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„Tumororthopädie ist zur Nische geworden“

Die Tumororthopädie ist zunehmend unterrepräsentiert. Nur wenige Ärzt:innen sind an dieser komplexen Chirurgie interessiert. Bei allen Herausforderungen bietet dieses Spezialgebiet jedoch ein spannendes Tätigkeitsfeld, meint Prim. Dietmar Dammerer, Universitätsklinikum Krems.

Seit eineinhalb Jahren leitet Prof. Dr. Dietmar Dammerer die Klinische Abteilung für Orthopädie und Traumatologie am Universitätsklinikum Krems. Davor war er stellvertretender Leiter des tumororthopädischen Teams an der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie in Innsbruck. Die Tumororthopädie ist ihm auch als Primar in Krems ein besonderes Anliegen.

Sie sind seit Februar 2022 Primar der Klinischen Abteilung für Orthopädie und Traumatologie am Universitätsklinikum Krems. Wie hat sich der Bereich Tumororthopädie in dieser Abteilung entwickelt?

D. Dammerer: Zuallererst möchte ich mich für die Möglichkeit bedanken, das tumororthopädische Team am UK Krems vorstellen zu dürfen. Das UK Krems hat einen definierten Schwerpunkt in der Behandlung von onkologischen Patient:innen. Neben einer klinischen Onkologie, Palliativmedizin und Psychoonkologie finden sich hier auch Abteilungen für Strahlentherapie und Radioonkologie sowie Thoraxchirurgie, Pathologie usw. Es sind also viele Voraussetzungen gegeben, um tumororthopädische Patient:innen auf sehr hohem Niveau versorgen zu können. Unser tumororthopädisches Team besteht momentan aus 6 Personen, wodurch das gesamte tumororthopädisch-chirurgische Spektrum abgedeckt werden kann. Ferner ist es uns gelungen, mit mehreren Krankenhäusern Kooperationen aufzubauen, wissenschaftlich unsere Ergebnisse zu publizieren, auf nationalen und internationalen Kongressen vertreten zu sein und einen unkomplizierten, einfachen Zugang für unsere Patient:innen und Zuweiser:innen zu ermöglichen.

Welche tumororthopädischen Eingriffe und Behandlungen werden in Krems vorgenommen?

D. Dammerer: An unserer Abteilung ist es möglich, dass die Patientin/der Patient von der Bildgebung bis zur Operation inkl. postoperativer Versorgung vollumfänglich therapiert werden kann. So haben wir eine eigene tumororthopädische Ambulanz mit – sofern notwendig – sofort durchführbarer Biopsiemöglichkeit für eine rasche Diagnosefindung. Im wöchentlich durchgeführten interdisziplinären Tumorboard wird dann die optimale Therapieform für jede Patientin/jeden Patienten im interdisziplinären Team besprochen und festgelegt. Insgesamt kann gesagt werden, dass wirbelsäulenchirurgische (inkl. Rumpf), beckenchirurgische und alle chirurgischen Eingriffe an den Extremitäten inkl. patientenspezifischer Prothesen und Wachstumsprothesen am UK Krems durchgeführt werden können. Metastasenchirurgie, wie auch die Resektion von Weichteilsarkomen sind gelebte Gegenwart und aus unserem klinischen Alltag nicht wegzudenken.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Onkologie im UK Krems?

D. Dammerer: Die Behandlung von Tumorpatient:innen erfolgt immer interdisziplinär. Somit ist es obligat, die Behandlung immer mit mehreren in die Behandlung involvierten Disziplinen abzustimmen bzw. zu koordinieren. Wie bereits erwähnt, hat das UK Krems einen definierten onkologischen Schwerpunkt und verfolgt den weiteren Ausbau ebendieses Schwerpunktes. So konnte beispielsweise im Vorjahr am UK Krems das erste Lungenkrebszentrum im Osten Österreichs erfolgreich nach den Vorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert werden. Zudem finden momentan die Vorbereitungen zur Zertifizierung des Uroonkologischen Zentrums (für Harnblasen- und Prostatakarzinome), aber auch zur Zertifizierung des Brustkrebszentrums statt. Im Bereich der Orthopädie streben wir die Zertifizierung zum Endoprothetik-Zentrum der Maximalversorgung (EndoCert®max) an.

Die Zusammenarbeit in unserem Krankenhaus ist sehr gut, zumal viele Dinge unkompliziert und unbürokratisch erledigt werden können. Hier profitieren wir von den vielfältigen Fachabteilungen und dem interdisziplinären Behandlungsgedanken im Sinne unserer Patient:innen. Dadurch kann gewährleistet werden, dass es durch klar geregelte Prozesse und enge Abstimmung zu nahezu keiner Therapieverzögerung für unsere Patient:innen kommt.

Zusammengefasst: Die Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Disziplinen, z.B. Strahlentherapie-Radioonkologie, Thoraxchirurgie, Radiologie, Palliativteam, Onkologie etc., ist sehr gut; das spiegelt sich in der Behandlungsqualität wider.

Sie haben erwähnt, dass Kooperationen mit anderen österreichischen Krankenhäusern bezüglich Tumororthopädie bestehen. Wie sehen diese aus?

