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Tipps und Tricks in der Versorgung pertrochantärer Frakturen
Jatros
Autor:
Dr. Paul Kutscha-Lissberg
Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler, Wien
Autor:
Dr. Benno Zifko
Unfallkrankenhaus Lorenz Böhler, Wien
30
Min. Lesezeit
17.11.2016
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<p class="article-intro">Die Versorgung pertrochantärer Femurfrakturen ist mit einem hohen technischen und personellen Aufwand verbunden. Das Ziel einer raschen und möglichst fehlerfreien operativen Versorgung erfordert das Zusammenspiel mehrerer Berufsgruppen. Die Lernkurve des Einzelnen und der Erfahrungsschatz einer ganzen Unfallabteilung fließen in eine kollektive Lernkurve ein.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Zwei Bildwandler</li> <li>„True lateral view“ einstellen</li> <li>Patella horizontal einstellen, um Rotationsfehler zu vermeiden</li> <li>SH-Klinge/-Schraube mittig im OS-Kopf</li> <li>Exakte, möglichst anatomische Reposition</li> <li>DHS nur mit 4-Loch-Platte <br />verwenden</li> <li>Nicht versuchen, die Fraktur mit dem Nagel zu reponieren</li> </ul> </div> <h2>Frakturklassifikation</h2> <p>Die Einteilung in verschiedene Frakturtypen soll uns helfen, die richtige Implantatauswahl zu treffen. Im klinischen Alltag hat sich bei uns die AO-Klassifikation bewährt. Extrakapsuläre proximale Femurfrakturen (Typ 31A) werden in die Subtypen A1, A2 und A3 eingeteilt. Bei den A1-Frakturen handelt es sich um Zweifragmentfrakturen. Die weitere Unterteilung der A1-Frakturen hilft uns, zwischen den unverschobenen Frakturen A1.1, den mediolateralen Einstauchfrakturen A1.2 und den dislozierten Zweifragmentfrakturen A1.3 zu unterscheiden.</p> <ul> <li>Tipp: Die Einstauchfrakturen A1.2 benötigen einen Nagel als Platzhalter. Das Gleiten der Schenkelhalsschraube bei der DHS könnte eine weitere Einstauchung und Schaftmedialisierungen nicht verhindern. Wir empfehlen die DHS nur für A1.1- und A1.3-Frakturen; für alle anderen Frakturtypen empfehlen wir die intramedulläre Stabilisierung.</li> </ul> <p>Die gänzlich unverschobenen A1.1-Frakturen kommen oft primär röntgenologisch gar nicht zur Darstellung.</p> <ul> <li>Tipp: Exakte klinische Untersuchung im Falle von Druck- und Kompressionsschmerz am Trochanter major. Das Bein kann nicht von der Unterlage gehoben werden. In diesen Fällen ist eine MRT-Untersuchung angezeigt, um okkulte Frakturen zu entdecken. Kernspintomografisch dokumentierte A1.1-Frakturen empfehlen wir operativ zu versorgen, um sekundäre Dislokationen zu vermeiden.</li> </ul> <p>A2- und A3-Frakturen sind als instabil zu beurteilen. A2-Frakturen bestehen aus zumindest drei Fragmenten, wobei der Trochanter minor frakturiert ist und damit die mediale bzw. die posteromediale Abstützung fehlt. Bei den A3-Frakturen besteht zusätzlich eine Verletzung der lateralen Trochanterwand. Das erhöht die Gefahr der Schaftmedialisierung und eines Abkippens in Varusfehlstellung. Die A3-Frakturen sind damit für die Stabilisierung mit DHS nicht geeignet.</p> <h2>Lagerung</h2> <p>Die Lagerung beginnt schon bei der Umlagerung.</p> <ul> <li>Tipp: Anwesenheit und Mithilfe des Operateurs sind zu empfehlen, damit es bei einer unverschobenen A1.1-Fraktur nicht zur Frakturdislokation kommt. Dies gilt besonders für jene Patienten, die vor dem Umlagern durch eine Spinalanästhesie vollständig schmerzfrei geworden sind.