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Stoßwellen: Was nimmt das Gewebe wahr?

<p class="article-intro">Seit etwa 30 Jahren werden mit extrakorporaler Stoßwellentherapie (ESWT) gute Erfolge in der Behandlung von verschiedenen Indikationen verzeichnet: Nicht heilende Knochenbrüche, chronische Tendinopathien oder Wundheilungsstörungen sind nur einige Beispiele. Aktuelle Forschungsansätze widmen sich der Nervenregeneration bei akutem spinalem Trauma und der Behandlung von Alzheimerpatienten. Mittlerweile kann eine Vielzahl an Indikationen abgedeckt werden und den Patienten steht ein immer breiteres Repertoire an medizinischen Geräten und Technologien zur Verfügung. Doch im Schatten der therapeutischen Erfolge stagniert die Grundlagenforschung in der „Bedside to bench“-Pipeline. Nach wie vor fehlt ein Durchbruch beim mechanistischen Verständnis der akustischen ESWT. Das wahre regenerative Potenzial bleibt daher womöglich weitgehend verborgen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Beschreibung der akustischen Felder</h2> <p>Momentan basiert die Charakterisierung der akustischen Druckfelder von ESWT-Wandlern (Applikatoren, in denen elektrische Energie in akustische Sto&szlig;wellen gewandelt wird) auf jenen der medizinischen Ultraschallger&auml;te, die sowohl in der Bildgebung als auch in der Therapie angewendet werden. Die dabei verwendeten etablierten Parameter basieren auf der Annahme, dass dem akustischen Druck und der &uuml;bermittelten Energie die h&ouml;chste Relevanz zukommt. Das Wohlbefinden und die Sicherheit des Patienten sind dabei der limitierende Faktor f&uuml;r die maximal ins Gewebe abgegebene Energie. Allerdings wird (im Gegensatz zu kontinuierlichen Ultraschallwellen mit vergleichbarem Maximaldruck) die Energie bei der ESWT in weniger als 10 Pulsen pro Sekunde abgegeben und die Akkumulation ist somit vergleichsweise insignifikant.<br /> Die technische Beschreibung der fokussierten Sto&szlig;wellen basiert aktuell weitgehend auf Referenzmessungen im Wasserbad, was nicht unbedingt dem klinischen Alltag entspricht. Insbesondere kann es durch Interaktionen der Welle mit dem Gewebe zu signifikanten Alterationen der akustischen Felder kommen. Dazu kommen weitere Effekte der technischen Generierung der initialen Druckwelle im Wandler.</p> <h2>Interaktionen zwischen Sto&szlig;wellen und Gewebe</h2> <p>Die Ausbreitung der Sto&szlig;wellen im Gewebe unterliegt grunds&auml;tzlichen physikalischen Prinzipien: Eine sich in einem homogenen Medium vorw&auml;rts bewegende Welle wird zun&auml;chst absorbiert, wobei Energie kontinuierlich im Gewebe deponiert wird. Diese Absorption ist durch eine starke Frequenzabh&auml;ngigkeit charakterisiert. Hohe Energien (Frequenzen im Megahertzbereich) werden innerhalb geringster Distanzen absorbiert, niederfrequente Komponenten hingegen durchdringen gro&szlig;e Volumen. Die Welle verliert dadurch an Intensit&auml;t und ver&auml;ndert ihre Form. Trifft eine Welle jedoch auf ein neues Medium (z. B. Knochen, Luft etc.) wird sie durch die unterschiedliche Impedanz (akustischer Widerstand) reflektiert und nur noch ein abgeschw&auml;chter Teil setzt sich in der urspr&uuml;nglichen Richtung fort. Einfl&uuml;sse der Wandler-Patienten-Kopplung und Kavitationseffekte schw&auml;chen und defokussieren die Wellen zus&auml;tzlich, bevor sie im Therapiefenster ankommen.