
Der Bauernhofeffekt zum Lutschen
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Die Anzahl der Allergiker in Österreich steigt, viele von ihnen nehmen allerdings nur kurzfristig wirksame Medikamente wie Antihistaminika. Abhilfe könnte ein spezieller Immunmechanismus schaffen, der nun in eine Lutschtablette verpackt wurde. Basis dafür ist der sogenannte Bauernhofeffekt, der in wissenschaftlichen Untersuchungen gezeigt hat, dass Kinder, die in der Nähe eines Kuhstalls aufwachsen, weniger von Allergien betroffen sind. Erste Studiendaten zeigen eine deutliche Reduktion allergischer Symptome nach mehrmonatiger Anwendung.
Immer mehr Menschen entwickeln eine allergische Erkrankung. „Die Ursachen sind multifaktoriell. Dazu gehören vor allem unser industrialisierter Lebensstil, aber auch stark verarbeitete Lebensmittel und die Umweltverschmutzung“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim vom Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung an der MedUni Wien, die maßgeblich an der Entwicklung der neuen Therapie, die nun von der Bencard Allergie GmbH unter dem Namen immunoBON® auf den Markt gebracht wurde, beteiligt war. „Trotz vieler Therapieoptionen werden viele Personen mit Allergien derzeit dennoch nicht oder ungenügend behandelt“, betont Jensen-Jarolim.
Neuer Immunmechanismus
„Eine Möglichkeit, dies zu ändern, ist ein neu entdeckter Immunmechanismus“, erklärt die Allergologin. „Er basiert auf dem sogenannten ,Bauernhofeffekt‘, der besagt, dass das Leben im Umkreis von etwa 300 Metern eines Bauernhofs mit Kuhstall vor Allergien, Asthma und atopischen Sensibilisierungen schützen kann.“ Studien zeigen: Kinder, die in einer Bauernhofumgebung aufwachsen, haben ein Asthmarisiko von nur 1%, Stadtkinder dagegen von 12%.1,2 In einer aktuellen Studie konnte nun erstmals nachgewiesen werden, dass ein von Kühen abgesondertes Protein, Beta-Laktoglobulin (BLG), eines der Schlüsselmoleküle für den sogenannten „Bauernhofeffekt gegen Allergien“ darstellt.3 Dieses kommt sowohl im Stallstaub als auch in der Rohmilch vor.
Schutzfunktion durch „beladenes“ holo-BLG
Prominent im gesammelten Stallstaub wie auch in der Umgebungsluft nachweisbar war vor allem das Lipocalin BLG, das auch eine Hauptproteinkomponente in der Molke ist. Es kann wie ein natürlicher Immunschutz wirken und gehört zur Proteinfamilie der Lipocaline. Diese werden von allen Säugetieren sezerniert und können mit kleinen Molekülen wie Siderophor-Eisen-Komplexen3, Vitamin A4,5 oder Zink beladen werden. „Wir haben die Entdeckung gemacht, dass die Beladung mit Liganden Lipocalinen wie BLG Schutzfunktionen gegen Allergien verleiht, während sie unbeladen sogar allergen sein können“, erklärt Jensen-Jarolim. Das Lipocalin BLG mit korrekt ausgebildeter Tasche für Liganden findet man unter anderem in der naturbelassenen, nichtpasteurisierten Rohmilch. Dies könnte erklären, warum naturnahe Kuhställe einen besseren Schutzeffekt haben als hoch industrialisierte Ställe. Im Unterschied zu jener im Supermarkt erhältlichen sind in der Rohmilch noch alle Bestandteile in der natürlichen Komposition enthalten. Eine Studie zeigt: Das Volk der Amish mit traditionellen Ställen war wesentlich besser vor Allergien geschützt als die Hutterites, die zu den größten industriellen Milchproduzenten der USA gehören.6–8
In placebokontrollierten Mausstudien konnte gezeigt werden, dass nur mit Siderophor-komplexiertem Eisen3, Vitamin A4,5 oder Zink beladenes sogenanntes holo-BLG die allergische Immunantwort unterdrückt und die Tiere vor Sensibilisierung, aber auch vor Anaphylaxie schützt. „Da nicht jeder Zugang zu Rohmilch hat und ihr Genuss potenziell mit einer Gefahr für Infektionen verbunden ist, haben wir basierend auf diesen Erkenntnissen die Formel für die holo-BLG-Lutschtablette entwickelt“, berichtet Jensen-Jarolim. Diese bringt BLG aus Biokuhmilch-Molke gleichzeitig mit einer Kombination aller drei Liganden durch Lutschen an die Immunzellen der Schleimhaut heran und stellt die Allergie-dämpfenden regulatorischen Zellen auf „Toleranz“. Die Studien im Mausmodell und eine klinische Pilotstudie mit erwachsenen Pollenallergikern haben gezeigt, dass die holo-BLG-Lutschtablette auch in vivo die allergische Immunantwort verhindert.9
