Antidepressivums, gab H&auml;ttenschwiler zu. &laquo;Es gibt wenig Evidenz, welches Pr&auml;parat bei welchem Patienten am besten wirkt. Im Prinzip muss man ausprobieren und wenn es nicht wirkt, fr&uuml;hzeitig auf ein anderes umstellen.&raquo;<br /><br /> Viel diskutiert wurde am Update Refresher die Metaanalyse von Prof. Andrea Cipriani von der Universit&auml;t Oxford, die im Februar im &laquo;Lancet&raquo; ver&ouml;ffentlicht wurde.<sup>14</sup> Alle der 21 untersuchten Antidepressiva wirken besser als Placebo, aber es zeigten sich Unterschiede in der Wirksamkeit je nach Pr&auml;parat: Eine gr&ouml;ssere Effektst&auml;rke zeigten zum Beispiel Vortioxetin, Bupropion und Escitalopram, eine schw&auml;chere Wirkung Fluoxetin, Fluvoxamin und Trazodon. &laquo;Man kann jetzt aber nicht pauschal sagen, dass jeder Patient Vortioxetin, Bupropion oder Escitalopram bekommen soll, weil diese am besten abgeschnitten haben&raquo;, sagte H&auml;ttenschwiler. &laquo;Die Auswahl h&auml;ngt von vielen Faktoren ab.&raquo; Unter anderem davon, ob der Patient oder seine Verwandten schon mal Antidepressiva eingenommen hatten und wie sie wirkten, von den zu erwartenden Nebenwirkungen, allf&auml;lligen Interaktionen mit anderen Medikamenten und nat&uuml;rlich dem Wunsch des Patienten. Eine grosse Rolle spielen Begleitsyndrome: Bei einer Depression mit Schmerzsymptomatik werden zum Beispiel eher SNRIs empfohlen, bei Dysthymie lieber SSRIs. Bei einer &auml;ngstlichen Depression kann man SSRIs oder SNRIs verschreiben, bei einer bipolaren Depression profitiert der Patient, wenn man einen Stimmungsstabilisierer zum Antidepressivum gibt.<sup>15</sup> Man beginnt mit der geringsten Dosierung und dosiert z&uuml;gig gem&auml;ss Vertr&auml;glichkeit auf. &laquo;Wichtig ist, dass man Unruhe und Schlaflosigkeit konsequent mitbehandelt&raquo;, so H&auml;ttenschwiler. &laquo;Etwa mit Benzodiazepinen, Z-Substanzen oder atypischen Antipsychotika.&raquo; Spricht ein Patient auf das Antidepressivum nicht an, kann das viele Gr&uuml;nde haben: Eine Komorbidit&auml;t wurde nicht erkannt und nicht therapiert &ndash; etwa eine unerkannte Bipolarit&auml;t &ndash;, die Dosis war zu niedrig oder die Therapie zu kurz, eine mangelnde Compliance, Interaktionen mit anderen Medikamenten, genetische Varianten, ein ungeeignetes Psychotherapieverfahren oder anhaltender psychosozialer Stress. Wirken die Medikamente nicht, kann man auf ein anderes Antidepressivum wechseln, ein weiteres einer anderen Klasse hinzuf&uuml;gen oder mit Lithium oder atypischen Antipsychotika augmentieren. Dar&uuml;ber hinaus k&ouml;nnen auch mit der Elektrokrampftherapie oder einer kognitiven Verhaltenstherapie Effekte erzielt werden. Eine Lichttherapie wird klassischerweise bei saisonaler Depression eingesetzt. &laquo;Neue Daten zeigen aber, dass Lichttherapie auch bei nicht saisonaler Depression hilft&raquo;, berichtete H&auml;ttenschwiler. &laquo;Als Monotherapie und erst recht als Zusatzbehandlung. &raquo; So senkte eine Lichttherapie depressive Symptome st&auml;rker als Fluoxetin, und in Kombination war beides noch effektiver.<sup>16</sup> K&ouml;rperliche Bewegung k&ouml;nne man ebenfalls empfehlen, so der Psychiater. &laquo;Aber nur als Zusatztherapie &ndash; Bewegung alleine ist nicht wirksamer als Antidepressiva. &raquo; Regelm&auml;ssiger Ausdauersport kann das Risiko senken, dass man &uuml;berhaupt an einer Depression erkrankt,<sup>17</sup> und bei depressiven Patienten mit Angstst&ouml;rungen kann es diese lindern.<sup>18</sup> Es ist aber nicht klar, ob Bewegung die Lebensqualit&auml;t bei Depression wirklich erh&ouml;ht.<sup>19</sup> &laquo;Zumindest schadet k&ouml;rperliche Bewegung nicht, wenn man nicht &uuml;bertreibt &ndash; und ausserdem tut man dann auch seinem Herz-Kreislauf-System etwas Gutes.