
Patient*innen mit Lungenkrebs auf der Intensivstation
Autoren:
Dr. Erwin Grasmuk-Siegl
Dr. Oliver Illini
Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie
Klinik Floridsdorf
Wien
Korrespondierender Autor:
Dr. Erwin Grasmuk-Siegl
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Die postoperative Versorgung, das akute respiratorische Versagen und die Sepsis stellen die drei häufigsten Gründe für eine intensivmedizinische Behandlung bei pneumoonkologischen Patient*innen dar. Die Aufnahme auf Intensivstationen und auch der Einsatz von lebenserhaltenden Maßnahmen müssen kritisch abgewogen werden.
Keypoints
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Eine undifferenzierte, intensivmedizinische Behandlung kann nicht nur die Ressourcen erschöpfen, sondern auch zu einer Überbehandlung führen.
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Konsenserklärungen empfehlen den uneingeschränkten Einsatz bei Patienten in kurativen Tumorstadien, in Remission und/oder mit einer prognostizierten Lebenserwartung von zwölf Monaten.
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Der erwartete Nutzen und die Wahrscheinlichkeit für einen Therapieerfolg müssen gegen die erwartete Belastung für die Patient*innen abgewogen werden.
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Eine Möglichkeit der Evaluierung stellt der „ICU trial“ dar.
Durch Fortschritte in Verständnis und Therapie von pneumoonkologischen Erkrankungen hat sich die Prognose von betroffenen Patient*innen bedeutend verbessert.1,2 Abhängig von tumor- und patientenspezifischen Faktoren kann die mittlere Lebenserwartung unter adäquater Therapie selbst in metastasierten Tumorstadien mehrere Jahre betragen.3 Nichtinvasive oder invasive Beatmung, Vasopressor- oder Nierenersatztherapie können die Überlebenswahrscheinlichkeit von kritisch kranken Krebspatient*innen nachweislich verbessern.4–9
Die Aufnahme auf intensivmedizinische Stationen und der Einsatz von lebenserhaltenden Maßnahmen in dieser Patientengruppe muss kritisch abgewogen werden und erfordert zudem Kenntnisse über therapieassoziierte Nebenwirkungen von Onkologika.
Häufige Aufnahmegründe
Die drei häufigsten Gründe, weshalb pneumoonkologische Patient*innen eine intensivmedizinische Behandlung benötigen, sind die postoperative Versorgung, das akute respiratorische Versagen und die Sepsis.
Postoperative Versorgung
Die postoperative Versorgung macht den Großteil der Aufnahmen auf Intensivstationen in dieser Patientengruppe ausund ist selbsterklärend im Gegensatz zu den beiden anderen positiv zu werten, da (thorax-)chirurgische Eingriffe hier zumeist im Rahmen eines kurativen Settings erfolgen.
Akutes respiratorisches Versagen
Das akute respiratorische Versagen hat unter Patient*innen mit Lungenkrebs eine Inzidenz von bis zu 50%, mit einer Mortalität von nahezu zwei Dritteln.10 Bei onkologischen (=immunsupprimierten) Patient*innen ist eine differenzierte diagnostische Herangehensweise erforderlich.11
Eine infektiöse Genese ist nicht allein durch ihre im Vergleich einfache Therapierbarkeit am ehesten abzuklären. Bei längerer medikamentöser Immunsuppression − wie durch Cortison − sollte eine Abklärung hinsichtlich einer Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie oder einer CMV-Reaktivierung erfolgen.12 Pulmonalembolien und bronchiale Okklusionen durch Tumorprogress gehören ebenso zu den Differenzialdiagnosen und rechtfertigen den niederschwelligen Einsatz der Computertomografie in der Diagnosefindung.
Insbesondere beim pneumologischen Patientenkollektiv dürfen zugrundeliegende Begleiterkrankungen (und deren Exazerbationen) wie die COPD oder eine Herzinsuffizienz als Grund des respiratorischen Versagens nicht außer Acht gelassen werden. Liegt eine Hypoxämie vor, welche durch Sauerstoffinsufflation nicht beherrschbar ist, so sollte frühzeitig auf eine Therapie mit nasalem High-Flow eskaliert werden. Durch Flussraten bis 60l/min kann dem erhöhten Einatemfluss bei Atemnot – welcher deutlich höher liegt als der Fluss konventioneller Sauerstoffinsufflation – Rechnung getragen werden. Ebenso möglich ist der Einsatz einer Atemhilfe mittels der nichtinvasiven Maskenventilation durch CPAP.10
Ist die Atemmuskulatur durch Erschöpfung bedroht, ist der Einsatz einer nichtinvasiven Maskenbeatmung mit Druckunterstützung obligat. Nasaler High-Flow kann keine Atemarbeit abnehmen!
