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Stellenwert der ESWT in der Behandlung der verzögerten/ausbleibenden Knochenbruchheilung

Die extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) hat bereits ihren festen Stellenwert in der orthopädischen/traumatologischen Routine gefunden. Die fokussierte hochenergetische Applikation bei verzögerten oder nicht heilenden Frakturen ist allerdings auf wenige spezialisierte Zentren beschränkt. Dabei zeigt sie in diesen Indikationen eine hervorragende Alternative zur chirurgischen Intervention, wie in klinischen Studien auch nachgewiesen wurde. Zunehmend gelangt auch die zur operativen Therapie adjuvante Anwendung bei komplizierten frischen Frakturen in den Fokus.

Im adulten Organismus ist der Knochen eines der wenigen Organe, die alle Zeichen der Regeneration (=Wiederherstellung von Struktur und Funktion ohne Narbenbildung) aufweisen. Die komplikationslose ossäre Konsolidierung ist von mehreren Faktoren abhängig (z.B. Lebensalter, Lokalisation, Weichteilschädigung etc.) und erfolgt in etwa 4 bis 20 Wochen.

Die Inzidenz der verzögerten oder ausbleibenden Frakturheilung wird mit 1,9–15% beziffert.1–4 Auch hier sind die Ursachen multifaktoriell und inkludieren unter anderem Faktoren, die dem Patienten (z.B. Medikation, Komorbiditäten) und der Fraktur (Grad der Weichteilschädigung, Infektion) zuzuordnen sind. Eine genaue Definition bzw. einen Zeitrahmen, ab wann eine Fraktur als verzögert oder nicht heilend definiert wird, gibt es nur im angloamerikanischen Sprachraum. Laut FDA ist das der Fall, wenn nach 9 Monaten keine Konsolidierung der Fraktur ersichtlich ist und es innerhalb der letzten 3 Monate keine radiologischen Zeichen der Zunahme einer Überbauung gibt.

Trotz der Fortschritte bei den chirurgischen Techniken und den verwendeten Implantaten (Design, Material) sind wir nach wie vor mit komplizierten Heilungsverläufen konfrontiert. Neben der Dynamisierung bei verzögerter Heilung, autologer Spongiosaplastik und Verfahrenswechsel bei etablierter Non-Union können wir mittlerweile auch auf adjuvante und Stand-alone-Verfahren zurückgreifen. Zu Letzteren gehört auch die fokussierte hochenergetische ESWT. Ursprünglich für die Behandlung urologischer Erkrankungen entwickelt, später auf muskuloskelettale Indikationen ausgeweitet, nutzt die ESWT akustische Wellen, um die Geweberegeneration zu stimulieren. Die Anwendung von ESWT bei Frakturen hat bereits kurz nach der initialen Beobachtung ihrer biologische Interaktion mit dem Knochen in präklinischen und klinischen Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Seither sind zahlreiche Arbeiten zu diesem Thema erschienen, die dieses Potenzial auch im Vergleich zu anderen Therapien bestätigen.

Wirkmechanismen5

Die ESWT übt ihre Wirkung auf Gewebe über die Mechanotransduktion durch unterschiedliche Mechanismen aus. Dieser Prozess wandelt mechanische Reize in biochemische Signale um und setzt intrazelluläre Kaskaden in Gang, die die Genexpression und das Zellverhalten regulieren. Insbesondere hat sich gezeigt, dass die ESWT den Mitogen-aktivierten-Proteinkinase(MAPK)- und den Phosphoinositid-3-Kinase(PI3K)/Akt-Stoffwechselweg aktiviert, die an der Zellproliferation und der Differenzierung beteiligt sind.

Diese Stoßwellen-induzierte Stimulation der intrazellulären Signaltransduktionswege bewirkt in weiterer Folge:

  • Förderung der Perfusion, Angiogenese und Vaskulogenese: Stoßwellen stimulieren über Freisetzung von angiogenen Faktoren (z.B. VEGF) einerseits die Perfusion, andererseits aber auch die Aussprossung von Blutgefäßen bzw. die Neubildung von Gefäßen.

  • Induktion der Osteogenese: Stoßwellen fördern die Differenzierung von mesenchymalen Stammzellen zu Osteoblasten, was zu einer verstärkten Knochenbildung führt. Umgekehrt werden Osteoklasten in ihrer Differenzierung inhibiert. Darüber hinaus führt die Stimulation des Gewebes zur Freisetzung von knochenmorphogenetischen Proteinen („bone morphogenetic proteins“, BMP), was wiederum die Osteogenese fördert.

