
Pneumo meets Palliativmedizin
Autorin:
Assoc. Prof. PD DDr. Eva Katharina Masel, MSc.
Abteilung für Palliativmedizin
Universitätsklinik für Innere Medizin I
Allgemeines Krankenhaus Wien
Medizinische Universität Wien
E-Mail: eva.masel@meduniwien.at
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Eine palliative Betreuung kommt gelegentlich immer noch „durch die Hintertüre“, wenngleich zahlreiche Studien zeigen, dass die möglichst frühe Integration eines Palliativteams Lebensqualität und Symptomlast verbessern und in einigen Situationen wohl auchdas Überleben verlängern kann. Per definitionem zielt die Palliative Care auf Wohlbefinden zu jedem Zeitpunkt der Erkrankungab, unabhängig von der Prognose. Somit sollte die Kontaktaufnahme mit einem Palliativteam bzw. einer Palliativinstitution primär von der Symptomlast und nicht von dem erwarteten Überleben abhängig gemacht werden.
Orale und parenterale Opioide gelten als Mittel der ersten Wahl zur Linderung therapierefraktärer Atemnot.
Opioide sollten nicht zur Sedierung eingesetzt werden.
Eine Sauerstoffgabe ist bei nicht hypoxischen Patienten nicht indiziert, ein Handventilator ist hier hilfreich.
Nicht pharmakologische, holistische Maßnahmen haben eine bedeutende Rolle bei Atemnot und sollten stets angedacht werden.
Gabapentin und Pregabalin können zur Symptomkontrolle bei chronischem Husten eingesetzt werden.
Im Fachgebiet der Pulmologie leiden Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) im Durchschnitt an 11–14 Symptomen, was zeigt, wie wesentlich Kenntnisse einer entsprechenden Symptomkontrolle sind.1, 2 Man kann auch von der „Unsichtbarkeit der Atemnot“ sprechen, da viele Patienten die starken, erkrankungsbedingten Einschränkungen als Teil ihres Lebens ansehen und still ertragen. Somit sind Behandelnde aktiv gefragt, anamnestisch Symptome wie Atemnot, Appetitlosigkeit, Depression, Fatigue, Husten, Schlaflosigkeit etc. zu erheben. Eine sehr wertvolle Publikation im „Lancet“ widmet sich dem Symptommanagement bei COPD.3
Interessante Ergebnisse bietet ein systematischer Review, der zeigt, dass Gabapentin und Pregabalin die Häufigkeit von chronischem Husten reduzieren und die Lebensqualität verbessern können. Zusammen mit Logopädie können die beiden Antikonvulsiva bei chronischem Husten vorteilhaft zur Symptomkontrolle sein.4
Symptomkontrolle bei Atemnot
Nationale wie internationale Guidelines fokussieren mehr und mehr auf das Symptom der Atemnot. Eine bedeutende Leitlinie im Bereich der Palliative Care ist die S3-Leitlinie Palliativmedizin. Diese wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Handlungsempfehlung gibt wissenschaftsbasierte Empfehlungen zu Symptomen und Versorgungsfragen im Bereich der Palliative Care und beschreibt die derzeit gegebene Evidenz. Mit Stand Jänner 2021 sind eine Kurz- und eine Langfassung frei im Internet verfügbar.
In Bezug auf Atemnot bei Krebserkrankten hat die European Society of Medical Oncology (ESMO) rezente Guidelines veröffentlicht.5 Neben dem medizinischen Aspekt der Symptomkontrolle betrifft Atemnot mehrere Bereiche. Das Projekt „Life of Breath“ – www.lifeofbreath.org – ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zu Atmung und Atemnot an der Schnittstelle zwischen Kunst, Geisteswissenschaften und medizinischer Praxis.
