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Traumatische Rotatorenmanschettenruptur
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Dominik C. Meyer
Universitätsklinik Balgrist, Zürich
Autor:
Dr. med. Florian Grubhofer
Universitätsklinik Balgrist, Zürich<br> E-Mail: florian.grubhofer@balgrist.ch
30
Min. Lesezeit
27.09.2018
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<p class="article-intro">Rein traumatische Rotatorenmanschettenrupturen sind im Vergleich zu chronischen, degenerativen Sehnenrupturen selten.<sup>1, 5</sup> Die korrekte Behandlung dieser Verletzung ist aufgrund der multiplen, patientenspezifischen Faktoren (Alter, Leidensdruck, Rupturausdehnung, Reparabilität, Schulterfunktion etc.) schwierig. In diesem Artikel wird der Behandlungs- und Abklärungsalgorithmus beschrieben.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Traumatische Rotatorenmanschettenrupturen sind seltener als degenerative Rotatorenmanschettenrupturen.</li> <li>Schulterschwäche und Funktionsverlust der Schulter sind suggestive Symptome einer Rotatorenmanschettenruptur.</li> <li>Die Behandlung der Rotatorenmanschettenruptur hängt von 5 patientenspezifischen Faktoren ab:<ol> <li>Leidensdruck</li> <li>Anspruchsprofil</li> <li>Alter</li> <li>Reparabilität</li> <li>Funktionsverlust.</li> </ol></li> </ul> </div> <h2>Anamnese</h2> <p>Das Traumaanamnesegespräch soll im Hinblick auf mögliche Kombinationsverletzungen geführt werden und auch die Kausalität zwischen Trauma und allfälliger Schulterverletzung eruieren. Im Falle einer Schulterluxation ist das Alter des Patienten wegweisend, da Luxationen bei älteren Patienten häufiger zu Rotatorenmanschettenrupturen führen als bei jüngeren Patienten<sup>15, 21, 30</sup> (siehe Fallbeispiel, Abb. 1).<br /> Bei vorbestehender Rotatorenmanschettendegeneration gilt die traumatische Rotatorenmanschettenruptur als «acute on chronic» im Sinne einer Erweiterung einer bestehenden Ruptur mit entsprechender Einschränkung für die Therapieoptionen.<sup>13</sup><br /> Eine neue oder vorbestehende Schulterschwäche sollte aktiv und explizit vom Untersucher erfragt werden, da Patienten häufiger über Schmerzen, jedoch weniger über Schwäche berichten. Der Leidensdruck der Patienten, der sich aus Schulterschmerzen und Einschränkung des Aktivitätsniveaus ergibt, ist entscheidend für die weitere Behandlung der Rotatorenmanschettenverletzung und sollte in der Anamnese erhoben werden.<sup>13</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s28_abb1_2.jpg" alt="" width="2150" height="1637" /></p> <h2>Klinische Untersuchung</h2> <p>Die klinische Schulteruntersuchung ist in der Akutsituation meist schmerzbedingt unmöglich<sup>26</sup> und soll nach Abklingen der Schmerzen innerhalb von 10 bis 14 Tagen wiederholt werden. Persistierende Schmerzen können durch eine subakromiale und/oder glenohumerale Infiltration mit Lokalanästhetikum kurzfristig beseitigt werden, um eine durch Schmerzen verdeckte Schulterschwäche zu finden. Die Ausprägung des klinischen Befundes hängt häufig vom Ausmass der Sehnenverletzung ab. Kleine Rupturen, die eine Sehne nur partiell anreissen (Paritalrupturen), sind häufig mechanisch irrelevant und bei den spezifischen Rotatorenmanschettentests durch Schmerzen gekennzeichnet. Risse, die die komplette Sehnendicke betreffen (transmurale Rupturen) oder bei denen die Sehne komplett vom Ansatz abgelöst ist (= Totalrupturen), können durch Kraftverlust und positive «Lag»-Tests im Rahmen der