</p> <h2>Variable und selbstfokussierende Wandler</h2> <p>Anatomisch-spezifische Anwendungsbereiche weisen durch die komplexe Gewebsinteraktionen signifikante Deviationen von Referenzmessungen auf. Zus&auml;tzlich m&uuml;ssen individuelle Mechansimen in Bezug auf technische Generationen ber&uuml;cksichtigt werden. Hierbei kann zwischen zwei fundamentalen Ans&auml;tzen der Formation des Druckfelds unterschieden werden.</p> <p><strong>Elektrohydraulische ESWT</strong> <br />Bei dieser Methode wird die explosive Sto&szlig;welle einer durch Funkensprung induzierten Plasmablase reflektiert und danach fokussiert. Es wird eine &bdquo;echte&ldquo;, sich radial ausbreitende initiale Sto&szlig;welle kreiert, die danach lediglich refokussiert werden muss. Dadurch kann sie ihren urspr&uuml;nglichen Charakter im ganzen Ausbreitungsgebiet weitgehend beibehalten. <br />Jedoch ist der generierende Funkensprung ein stochastischer Prozess und jede entstehende Welle individuell unterschiedlich (Abb. 1). Punktuelle Messungen im geometrischen Fokus des Wandlers zeigen sowohl im Wasserbad als auch direkt im Gewebe eine signifikante Varianz abseits der Spezifikationen der Ger&auml;te. Insbesondere sieht man einen &bdquo;wandernden&ldquo; Fokus, der mehrere Millimeter r&auml;umlich variiert. Diese Delokalisation f&uuml;hrt zu einer Unsch&auml;rfe der akustischen Abbildung, welche den Maximaldruck vermindert. Zus&auml;tzlich f&uuml;hren sukzessive Funkenspr&uuml;nge zu Kavitationsblasen im Wandler, welche die Leistung weiter mindern. Schon eine geringf&uuml;gige Erh&ouml;hung der Frequenzen in der Applikation der Sto&szlig;wellenimpulse kann zu Energie-/Druckverlusten von &uuml;ber 50 % f&uuml;hren. Dabei k&ouml;nnen auch teils gr&ouml;&szlig;ere, &uuml;ber der Spezifikation liegende akustische Felder entstehen.</p> <p><strong>Elektromagnetische und Piezo-ESWT</strong> <br />Im Gegensatz zu elektrohydraulischen Wandlern kann ein reproduzierbares Druckfeld geschaffen werden, welches kaum Inter-Impulse-Variationen aufweist. Jede neue Sto&szlig;welle gleicht dementsprechend allen anderen. Die generierten Wellen sind jedoch zun&auml;chst &bdquo;regul&auml;re&ldquo; Wellen, die sich (selbst-)fokussierend erst in unmittelbarer N&auml;he vom Fokus zu einer Sto&szlig;wellenfront formieren (Superpositionsprinzip). Die Fokusvolumina sind signifikant kleiner; um hohe Druckgradienten zu erzielen, ist eine exakte Fokussierung notwendig. Kommen nun &ndash; bedingt durch die lokale Anatomie &ndash; gr&ouml;&szlig;ere Impedanzvariationen oder Asymmetrien innerhalb des Wellengangs vor, k&ouml;nnen diese eine signifikante Auswirkung auf die Formation einer Sto&szlig;front haben. Des Weiteren ist gerade bei geringeren Druckst&auml;rken eine geringere Asymmetrie zwischen positivem und negativem (Zug-)Druck zu beobachten.</p> <p>Unabh&auml;ngig von der Wahl des klinisch verwendeten Wandlers k&ouml;nnen die nominalen Referenzeinstellungen des Ger&auml;ts als nicht repr&auml;sentativ f&uuml;r die in der Therapiezone applizierten Dr&uuml;cke und Energien angenommen werden. Dies macht einen Vergleich klinischer Effektivit&auml;t oder die Adaption von externen Therapieprotokollen schwierig. Eine genaue physikalische In-vivo-Evaluierung von Druckfeldern im anatomischen Volumen einer spezifischen Indikation ist nur punktuell mittels implantierter Hydrophone in pr&auml;klinischen Modellen verf&uuml;gbar. Daher sind weiterf&uuml;hrende Simulationen notwendig, um Einblick in die akustischen In-situ-Felder zu erhalten. Unter Ber&uuml;cksichtigung der Wandlercharakteristik k&ouml;nnen sie einen &Uuml;berblick &uuml;ber die physikalischen Therapieparameter geben.