
Röntgengezielte Schmerztherapie: ein Tool für Diagnostik und Therapie
Jatros
Autor:
Dr. Raphael Scheuer
Wirbelsäulenzentrum<br> Orthopädisches Spital Speising, Wien<br> E-Mail: raphael@scheuer.wien
30
Min. Lesezeit
28.03.2019
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<p class="article-intro">Bildwandler- und CT-gezielte Infiltrationsverfahren sind mittlerweile vor allem im Bereich der Wirbelsäule aus der modernen Schmerztherapie kaum mehr wegzudenken. Hat man früher gerade im Bereich der Lendenwirbelsäule von bis zu 85 % unspezifischer Schmerzzustände gelesen, so kann man heute mithilfe der hochselektiven Betäubung einzelner suspizierter Schmerzgeneratoren die Hauptbeschwerdeursachen in einem Großteil der Fälle festmachen. Auch therapeutisch lassen sich diese Infiltrationsmethoden hervorragend nutzen und in manchen Fällen durch weiterführende interventionelle – oft neuroablative, also denervierende – Verfahren ergänzen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Röntgengezielte schmerztherapeutische Verfahren sind sowohl diagnostisch als auch therapeutisch einsetzbar.</li> <li>Der Bildwandler/C-Bogen ist der Computertomografie hinsichtlich interventioneller Therapie am Bewegungsapparat meist überlegen.</li> <li>Neben dem Haupteinsatzgebiet an der Wirbelsäule entwickeln sich auch zunehmend mehr Möglichkeiten rund um große Gelenke.</li> <li>Interessierten Kollegen seien die Hands-on-Kurse der Spine Intervention Society (www.spineintervention.org) sowie am Orthopädischen Spital Speising (www.ceops.at) empfohlen.</li> </ul> </div> <p>Wiewohl im Bereich der Radiologie interventionelle Punktionsverfahren, also die mittels Bildgebung kontrollierte Führung von Kanülen oder Kathetern, schon lange zum Standard gehören, hat sich die interventionelle Schmerztherapie rund um den Bewegungsapparat vor allem in Europa verhältnismäßig spät entwickelt. Während röntgengesteuerte Injektionen in vielen Teilen der Welt zumeist von Radiologen oder Anästhesisten durchgeführt werden, bedienen sich hierzulande auch immer mehr Orthopäden dieser Möglichkeiten.<br /> Nach Ansicht des – zugegebenermaßen selbst orthopädischen, also wohl nicht gänzlich objektiven – Autors haben Letztere den Vorteil, im Rahmen der Indikationsstellung neben der Interpretation der vorliegenden Bildgebung auch in der eigenständigen Erhebung klinischer Untersuchungsbefunde rund um den Bewegungsapparat ausgebildet zu sein.</p> <h2>Einsatzgebiete</h2> <p>Haupteinsatzgebiet der interventionellen Schmerztherapie am Bewegungsapparat ist sicherlich die Wirbelsäule, wobei sowohl lokale Schmerzen an Hals-, Brustoder Lendenwirbelsäule wie auch in Arme oder Beine ausstrahlende Schmerzen behandelbar sind. Auch vertebragene Kopfschmerzen lassen sich in vielen Fällen elegant und anhaltend lindern.<br /> Abgesehen davon entwickeln sich aber auch zunehmend mehr Möglichkeiten im Bereich der großen Gelenke, wo vor allem perkutan neuroablative, also denervierende, Verfahren zum Einsatz kommen.