Invasive Ventilation ist mit einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet, wobei in Studien schwer zu trennen ist, ob dies auf die invasive Ventilation per se oder auf die schwergradige Grunderkrankung zurückzuführen ist. Bei einem Therapieversagen der nichtinvasiven Maskenbeatmung darf der Beginn der invasiven Beatmung, sofern keine entsprechende Therapielimitierung vorliegt, nicht verzögert werden.
Sepsis
Ein weiteres Krankheitsbild, welches gehäuft bei Patient*innen mit Lungenkrebs eine intensivmedizinische Behandlung nötig macht, ist die Sepsis, welche naturgemäß im engen Zusammenhang mit dem häufigsten Grund des akuten respiratorischen Versagens, der Pneumonie, steht. Die Sepsis ist eine kritische, jedoch behandelbare Erkrankung, welche bei rascher und adäquater Therapieeinleitung mit einer besseren Überlebenswahrscheinlichkeit einhergeht. Dies inkludiert neben dem Einsatz von Antibiotika und Kristalloiden auch Katecholamine.13
Therapieziel
Auch wenn sich die Guideline-konforme Behandlung der obigen Krankheitsbilder von Patient*innen mit oder ohne Lungenkrebs nicht wesentlich unterscheidet, würde ein undifferenzierter Einsatz der Intensivmedizin nicht nur die Ressourcen erschöpfen, sondern auch zu einer eklatanten Überbehandlung führen, welche nicht im besten Interesse der Patient*innen ist.
Wer profitiert nun am ehesten von einer intensivmedizinischen Behandlung? Die Konsenserklärung der österreichischen und deutschen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie sowie jene für Intensivmedizin aus dem Jahr 2018 gibt wesentliche Handlungsempfehlungen.14 So wird ein „Full-Code-Management“,also ein uneingeschränkter Einsatz der intensiv-medizinschen Möglichkeiten, bei Patient-*innen in kurativen Tumorstadien, in Remission und/oder mit einer prognostizierten Lebenserwartung von zwölf Monaten empfohlen. Letzteres wird von den Autoren als willkürliche Grenze beschrieben und ist derzeit nicht durch wissenschaftliche Daten untermauert.
Der erwartete Nutzen und die Wahrscheinlichkeit für einen Therapieerfolg muss gegen die erwartete Belastung für die Patient*innen abgewogen werden. Für die prognostische Bewertung können validierte Faktoren (SAPSIII) berücksichtigt werden.15 Jedoch konnte gezeigt werden, dass jene Scoringverfahren am sechsten Aufnahmetag eine höhere Genauigkeit in der Prognose des Überlebens aufweisen als am Aufnahmetag.16 Sollte zudem der funktionelle Status vor Spitalsaufnahme wesentlich eingeschränkt sein, so erscheint eine intensivmedizinische Behandlung in ihrem Erfolg begrenzt zu sein.11
ICU-Trial
Eine Möglichkeit zwischen „Full-Code-Management“ und gänzlicher intensivmedizinischer Therapierestriktion stellt der „ICU-Trial“ dar. Hierbei definiert das Behandlungsteam ein konkretes Therapieziel (z.B. hämodynamische Stabilisierung während einer Sepsis) und evaluiert dies streng nach fünf Behandlungstagen. Ist eine substanzielle klinische Verbesserung zu verzeichnen, so wird die Therapie für einen definierten Zeitraum fortgesetzt. Kommt es zu keiner Verbesserung oder gar zu einer neuerlichen Verschlechterung, erfolgt die Therapiezieländerung, ggf. in Richtung „Best-Comfort-Care“.
In der Arbeit von Lecuyer und Kolleg-*innen konnte gezeigt werden, dass bei Patient*innen, die sich in einem solchen ICU-Trial befanden und bei denen nach dem dritten Aufnahmetag eine zusätzliche invasive Beatmung, Katecholamintherapie oder Nierenersatztherapie nötig wurde, eine Mortalität von 100% aufwiesen.16
Vorschläge und Überlegungen zu den Aufnahmekriterien
Vorschlag für Aufnahmekriterien für pneumoonkologische Patient*innen auf Intensivstationen:
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Die kritische Erkrankung, die einen IMC/ICU-Aufenthalt notwendig macht, ist therapierbar.