Deutliche Reduktion der allergischen Symptome bei Pollenallergikern
Bisher wurden bereits zwei klinische Studien zu Pollenallergien durchgeführt. Sie zeigten, dass sich die nasalen Symptome bei Pollenallergikern nach einer sechsmonatigen Einnahme der Lutschtablette um 33% gebessert haben. Dieser Effekt ist ähnlich hoch wie bei der Allergen-Immuntherapie. Weiters konnte gezeigt werden, dass im Vergleich zu einer nicht behandelten Gruppe die Gesamtheit aller Symptome um 53% reduziert werden konnte. „Der Hintergrund für diesen Effekt dürfte sein, dass bei Allergikern die entzündungshemmenden Zellen einen intrazellulären Eisenmangel aufweisen. Das bedeutet, dass, selbst wenn ausreichend Eisen zugeführt wird, dieses nicht bei den Zellen ankommt. Daher geben wir das Eisen in die Taschen des BLG und können es so direkt zu den Immunzellen bringen, wo es Rezeptor-mediiert andockt und in die Zellen hineingelangt. Im Prinzip kann die holo-BLG-Lutschtablette also helfen, ein Nährstoffdefizit auszugleichen, das mit Ernährung allein kaum zu beheben ist“, so die Allergologin. Dieser Effekt konnte auch durch In-vitro-Daten belegt werden.3
Signifikante Verbesserung der Symptome von Hausstaubmilbenallergikern
Die auf dem Bauernhofeffekt basierende Lutschtablette hält allerdings nicht nur für Pollenallergiker positive Effekte bereit, sondern auch für Personen, die an einer Hausstaubmilbenallergie leiden und somit das ganze Jahr über betroffen sind. Ähnlich wie bei Pollenallergikern ist die Häufigkeit, von einer Hausstaubmilbenallergie betroffen zu sein, bei Städtern höher als bei Landbewohnern.10
In der Berliner Charité wurde die Wirksamkeit der holo-BLG-Lutschtablette bei Hausstaubmilbenallergikern mithilfe eines einzigartigen Experiments bewiesen. Unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Karl-Christian Bergmann von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde eine gezielte Allergenprovokation von Betroffenen vor und nach einer dreimonatigen Einnahme der holo-BLG-Lutschtablette in der sogenannten „Berliner Kammer“ durchgeführt.
Mit dieser speziellen Expositionskammer an der Berliner Charité können Studien zu Allergien unter immer gleichen Bedingungen durchgeführt werden. Sie ist klinisch und technisch genauestens evaluiert, alle Parameter von Temperatur über Feuchtigkeit bis zu Ozon und CO2 können genau eingestellt werden.
Insgesamt wurden 33 Personen mit einer seit mindestens zwei Jahren bestehenden Hausstaubmilbenallergie und Symptomen an Nase und Augen in das Experiment eingeschlossen. Sie wurden vor und nach einer dreimonatigen Einnahme der holo-BLG-Lutschtablette in der Expositionskammer mit dem Allergen provoziert. Symptome an Augen und Nase wurden alle zehn Minuten mittels Fragebogen erfasst. Dabei zeigte sich, dass sich nach der Einnahme der Lutschtablette alle Symptome deutlich reduziert hatten. Bei den nasalen Symptomen sogar um 60%. Auch die Symptome an den Augen und den Bronchien wurden deutlich besser. Spätreaktionen wie Kopfschmerzen oder verstopfte Nase traten unter der holo-BLG-Lutschtablette ebenfalls deutlich seltener auf. Neben der Wirksamkeit wurde eine gute Verträglichkeit der Lutschtablette während der dreimonatigen Einnahme dokumentiert.11(red)
Quelle:
Virtuelles Pressegespräch bzw. Pressemappe zu „Neu für AllergikerInnen: der ,Bauernhofeffekt‘ in der Lutschtablette“ vom 9. Februar 2021 der Bencard Allergie GmbH
Literatur:
1 Riedler J et al.: J Allergy Clin Immunol 2014; 133(2): 551-9 2 Schierl R et al.: Lancet 2001; 358: 1129 3 Roth-Walter F et al.: J Allergy Clin Immunol 2020; S0091-6749(20)30742-94 Hufnagl K et al.: Allergy 2020; 75(8). doi: 10.1111/all.14259 5 Hufnagl K et al.: Sci Rep 2018; 8(1): 1598 6 Stein MM et al.: N Engl J Med 2016; 375 (5): 411-21 7 Gozdz J et al.: Ann Am Thorac Soc 2016; 13(Suppl 1): 99 8 Ege MJ et al.: JACI 2007; 119(5): 1140-7 9 Afify MS et al.: Manuscript in review 10 Haftenberger M et al.: Bundesgesundheitsbl 2013; 56: 687-97 11 Bergmann KC et al.: DAK 2020; Poster Nr. P7.10
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