  • Modulation der inflammatorischen Reaktion: Die ESWT wirkt modulierend auf den lokalen Entzündungsprozess, was unter anderem auch Faktoren des angeborenen Immunsystems involviert. Zudem und als Reaktion darauf wird das Expressionsprofil von Entzündungszytokinen beeinflusst, was somit ein günstiges Mikromilieu für die Geweberegeneration fördert.

Klinische Evidenz

Die ESWT hat sich als hochwirksame Behandlungsoption für verzögerte oder nicht heilende Frakturen erwiesen, was durch zahlreiche klinische Studien der letzten zwei Jahrzehnte belegt wird. Im Traumazentrum Wien, Standort Meidling, konnten bereits über 5000 Fälle mit unterschiedlichen (Alter, Lokalisation, primäre Versorgung etc.) Frakturen mit der hochenergetischen ESWT behandelt werden. Dabei zeigte die ESWT eine durchschnittliche Heilungsrate von fast 80% nach einem Beobachtungsintervall von 6 Monaten. Dabei traten im Vergleich zu chirurgischen Interventionen nur minimale Nebenwirkungen (lokale Rötung oder Petechien) auf.

Eine Level-1-Studie von Cacchio et al. verglich die ESWT mit einem chirurgischen Eingriff bei nicht heilenden Frakturen an langen Röhrenknochen und zeigte nach 2 Jahren keinen signifikanten Unterschied in der radiologischen Knochenkonsolidierung.6 Allerdings führte die ESWT im Vergleich zur Operation zu signifikant besseren kurzfristigen klinischen Ergebnissen und weniger Komplikationen. Ähnliche Ergebnisse wurden in einer anderen klinischen Studie gefunden, in der die ESWT mit der chirurgischen Revision einer Pseudarthrose an der Basis des 5. Metatarsus verglichen wurde.7

Eine Studie von Wang et al. zeigte, dass sich die fokussierte hochenergetische ESWT auch positiv auf den Heilungsprozess von akuten Frakturen auswirken kann.8 Patienten, die eine ESWT-Behandlung bei Frakturen nach Hochrasanztraumen erhielten, zeigten schnellere Heilungsraten und bessere funktionelle Ergebnisse als Patienten, die diese Behandlung nicht erhielten. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die ESWT das Schmerzniveau senkt und die Knochenheilung gefördert wird.

Auf der anderen Seite konnte die adjuvante (prophylaktische) hochenergetische ESWT bei operativer Pseudarthrosensanierung des Kahnbeines das funktionelle Ergebnis verbessern und das Schmerzniveau reduzieren.9

Bei der hochenergetischen Stoßwellenapplikation ist darauf zu achten, dass Gewebeschichten mit großen Impedanzsprüngen nicht im Fokus liegen, da es an diesen Grenzflächen zu hoher Energieabsorption kommt. Daher wurden bis jetzt nicht heilende Klavikulafrakturen vom Indikationsspektrum ausgenommen (Grenzfläche: Weichteil–Lungengewebe).

Eine klinische Studie mit mittleren und lateralen Klavikulafrakturen, begleitet von einer Computersimulation, konnte allerdings die Sicherheit der hochenergetischen ESWT nachweisen.10 Darüber hinaus zeigte die 6-Monats-Kontrolle nach Intervention mit 75% Heilungserfolg bei der ESWT vergleichbare Ergebnisse wie die operative Kontrollgruppe (71%).

Umgekehrt zeigte eine retrospektive ESWT-Studie aus der Datenbank aus dem Traumazentrum Wien, Standort Meidling, bei humeralen Frakturen ein lokalisationsabhängiges Verhalten.11 Hierbei zeigte die metaphysäre Region mit Heilungsraten von 67% ein deutlich besseres Ergebnis im Vergleich zur Diaphyse. Jedenfalls waren das höhere Patientenalter und eine Frakturdiastase größer als 0,5cm negative Prädiktoren im Hinblick auf die knöcherne Heilung. Darüber hinaus zeigte die Behandlung einer Pseudarthrose mit fokussierter hochenergetischer ESWT ein höheres Versagerrisiko, wenn die Primäroperation eine Marknagelung mit nur einer distalen Verrieglung war.

