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Stoßwellen: Was nimmt das Gewebe wahr?
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. Cyrill Slezak, PhD
Department of Physics, Utah Valley University, Orem, UT (USA)<br> Ludwig Boltzmann Institute for Experimental and Clinical Traumatology, Wien<br> E-Mail: CSlezak@uvu.edu
30
Min. Lesezeit
13.02.2020
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<p class="article-intro">Seit etwa 30 Jahren werden mit extrakorporaler Stoßwellentherapie (ESWT) gute Erfolge in der Behandlung von verschiedenen Indikationen verzeichnet: Nicht heilende Knochenbrüche, chronische Tendinopathien oder Wundheilungsstörungen sind nur einige Beispiele. Aktuelle Forschungsansätze widmen sich der Nervenregeneration bei akutem spinalem Trauma und der Behandlung von Alzheimerpatienten. Mittlerweile kann eine Vielzahl an Indikationen abgedeckt werden und den Patienten steht ein immer breiteres Repertoire an medizinischen Geräten und Technologien zur Verfügung. Doch im Schatten der therapeutischen Erfolge stagniert die Grundlagenforschung in der „Bedside to bench“-Pipeline. Nach wie vor fehlt ein Durchbruch beim mechanistischen Verständnis der akustischen ESWT. Das wahre regenerative Potenzial bleibt daher womöglich weitgehend verborgen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Beschreibung der akustischen Felder</h2> <p>Momentan basiert die Charakterisierung der akustischen Druckfelder von ESWT-Wandlern (Applikatoren, in denen elektrische Energie in akustische Stoßwellen gewandelt wird) auf jenen der medizinischen Ultraschallgeräte, die sowohl in der Bildgebung als auch in der Therapie angewendet werden. Die dabei verwendeten etablierten Parameter basieren auf der Annahme, dass dem akustischen Druck und der übermittelten Energie die höchste Relevanz zukommt. Das Wohlbefinden und die Sicherheit des Patienten sind dabei der limitierende Faktor für die maximal ins Gewebe abgegebene Energie. Allerdings wird (im Gegensatz zu kontinuierlichen Ultraschallwellen mit vergleichbarem Maximaldruck) die Energie bei der ESWT in weniger als 10 Pulsen pro Sekunde abgegeben und die Akkumulation ist somit vergleichsweise insignifikant.<br /> Die technische Beschreibung der fokussierten Stoßwellen basiert aktuell weitgehend auf Referenzmessungen im Wasserbad, was nicht unbedingt dem klinischen Alltag entspricht. Insbesondere kann es durch Interaktionen der Welle mit dem Gewebe zu signifikanten Alterationen der akustischen Felder kommen. Dazu kommen weitere Effekte der technischen Generierung der initialen Druckwelle im Wandler.</p> <h2>Interaktionen zwischen Stoßwellen und Gewebe</h2> <p>Die Ausbreitung der Stoßwellen im Gewebe unterliegt grundsätzlichen physikalischen Prinzipien: Eine sich in einem homogenen Medium vorwärts bewegende Welle wird zunächst absorbiert, wobei Energie kontinuierlich im Gewebe deponiert wird. Diese Absorption ist durch eine starke Frequenzabhängigkeit charakterisiert. Hohe Energien (Frequenzen im Megahertzbereich) werden innerhalb geringster Distanzen absorbiert, niederfrequente Komponenten hingegen durchdringen große Volumen. Die Welle verliert dadurch an Intensität und verändert ihre Form. Trifft eine Welle jedoch auf ein neues Medium (z. B. Knochen, Luft etc.) wird sie durch die unterschiedliche Impedanz (akustischer Widerstand) reflektiert und nur noch ein abgeschwächter Teil setzt sich in der ursprünglichen Richtung fort. Einflüsse der Wandler-Patienten-Kopplung und Kavitationseffekte schwächen und defokussieren die Wellen zusätzlich, bevor sie im Therapiefenster ankommen.</p> <h2>Variable und selbstfokussierende Wandler</h2> <p>Anatomisch-spezifische Anwendungsbereiche weisen durch die komplexe Gewebsinteraktionen signifikante Deviationen von Referenzmessungen auf. Zusätzlich müssen individuelle Mechansimen in Bezug auf technische Generationen berücksichtigt werden. Hierbei kann zwischen zwei fundamentalen Ansätzen der Formation des Druckfelds unterschieden werden.</p> <p><strong>Elektrohydraulische ESWT</strong> <br />Bei dieser Methode wird die explosive Stoßwelle einer durch Funkensprung induzierten Plasmablase reflektiert und danach fokussiert. Es wird eine „echte“, sich radial ausbreitende initiale Stoßwelle kreiert, die danach lediglich refokussiert werden muss. Dadurch kann sie ihren ursprünglichen Charakter im ganzen Ausbreitungsgebiet weitgehend beibehalten. <br />Jedoch ist der generierende Funkensprung ein stochastischer Prozess und jede entstehende Welle individuell unterschiedlich (Abb. 1). Punktuelle Messungen im geometrischen Fokus des Wandlers zeigen sowohl im Wasserbad als auch direkt im Gewebe eine signifikante Varianz abseits der Spezifikationen der Geräte. Insbesondere sieht man einen „wandernden“ Fokus, der mehrere Millimeter räumlich variiert. Diese Delokalisation führt zu einer Unschärfe der akustischen Abbildung, welche den Maximaldruck vermindert. Zusätzlich führen sukzessive Funkensprünge zu Kavitationsblasen im Wandler, welche die Leistung weiter mindern. Schon eine geringfügige Erhöhung der Frequenzen in der Applikation der Stoßwellenimpulse kann zu Energie-/Druckverlusten von über 50 % führen. Dabei können auch teils größere, über der Spezifikation liegende akustische Felder entstehen.