
„Depletion von Gedächtnis-B-Zellen“
Unser Gesprächspartner:
Prof. Jens Thiel
Leiter der Klinischen Abteilung f. Rheumatologie und Immunologie, Univ.-Klinik f. Innere Medizin, LKH Univ.-Klinikum Graz
Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie & Rehabilitation (ÖGR)
Das Interview führte Dr. Felicitas Witte
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Selbst mit mehreren gezielten Therapien sprechen manche Patienten mit rheumatoider Arthritis nicht auf die Medikamente an und haben eine hohe Krankheitsaktivität. Eine Pilotstudie1 mit sechs Patienten lässt vermuten, dass der bispezifische Antikörper Blinatumomab hier eine Behandlungsoption sein könnte. Prof. Jens Thiel aus Graz erklärt, was von den Ergebnissen zu halten ist und welche Chancen er für den Antikörper in der Praxis sieht.
Herr Prof. Thiel, waren Sie von den Ergebnissen der Pilotstudie überrascht?
J.Thiel: Dass eine deutliche Reduktion CD19-positiver Lymphozyten bei refraktärer rheumatoider Arthritis die Symptome bessern kann, war gut vorstellbar, denn die CD19-positiven Lymphozyten spielen eine entscheidende Rolle in der Pathogenese der RA. Einzelne Aspekte der vorgestellten Daten finde ich aber doch bemerkenswert, zum Beispiel die offensichtlich bevorzugte Depletion von Gedächtnis-B-Zellen.
Wie beurteilen Sie diesen Therapieansatz?
J.Thiel: Die Strategie hat Potenzial für den breiteren klinischen Einsatz, sollten sich die Daten in einer randomisierten, kontrollierten, größeren Studie bestätigen. Der Antikörper besteht aus zwei Antigen-erkennenden Aminosäureketten und richtet sich mit der einen Seite gegen CD3 auf den T-Zellen und mit der anderen Seite gegen CD19 auf den B-Zellen – deshalb bispezifischer Antikörper. Blinatumomab hat Potenzial für den breiteren Einsatz, da CD19-positive Lymphozyten für verschiedene Autoimmunerkrankungen pathogenetisch relevant sind. Gemäß den Autoren könnten für BiTEs – die Abkürzung steht für Bispecific T-cell Engager – bei entzündlich-rheumatologischen Erkrankungen und insbesondere der rheumatoiden Arthritis auch andere Zielstrukturen infrage kommen, etwa CD3 und CD20 oder BCMA und CD3. Würden BiTEs auch hier wirken, könnte man damit alternative Zellen, die ebenfalls pathogenetisch relevant sein könnten, therapeutisch angehen.
Sehen Sie Chancen in der Behandlung mit BiTE-Antikörpern?
J.Thiel: Das Wirkprinzip der BiTE-Antikörper besteht in der Bispezifität. Über die Bindung an CD3 auf T-Zellen werden T-Lymphozyten mit den Zielzellen – im Fall von Blinatumomab sind das CD19-positive B-Lymphozyten – in Kontakt gebracht und können diese durch Freisetzung von beispielsweise Perforin oder Granzyme eliminieren. B-Lymphozyten sind seit langer Zeit ein Therapieziel bei der rheumatoiden Arthritis und werden beispielsweise mit monoklonalen Antikörpern gegen CD20 auf B-Lymphozyten wie Rituximab eliminiert. Trotz dieser B-Zell-Depletion durch monoklonale Anti-CD20-Antikörper erreicht aber mit Rituximab nur ein kleinerer Teil der Patienten eine vollständige Remission. Dies wurde unter anderem mit insbesondere im Gewebe unvollständiger Depletion von B-Zellen durch den monoklonalen Anti-CD20-Antikörper erklärt. BiTE-Antikörper wie Blinatumomab können potenziell insbesondere im Gewebe die Zielzellen effektiver zerstören. Einen mechanistisch ähnlichen Ansatz verfolgt die CAR-T-Zell-Therapie, die jedoch deutlich aufwendiger ist.
Haben die BiTE-Antikörper Nachteile?
J.Thiel: Es ist noch zu früh, um über Limitierungen der BiTE-Antikörper-Therapie zu sprechen, da die derzeitige Datenlage auf der Erfahrung mit lediglich sechs behandelten Patienten beruht und damit weder Wirksamkeit noch Sicherheit ausreichend zu beurteilen sind. Sollte sich die Therapie in größeren, randomisierten Studien als sicher und effektiv erweisen, sind möglicherweise Kosten und Applikationsart (Dauerinfusion) limitierende Faktoren. Die Therapie muss stationär intravenös als Dauerinfusion verabreicht werden – das ist aufwendig und teuer.
