Stage III – multidisziplinäres Management: Wann sollte die Thoraxchirurgie nicht aktiv werden?
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Michael Rolf Müller
Sigmund-Freud-Universität, Wien
Thoraxchirurgie Klinik Floridsdorf, Wien
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Die Expertise eines interdisziplinären Tumorboards ist essenziell im therapeutischen Management von Lungenkrebs. Dabei spielen die Bewertung der Resektabilität und Operabilität sowie die Klassifikation eine wichtige Rolle. Die neuen ESMO-Guidelines helfen, im Stadium III diese heterogene Entität zu klassifizieren, und der relativ neue Terminus „node ratio“ erlaubt eine bessere prognostische Abschätzung.
Keypoints
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Eine stadiengerechte Behandlung von Lungenkrebs erfordert besonders im heterogenen Stadium III ein interdisziplinäres Management und Entscheidungen im Tumorboard.
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Eine technische Resektabilität ist die meisten Fällen gegeben.
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Die onkologische Operabilität ist angesichts neuer systemischer Therapieoptionen im Fluss und wird sich künftig vermutlich vom anatomischen Bezug eines Lymphknotenbefalls lösen (node ratio).
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Die funktionelle Operabilität ist individuell in einem spezialisierten multidisziplinären Team zu entscheiden und wird gegenwärtig bei 30% ppoFEV1 und 30% ppoDLCO angesetzt.
Einleitung
Bevor man sich diesem Thema im Detail nähert, sollte eine Begriffsklärung erfolgen. Die Begriffe Resektabilität und Operabilität werden oft synonym verwendet, beschreiben aber unterschiedliche Dinge. Die Resektabilität bezieht sich auf den T-Faktor und somit den chirurgisch-technischen Aspekt. Die Operabilität kann entweder onkologisch oder funktionell begründet sein. In diesem Sinne bedeutet Inoperabilität eine onkologisch oder funktionell begründete Entscheidung gegen ein chirurgisches Verfahren, auch wenn grundsätzlich eine technische Resektabilität bestünde.
Die technische Resektabilität
Die technische Resektabilität ist heute auf Basis der technischen Fortschritte in der Chirurgie in der Mehrzahl der Fälle gegeben. Wir erleben derzeit eine diametrale Entwicklung in der Thoraxchirurgie mit einem klaren Bekenntnis zu schonenden minimalinvasiven Verfahren, welche an spezialisierten Abteilungen bei über 80% der Operationen für Lungenkrebs eingesetzt wird. Parallel dazu können aber auch lokal fortgeschrittene Tumoren mit Infiltration in benachbarte Strukturen, wie die großen Gefäße oder die Wirbelsäule, mit sehr geringen Komplikationsraten radikal entfernt werden. Die Thoraxchirurgie wird daher nur im Ausnahmefall wegen einer nicht gegebenen chirurgisch-technischen Resektabilität nicht aktiv werden.
Die onkologische Operabilität
Die onkologische Operabilität wird in internationalen Leitlinien, wie den im September 2021 aktualisierten ESMO-Guidelines, festgelegt. Das Stadium III des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms ist eine sehr heterogene Gruppe und umfasst lokal fortgeschrittene T3- und T4-Tumoren ohne nodale Beteiligung und gleichzeitig T1a-Primärtumoren mit unilateraler mediastinaler Propagation. Die ESMO-Guidelines 2021 beschreiben in diesem Sinne für das NSCLC Stadium III eine Heterogenität der Erkrankung, der Tumorpathologie, der Lokalisation und Ausdehnung, des individuellen Risikoprofils des betroffenen Patienten sowie interinstitutionelle Unterschiede in den diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Dementsprechend wird eine individuelle Therapieentscheidung für jeden Patienten im Rahmen eines multidisziplinären Teams, sprich eines Tumorboards in einem spezialisierten Zentrum mit hohen Fallzahlen, empfohlen.
Die verschiedenen onkologischen Situationen im Stadium III lassen sich insofern etwas besser strukturieren, als man den ipsilateralen mediastinalen Lymphknotenbefall (N2) weiter unterteilt. Dadurch entstehen drei große Behandlungspfade in Abhängigkeit von der potenziellen Resektabilität des mediastinalen Lymphknotenbefalls. Alle Tumoren der Kategorien T1–T3 ohne präoperativen Hinweis auf einen mediastinalen Lymphknotenbefall werden als inzidentelle (erst im Zuge der Operation entdeckte) N2 klassifiziert und postoperativ mit adjuvanter Chemotherapie behandelt. Die zweite Gruppe umfasst alle T1-, T2- und T3-Tumoren mit potenziell resektabler N2-Erkrankung. Diese Patienten können nach Entscheidung im Tumorboard entweder einer chirurgischen oder einer nichtchirurgischen multimodalen Therapie zugeführt werden. Patienten mit einer nichtresektablen N2-Situation („bulky N2“) sowie T4-Tumoren mit N2-Befall werden primär einer nichtchirurgischen multimodalen Therapie zugeführt. Eine Sonderstellung nimmt die Situation T4 N0–1 ein, bei der nach invasiver Abklärung des Mediastinums primär eine Operation durchgeführt werden kann.