</p> <p><strong>Elektromagnetische und Piezo-ESWT</strong> <br />Im Gegensatz zu elektrohydraulischen Wandlern kann ein reproduzierbares Druckfeld geschaffen werden, welches kaum Inter-Impulse-Variationen aufweist. Jede neue Stoßwelle gleicht dementsprechend allen anderen. Die generierten Wellen sind jedoch zunächst „reguläre“ Wellen, die sich (selbst-)fokussierend erst in unmittelbarer Nähe vom Fokus zu einer Stoßwellenfront formieren (Superpositionsprinzip). Die Fokusvolumina sind signifikant kleiner; um hohe Druckgradienten zu erzielen, ist eine exakte Fokussierung notwendig. Kommen nun – bedingt durch die lokale Anatomie – größere Impedanzvariationen oder Asymmetrien innerhalb des Wellengangs vor, können diese eine signifikante Auswirkung auf die Formation einer Stoßfront haben. Des Weiteren ist gerade bei geringeren Druckstärken eine geringere Asymmetrie zwischen positivem und negativem (Zug-)Druck zu beobachten.</p> <p>Unabhängig von der Wahl des klinisch verwendeten Wandlers können die nominalen Referenzeinstellungen des Geräts als nicht repräsentativ für die in der Therapiezone applizierten Drücke und Energien angenommen werden. Dies macht einen Vergleich klinischer Effektivität oder die Adaption von externen Therapieprotokollen schwierig. Eine genaue physikalische In-vivo-Evaluierung von Druckfeldern im anatomischen Volumen einer spezifischen Indikation ist nur punktuell mittels implantierter Hydrophone in präklinischen Modellen verfügbar. Daher sind weiterführende Simulationen notwendig, um Einblick in die akustischen In-situ-Felder zu erhalten. Unter Berücksichtigung der Wandlercharakteristik können sie einen Überblick über die physikalischen Therapieparameter geben.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s41_abb1.jpg" alt="" width="600" height="488" /></p> <h2>Therapiefenster</h2> <p>Je nach Indikation und Wandlertyp obliegt dem behandelnden Arzt die Entscheidung, die bestmögliche Therapiestrategie zu wählen. Zunächst muss ein geeignetes akustisches Fenster lokalisiert werden, welches den bestmöglichen Energietransfer zum Therapievolumen gewährleistet. Dabei kann aktives Biofeedback hilfreich sein (sofern keine Anästhesie vorliegt). Ein Ansatz ist die Abschätzung der „-6 dB-Zone“, die von jedem Hersteller zur Verfügung gestellt wird. Dabei handelt es sich um ein zumeist ellipsoides Volumen, in dem Maximaldrücke von über 50 % des Referenzdrucks im Fokus liegen. Die entsprechenden Energien werden zwar in der klinischen Anwendung im Gewebe nicht realisiert, stellen aber dennoch eine gute räumliche Visualisierung des Fokusvolumens dar.<br /> Die teils sehr kleinen lateralen Fokaldurchmesser von etwa 2 mm und Volumina von Bruchteilen eines Kubikzentimeters für elektromagnetische und Piezo-Wandler stehen im Kontrast zu dem um eine Größenordnung massiveren Fokusvolumen eines elektrohydraulischen Wandlers. In keiner Weise entsprechen die Dimensionen dem Bild einer (zur Beschreibung der Geometrie oft herangezogenen) Zigarre. Zur Veranschaulichung wäre die Vorstellung volumetrischen Ausmalens mittels eines Buntstifts empfehlenswerter.<br /> In weiterer Folge ist eine detaillierte Dokumentation notwendig: Geräteeinstellungen, der genaue Ablauf der Applikation, Parameter der Behandlungsfläche, Orientierung (Winkel) des Wandlers und der verfolgte Pfad sollten erfasst werden. Nur so kann eine Reproduzierbarkeit ermöglicht werden. Zur Illustration: Abbildung 2 zeigt einen idealisierten Vergleich von zwei Wandlern, in welchen identische spiralförmige Applikationswege über der Therapiezone verfolgt wurden. Eindeutige Zonen von höheren und niedrigeren Energien sind deutlich erkennbar, die jedoch technologieabhängig stark unterschiedlich verteilt sind.</p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s41_abb2.jpg" alt="" width="850" height="380" /></p> <h2>Indikationsspezifische Therapieplanung</h2> <p>Aktuell sind die angegebenen Parameter der Hersteller auf Referenzbadmessungen beschränkt und dementsprechend nur ungenügend als Therapieprotokoll geeignet. Die Forschungsarbeit im Bereich von In-situ-Messungen am Tiermodell in Kombination mit Simulationen verspricht eine vollständigere physikalische Charakterisierung von Therapieplänen. Zukünftig wird die physikalische Grundlagenforschung hoffentlich in der Lage sein, einen Beitrag zur Identifizierung physikalischer Mechanismen zu liefern. Bis dahin ersuchen wir jedoch unsere KollegInnen in allen Forschungsbereichen um eine genauere und kritischere Beschreibung ihrer Arbeit.</p></p>
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