</li> </ul> <p>Am Extensionstisch soll das unverletzte Bein abduziert und extendiert werden – zur Stabilisierung des Beckens und um genug Platz für den axial (medio-lateral) eingestellten Bildwandler zu haben. Der Oberkörper sollte zur Gegenseite flektiert gelagert werden, insbesondere um beim Nageln ausreichend Platz zu haben.</p> <ul> <li>Tipp: Bei fettleibigen Patienten den herabhängenden Weichteilmantel (Fettschürze) mit einem Klebestreifen zur Gegenseite wegziehen.</li> </ul> <h2>Reposition</h2> <p>Beim Lagern am Extensionstisch ist auf die richtige Beinrotation zu achten.</p> <ul> <li>Tipp: Die Patella soll horizontal liegen (cave Rotationsfehlstellung).</li> </ul> <p>Durch dosierten Längszug sollen Varusfehlstellungen ausgeglichen werden. Als Bezugspunkt kann die Trochanterspitze herangezogen werden. Diese sollte auf einer horizontalen Linie auf Höhe der Femurkopfmitte oder knapp darunter zu liegen kommen. Die reponierte Fraktur darf keinesfalls mehr Varus zeigen als auf der Beckenübersicht der gesunden Seite. Eine angedeutete Valgusstellung wäre fallweise wünschenswert, wobei die proximale Fragmentkortikalis am Adam’schen Bogen die distale Kortikalis um die halbe Breite medial überragen darf. <br />In der axialen Aufnahme muss der Schenkelhals streng seitlich zur Darstellung kommen („true lateral view“, Abb. 1). Hierfür muss der C-Bogen um 15° aus der 0°-Stellung gedreht werden.</p> <ul> <li>Tipp: Bei den sehr instabilen A3-Frakturen kann man versuchen, das Durchhängen der Fraktur (Rekurvation) durch manuellen dorsalen Druck vonseiten der Assistenz oder mit einer einzelnen Achselstützkrücke gedeckt zu korrigieren.</li> </ul> <p>Wir empfehlen die Verwendung von zwei Bildwandlern (Abb. 2). Hierdurch fällt das „Durchschwenken“ des C-Bogens weg. Sowohl beim Reponieren als auch beim Operieren (Platzieren des SH-Zielbohrdrahtes) kann durch zeitgleiches Beurteilen der ap. und der axialen Ebene viel Zeit eingespart werden.</p> <p>Grobe Rotationsfehlstellungen lassen sich dann vermeiden, wenn bei waagrechter Lage des Beckens auch die Patella horizontal eingestellt ist. Als weitere Orientierungshilfe dient der Fußinnenrand, welcher senkrecht stehen sollte. <br />Falls die gedeckte Reposition nicht möglich ist, muss die perkutane minimal invasive oder offene Reposition geplant werden. Als Repositionshilfen können perkutan Raspatorien oder Einzinkerhaken eingesetzt werden (Abb. 3a und 3b).</p> <ul> <li>Hinweis: In keinem Fall sollte die Reposition mit dem Nagel selber versucht werden.</li> </ul> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s53_2.jpg" alt="Abb. 1" width="1422" height="886" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1606_Weblinks_s54.jpg" alt="Abb. 2" width="1417" height="904" /></p> <h2>Nageleintrittspunkt</h2> <p>Der korrekte Nageleintrittspunkt ist entscheidend. Die meisten Implantate unterscheiden sich durch einen Eintrittspunkt durch die Fossa piriformis oder durch den Trochanter major. In der Literatur werden allgemein Nägel mit trochantärem Eintrittspunkt bevorzugt, da sich diese auch für A2- und A3-Frakturen mit mehrfragmentärer Trümmerzone des großen Trochanters eignen. Bei diesen Brüchen besteht die Problematik oft in der intakten Knochenzone der Fossa piriformis – dadurch wird bei Einbringen des Nagels das proximale Kopf-Hals-Fragment bei fehlendem Gegenhalt durch die laterale Trochanterwand in den Varus gedrückt.