
Auf der Suche nach dem „grünen“ Patienten
Bericht: Reno Barth
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Inzidenz und Prognose von Asthma sind nicht unwesentlich von Umweltfaktoren abhängig und werden daher auch vom Klimawandel beeinflusst. Gleichzeitig hat jedoch auch die Therapie von Atemwegserkrankungen Auswirkungen auf die Umwelt und soll in naher Zukunft „grüner“ werden. Dies betrifft nicht zuletzt den Einsatz von Dosierinhalatoren. Dabei unterstreicht die European Respiratory Society jedoch, dass neue Regulationen nicht auf Kosten der Behandlungsqualität gehen dürfen.
Die European Respiratory Society (ERS) nimmt in einem kürzlich publizierten Positionspapier1 zu den Zusammenhängen zwischen dem Klimawandel und der besonderen Situation von Asthmapatienten Stellung. Prof. Dr. Zorana Andersen von der Universität Kopenhagen betonte im Rahmen der Präsentation des Papiers, dass Klimawandel mehr bedeute als höhere Temperaturen, wobei allein die zu erwartende höhere Zahl von Hitzetagen das Auftreten von Asthmaexazerbationen begünstige. Weiters komme es aufgrund der zunehmenden Hitze insbesondere im urbanen Raum zu verstärkter Ozonbelastung, was insbesondere Asthmapatienten zusätzlich belastet und schwere Asthmaanfälle auslösen kann. Hinzu kommt eine veränderte Pollenbelastung durch Ausbreitung von auf warmes Klima spezialisierter Pflanzen-Spezies. „Das ist relevant, weil rund die Hälfte unserer Patienten allergisch ist“, so Andersen. In trockenen Regionen wird es durch vermehrte Hitze zu Sand- und Staubstürmen sowie zu Rauchbelastung infolge von Wald- und Buschbränden kommen. Andernorts wird zunehmende Feuchtigkeit die Schimmelbildung in Innenräumen befördern und damit ebenfalls zur Entstehung und Verschlechterung von Asthma beitragen. Weiters bedeutet die Umweltverschmutzung durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe – nicht nur indirekt über den Klimawandel, sondern auch direkt – eine zusätzliche Belastung für vulnerable Personen, da Abgase oxidativen Stress, systemische Inflammation und allergische Sensibilisierung fördern. Andersen: „Wir erkennen Luftverschmutzung zunehmend als Risikofaktor für Asthma. Studien zeigen, dass jedes Jahr rund vier Millionen Kinder aufgrund von Luftverschmutzung Asthma entwickeln. Das sind rund 13% aller neuen Asthmafälle bei Kindern. Wir wissen auch, dass Luftverschmutzung Exazerbationen und sogar Todesfälle verursacht. Dies wurde vor Kurzem in Großbritannien nach dem Tod eines sechsjährigen Mädchens sogar von einem Gericht anerkannt.“ Ebenso dürfe die Rolle von Luftverschmutzung in Innenräumen infolge von Rauchen, Verbrennen von Holz oder Schimmel nicht unterschätzt werden.
Green New Deal: neue EU-Regulation ante portas
Das Positionspapier der ERS sei ein ausgezeichnetes Beispiel für einen holistischen Zugang zu den anstehenden Problemen und werde in den weiteren Überlegungen der Europäischen Kommission eine wichtige Rolle spielen, so François Wakenhut, Leiter der Clean Air Unit in der Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission. Luftverschmutzung sei nach wie vor ein ernstes Problem in der EU und die Ursache einer Reihe von Atemwegserkrankungen, kardiovaskulären Erkrankungen und Krebs. Das Problem der Luftverschmutzung soll im Green New Deal der EU unter dem Motto der „Zero Pollution Ambition“ angegangen werden. Eine 2019 abgeschlossene Evaluierung der aktuellen Situation habe gezeigt, dass die entsprechende europäische Legislatur nicht so ehrgeizig sei, wie die aktuelle wissenschaftliche Evidenz dies nahelegen würde. In diesem Sinne werden neue Empfehlungen der WHO dringend erwartet. Allerdings entsprechen zahlreiche Bestimmungen bereits heute nicht mehr den aktuellen Guidelines der WHO. Die trifft insbesondere auf Feinstaub zu. Entsprechende Bestimmungen sollten zeitnah angepasst werden. Mitte 2022 werden man dem Europäischen Parlament entsprechende Vorschläge unterbreiten. In der nahen Zukunft sei der Dialog der Europäischen Kommission auch mit den medizinischen Fachgesellschaften von höchster Bedeutung.
Inhalatoren als Quelle von Umweltnoxen
Von Interesse für die ERS ist jedoch auch jener Bereich, in dem die Pulmologie nicht lediglich mit den Folgen von Umweltverschmutzung konfrontiert wird, sondern selbst zur Freisetzung potenzieller Umweltnoxen beiträgt. Dies betrifft beispielsweise Treibgase aus Inhalatoren, weshalb im Positionspapier der ERS dem Thema „Green Inhaler“ ein eigener Abschnitt gewidmet ist. In der Behandlung von Erkrankungen der Atemwege kommen fünf Klassen von Inhalatoren zum Einsatz: Dosierinhalatoren („pressurized metered dose inhalers“; pMDI), Trockenpulver-Inhalatoren („dry powder inhalers“; DPI), Soft Mist Inhaler, Spacer und Vernebler. Es besteht Anlass zur Sorge, dass pMDI, die Hydrofluorocarbon (HFC) als Treibmittel verwenden, zur globalen Erwärmung beitragen. Laut Schätzungen liegt der Anteil medizinischer Aerosole an den weltweiten Fluor(F)-Gas-Emissionen unter 0,1%, während 86% dieser Emissionen auf das Konto von Kühlschränken, Klimaanlagen und Wärmepumpen gehen. Die ERS betont also, dass sie restriktive Gesetzgebung bei diesen großen Verursachern sinnvoller fände als bei den medizinischen Produkten.