&raquo;<br /><br /> Eine neue Therapieoption bei therapieresistenter Depression k&ouml;nnte in Zukunft Ketamin in Form eines Nasensprays sein. Ketamin wird klassischerweise als Narkosemittel verwendet. Forscher fanden aber heraus, dass es in niedrigen Dosen &ndash; intraven&ouml;s verabreicht &ndash; auch Depressionen lindern kann. &laquo;Das Spannende ist, dass Ketamin einen ganz anderen Wirkmechanismus hat als die klassischen Antidepressiva&raquo;, sagt H&auml;ttenschwiler. Ketamin ist ein Antagonist am NMDA(N-Methyl-D-Aspartat)- Glutamatrezeptor und &uuml;bt seinen antidepressiven Effekt vermutlich unter anderem &uuml;ber neurotrophe Substanzen wie den &laquo;brain-derived neurotrophic factor&raquo; (BDNF) aus. &laquo;Schon eine einzige i.v. Dosis reicht aus, um depressive Symptome innert Stunden zu lindern &ndash; das ist ein enormer Vorteil gegen&uuml;ber den klassischen Antidepressiva. &raquo; Suizidgedanken lassen deutlich nach, so k&ouml;nnte sich Ketamin auch als ideales Medikament bei akuter Suizidalit&auml;t etablieren zur &Uuml;berbr&uuml;ckung, bis die klassischen Antidepressiva wirken. Die intraven&ouml;se Gabe ist aufwendig, aber auch die nasale Applikation scheint zu wirken.<sup>20, 21</sup> Bisher ist Ketamin als Nasenspray noch nicht zugelassen, es ist aber im Rahmen von Studien schon verf&uuml;gbar. &laquo;M&ouml;glicherweise profitieren Patienten, die wenig oder gar nicht auf herk&ouml;mmliche Antidepressiva reagieren, vom glutamergen Ansatz&raquo;, vermutet H&auml;ttenschwiler. &laquo;Man sollte das Spray aber vorerst nur bei ausgew&auml;hlten Patienten im Rahmen eines individuellen Therapieversuches mit ad&auml;quaten somatischen &Uuml;berwachungsm&ouml;glichkeiten anwenden. &raquo; Gelangt aus Versehen zu viel Ketamin in den Rachen, kann es zu einer &Uuml;berdosierung mit motorischen St&ouml;rungen, Bluthochdruck oder psychotischen Reaktionen kommen. In noch experimentaler Phase ist das Pr&auml;parat Psilocybin, ein 5HT<sub>2A</sub>-Agonist, der illegal als &laquo;psychedelische Droge&raquo; konsumiert wird. Untersucht wurde Psilocybin unter anderem bei Angst und Depressionen von Tumorpatienten. Vielversprechend findet H&auml;ttenschwiler die experimentelle Studie bei Patienten mit chronischen Depressionen schwerer/mittelschwerer Auspr&auml;gung. 5 der 12 Patienten waren nach drei Monaten in Remission.<sup>22</sup> &laquo;Ein innovativer, pharmakologisch begr&uuml;ndeter Versuch&raquo;, kommentierte H&auml;ttenschwiler. &laquo;Bevor man die Substanz aber einsetzt, bedarf es weiterer Studien.&raquo;<br /><br /> Noch wichtiger als neue Behandlungskonzepte sei aber, dass die derzeit verf&uuml;gbaren und evidenzbasierten Empfehlungen effektiver umgesetzt w&uuml;rden. &laquo;Mit den heutigen Therapien k&ouml;nnen wir vielen Patienten helfen &ndash; man muss sich nur die Behandlungsempfehlungen sorgf&auml;ltig anschauen und f&uuml;r jeden Patienten die passende Strategie w&auml;hlen.&raquo;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1803_Weblinks_s34_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="1475" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Neuro_1803_Weblinks_s34_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="1126" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Update Refresher Psychiatrie, 14.–15. Juni 2018, Zürich </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Kessler RC et al.: Arch Gen Psychiatry 2005; 62: 593- 602 <strong>2</strong> Narrow WE et al.: Arch Gen Psychiatry 2002; 59: 115-23 <strong>3</strong> Henderson AS et al.: Psychol Med 1993; 23: 719- 29 <strong>4</strong> Beekman AT et al.: J Affect Disord 1995; 36: 65-75 <strong>5</strong> Tomonaga Y et al.: Pharmacoeconomics 2013; 31(3): 237-50 <strong>6</strong> Holsboer-Trachsler E et al.: Schweiz Med Forum 2016; 16(35): 716-24 <strong>7</strong> DGPPN, B&Auml;K, KBV, AWMF (Hrsg.) f&uuml;r die Leitliniengruppe Unipolare Depression: S3-Leitlinie/ Nationale Versorgungs-Leitlinie Unipolare Depression &ndash; Kurzfassung, 2. Auflage. Version 1. 2017. 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