
Im Zeichen der Komplexität
Bericht:
Mag. Christine Lindengrün
Erstmals wurde die gemeinsame Jahrestagung der ÖGU und der ÖGOuT von zwei Kongresspräsidenten geleitet: Prim. Priv.-Doz. Dr. Vinzenz Smekal, Präsident der ÖGU, und Prim. Priv.-Doz. Dr. René El Attal, Präsident der ÖGOuT, luden vom 5. bis 7. Oktober nach Salzburg.
Mit dem Hauptthema „Komplexe Traumatologie und Orthopädie“ lag der Fokus auf Korrekturen, Rekonstruktionen und Funktionswiederherstellungen des Bewegungs- und Stützapparates bei Fehlbildungen, Entwicklungsstörungen, Neubildungen oder nach Verletzungen. „Das Thema der diesjährigen Tagung haben wir bereits im Vorfeld untereinander abgestimmt und thematisch bewusst sehr breit gehalten“, so Smekal und El Attal. „Dadurch sollte es möglichst vielen Mitgliedern aller drei Fachgruppen möglich sein, ihre wissenschaftlichen Arbeiten einzureichen.“
Mehr als 140 Beiträge bot das dreitägige Programm, das durch Lunchsymposien, Posterpräsentationen und eine große Industrieausstellung vervollständigt wurde. Nach der Begrüßung und Eröffnung durch die beiden Präsidenten begannen die Symposien der „Austrian Spinal Cord Injury Study“ (ASCIS) und des Arbeitskreises „Experimentelles Forum“. Parallel dazu fand die Gründungssitzung des Arbeitskreises „Hüfte & Becken“ statt. Anschließend startete das wissenschaftliche Programm zum Hauptthema: Verletzungen, Erkrankungen und Fehlbildungen der Wirbelsäule, des Beckens und der Hüfte sowie Kindertraumatologie bildeten die ersten Schwerpunkte.
Am zweiten Tag lag ein Fokus auf dem Polytrauma-Management. In der Session „Die Komplexizität des Neurotraumas im Rahmen des Polytraumas“ kam es nach den interdisziplinären Vorträgen mit Vertretern aus Neurochirurgie, Neurologie und Anästhesie/Intensivmedizin bei einem Round Table zur angeregten Diskussion. Weitere Sitzungen widmeten sich den Themen geriatrische Frakturen, Tumorrekonstruktion und komplexe Verletzungen, Deformitäten und Fehlbildungen der oberen und unteren Extremitäten.
Wie bereits im Vorjahr organisierte das Junge Forum der ÖGU auch heuer wiederdie Sitzung „ÖGU for Students“, in der Student:innen etwas über Ausbildung, Alltag und die Faszination des Faches Unfallchirurgie erfahren konnten. Auch Grundlagen und ein Hands-on-Training zur Osteosynthese wurden diesmal angeboten.
Ehrungen: Albert Tuchmann, Andreas Pachucki, Sigurd Pechlaner
„Der ÖGU ist es ein besonderes Anliegen, sich mit anderen medizinischen Fachgesellschaften zum Zwecke des fruchtbaren wissenschaftlichen, fachlichen und standespolitischen Austausches zu vernetzen“, sagte Doz. Smekal. Heuer wurde die Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie (ÖGCH) in Person von Generalsekretär Prof. Dr. Albert Tuchmann hervorgehoben. Er wurde mit der korrespondierenden Mitgliedschaft der ÖGU bedacht.
In den Kreis der Ehrenmitglieder für besondere Verdienste um die ÖGU wurde Prof. Dr. Andreas Pachucki, Spezialist für Handchirurgie und langjähriges ÖGU-Mitglied, aufgenommen. 3 Jahre lang, von 2012 bis 2014, fungierte er als Präsident der ÖGU. In diese Zeit fiel die Schaffung des neuen Sonderfaches Orthopädie & Traumatologie. Pachucki hat sich dabei für die Verankerung und Wertigkeit unfallchirurgischer Inhalte besonders eingesetzt, wie Prim. Smekal betonte. „Es war eine schwierige Zeit“, so Pachucki. Dennoch sei dieser Weg, den er und seine unmittelbaren Vorgänger beschritten haben, rückblickend der richtige gewesen. Es sei damals eine Chance gewesen, die österreichische Unfallchirurgie „europafit“ zu machen. „Als die Zusammenlegung mit der Orthopädie oder die Wiedereingliederung in die Chirurgie zur Diskussion standen, war es die einhellige Meinung der Mitglieder, dass wir der Orthopädie näher stehen als der Chirurgie“, erzählte Pachucki. „Natürlich sind daraus auch Probleme und Stolpersteine entstanden, aber ich bin zuversichtlich, dass wir diese auch noch bewältigen werden.“
Ein weiterer Spezialist und Pionier auf dem Gebiet der Handchirurgie, Doz. Dr. Sigurd Pechlaner, wurde mit der Lorenz-Böhler-Medaille geehrt. In seiner anschließenden Lorenz-Böhler-Vorlesung berichtete er über seine experimentellen Untersuchungen zur Überstreckungsverletzung des Handgelenkes, aus denen wesentliche Erkenntnisse zum Ablauf von Radiusfrakturen gewonnen werden konnten. Zum Abschluss der Vorlesung zeigte Pechlaner einen historischen Lehrfilm über die operative Versorgung einer Kompressionsfraktur mit einem kortikospongiösen Beckenkammspan.