Wie grün ein Inhaler ist, hängt nicht zuletzt davon ab, ob er korrekt eingesetzt wird. Denn nur die sachkundige Anwendung erlaubt einen ökonomischen Einsatz der Ressourcen, so Dr. Omar Usmani vom Imperial College London & Royal Brompton Hospital. So führt schlechte Asthmakontrolle zur verstärkten Anwendung von SABA, was nicht nur für den Patienten gefährlich ist, sondern auch den Ausstoß von Treibmitteln beträchtlich erhöhen kann. Voraussetzung dafür ist die Schulung der Patienten im Umgang mit ihrem Device. ERS Advocacy Council Chair Prof. Dr. Arzu Yorgancioglu von der Celal Bayar University in der Türkei betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Sprache im Umgang mit den Patienten und bevorzugt den Terminus „low global warming potential medical aerosol“. Inhaler, die diesen Anforderungen entsprechen, sind verfügbar, wie Usmani ausführt. Es liege in der Verantwortung der behandelten Ärzte, ihren Patienten die Chance zu geben, umweltverträgliche Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise seien in bestimmten Anwendungen mehrfach verwendbare Devices verfügbar und vorzuziehen, sofern das keinen medizinischen Nachteil bedeute. Letztlich gelte es, eine Balance zu finden zwischen den Bedürfnissen des Patienten und den Bedürfnissen der Umwelt. Es sei nicht ratsam, stabil eingestellte Patienten aus Gründen der Umweltverträglichkeit von einem Inhaler auf einen anderen umzustellen. Dies sei bereit gefordert worden, aus der Sicht der ERS aber jedenfalls abzulehnen. Usmani bezeichnet solche Forderungen als „bedenklich“ und die ERS hält dazu fest, dass es im Sinne einer personalisierten Therapie unverantwortlich wäre, den Zugang der Patienten zu pMDI einzuschränken. Die gelte besonders für jüngere Kinder, für die es kaum Alternativen zu den pMDI gibt. In diesem Sinne wird explizit auf die Empfehlungen der Global Initiative for Asthma (GINA) hingewiesen, die eine individualisierte Wahl des Devices fordern.
Auch in der Medizin: Recycling soll das Müllproblem lösen
Jedenfalls gehe die Entwicklung in die richtige Richtung und es befänden sich zahlreiche „Low global warming potential“-Inhaler in Entwicklung. Nach Schätzungen werden klimafreundlichere Treibmittel in etwa fünf Jahren verfügbar sein. Maureen Donahue Hardwick vom International Pharmaceutical Aerosol Consortium hält dazu fest, dass die Umweltverträglichkeit über die gesamte Lebenszeit des Device von der Herstellung über die Anwendung bis zur Entsorgung gewahrt bleiben sollte. Andersen unterstreicht, dass ein Recycling von Asthma-Devices ein wichtiges Element jeder grünen Strategie in der Asthmatherapie sein, zumal eine über Jahrzehnte durchgeführte Inhalertherapie erhebliche Mengen von Plastikmüll erzeugt. Leider fehlen dafür derzeit weitgehend die Strukturen und die Regierungen seien aufgerufen, hierbei zu helfen. Die Entwicklung umweltfreundlicher Devices werde mittlerweile seit mehr als 30 Jahren vorangetrieben. Sie sei schwierig, weil beispielsweise jedes neue Treibmittel nicht nur auf seine Umweltverträglichkeit geprüft werden, sondern erst toxikologische Sicherheitsstudien durchlaufen müsse, bevor es am Menschen zur Anwendung kommen könne. Wirksamkeit und Sicherheit müssen hier klar im Vordergrund stehen, so Kjeld Hansen, Asthmapatient, Patientenvertreter und Vorsitzender der European Lung Foundation. Donahue Hardwick weist darauf hin, dass gute Asthmakontrolle auch aus umweltpolitischer Sicht vorteilhaft ist, zumal Exazerbationen mit den resultierenden medizinischen Maßnahmen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben. Man befinde sich hier also in einer echten Win-win-Situation.
Fazit
Immer mehr Menschen mit Asthma entwickeln sich zu „grünen Patienten“, so Hansen. Eine zunehmend grüne Legislative ermögliche ihnen, umweltfreundliche Entscheidungen zu treffen, ohne dass dies ihre Behandlungsqualität beeinträchtige. Insofern unterscheide sich ihr Verhalten nicht von Konsumentscheidungen in anderen Lebensbereichen. Dennoch sollte die Betonung auf regulatorische und legislative Maßnahmen gelegt werden. Individuelle Patienten können diese Entwicklung vorantreiben. Die Rolle des Patienten sei hier in permanenter Veränderung begriffen, wobei vor allem jüngere Betroffene den Weg vorgeben. Um sinnvolle individuelle Entscheidungen zu ermöglichen, sei entsprechende Information der Betroffenen unverzichtbar.
Quelle:
„Asthma and climate change“, virtuelle Diskussionsrunde im Rahmen des „ERS Vision live“ vom 5. Mai 2021
Literatur:
1 European Respiratory Society: ERS position statement on asthma and the environment. 2021; https://mk0ersnetor gsavg5whs.kinstacdn.com/wp-content/uploads/2021/04/ERS-position-statement-on-asthma-and-the-environment-5-May-2021.pdf ; zuletzt aufgerufen am 7.6.2021
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