Sicherheitsprofil

Die ESWT gilt als nichtinvasives Verfahren bei korrekter Indikationsstellung und Durchführung durch geschulte Kolleg:innen als effektives und sicheres Verfahren. Die deutschsprachige internationale Gesellschaft für extrakorporale Stoßwellentherapie hat ein Fachkunde-Curriculum ausgearbeitet, in dem in Modulen alle Aspekte der ESWT in den unterschiedlichen Indikationen unterrichtet werden. Durch Absolvierung dieser 60 Unterrichtseinheiten erhält man einen umfassenden Überblick über den rezenten Entwicklungsstand und die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten. Auch die internationale Gesellschaft für medizinische Stoßwellentherapie (ISMST) bietet regelmäßig sogenannte „instructional certification courses“ (ISMST ICC) an.

Nebenwirkungen bei der Verwendung hochenergetischer ESWT sind damit in der Regel leicht und vorübergehend, einschließlich Erythem und Petechien an der Behandlungsstelle. Zu den Kontraindikationen für die hochenergetische ESWT gehören Lungengewebe, maligner Tumor, Fötus oder Schrittmacher im Fokus sowie eine schwere Koagulopathie. Die richtige Auswahl der Patienten, geeignete Parameter und die Einhaltung etablierter Protokolle sind entscheidend für die Minimierung der Risiken und die Optimierung der Ergebnisse.

Zukünftige Wege

Die gegenwärtige Datenlage der nichtinvasiven extrakorporalen (elektrohydraulischen) Stoßwellentherapie bei nicht heilenden Frakturen spricht bei einem ausgezeichneten Nutzen-Risiko-Profil für die Anwendung der ersten Wahl in dieser Indikation.12

Bei der prophylaktischen Applikation bei rezenten Frakturen oder orthopädischen Eingriffen (Arthrodesen, Osteotomien) mit hohem Risikoprofil (z.B. Weichteiltrauma, Alter, Komorbiditäten etc.) zeigen die bereits vorliegenden Arbeiten ebenfalls ein sehr gutes Effizienzprofil, sodass die ESWT zunehmend auch unmittelbar postoperativ beim Primäreingriff eingesetzt wird.13,14 Auch zeigte die kombinierte Anwendung der ESWT mit der Dynamisierung bessere Ergebnisse als das singuläre Prozedere.15

Inwieweit eine adjuvante Therapie bzw. ein multimodaler Ansatz mit anderen biophysikalischen und/oder medikamentösen Strategien eine weitere Steigerung der Effektivtät bewirkt, muss in weiteren Studien geklärt werden. Jedenfalls zeigen die ambulanten (niedrig-/mittelenergetischen) Anwendungen bei z.B. Sehnenpathologien kombiniert mit anderen Modalitäten (z.B. PRP, EMTT) bereits sehr gute Erfolge.

Schlussfolgerung

Da sich die ESWT als ebenso wirksam wie chirurgische Verfahren erwiesen hat, aber wirtschaftlicher und praktisch frei von Nebenwirkungen ist, sollte sie schrittweise als Therapie der ersten Wahl für die Behandlung geeigneter, nicht konsolidierter Frakturen angesehen werden.

Kürzlich ist eine umfassende Dokumentation der medizinischen Stoßwellentherapie – von der Entdeckung bis zu innovativen neuen Therapiemöglichkeiten – unter dem Titel „Heilende Explosionen“ erschienen und unter folgendem Link abrufbar: https://trauma.lbg.ac.at/news/orfiii-dokumentation-heilende-explosionen-auf-der-lbi-trauma-webpage/ .

1 Tzioupis C, Giannoudis PV: Injury 2007; 38(Suppl 2): S3-9 2 Mills LA et al.: Acta Orthop 2017; 88(4): 434-9 3 Zura R et al.: JAMA Surg 2016; 252(11): e162775 4 O’Halloran K et al.: Clin Orthop Relat Res 2016; 474(6): 1385-95 5 Mittermayr R et al.: Injury 2021; 52(Suppl 2): S84-90 6 Cacchio A et al.: J Bone Joint Surg Am 2009; 91(11): 2589-97 7 Furia JP et al.: J Bone Joint Surg Am 2010; 92(4): 846-54 8 Wang C-J et al.: Arch Orthop Trauma Surg 2007; 127(2): 137-42 9 Quadlbauer S et al.: Arch Orthop Trauma Surg 2019; 139: 281-93 10 Mittermayr R et al.: J Clin Med 2022; 11(7): 1988 11 Dahm F et al.: Eur J Trauma Emerg Surg 2022; 48(4): 3034-49 12 Schaden W et al.: Int J Surg 2015; 24(Pt B): 179-83 13 Griffin XL et al.: Cochrane Database Syst Rev 2012; 2: CD008579 14 Wang H, Shi Y: Exp Ther Med 2023; 26(1): 332 15 Stolberg-Stolberg J et al.: J Orthop Traumatol 2022; 23(1): 4

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