</p> <h2>Interventionelle Therapien an der Wirbelsäule</h2> <p><strong>Epidurale Infiltrationen</strong><br /> Die klassischen und meist auch dankbarsten Indikationen stellen Ischialgien, verursacht durch akute Bandscheibenvorfälle, dar. Im Rahmen einer gemeinhin als Nervenwurzelblockade bezeichneten Technik wird die durch den Bandscheibenvorfall bedrängte Nervenwurzel mit einem Gemisch aus Lokalanästhetikum und Kortikoid umspült, somit werden die epiduralen Gleitschichten mobilisiert und die suspizierte Radikulitis wird kalmiert. In vielen Fällen lässt sich damit eine anhaltende Schmerzlinderung bis zur natürlichen Volumenreduktion des Bandscheibenvorfalls erreichen. Aber auch durch meist degenerativ bedingte Veränderungen wie Vertebrostenosen und Neuroforamenstenosen verursachte Nervenwurzelirritationen lassen sich auf diese Art und Weise oftmals erstaunlich lange besänftigen.<br /> Es lässt sich durch die genannten Techniken somit eine vorübergehende, relativ begünstigende Wirkung im Sinne eines Abschwellens vor allem des periradikulären Gewebes erreichen; eine reale, anhaltende Volumenreduktion der Strukturen ist hingegen nicht möglich. In beiden Fällen sollte daher jedenfalls mittels Heilgymnastik und Haltungskorrektur versucht werden, die durch die Veränderungen eingeschränkten intraspinalen Platzverhältnisse zu optimieren. Da sich gerade degenerative Veränderungen aber selten auf nur ein Segment der Wirbelsäule beschränken, ist auch der diagnostische Wert dieser Infiltrationstechniken in Hinblick auf das notwendige Ausmaß eines etwaigen chirurgischen Vorgehens hervorzuheben.<br /> Neben den erwähnten Nervenwurzelblockaden sind auch interlaminäre oder über den Hiatus sacralis applizierte Spülungen des Wirbelkanals mit ausreichend Volumen und ebenso Zusatz eines Kortikoids therapeutisch meist sehr erfolgreich und mittels Bildgebung auch gut kontrollierbar.</p> <p><strong>Möglichkeiten bei Facettgelenks- und ISG-Schmerzen</strong><br /> Neben den erwähnten Nervenwurzelkompressionssyndromen verursachen oft auch die Zwischenwirbelgelenke Schmerzen, welche abgesehen vom typischen Lokalschmerz auch je nach Lokalisation durchwegs in Kopf, Arme oder Beine ausstrahlende Beschwerden verursachen können. Oft sind die schmerzursächlichen Gelenke auch anhand der Bildgebung im Sinne aktivierter Spondylarthrosen identifizierbar. Ähnliches gilt für die seltener auftretenden, vom Iliosakralgelenk (ISG) ausgehenden Schmerzen. Neben der intraartikulären Infiltration, welche meist problemlos auch ultraschallgezielt umsetzbar wäre, gibt es auch hier die Möglichkeit der Denervierung der schmerzhaften Gelenke mittels perkutaner neuroablativer Verfahren. Dafür sind jedenfalls zuvor röntgengezielte Testinfiltrationen erforderlich und erst bei positivem Ansprechen darauf ist die röntgengezielte Denervierung mittels spezieller Radiofrequenzkanülen möglich.<br /> Die gelegentlich von ergussbeladenen Facettgelenken ausgehenden intraspinalen Zysten können ebenso wie andere Raumforderungen in diesem Bereich neurokompressiv wirken. Auch eine Punktion und eventuell Sprengung dieser Zysten ist interventionell möglich. Diese Indikation ist angesichts der mehrdimensionalen Komplexität oftmals bevorzugt mittels CT-Kontrolle zu behandeln.</p> <p><strong>Ansätze bei diskogenen Schmerzen</strong><br /> Die derzeit wohl am intensivsten diskutierte Schmerzentität rund um die Wirbelsäule ist der diskogene, also bandscheibenbedingte, Schmerz. Im Gegensatz zum Zwischenwirbelgelenksschmerz zeigt der anzunehmende diskogene Schmerz nur eine sehr umschriebene Ausstrahlungstendenz. Während er vielerorts generell infrage gestellt wird, philosophiert man andernorts über die pathomorphologischen Korrelate im Sinne einer auch bildgebenden Darstellungsmöglichkeit der schmerzhaften Bandscheiben.