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Salvage Procedure bei ausgedehnter Rotatorenmanschettenruptur der Schulter

Ausgedehnte und chronische Rotatorenmanschettenrupturen stellen für Orthopäd:innen und Unfallchirurg:innen eine Herausforderung dar. Grundsätzlich richtet sich die Behandlung der irreparablen Rotatorenmanschettendefekte neben der klinischen Symptomatik auch nach der Rupturgenese und der zu erwartenden Sehnenqualität. Das Alter, die Anforderung der Patient:innen und die Funktionseinschränkung spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Durch arthroskopische und offene Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, kann bei korrekter Indikationsstellung und Patient:innenselektion eine deutliche Verbesserung der präoperativen Situation erreicht werden.

Rotatorenmanschettenrupturen gehören zu den häufigsten muskuloskelettalen Erkrankungen und können mit ausgeprägten Schmerzen und Funktionseinschränkungen einhergehen. Eine Vielzahl von Faktoren für die Entstehung ist hierbei relevant. Neben traumatischen Rupturen kommt es auch häufig zu chronischen, degenerativen Rupturen. Eine deutlich höhere Inzidenz hierfür besteht bei Patient:innen über 50 Jahre.

Die operative Therapie für symptomatische Fälle zielt auf die Rekonstruktion des Rotatorenmanschettendefektes ab. Eine irreparable Ruptur sollte nicht gleichgesetzt werden mit einer Massenruptur. Während die meisten irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen auch Massenrupturen sind, sind nicht alle Massenrupturen per se irreparabel. Bei ausgedehnten, weit retrahierten Rupturformen und höhergradiger fettiger Degeneration der Muskulatur (> Grad III nach Goutallier) spricht man von einer irreparablen, nicht rekonstruierbaren Ruptur. Durch ein damit einhergehendes gestörtes Kräfteverhältnis der Rotatorenmanschette kommt es im Verlauf zu einer Dezentrierung des Oberarmkopfes und dadurch auch zu einer Störung der Biomechanik des Gelenkes. Dies führt schlussendlich zu Schmerzzuständen und Funktionseinschränkungen.

Neben der klinischen Untersuchung spielt die bildgebende Darstellung der Rotatorenmanschette mittels MRT eine entscheidende Rolle. Verschiedene Parameter, wie zum Beispiel die Sehnenretraktion sowie die Sehnen- und Muskelqualität, sind für die Behandlung ausschlaggebend. Im Endstadium kommt es schlussendlich zum fixierten Humeruskopfhochstand mit Acetabularisierung des Akromions und gleichzeitigem Gelenksverschleiß. Hierbei spricht man dann von sogenannten Defektarthropathien. Die optimale Therapie der irreparablen Rotatorenmanschettenläsion soll im vorliegenden Artikel beleuchtet werden.

Konservative Therapie

Die konservative Therapie zielt vor allem auf ältere, weniger aktive Patient:innen ab, bei noch kompensierter Schulterfunktion. Sie umfasst eine antientzündliche Therapie mit NSAR oder Cortisoninjektionen und begleitende Physiotherapie. Damit soll eine Stärkung der periskapulären Muskulatur und des Deltamuskels erreicht werden, um die verletzte Rotatorenmanschette zu kompensieren. Für eine gewisse Zeit kann damit eine Verbesserung der Schmerzsituation sowie der Funktion erreicht werden.

Operative Therapie

Arthroskopisches Debridement

Ein arthroskopisches Debridement ist die einfachste und schmerzpalliativste operative Variante bei irreparablen Rotatorenmanschettenrupturen. Es kann zu einer Schmerzverbesserung führen, hat aber keinen wesentlichen Effekt auf die Kräfteverhältnisse. Daher gilt es, im Vorfeld die Patientenselektion genau zu stellen. Beim arthroskopischen Debridement wird die Bizepssehne tenotomiert und eine subakromiale Dekompression oder Tuberkuloplastik durchgeführt. Bei Vorhandensein von neuropathischen Schmerzen des N.suprascapularis kann dieser „released“ werden. Dies sollte bei fettiger Degeneration Grad III (nach Goutallier) und vorhandener klinischer Symptomatik sowie neurologischen Hinweisen in Erwägung gezogen werden.