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Es besteht eine erwartete Überlebenszeit von zumindest zwölf Monaten hinsichtlich der malignen Erkrankung.
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Die kritische Erkrankung ist nicht auf ein Fortschreiten der malignen Erkrankung zurückzuführen, die nicht adäquat therapierbar ist.
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Der Patient hat einen generellen ECOG-Performance-Status von ≤2 Punkten.17
Überlegungen für gerechtfertigte Intensivstationsaufnahme von pneumoonkologischen Patient*innen:
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Organversagen, welche weder onkologika- noch tumorassoziiert sind und den generellen Aufnahmekriterien entsprechen (u.a. therapierbarer Myokardinfarkt, Pankreatitis);
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Atemhilfen und Beatmung bei exazerbierter COPD, Pneumonie oder immuntherapieassoziierter Pneumonitis;
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Katecholaminbedarf bei chemotherapieassoziierter neutropener Sepsis;
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Katecholaminbedarf und Nierenersatztherapie bei pneumoniebedingter bakterieller Sepsis;
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Aufnahme zur Nierenersatztherapie bei akutem Nierenversagen durch immuntherapieassoziierte Nephritis;
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ausgeweitete Transfusionstherapie bei Patient*innen mit hämatologischer Nebenwirkung der Onkologika.
Literatur:
1 Howlader N et al.: The effect of advances in lung-cancer treatment on population mortality. N Engl J Med 2020; 383(7): 640-9 2 Brenner H: Long-term survival rates of cancer patients achieved by the end of the 20th century: a period analysis. Lancet Lond Engl 2002; 360(9340): 1131-5 3 Mok T et al.: Updated overall survival and final progression-free survival data for patients with treatment-naive advanced ALK-positive non-small-cell lung cancer in the ALEX study. Ann Oncol2020; 31(8): 1056-64 4 Azoulay E et al.: Improved survival in cancer patients requiring mechanical ventilatory support: impact of noninvasive mechanical ventilatory support. Crit Care Med 2001; 29(3): 519-25 5 Groeger JS et al.: Outcome for cancer patients requiring mechanical ventilation. J Clin Oncol 1999; 17(3): 991-7 6 Hilbert G et al.: Noninvasive ventilation in immunosuppressed patients with pulmonary infiltrates, fever, and acute respiratory failure. N Engl J Med 2001; 344(7): 481-7 7 Larché J et al.: Improved survival of critically ill cancer patients with septic shock. Intensive Care Med 2003; 29(10): 1688-95 8 Benoit DD et al.: Outcome in critically ill medical patients treated with renal replacement therapy for acute renal failure: comparison between patients with and those without haematological malignancies. Nephrol Dial Transplant 2005; 20(3): 552-8 9 Berghmans T et al.: Continuous venovenous haemofiltration in cancer patients with renal failure: a single-centre experience. Support Care Cancer 2004; 12(5): 306-11 10 Azoulay E et al.: Acute respiratory failure in immunocompromised adults. Lancet Respir Med 2019; 7(2): 173-86 11 Schellongowski P et al.: Critically ill patients with cancer: chances and limitations of intensive care medicine-a narrative review. ESMO Open 2016; 1(5): e000018 12 Martos-Benítez FD et al.: Critically ill patients with cancer: A clinical perspective. World J Clin Oncol 2020; 11(10): 809-35 13 Evans L et al.: Surviving sepsis campaign: international guidelines for management of sepsis and septic shock 2021. Crit Care Med 2021; 49(11): e1063-e1143. doi: 10.1097/CCM.0000000000005337 14 Kiehl MG et al.: Consensus statement for cancer patients requiring intensive care support. Ann Hematol 2018; 97(7): 1271-82 15 Taniguchi LU et al.: Comparison of SAPS 3 performance in patients with and without solid tumor admitted to an intensive care unit in Brazil: a retrospective cohort study. Rev Bras Ter Intensiva 2020; 32(4): 521-7 16 Lecuyer L et al.: The ICU trial: a new admission policy for cancer patients requiring mechanical ventilation. Crit Care Med 2007; 35(3): 808-14 17 Oken MM et al.: Toxicity and response criteria of the Eastern Cooperative Oncology Group. Am J Clin Oncol 1982; 5(6): 649-55
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