Bilder aus der Ukraine
Dr. Mykhailo Nadvirniak, gebürtiger Ukrainer, derzeit tätig am UKH Klagenfurt, präsentierte das Projekt „Verein Humanitäre Hilfe für die Ukraine aus Österreich“ (https://humhilfeua.at/) und nahm für dieses Projekt eine Spende der ÖGU in der Höhe von 10000 Euro entgegen. Der Verein organisiert Lieferungen von Hilfsgütern – auch medizinischen (Medikamente, Spitalsbetten, medizinische Geräte und Verbrauchsmaterialien) – in die Ukraine. Zusätzlich unterstützt der Verein ukrainische Kriegsvertriebene in Kärnten bei der Integration. „Wir verstehen uns als Organisatoren und Vermittler zwischen Menschen, die helfen wollen, und Menschen, die Hilfe brauchen“, sagt Nadvirniak. Schon im Vorjahr hatte die Organisation eine Spende von 10000 Euro von der ÖGU erhalten. Nadvirniak zeigte Bilder und Videos von Defibrillatoren und externen Fixateuren, die mit dieser Spende angeschafft wurden und bereits in der Ukraine eingesetzt werden.
Rainer Mittermayr, Minas Ibrahim, Vinzenz Smekal, Jakob Schanda, Kambiz Sarahrudi, René El Attal, Stefan Quadlbauer, Christian Kammerlander, Christopher Festin (v. l. n. r.)
Nadvirniak präsentierte aber auch andere, erschreckende Bilder aus der Gefechtschirurgie: Verletzungen, die man nur im Krieg sieht. Ins Detail ging diesbezüglich der anschließende Gastvortrag von Dr. Yurii Klapchuk aus Kharkiv, der anhand zahlreicher Fallbeispiele über die Versorgung von komplexen artikulären und periartikulären Schussverletzungen berichtete.
Preisgekrönte Arbeiten
Der dritte Kongresstag startete mit dem traditionellen „Kater-Frühstück – mein schlimmster Fall“: Drei Fallberichte sorgten für angeregte Diskussion. Das Junge Forum der ÖGU und die Junge ÖGOuT veranstalteten einen Workshop mit Hands-on zum Thema „Polytraumaversorgung und Schockraum-Training“. Komplexe Versorgungsprobleme an der Schulter, die Behandlung von offenen Frakturen und die Extremitäten-Rekonstruktion nach Defektverletzungen und Knocheninfekten bildeten den Abschluss des wissenschaftlichen Programmes. Danach wurden die Preise für die besten Poster und Abstracts verliehen:
Mit dem Günther-Schlag-Abstractpreis für junge Forscher:innen wurde Christopher Festin, Wien, ausgezeichnet. Der Titel seiner Arbeit: „Targeted Sensory Reinnervation in der bionischen Rekonstruktion: ein experimentelles Tiermodell“.
Den Emanuel-Trojan-Posterpreis erhielt Minas Ibrahim, Wien, für „Komplikationen bei zementierter vs. unzementierter Hüft-Hemiprothese nach medialer Schenkelhalsfraktur“.
Der ÖGU-Wissenschaftspreis für die beste experimentelle Arbeit ging an Jakob Schanda et al. für das Abstract „Muscle-specific micro ribonucleic acids miR-1-3p, miR-133-a-3p, and miR-133b reflect muscle regeneration after single-dose zoledronic acid following rotator cuff repair in a rodent chronic defect model“.*
Andreas Pachucki, Vinzenz Smekal, Albert Tuchmann und Sigurd Pechlaner (v. l. n. r.)
Die beste klinische Arbeit lieferten heuer Stefan Quadlbauer et al. mit „Immediate mobilization of distal radius fractures stabilized by volar locking plate results in a better short-term outcome than a five week immobilization“.*
Die ÖGU-Förderpreise für Open-Access-Publikationen erhielten Xaver Feichtinger et al. („Improved biomechanics in experimental chronic rotator cuff repair after shockwaves is not reflected by bone microarchitecture“), Jakob Schanda et al. („Biomechanical properties of a suture anchor system from human allogenic mineralized cortical bone matrix for rotator cuff repair“) und Christian Deininger et al. („Off-label treatment for severe craniomaxillofacial fractures in low-income countries“)**.
Save the Date
Der Kongress endete mit der Übergabe der ÖGU-Präsidentschaft von Prim. Vinzenz Smekal an Prim. Kambiz Sarahrudi und einem Ausblick auf die Jahrestagung 2024, bei der die Behandlung von Notfällen im Fokus stehen wird. „Wir haben für 2024 das Programm der Jahrestagung bewusst nicht auf ein Organ beschränkt, sondern das Thema mit Absicht sehr umfassend gewählt, um sämtliche Spezialitäten zu involvieren, an einen Tisch zu holen und möglichst viele Kolleginnen und Kollegen anzusprechen“, so Smekal.
Die 60. Jahrestagung der ÖGU/5. Jahrestagung der ÖGOuT mit dem Themenschwerpunkt „Akutfälle in der Traumatologie & Orthopädie“ wird vom 3.–5. Oktober 2024 in Salzburg stattfinden.
* Ausgewählte Abstracts der 59. ÖGU-Jahrestagung / 4. ÖGOuT-Jahrestagung finden Sie in Ausgabe 5/2023 von JATROS Orthopädie & Traumatologie Rheumatologie ( www.universimed.com/epaper ).
** Erweiterte Abstracts von den geförderten Open-Access-Publikationen finden Sie in Ausgabe 4/2023 von JATROS Orthopädie & Traumatologie Rheumatologie ( www.universimed.com/epaper ).
Quelle:
Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie (ÖGU) & Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie (ÖGOuT), 5.–7. Oktober 2023, Salzburg
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