Der australische Palliativmediziner David Currow erwähnt in einem Podcast auf www.geripal.org den Satz „Breathlessness is something you don’t think about until it is all you think about“, was die hohe Subjektivität, Belastung und Beeinträchtigung des täglichen Lebens durch Atemnot gutbeschreibt. Respirationsrate, Sauerstoffsättigung und Lungenfunktion geben keine Auskunft über die individuell empfundene Belastung der Patienten. Eine subjektive Beurteilung in Form von sensorischem Erleben, emotionaler Belastung und täglichen Einschränkungen durch Atemnot steht im Vordergrund.
Opioide
Currow kam als Letztautor einer rezenten Studie zu dem Schluss, dass bei chronischer Atemnot kein Nutzen von Oxycodon gegenüber Placebo zur Symptomkontrolle bei Atemnot nachweisbar war.6 Dabei ist jedoch zu betonen, dass die Kontrollgruppe Morphin bei Bedarf erhalten durfte und dies auch in einem hohen Prozentsatz in Anspruch nahm. Eine rezente Publikation über eine „phaseIIfeasibility study“ widmete sich der Gabe von intranasalem Fentanyl versus Placebo zur Behandlung von episodischer Atemnot bei nonmalignen Erkrankungen. Die Studie ergab keinen signifikanten Unterschied, 20µg Fentanyl intranasal waren jedoch gut verträglich, eine Phase-III-Studie mit höherer Fentanyldosierung ist in Planung.7 Entsprechende Studiendesigns sind bei Patienten in einem palliativen Setting herausfordernd.
Opioide („off-label use“) sind in der Palliation zur Symptomkontrolle der auf eine Kausaltherapie (Tab.1) nicht ansprechenden, weiterhin bestehenden Atemnot gedacht (Grad-1-Empfehlung).8, 9 Auch bei COPD und Lungenfibrose können Opioide für eine Linderung von Atemnot eingesetzt werden. Opioide wirken im limbischen System (vermittelt unter anderem Gleichgültigkeit). Eine rasche, oberflächliche Atmung wird ruhiger und tiefer. Opioide dienen weder dem Zweck noch der Indikation, Patienten zu sedieren, und können – fälschlich angewendet – zu Myoklonien, neurologischer Exzitation, Agitiertheit und Delir führen. Leider werden Opioide in der klinischen Praxis noch immer häufig zur Sedierung eingesetzt.
Benzodiazepine
Benzodiazepine sind bei Atemnot nicht als Routinemedikation, sondern mehr als Zweit- oder Drittlinientherapie gedacht, können jedoch durch ihre anxiolytische Wirkung einen Benefit bringen. Sind Symptome trotz maximaler Ausschöpfung symptomlindernder Maßnahmen therapierefraktär, kann als Ultima Ratio der Symptomkontrolle am Lebensende eine palliative Sedierung indiziert sein. Zusätzlich zu einer bestehenden Symptomkontrolle werden hierbei Sedativa (in Österreich vorwiegend Midazolam) eingesetzt. Die entsprechenden Medikamente und Dosierungen finden sich in nationalen und internationalen Guidelines.10 Eine palliative Sedierung verkürzt das Leben nachweislich nicht.
Kachexie
Die Kachexie ist als „signum malum“ zu betrachten, ein Drittel der Patienten mit Krebserkrankungen sterben an den Folgen der Kachexie. Je höher der Gewichtsverlust und je geringer der Body-Mass-Index ist, desto schlechter ist die Prognose.11 Zur Vorbeugung von Kachexie und Sarkopenie sind eine regelmäßige Erhebung des Gewichts und des Ernährungsstatus sowie bei Erfordernis eine physikalische Therapie (und gegebenenfalls Rehabilitation) und eine Ernährungsberatung von großem Nutzen für die Patienten.