Limitierungen
Ein invasives Staging mit EBUS wird nicht an allen Abteilungen konsequent und in gleicher Qualität angeboten. Außerdem bestätigt der EBUS lediglich einen potenziellen nodalen Befall, schließt diesen aber nicht aus. Dazu wäre eine Biopsie sämtlicher erreichbarer Lymphknotenstationen erforderlich. In gleicher Weise ist die Qualität der intraoperativen Blockdissektion der Lymphknoten zu hinterfragen. Eine einseitige Lymphknotenentfernung ist auch grundsätzlich unphysiologisch, da besonders beide Unterlappen über die infrakarinale Lymphknotengruppe auf die kontralaterale Seite der Trachea drainieren. Selbst bei einer kompletten radikalen Entfernung der ipsilateralen Lymphknotenstationen werden auf diese Weise subklinische Mikrometastasen in der N3-Region übersehen. Insgesamt ist daher die aktuelle TNM-Klassifikation mit der anatomischen Zuordnung der Lymphknotengruppen zu überdenken.
„Node ratio“
2015 wurde von einer chinesischen Arbeitsgruppe der neue Terminus „node ratio“ geprägt. Der prozentuelle Anteil positiver Lymphknoten an der Anzahl der insgesamt entfernten Lymphknoten erlaubte eine bessere prognostische Einschätzung als die traditionelle TNM-Klassifikation. Dieser Ansatz wurde 2020 auf Basis einer großen Patientenkohorte bestätigt. Da auf dieser Basis ein N3-Befall physiologisch und onkologisch wie ein N2-Befall chirurgisch nicht erreichbarer Lymphknoten zu verstehen ist und lediglich die Anzahl der befallenen Lymphknoten die Biologie des Tumors und das Stadium der Erkrankung widerspiegelt, sollte möglichst routinemäßig eine beidseitige Lymphadenektomie durchgeführt werden. Dies erfordert keine mediane Sternotomie, sondern einen Zugang wie bei einer zervikalen Mediastinoskopie mit der Möglichkeit einer kompletten Blockdissektion der paratrachealen, prätrachealen und infrakarinalen Lymphknotenstationen im Sinne einer videoassistierten mediastinalen Lymphadenektomie (VAMLA).
In einer Analyse der eigenen Daten an 776 Patienten nach thorakoskopischer Lobektomie und VAMLA zwischen 2014 und 2017 konnte ein Cut-off-Level des prozentuellen Lymphknotenbefalls (NPR, „node positivity ratio“) von 0,3 ermittelt werden. Nach statistischer Zusammenlegung aller N1- und N2-Stationen war die NPR ein unabhängiger prognostischer Faktor mit 51,9Monaten vs. 26,3 Monate Gesamtüberleben (OS) von Patienten mit niedrigem, respektive hohem Risiko. Der T-Faktor der Erkrankung zeigte keinerlei Korrelation.
Grenzen der funktionellen Operabilität
Die Grenzen der funktiollen Operabilität haben sich in den letzten drei Jahrzehnten dramatisch verschoben. Ältere Publikationen beschreiben Mortalitätsraten von bis zu 50% bei Patienten mit einer errechneten postoperativen FEV1 von unter 40%. Heute versteht man die ppoFEV1 als relativ unverlässlichen Prädiktor postoperativer Komplikationen bei Patienten mit weitgehend normaler Lungenfunktion. Die aktuelle Mortalitätsrate bei einer ppoFEV1 unter 40% liegt bei 5%. Dieser Wert gilt heute als Grenze zwischen normalem und erhöhtem pulmonalem Risiko. Bei bestehender Emphysemerkrankung mit höherem Überblähungsgrad ist ein volumsreduzierender Effekt zu bedenken. Durch die modernen minimalinvasiven Operationstechniken und das verbesserte Risikomanagement ist eine Grenzlegung einer funktionellen Operabilität heute bei 30% möglich. Es sollte jedoch immer die FEV1 gemeinsam mit der DLCO berücksichtigt werden.
Evaluierung der funktionellen Operabilität
Das strategische Vorgehen ist in den klinischen Guidelines der European Respiratory Society (ERS)/European Society of Thoracic Surgeons (ESTS) festgelegt. Zunächst sollte ein kardiales Risiko ausgeschlossen werden. Bei anamnestischem oder klinischem Verdacht auf eine kardiale Komorbidität sollte ein kardiologisches Konsil eingeholt werden. Bei erforderlicher koronarer Intervention sollte eine Lungenoperation für zumindest sechs Wochen postponiert werden. Im gegenteiligen Fall kann der Patient direkt der weiterführenden Lungenfunktionstestung unterzogen werden.
Wenn in der Bodyplethysmografie entweder die FEV1 oder die DLCO unter 80% liegt, soll eine Spiroergometrie mit Ermittlung der VO2max eingeleitet werden. Wenn dieser Wert unter 35% respektive unter 10ml/kg/min liegt, ist ein operatives Vorgehen nicht empfohlen. Liegt der ermittelte Wert zwischen 35 und 75% bzw. 10 und 20ml/kg/min, ist eine Resektion unter erhöhtem Risiko möglich. Zur weiterführenden Berechnung des individuellen Patientenrisikos wurden von der ESTS sowie der französischen Fachgesellschaft Risiko- Scores entwickelt. Diese berücksichtigen auch die relevanten Nebenerkrankungen.
Literatur:
beim Verfasser
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