Rotatorenmanschettentests gefunden werden. Es ist unnötig, alle 25 bekannten Rotatorenmanschettentests<sup>17</sup> während einer klinischen Untersuchung durchzuführen. Die Tests mit den höchsten Spezifitäts- und Sensitivitätswerten sind der Jobe- und der Whipple-Test für die am häufigsten betroffene Supraspinatussehne,<sup>17, 18</sup> der Lift-off- Test<sup>11, 12</sup> und der Belly-Press-Test<sup>2</sup> für die Subscapularissehne, der «External lag sign»-Test<sup>16</sup> für die Infraspinatussehne und das «Hornblower»-Zeichen<sup>7, 28</sup> für die zusätzliche Beteiligung der Teres-minor- Sehne. Falls die Funktionstests wegen der eingeschränkten Schulterbeweglichkeit nicht durchführbar sind, müssen aktive und passive Einschränkungen differenziert werden. Die Pseudoparalyse als Folge von Massenrupturen der Rotatorenmanschette (Totalruptur von 2 oder mehr Rotatorenmanschettensehnen) ist definiert als Verlust der aktiven Schulterelevation über 90° bei intakter passiver glenohumeraler Beweglichkeit und Neurologie.<sup>7, 29</sup> Die Capsulitis adhesiva (Synonym: «frozen shoulder») hingegen ist gekennzeichnet durch initial (6–12 Monate) ausgeprägte Schmerzen mit eingeschränkter passiver (und aktiver) Beweglichkeit, mit vor allem eingeschränkter Aussenrotationsfähigkeit bei adduziertem Arm.</p> <h2>Bildgebende Untersuchung</h2> <p>Im Rahmen der Notfalluntersuchung dient der konventionelle Röntgenstatus der Schulter mit ap, Axial- und Y-Aufnahme zum Ausschluss einer Fraktur oder Dislokation. Eine frische Rotatorenmanschettenruptur ist dabei konventionell radiologisch in der Regel nicht zu diagnostizieren. <sup>6</sup> Erst chronische posterosuperiore Rupturen sind mit einer verringerten akromiohumeralen Distanz (ACHD) vergesellschaftet, wobei ein Abstand von <7mm mit einer hohen Versagensrate der chirurgischen Sehnennaht assoziiert ist.<sup>8</sup><br /> Im Gegensatz zum konventionellen Röntgen ist der Ultraschall gut dazu geeignet, eine Sehnenruptur zu diagnostizieren (92 % Sensitivität und 94 % Spezifität für transmurale Rupturen; 67 % Sensitivität und 94 % Spezifität für partielle Rupturen)<sup>19</sup>, aber mit dem Nachteil, dass mögliche chronische Vorschädigungen schwieriger standardisiert erfasst werden können.<br /> Im Falle einer Vorschädigung der Rotatorenmanschette kann es zu Muskeldegeneration und fettiger Infiltration der Rotatorenmanschettenmuskulatur gekommen sein. Das Arthro-MRI ist dafür die sensitivste Untersuchungsmethode und misst die Muskeldegeneration nach Goutallier in 5 (0 bis 4) aufsteigenden Schweregraden.<sup>14</sup><br /> Je weiter Degeneration und Verfettung fortgeschritten sind, desto höher ist die Versagensrate der Sehnenrekonstruktion.<sup>14, 27</sup> Sind mehr als 50 % des Muskelvolumens (Grad 3) durch Fett ersetzt, sinkt die Heilungsrate der Sehnennaht auf unter 30 % . Im Gegensatz zu chronischen Rupturen ist bei traumatischen Rotatorenmanschettenrupturen in der A-MRI-Untersuchung das Ausmass der Ödembildung im Sehnenstumpf und im Muskelbauch ausgeprägter.20 Bei einer frischen traumatischen Ruptur liegt die Rupturstelle häufig leicht medial des Sehnenansatzes (Abb. 2). Der Sehnenstumpf erscheint zudem bei der traumatischen Ruptur eher wellenförmig, in der chronisch gerissenen Sehne dagegen abgeflacht und ausgedünnt.<sup>20</sup> Das Retraktionsausmass ist bei akuten Rotatorenmanschettenrupturen weniger von Bedeutung als bei chronischen Rupturen.