</p> <h2>Implantatlage im Schenkelhals</h2> <p>Die korrekte Lage der Schraube im Femurkopf bestimmt die Stabilität der Fraktur. Die SH-Schraube/-Klinge soll in beiden Ebenen in der Mitte des OS-Kopfes zu liegen kommen, und zwar mit einem Abstand von 5–10mm zur OS-Kopf-Kortikalis. Ein „tip-apex index“ von weniger als 25mm ist anzustreben. Bei Implantatfehllagen – zu kurz, zu weit kranial, anterior oder posterior im OS-Kopf − besteht auch bei gut reponierten Frakturen die Gefahr des sogenannten kranialen „cut-out“. Die einzige tolerable Implantatfehllage stellt in der ap-Aufnahme die Position etwas kaudal der Mitte dar. <br />Bei sehr instabilen, nicht reponierten Frakturen hingegen kann es trotz guter Implantatlage zum zentralen „cut-out“ kommen. Die nicht reponierte, instabile Fraktur erlaubt ein Schwingen des Nagels und dadurch ein Wandern der SH-Schraube oder Klinge nach zentral.</p> <ul> <li>Hinweis: Bei jungen Patienten mit guter Knochenqualität sollte man Schrauben verwenden, bei älteren Patienten über 60 Jahre oder mit bekannter Osteoporose empfiehlt sich die Verwendung von Schenkelhalsklingen, da diese den Knochen verdichten. Zement­augmentationen können bei osteoporotischen Patienten verwendet werden, sind aber kein Ersatz für eine gute Frakturreposition und eine korrekte Implantatlage.</li> </ul> <p>Unmittelbar vor dem Einschlagen der SH-Klinge bzw. vor distaler Verriegelung sollte die Extension gegebenenfalls gelockert werden, um eine adäquate Kompression zu gewährleisten und eine Fraktur­diastase zu vermeiden.</p> <h2>Implantatwahl</h2> <p>Bei A1.1- und A1.3-Zweifragmentfrakturen empfehlen wir 4-Loch-DHS-Platten. A1.2-Zweifragmentfrakturen mit mediolateraler Einstauchung des proximalen Fragmentes in das distale sind mit einem Nagel besser zu versorgen, da dieser in der trochantären Spongiosadefektzone als Platzhalter fungiert und damit ein Zusammensintern der Fraktur verhindern kann. <br />Bei A2-Frakturen empfehlen wir kurze Nägel; auf eine exakte Reposition ist zu achten. <br />Bei den A3-Frakturen mit subtrochantärer Komponente ist ein langer Nagel zu empfehlen. Diese A3-Frakturen lassen sich oft nicht gedeckt reponieren, sodass die perkutane oder offene Reposition vor Einbringen des Nagels notwendig wird. Drahtschlingen können als passagere Repositionshilfen verwendet oder zur Reduzierung der Biegebelastung auch belassen werden. Auf eine exakte Reposition des Trochanter minor verzichten wir, um die biologische Kallusbildung in diesem Bereich nicht zu stören.</p> <h2>Drainagen</h2> <p>Nach exakter Blutstillung und Wundverschluss wird für 24 Stunden ein Spica-Kompressionsverband angelegt. Auf Drainagen verzichten wir sowohl bei der DHS als auch bei den Nägeln, da diese als zusätzliche Infekteintrittspforten zu betrachten sind.</p> <h2>Nachbehandlung</h2> <p>Ziel der Operation muss eine übungs- und belastungsstabile Osteosynthese sein. In der Nachbehandlung werden die Patienten ab dem ersten postoperativen Tag mit physiotherapeutischer Hilfe unter Verwendung von Gehbehelfen bis zur Schmerzgrenze voll mobilisiert. Anordnungen zur Teilentlastung ergeben bei älteren Patienten wenig Sinn, da einer solchen Anweisung aufgrund der altersschwachen Muskulatur oft gar nicht Folge geleistet werden kann. Allen Patienten empfehlen wir unmittelbar nach Nahtentfernung als Anschlussheilverfahren die stationäre Rehabilitation. Jede dieser Frakturen soll bei älteren Patienten als osteoporotische Fraktur gewertet werden und die Patienten sollten einer adäquaten medikamentösen Therapie zugeführt werden.</p></p>
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