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Osteoporose

„Der Treatment-Gap ist riesig“

Osteoporose ist in Österreich stark unterdiagnostiziert und unterbehandelt. Worauf man in der Orthopädie und Rheumatologie achten sollte und wie viel Vitamin D man wirklich braucht, haben wir eine Expertin für Endokrinologie gefragt.

In der orthopädischen und rheumatologischen Praxis ist man öfters mit dem Verdacht auf Osteoporose bzw. Osteopenie konfrontiert. Was ist wichtig zu wissen?

K. Amrein: Wichtig ist, die Osteoporose als Knochenbruchkrankheit zu begreifen. Das heißt: Eine inadäquate Fraktur ist eigentlich schon die Diagnose einer Osteoporose – so wie ein Herzinfarkt die Diagnose einer Atherosklerose ist. Das ist seit Langem bekannt, aber trotzdem sehen wir es leider sehr häufig, dass bei Menschen mit inadäquaten Frakturen nur die Fraktur versorgt wird, ohne dass eine Osteoporose abgeklärt wird. Somit wird auch nicht in diese Richtung weiterbehandelt und es besteht für diese Patienten ein hohes Risiko für weitere Frakturen.

Was ist eine inadäquate Fraktur?

K. Amrein: Jeder Knochenbruch nach einem Trauma, das bei einem gesunden Knochen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Fraktur geführt hätte. Ein Bruch bei einem Sturz aus stehender Höhe ist immer eine inadäquate Fraktur. Auch ein Schenkelhalsbruch nach einem Sturz auf Glatteis kann eine osteoporotische Fraktur sein, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Bei rheumatischen Erkrankungen besteht ja an und für sich ein erhöhtes Risiko für Osteoporose. Welche Screenings und Präventivmaßnahmen empfehlen Sie für Rheumapatienten, um vielleicht schon eine erste osteoporotische Fraktur verhindern zu können?

K. Amrein: Die WHO definiert Osteoporose über die Knochendichte als einen T-Score <–2,5, wobei ja an verschiedenen Stellen gemessen wird. Demnach kann dann z.B. an der Wirbelsäule eine Osteopenie vorliegen und am Schenkelhals eine Osteoporose. Eine normale Knochendichte schließt aber nicht aus, dass eine manifeste Osteoporose vorliegt. Entscheidend ist das Kriterium des Frakturrisikos. Das kann mit Tools wie dem FRAX® kalkuliert werden. Darin werden auch Medikamente wie Kortison und Begleiterkrankungen sowie vorangegangene Frakturen berücksichtigt.

<< Auch ein Schenkelhalsbruch nach einem Sturz auf Glatteis kann eine osteoporotische Fraktur sein, bis das Gegenteil bewiesen ist.>>

Wichtig in der Rheumatologie ist: Wenn eine längerfristige Glukokortikoidgabe erforderlich ist – was heute zum Glück immer seltener der Fall ist – dann sollte man immer schon osteoprotektiv mitbehandeln, z.B. mit Teriparatid, um einen massiven Knochenabbau zu verhindern. Das Gleiche gilt für Brustkrebspatientinnen, die eine antihormonelle Therapie erhalten. Sie haben ein sehr hohes Frakturrisiko, das mit der Knochendichtemessung nicht voraussagbar ist. Auch diese Patientinnen muss ich prophylaktisch behandeln.

Welche Rolle spielt das osteologische Labor bei der Diagnose und Therapie?

K. Amrein: Ein Basislabor ist wichtig bei der Erstdiagnostik, um andere Ursachen oder Erkrankungen auszuschließen, z.B. ein Myelom, Zöliakie, Hyperparathyreoidismus oder einen schweren Vitamin-D-Mangel. Bevor ich eine Osteoporosebehandlung starte, muss ich also die sekundären Osteoporosen identifizieren.

Dann muss ich im weiteren Verlauf der Betreuung und Osteoporosetherapie Verlaufsparameter kontrollieren. Besonders wenn Therapiepausen gemacht werden, ist es wichtig, die Osteoporosemarker zu kontrollieren: nach einer antiresorptiven Therapie zu schauen, ob die Marker unten bleiben und das Bisphosphonat weiter wirkt. Nach einer anabolen Therapie wird mit dem Labor der Effekt kontrolliert.