<sup>4</sup></p> <h2>Therapie</h2> <p>Die Funktion der Schulter, der Schmerz und die Anspruchshaltung des Patienten sind entscheidend für die Wahl der Therapieform. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten richtet sich die anfängliche Therapie auf die Behandlung der Schmerzen. Dies beinhaltet physiotherapeutische Massnahmen, perorale entzündungshemmende Therapie und die subakromiale Infiltrationstherapie mit Depotsteroiden (z.B. 40mg Triamcinolon in 5ml 2 % Lidocain). Mit der Kontrolle der Schmerzen wird oft die Schulterfunktion gleichzeitig auf ein akzeptables Mass verbessert und es sind keine weiteren Massnahmen notwendig.<sup>31</sup> Bei aktiven Patienten mit hohen Schulteranforderungen und einer inakzeptablen Funktions- oder Schmerzeinschränkung sollte eine reparable Ruptur zeitnahe (idealerweise innerhalb von 6 bis 12 Wochen) rekonstruiert werden, da sich bei einer Chronifizierung die chirurgischen Behandlungsoptionen und Ergebnisse zum Nachteil des Patienten entwickeln.<sup>3, 10, 13, 22, 24</sup><br /> Partialrupturen können je nach Ausmass, mechanischer Bedeutsamkeit und Anspruchshaltung des Patienten operativ oder konservativ behandelt werden, wobei zumeist der persistierende Schmerz zur operativen Indikationsstellung beiträgt.<sup>9</sup><br /> Besteht zum Zeitpunkt der Ruptur eine ausgeprägte Muskeldegeneration und/ oder Muskelverfettung, ist eine Rekonstruktion nicht mehr möglich. In dieser Situation können Sehnentransfers (Latissimus dorsi für posteriore, Pectoralis major für anteriore Rupturen) oder die Implantation einer inversen Schulterprothese die Schmerzsituation und die Schulterfunktion verbessern. Traumatische RM-Rupturen bei betagten Patienten (>80 Jahre) haben möglicherweise aufgrund des verminderten biologischen Heilungspotenzials eine verminderte Heilungsrate.<sup>23, 25</sup> Daher kann bei diesen Patienten bei gegebenem Leidensdruck auch wegen der kürzeren und einfacheren Nachbehandlung – trotz per se reparabler RM-Ruptur – die Indikation zur Implantation einer inversen Schulterprothese gestellt werden. Abbildung 3 zeigt den Behandlungsalgorithmus für traumatische Rotatorenmanschettenrupturen, wie er an unserer Klinik angewandt wird.</p> <p><a href="../files/datafiles/data/Zeitungen_2018/Leading % 20Opinions_Ortho_1803/Weblinks/s28_abb3.jpg" target="_blank"><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1803_Weblinks_s28_abb3.jpg" alt="" width="2150" height="1804" /></a></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Abechain JJK et al.: Functional outcomes of traumatic and non-traumatic rotator cuff tears after arthroscopic repair. World J Orthop 2017; 8: 631-7 <strong>2</strong> Barth JR et al.: The bear-hug test: a new and sensitive test for diagnosing a subscapularis tear. Arthroscopy 2006; 22: 1076-84 <strong>3</strong> Bedi A et al.: Massive tears of the rotator cuff. J Bone Joint Surg Am 2010; 92: 1894-908 <strong>4</strong> Butler BR et al.: Results of the repair of acute rotator cuff tears is not influenced by tear retraction. Int J Shoulder Surg 2013; 7: 91-9 <strong>5</strong> Gerber C: Massive rotator cuff tears. In: Iannotti JP, Williams GR: Disorders of the shoulder. Diagnosis and managment. 1st ed. Philadelphia: Lippincott Williams & Wilkins, 1999 <strong>6</strong> Callaghan MJ et al.: A prospective, observational cohort study of patients presenting to an emergency department with acute shoulder trauma: the Manchester emergency shoulder (MESH) project. 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