Partialrekonstruktion (Abb. 1)
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Abb. 1

Unter einer Partialrekonstruktion versteht man die Wiederherstellung der „force couples“. Die anterioren (SSC) und posterioren (ISP und TM) Kräftepaare sollen damit rekonstruiert und aktiviert werden. Das Ziel dabei ist, eine komplette Läsion der Rotatorenmanschette mit Funktionsverlust der Schulter in eine funktionelle Ruptur umzuwandeln. Dabei wird versucht, die Infraspinatus- bzw. die Subscapularissehne über dem Äquator des Humeruskopfes spannungsfrei zu reinserieren. Damit soll eine verbesserte Biomechanik des Gelenks erreicht werden. Eine Verbesserung von Schmerz und Funktion ist damit möglich, ohne dass aber die volle Kraft wiederhergestellt werden kann. Diese Partialrekonstruktionen können mit Allografts oder auch der Bizepssehne zusätzlich verstärkt und augmentiert werden.

Spacer (Ballon)

Hierbei handelt es sich um einen biologisch abbaubaren Ballon, der zwischen Akromion und Oberarmkopf arthroskopisch eingebracht und mit Kochsalzlösung aufgefüllt wird. Damit soll die subakromiale Friktion während der Schulterabduktion verringert werden und durch Kaudalisierung des Oberarmkopfes eine Verbesserung der Kräfteverhältnisse und Zentrierung erreicht werden. Nach ca. 12 Monaten soll es zum Abbau des eingebrachten Spacers kommen. Eine Schmerzverbesserung und für einige Zeit eine Funktionsoptimierung können damit erreicht werden. Auch hier gilt es, in Anbetracht der hohen Kosten die vorhandenen Möglichkeiten abzuwägen.

Superiore Kapselrekonstruktion (SCR)

Dieses Verfahren wurde in den letzten Jahren nach der sogenannten „superior capsule reconstruction“ nach Mihata populär. Dabei wird ein Fascia-lata-Autograft oder ein dermales Allograft als superiore Defektdeckung zwischen Glenoidoberrand und Tuberculum majus fixiert. Somit wird der Humeruskopf mit dem (porcinen oder dermalen) Graft überspannt und ein Höhertreten des Humeruskopfes soll vermieden werden. Verstärkt kann dies noch werden durch Verlagerung der Bizepssehne (sofern vorhanden) an das Tuberculum majus. Diese „Reversed biceps“-Tenodese kann als alleiniges Verfahren angewendet werden. Hierbei wird die Bizepssehne am glenoidalen Insertionspunkt belassen. Nach Tenotomie im Pulley-Bereich wird die Bizepssehne an das Tuberculum majus transferiert und dort inseriert. Diese Verfahren können in Kombination mit einer Partialrekonstruktion angewendet werden. Auch hier werden akzeptable Ergebnisse mit Verringerung von Schmerzen und verbesserten klinischen Outcomes beschrieben.

Sehnentransfer

Die Entscheidung für einen Sehnentransfer fällt anhand diverser Faktoren: Klinische Symptome wie Schmerz oder Funktionseinschränkung, Alter des Patienten, funktioneller Anspruch, Komorbiditäten, Gelenkstabilität und das Vorhandensein einer möglichen Arthrose sind ausschlaggebend. Auch negative Prädiktoren für das Outcome wie ein präoperatives Drop-arm-Sign, stattgefundene Voroperationen oder bereits fortgeschrittene Defektarthropathie des Gelenkes (akromiohumeraler Abstand <5mm) sollten bedacht werden. Der optimale Patient für einen Sehnentransfer ist jung, aktiv, mit kompensierter Schulterfunktion bei Schwäche oder Verlust der Rotation ohne vorhandene Arthrose. Bei anterosuperioren Rupturen kommt hier ein Transfer des M. pectoralis major (PM) und bei posterosuperioren Defekten des M. latissimus dorsi (LD) infrage. Hierbei sind zahlreiche Techniken bereits beschrieben. Sowohl die „Singleincision“-Techniken nach Habermeyer (posteriorer Zugang und Tunnelung der LD-Sehne zum Footprint der Supraspinatussehne) oder nach Boileau (ventraler Zugang mit Absetzen und Umfahrung der LD-Sehne und des Oberarmschafts) als auch die klassische „Double incision“-Technik nach Gerber zeigen gute klinische Ergebnisse mit Verbesserung der Schmerzsituation und Schulterfunktion.

Auch für den PM-Transfer gibt es unterschiedliche Techniken mit Absetzen eines Anteils (ca. 50–75%) der Pectoralis-major-Sehne am Oberarmschaft und Verlagerung derselben über oder unter den „Conjoined tendon“-Sehnen an das Tuberculum minus. Ein Vorteil für die Technik, bei der das Transplantat unter den „Conjoined tendon“-Sehnen durchgeführt wird, liegt vor.