Sauerstoffgabe
Eine Indikation zur Sauerstoffgabe über die Maske oder Nasenbrille ist nur bei nachgewiesener Hypoxie indiziert. Der Einsatz eines Handventilators konnte in einer Studie über einen trigeminalen Reiz die Symptomlast bei nichthypoxischen Patienten reduzieren.12
Holistische Therapie
Ein holistischer Ansatz in Form von Atemtraining, Entspannungstechniken und psychologischer Unterstützung gilt als zielführende Maßnahme im Umgang mit chronischer Atemnot. Atemtherapeuten und/oder Atemnot-Ambulanzen sind mit Sicherheit wertvolle Bestandteile einer palliativen Betreuung. Ein wertvolles Konzept hierzu findet sich unter www.atemnotambulanz.de.
Psychosoziale Aspekte
Einige Palliativteams haben sich in „Supportteams“ umbenannt, da eine solche Umbenennung zu mehr und früheren Überweisungen an Palliativteams führte.13 Man sollte sich jedoch weniger an Begrifflichkeiten festhalten, sondern die Notwendigkeit erkennen, Aufklärungsarbeit zu leisten, die zu einem umfassenderen Verständnis dessen führt, was Palliative Care darstellt und beinhaltet.14 Dazu zählen unter anderem Kommunikationsfähigkeit, Sensibilität und Ehrlichkeit. Die Palliativmedizinerin Kathryn Mannix sagte dazu: „A common complaint from families when patient dies is ’we didn’t realise s/he might die!’ They are told about sepsis/low oxygen sats/hypotension/poor blood supply to vital organ(s) but this doesn’t communicate ’sick enough to die’. Use your D-words.“
Zur Erhebung des psychischen Befindens kann die Frage „Sind Sie depressiv?“ hilfreich sein.15 Neben einer entsprechenden psychologischen und/oder psychotherapeutischen Betreuung können bei entsprechender Indikation auch in einem palliativen Setting Psychopharmaka eingesetzt werden. Das noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressivum Mirtazapin hat eine antiemetische, appetitanregende und sedierende Wirkung und dient somit neben der antidepressiven Wirkung als geeignetes Präparat bei Vorliegen von Symptom-Clustern wie Inappetenz, Schlaflosigkeit und Übelkeit. Die Kombination aus der morgendlichen Gabe des dualen Antidepressivums Venlafaxin und der abendlichen Gabe von Mirtazapin wird als „California rocket fuel“ bezeichnet und stellt eine sehr potente antidepressive Kombination dar. Alternativ können morgens auch die dual wirksamen Präparate Duloxetin oder Milnacipran (Vorteil von Milnacipran bei Polypharmazie: keine Cytochrom-P450-Interaktionen) verabreicht werden. Bei Duloxetin ist zu berücksichtigen, dass der Plasmaspiegel bei Rauchern durch eine CYP1A2-Interaktion der Benzpyrene im Tabakrauch um bis zu 50 Prozent herabgesetzt sein kann.
Advance Care Planning
Wann ist nun der richtige Zeitpunkt gekommen, eine vorausschauende Planung vorzunehmen, wozu ein Gespräch über die Werte und die Zukunft der Patienten sowie die Aufklärung über die Möglichkeit des Verfassens einer Patientenverfügung und/oder Vorsorgevollmacht zählen? Die Surprise Question „Wären Sie überrascht, wenn diese Patientin/dieser Patient im nächsten Jahr versterben würde?“ kann hier als Indikator und Hilfestellung bei der Entscheidung darüber dienen, wie die weitere Behandlungsstrategie sein soll.16 Wird die Frage mit „Nein“ beantwortet und liegt eine hohe Symptomlast vor, kann die Einbindung eines Palliativteams von Nutzen sein.
„Was sollen wir als behandelndes Team über Sie wissen, um Sie bestmöglich betreuen zu können?“ Diese Frage zu stellen, kanneine persönliche Ebene schaffen, die es erleichtert, dem Patienten nahezukommen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.17
Erkrankungsverläufe und Lebensqualität
Patienten der Onkologie unterscheiden sich im Erkrankungsverlauf von Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen („frailty“), wobei der Prozess bei chronischen Erkrankungen meist undulierend verläuft (Abb.1).18
Durch eine frühe palliative versus eine standardisierte onkologische Betreuung ab Erstdiagnose eines Bronchuskarzinoms Stadium IV kam es durch die palliative Betreuung neben einem Überlebensvorteil von drei Monaten zu einer besseren Lebensqualität, zu weniger Angst, zu weniger Depressionen und zu weniger psychiatrischer Symptomlast.19 Somit kann das Argument, eine palliative Betreuung würde zu einem Hoffnungsverlust führen, als überholt und ungültig betrachtet werden.