</p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s41_abb1.jpg" alt="" width="600" height="488" /></p> <h2>Therapiefenster</h2> <p>Je nach Indikation und Wandlertyp obliegt dem behandelnden Arzt die Entscheidung, die bestm&ouml;gliche Therapiestrategie zu w&auml;hlen. Zun&auml;chst muss ein geeignetes akustisches Fenster lokalisiert werden, welches den bestm&ouml;glichen Energietransfer zum Therapievolumen gew&auml;hrleistet. Dabei kann aktives Biofeedback hilfreich sein (sofern keine An&auml;sthesie vorliegt). Ein Ansatz ist die Absch&auml;tzung der &bdquo;-6 dB-Zone&ldquo;, die von jedem Hersteller zur Verf&uuml;gung gestellt wird. Dabei handelt es sich um ein zumeist ellipsoides Volumen, in dem Maximaldr&uuml;cke von &uuml;ber 50 % des Referenzdrucks im Fokus liegen. Die entsprechenden Energien werden zwar in der klinischen Anwendung im Gewebe nicht realisiert, stellen aber dennoch eine gute r&auml;umliche Visualisierung des Fokusvolumens dar.<br /> Die teils sehr kleinen lateralen Fokaldurchmesser von etwa 2 mm und Volumina von Bruchteilen eines Kubikzentimeters f&uuml;r elektromagnetische und Piezo-Wandler stehen im Kontrast zu dem um eine Gr&ouml;&szlig;enordnung massiveren Fokusvolumen eines elektrohydraulischen Wandlers. In keiner Weise entsprechen die Dimensionen dem Bild einer (zur Beschreibung der Geometrie oft herangezogenen) Zigarre. Zur Veranschaulichung w&auml;re die Vorstellung volumetrischen Ausmalens mittels eines Buntstifts empfehlenswerter.<br /> In weiterer Folge ist eine detaillierte Dokumentation notwendig: Ger&auml;teeinstellungen, der genaue Ablauf der Applikation, Parameter der Behandlungsfl&auml;che, Orientierung (Winkel) des Wandlers und der verfolgte Pfad sollten erfasst werden. Nur so kann eine Reproduzierbarkeit erm&ouml;glicht werden. Zur Illustration: Abbildung 2 zeigt einen idealisierten Vergleich von zwei Wandlern, in welchen identische spiralf&ouml;rmige Applikationswege &uuml;ber der Therapiezone verfolgt wurden. Eindeutige Zonen von h&ouml;heren und niedrigeren Energien sind deutlich erkennbar, die jedoch technologieabh&auml;ngig stark unterschiedlich verteilt sind.</p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s41_abb2.jpg" alt="" width="850" height="380" /></p> <h2>Indikationsspezifische Therapieplanung</h2> <p>Aktuell sind die angegebenen Parameter der Hersteller auf Referenzbadmessungen beschr&auml;nkt und dementsprechend nur ungen&uuml;gend als Therapieprotokoll geeignet. Die Forschungsarbeit im Bereich von In-situ-Messungen am Tiermodell in Kombination mit Simulationen verspricht eine vollst&auml;ndigere physikalische Charakterisierung von Therapiepl&auml;nen. Zuk&uuml;nftig wird die physikalische Grundlagenforschung hoffentlich in der Lage sein, einen Beitrag zur Identifizierung physikalischer Mechanismen zu liefern. Bis dahin ersuchen wir jedoch unsere KollegInnen in allen Forschungsbereichen um eine genauere und kritischere Beschreibung ihrer Arbeit.</p></p>
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