Es ist wichtig zu wissen, dass präanalytische Faktoren wie die Tageszeit eine Rolle spielen. Die Blutabnahme sollte morgens beim nüchternen Patienten erfolgen und die Laboruntersuchungen sollen rasch danach gemacht werden. Man sollte sich als Zuweiser vergewissern, dass das Blut baldigst untersucht wird und nicht z.B. an andere Labors weitergeschickt wird. Ideal ist es, wenn die Patienten die Blutabnahme direkt im Labor machen lassen.

Wie sind Ihre Empfehlungen bezüglich Vitamin D?

K. Amrein: Obwohl die Awareness bezüglich Vitamin D schon großteils vorhanden ist, gibt es nach wie vor viele Menschen, die einen schweren Vitamin-D-Mangel haben, sogar unter einer laufenden Osteoporosetherapie. Ein schwerer Mangel besteht bei Werten unter 12ng/ml bzw. 30nmol/l. Da muss man natürlich darauf achten, welche Einheit das Labor verwendet. Das sorgt manchmal für Verwirrung. Auch bei den Referenzbereichen muss man aufpassen: Manche Labors geben 30–100 ng/ml als Normbereich an. Dabei sind Werte über 50 oder 60 ng/ml kaum zu erreichen und auch nicht notwendig. 30–50 ng/ml sind durchaus ausreichend. Viele Patienten wollen aber, wenn sie den Referenzbereich im Befund sehen, auf 100 ng/ml kommen. Das brauchen wir nicht. Möglicherweise ist es sogar schlecht. Man weiß zum Beispiel, dass die Verabreichung von großen Bolusdosen Vitamin D zu vermehrten Stürzen und Brüchen führt. Die Vitamin-D-Verabreichung einmal jährlich in hoher Dosis funktioniert also leider nicht als Ersatztherapie.

Welche Dosierung sollte man dann bei einem schweren Vitamin-D-Mangel verabreichen?

K. Amrein: Das ist davon abhängig, wie viel Zeit ich habe. Wenn es sich um die Primärprophylaxe handelt, bei der ich nur Vitamin D und Kalzium gebe, kann ich den Vitamin-D-Spiegel langsam steigern. Aber wenn schon eine Hüftfraktur da ist und ich rasch eine potente Osteoporosetherapie beginnen will, dann komme ich um eine Bolusgabe von Vitamin D nicht herum. Bevor ich zum Beispiel mit Denosumab starte, muss der Vitamin-D-Spiegel passen. Da muss ich über ein bis zwei Wochen hoch dosiert Vitamin D geben und dann mit der Erhaltungsdosis weitermachen.

Welche Take-Home-Messages möchten Sie unseren Leser*innen mitgeben?

K. Amrein: Vor allem, dass Knochendichte- und Laborwerte allein eine Osteoporose nicht ausschließen können. Es ist natürlich gut, wenn man sich das anschaut, aber eine Therapieeinleitung soll dadurch nicht verzögert werden. Wir wissen, dass in Österreich leider nur 20% der Menschen, die eine Osteoporosetherapie brauchen, diese auch bekommen. Der Treatment-Gap ist riesig, bei Männern ist er sogar noch höher als bei Frauen. Dabei hat jeder vierte Mann im Alter eine Osteoporose. Da fehlt meines Erachtens die Awareness, sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Kollegen. Beispielsweise ist in der allgemeinen Vorsorgeuntersuchung keine einzige Frage zur Osteoporose enthalten.

Was wäre so eine Frage, die man stellen sollte?

K. Amrein: Zum Beispiel: Haben Sie sich schon einmal etwas gebrochen? Haben nahe Angehörige schon einmal eine osteoporotische Fraktur erlitten oder andere Anzeichen für Osteoporose, wie z.B. einen Rundrücken? – Mit diesen beiden Fragen könnte man schon viele Risikopatienten erfassen.

Podcasts auf der OEGKM-Website

Kompakte Information: In Kurzinterviews beantworten Spezialisten Fragen rund um Osteoporose:
www.oegkm.at/interessierte/podcast/

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