Fazit
Unter dem Begriff der „double awareness“ versteht man das Gleichgewicht zwischen dem Bewusstsein der Realität des nahenden Todes und der Verpflichtung dem Leben eines Menschen gegenüber. Das stellt eine große Herausforderung dar, der wir uns gemeinsam im interdisziplinären, multiprofessionellen Austausch annehmen sollten!
Literatur:
1 Bausewein Cet al.: Understanding breathlessness: cross-sectional comparison of symptom burden and palliative care needs in chronic obstructive pulmonary disease and cancer. J Palliat Med 2010; 13: 1109-18 2 Blinderman CD et al.: Symptom distress and quality of life in patients with advanced chronic obstructive pulmonary disease. J Pain Symptom Manage 2009; 38: 115-23 3 Maddocks M et al.: Palliative care and management of troublesome symptoms for people with chronic obstructive pulmonary disease. Lancet 2017; 390: 988-1002 4 Ryan NMet al.: An update and systematic review on drug therapies for the treatment of refractory chronic cough. Expert Opin Pharmacother 2018; 19: 687-711 5 Hui D et al.: Management of breathlessness in patients with cancer: ESMO Clinical Practice Guidelines. ESMO Open 2020; 5(6): e001038 6 Ferreira DH et al.: Controlled-release oxycodone vs. placebo in the treatment of chronic breathlessness-a multisite randomized placebo controlled trial. J Pain Symptom Manage 2020; 59: 581-9 7 Higginson IJ et al.: Randomised, double-blind, multicentre, mixed-methods, dose-escalation feasibility trial of mirtazapine for better treatment of severe breathlessness in advanced lung disease (BETTER-B feasibility). Thorax 2020; 75: 176-9 8 Barnes H et al.: Opioids for the palliation of refractory breathlessness in adults with advanced disease and terminal illness. Cochrane Database Syst Rev 2016; 3: CD011008 9 Ekström M et al.: Effects of opioids on breathlessness and exercise capacity in chronic obstructive pulmonary disease. A systematic review. Ann Am Thorac Soc 2015; 12: 1079-92 10 Alt-Epping B et al.: Sedation in palliative medicine: guidelines for the use of sedation in palliative care: European Association for Palliative Care (EAPC). Schmerz 2010; 24: 342-54 11 Martin L et al.: Diagnostic criteria for the classification of cancer-associated weight loss. J Clin Oncol 2015; 33: 90-9 12 Qian Y et al.: Fan therapy for the treatment of dyspnea in adults: a systematic review. J Pain Symptom Manage 2019; 58: 481-6 13 Fadul N et al.: Supportive versus palliative care: what’s in a name?: a survey of medical oncologists and midlevel providers at a comprehensive cancer center. Cancer 2009; 115: 2013-21 14 Boyd K et al.: Should palliative care be rebranded? BMJ 2019; 364: l881 15 Chochinov HM et al.: “Are you depressed?” Screening for depression in the terminally ill. Am J Psychiatry 1997; 154: 674-76 16 Moroni M et al.: The “surprise” question in advanced cancer patients: A prospective study among general practitioners. Palliat Med 2014; 28: 959-64 17 Chochinov HM et al.: Effect of dignity therapy on distress and end-of-life experience in terminally ill patients: a randomised controlled trial. Lancet Oncol 2011; 12: 753-62 18 Lunney JR et al.: Profiles of older medicare decedents. J Am Geriatr Soc 2002; 50: 1108-12 19 Temel JS et al.: Early palliative care for patients with metastatic non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2010; 363: 733-42
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