Inverse Schulterprothese (Abb. 2)
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Abb. 2

Neben den oben genannten gelenkserhaltenden Verfahren ist als gelenksersetzendes Verfahren die inverse Prothese Therapie der Wahl. Durch den ausgedehnten irreparablen Rotatorenmanschettendefekt kommt es durch die gestörte Biomechanik zu einer Dezentrierung des Humerus nach kranial und im weiteren Verlauf zu einer Defektarthropathie. Die Einteilung erfolgt nach der Klassifikation nach Hamada. Im Endstadium kommt es zu einer Acetabularisierung des Humerus mit dem Akromion und eine schmerzhafte Pseudoparalyse des Armes ist die Folge. Für diese Pathologie wurde von Grammont in den 1980er-Jahren die Deltaprothese entwickelt. Durch die Medialisierung und Kaudalisierung des Drehzentrums können mithilfe der inversen Prothese ein verbesserter Kraftvektor und eine bessere Vorspannung des M.deltoideus erreicht werden. Moderne Prothesensysteme und auch das bessere Verständnis der inversen Schulterendoprothetik haben in den letzten Jahren zu einer deutlichen Abnahme der Komplikationsrate und auch längeren Standzeiten geführt. Neben mechanischen prothesenbedingten Komplikationen kann es zu Akromionfrakturen, Luxationen, Infektionen und Funktionsseinschränkungen kommen. Auch die inverse Prothese kann bei Vorhandensein eines zusätzlichen Außenrotationsdefizites mit einem LD-Transfer kombiniert werden. Vorhandene Glenoiddefekte oder ausgedehnte Gelenksdeformitäten können ebenfalls mit einer inversen Prothese oder auch inversen Custom-made-Prothesen adressiert werden.

Zusammenfassung

Irreparable Defekte der Rotatorenmanschette sind eine häufige Erkrankung, mit der Schulterchirurg:innen zu kämpfen haben. Im Laufe der Jahre wurden mehrere Behandlungoptionen aufgezeigt, aber die wirkliche Herausforderung besteht darin, für jeden Patienten die richtige Indikation für das richtige Verfahren zu stellen.

Patient:innen ohne anterosuperiore Migration des Humeruskopfes sollten zunächst konservativ mit physikalischer Therapie und Deltoidmuskelkräftigung behandelt werden. Patient:innen, die auf eine konservative Behandlung nicht ansprechen und Schmerzen und eine Beeinträchtigung bei Abduktion/Elevation haben, sollten sich einer Steroidinjektion unterziehen, wenn die Pseudoparalyse auf Schmerzen zurückzuführen ist. Die Literatur zeigt, dass bei Patient:innen, die eine Pseudoparalyse bei schmerzender Schulter und irreparablem Rotatorenmanschettendefekt (auch nach Steroidinjektion) haben, ein arthroskopisches Debridement möglich ist. Bizepstenotomie, partielle Rekonstruktion der Rotatorenmanschette und N.-suprascapularis-Release können je nach MRT- und EMG-Befund durchgeführt werden. Der subakromiale, biologisch abbaubare Spacer ist hilfreich bei der Wiederherstellung der akromiohumeralen Höhe und Verbesserung der Funktion durch eine gewisse Rezentrierung. Selbst wenn der Spacer an Höhe verliert und wieder absorbiert wird, hält er für mehrere Monate (ca. 12 Monate).

Bei noch vorhandenem „force couple“ oder der Möglichkeit der Wiederherstellung desselben ist bei noch erhaltener Funktion und Schmerzproblematik eine SCR möglich. Patienten mit chronischem posterosuperiorem Manschettenriss und Verlust der Außenrotation, aber mit erhaltener Elevation und einem intakten SSC, sind für den LD-Transfer geeignet. Bei chronischem anterosuperiorem Manschettenriss mit intaktem posterosuperiorem Manschettenabschnitt und ohne humeralen Escape ist ein Pectoralis-major-Transfer angezeigt.

Sehnentransfers sind komplexe Eingriffe, die die normale Funktion und Kinematik der Schulter nicht wiederherstellen. Sie können vielmehr auch als Salvage Procedure angesehen werden. Bei Patient:innen mit Defektarthropathien, irreparablen Rotatorenmanschettendefekten, Pseudoparalyse und Arthrose ist eine inverse Schulterprothese indiziert.

beim Verfasser

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