D. Dammerer: Anhand technischer Möglichkeiten werden wir teleradiologisch bzw. telemedizinisch konsiliarisch für tumororthopädische Fragestellungen von Kliniken in ganz Österreich hinzugezogen, so zum Beispiel bei Fragestellungen zu pathologischen Frakturen oder neu aufgetretenen Raumforderungen oder auch Festlegung des Biopsiewegs. Regelmäßig übernehmen wir auch die chirurgische Betreuung von Tumorpatient:innen, bei der anschließend auch den behandelnden Ärzt:innen die Hospitation angeboten wird.

Warum ist Ihnen das „Nischenthema“ Tumororthopädie ein besonderes Anliegen?
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Das tumororthopädische Team am UK Krems: OÄ Dr. Karin Pfeifenberger, OA Dr. Gianpaolo Leone, OA Univ.-Doz. Dr. Wolfram Brodner, Ass. Dr. Johannes Neugebauer, Prim. Prof. Dr. Dammerer und OA Priv.-Doz. DDr. Marko Bergovec (v.l.n.r.)

D. Dammerer: Vielen Dank für diese Frage. Das ist eine sehr interessante und spannende Frage. Im Rahmen der Zusammenlegung der beiden Fächer Orthopädie und Unfallchirurgie zum Fach Orthopädie & Traumatologie sind meiner Meinung nach einige Spezialgebiete unterrepräsentiert, so z.B. die Kinderorthopädie sowie die rekonstruktive bzw. gelenkserhaltende Chirurgie oder auch die Tumororthopädie. Das Spezielle an der Tumororthopädie sind die Interdisziplinarität, die oft aufwendige und chirurgisch herausfordernde Operation und – nicht zu vergessen – das oftmals schwere persönliche Schicksal unserer Patient:innen, wie auch deren langjährige postoperative Betreuung bzw. Begleitung. All das sind herausfordernde Situationen und Umstände für die behandelnden Ärzt:innen.

Im Idealfall kann der Patient von seiner Tumorerkrankung geheilt werden oder bis ans Lebensende die höchstmögliche Lebensqualität haben. Ferner ist der wissenschaftliche Fortschritt im Bereich der Onkologie, Pathologie etc. hinsichtlich Therapie und Diagnosefindung ein sehr spannendes Betätigungsfeld. Zudem sind noch viele Fragen in der tumororthopädischen Versorgung noch nicht gänzlich geklärt, wodurch zunehmend Konsensus-Papers erstellt werden, um so die Therapie unserer Patient:innen zu standardisieren.

Sie haben gemeint, dass nur wenige Ärzt:innen an Tumororthopädie interessiert sind. Woran liegt das?

D. Dammerer: Wie bereits oben erwähnt ist die Tumororthopädie, wie auch z.B. die Kinderorthopädie, meiner Meinung nach eine Nische geworden. Wie in der JATROS-Ausgabe 3/2023 mit dem Fokusthema „Kinderorthopädie und Kindertraumatologie“ beschrieben, befindet sich die Medizin derzeit im Umbruch. Personelle Engpässe, finanzielle Bürden mit leistungsorientierter und oftmals patientenferner Finanzierung, wo z.B. auch konservative Therapien nur geringe ökonomische Wertschätzung finden, und der wichtigste Faktor Zeit bleiben oft unberücksichtigt. Auch unterschiedliche Herangehensweisen in der Orthopädie und Traumatologie – vor allem Therapien und das Behandlungsmanagement betreffend – führen dazu, dass bei der Tumororthopädie diese Ressourcen, also aufwendige kosten- und zeitintensive Behandlungen von tumororthopädischen Patient:innen, nicht adäquat abgebildet werden können.

Sind Ressourcen- und Personalmangel ein Problem bei Ihnen an der Klinik? – Was würden Sie sich wünschen?

D. Dammerer: Wir sind in der glücklichen Lage, hinsichtlich ärztlichen Personals an unserer Abteilung keinen Mangel zu haben. Wie jedoch bereits erwähnt, ist eine Interdisziplinarität in der Tumororthopädie obligat, wodurch in einem Krankenhaus immer eine Co-Abhängigkeit von anderen Abteilungen besteht. Mangelnde Ressourcen in der medizinischen Versorgung bei komplexen Erkrankungen und elektiven Operationen sind seit Monaten Themen in zahlreichen Medien und in der täglichen Arbeit in unseren Kliniken und Praxen gelebte Gegenwart. Aus dem Blickwinkel der Tumororthopädie wünsche ich mir daher Standortbestimmungen und die Bereitschaft, finanzielle Mittel für die Umsetzung zur Verfügung zu stellen.

Welche weiteren Pläne und Ziele haben Sie als Primar der Abteilung?

D. Dammerer: Ich fühle mich in Krems sehr wohl. Krems bietet sehr viel und man kann sich hier gut entfalten. Ziele gibt es viele und diese sind für die persönliche, fachliche und menschliche Entwicklung wichtig. So ist ein nahes Ziel die Erreichung des EndoCert®-Zertifikats. Als mittel- und langfristige Ziele sind der weitere und kontinuierliche Ausbau unseres tumororthopädischen Schwerpunktes, wissenschaftliche Kooperationen mit den umliegenden Universitäten, Ausbau des wirbelsäulenchirurgischen Schwerpunktes, Level-2-Traumatologie etc. definiert und werden peu à peu umgesetzt.

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