Wie beurteilen Sie die in der Studie beobachteten Therapieeffekte?
J.Thiel: In der Studie wurden sechs therapierefraktäre Patienten behandelt. Drei dieser Patienten hatten im Vorfeld eine B-Zell-depletierende Therapie mit Rituximab erhalten. Einer von sechs Patienten war negativ für ACPA und Rheumafaktoren. Tender Joint Count und Swollen Joint Count sind bei allen Patienten bis zur sechsten Woche deutlich abgefallen. Auch der DAS28-CRP ist bei allen Patienten abgefallen, man meint aber bei einigen Patienten zwischen Woche sechs und Woche zwölf tendenziell ein leichtes Wiederansteigen des DAS28 zu bemerken. Blinatumomab wurde für jeweils fünf Tage in den Wochen eins und drei gegeben. Ab Woche zwölf wurde eine Therapie mit Abatacept angeschlossen. Auch die Entzündungszeichen, gemessen im Gelenk-Ultraschall, waren deutlich rückläufig. Insgesamt lässt sich also sagen, dass das deutliche Therapieeffekte sind, vor allem weil die Patienten therapierefraktär waren.
Warum benötigten die Patienten eine Erhaltungstherapie mit Abatacept?
J.Thiel: Offensichtlich kommt es unter der Therapie mit Blinatumomab nur zu einer vorübergehenden B-Zell-Depletion. Schon in den kurzfristig erfolgten Follow-up-Untersuchungen sind naive B-Zellen zu finden, Gedächtnis-B-Zellen sind jedoch weitgehend depletiert. Die Autoren sprechen von einem möglichen Reset des B-Zell-Systems. Die angeschlossene Therapie mit Abatacept, einem Kostimulationsblocker, soll nun das neue Immunequilibrium stabil halten. Zwar bilden sich wieder neue B-Zellen, aber man hofft, dass diese weniger autoreaktive Eigenschaften haben werden.
Wenn man die B-Zellen mit Blinatumomab depletiert – was passiert mit der Immunabwehr?
J.Thiel: Die Depletion CD19-positiver Zellen durch Blinatumomab kann natürlich zu einem (passageren) Immundefekt führen. Von den Autoren der Arbeit wird auch eine moderate Abnahme der Serum-Immunglobulin-Konzentrationen angegeben. Die Frage, ob diese Abnahme von klinischer Relevanz ist, können nur Studien mit längerer Beobachtungszeit und höherer Probandenzahl beantworten.
Wie schätzen Sie das Nebenwirkungsprofil ein?
J.Thiel: Die vorliegenden Ergebnisse weisen auf ein relativ günstiges Nebenwirkungsprofil. Insbesondere während der ersten Infusion ist es zum Auftreten von subfebrilen Zuständen und erhöhten Entzündungswerten gekommen. Weitere milde Nebenwirkungen wurden berichtet. Bei der zweiten Infusionsrunde war die Zahl der Nebenwirkungen deutlich geringer. Schwere Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten. Der CRP-Anstieg ist vermutlich als passageres Zeichen einer Immunaktivierung zu deuten.
Warum sprechen manche Patienten nicht auf die derzeitigen Medikamente an?
J.Thiel: Die rheumatoide Arthritis besitzt eine komplexe Pathogenese. Während bei einer Subgruppe von Patienten proinflammatorische Zytokine für die Krankheitsentstehung und Aufrechterhaltung von großer Bedeutung sind, stehen bei anderen Patienten diese Zytokine möglicherweise weniger im Fokus der Krankheitsentstehung, sondern beispielweise ein weniger inflammatorischer Phänotyp. Bekannt ist auch, dass der Autoantikörper-Status und das Vorliegen des sogenannten „shared epitope“ mit dem Ansprechen auf bestimmte Therapeutika korrelieren. Ein weiterer Faktor ist sicher die Therapieadhärenz des Patienten, die immer in die Beurteilung einer potenziellen therapeutischen Refraktärität miteinbezogen werden muss.
Literatur:
1 Bucci L et al.: Nat Med 2024; online 26.4.2024. doi: 10.1038/s41591-024-02964-1