<br /> Relativ einig ist man sich über die Relevanz der aktivierten Osteochondrosen als Schmerzgeneratoren; im gleichen Ausmaß uneinig ist man sich über die Pathogenese derselben. Entsprechend der ungeklärten Entstehungsursache fehlt auch bis heute eine kausale Therapie hierfür. Als ursächlich diskutiert werden neben lokalen Durchblutungsstörungen auch Instabilitäten und „Low grade“-Infekte. Letztere stellen nach Ansicht des Autors die schlüssigste Erklärung dar. Lokale Durchblutungsstörungen sind in Anbetracht der nahezu gesetzmäßig ober- und unterhalb einer Bandscheibe auftretenden Ödemzeichen in den Wirbelkörperendplatten eher unwahrscheinlich. Instabilitäten entstehen – diversen radiologischen Studien aus den frühen 1990er-Jahren zufolge – als Konsequenz der Bandscheibendegeneration und nicht umgekehrt.<br /> Im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts wird die lange Zeit verpönte Diskografie, also die gezielte Punktion der fraglich schmerzenden Bandscheibe, durch den Autor wieder häufiger durchgeführt, auf die früher zu Vergleichszwecken geforderte Schmerzprovokationspunktion einer gesunden Referenzbandscheibe hingegen verzichtet. Es wird dabei ein Antibiotikum appliziert, welches letztlich den Verdacht auf einen „Low grade“-Infekt erhärten oder möglichst entkräften soll.<br /> Risse im Faserkern der Bandscheibe, welche mittels immer höher auflösender MRT auch immer häufiger diagnostiziert werden („anular tear“, früher auch „high intensity zone“), dürften wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle in Hinblick auf den diskogenen Schmerz spielen.<br /> Längere Zeit wenig angewandte intradiskale Radiofrequenzverfahren, wie beispielsweise die intradiskale elektrothermale Therapie (IDET) oder die Biacuplastie, erfahren in letzter Zeit vermehrt Beachtung in kontrollierten Studien, was letztlich auch zu einem ernstzunehmenden Evidenzlevel in einigen systematischen Reviews führte. Ziel dieser Therapieverfahren ist die Ablation der hypothetisch neu eingesprossten Nervenäste in die eigentlich nicht innervierte Bandscheibe. Auch chemische intradiskale Denervierungsversuche mittels Methylenblau sind beschrieben, aber ohne nennenswerte Evidenz.</p> <p><strong>Katheterverfahren bei intraspinalen Adhäsionen</strong><br /> Intraspinale narbige Adhäsionen werden in erster Linie im Rahmen des Post-Diskektomie- Syndroms vermutet und sind des Öfteren auch mittels MRT verifizierbar. Die chirurgische Revision ist, abgesehen von erschwerten intraoperativen Bedingungen, auch angesichts der drohenden neuerlichen Narbenbildung eine oft undankbare Aufgabe. Als alternativer Therapieversuch steht die perkutane Adhäsiolyse mittels Epiduralkatheter zur Verfügung – ein Verfahren, das bereits vor knapp 40 Jahren von Prof. Gabor B. Racz erstbeschrieben wurde und sich seither vor allem im angloamerikanischen Raum großer Beliebtheit erfreut. Die Datenlage in diesem Zusammenhang spricht für einen Evidenzlevel II, was den der Epiduroskopie mit zusätzlichen interventionellen Möglichkeiten (Evidenzlevel III) übertrifft.</p> <h2>Große Gelenke</h2> <p>Perkutane, denervierende Techniken sind am Hüft- und Kniegelenk am weitesten entwickelt und untersucht und stellen somit eine Therapiealternative dar, sofern eine chirurgische, auch funktionsverbessernde Sanierungsmöglichkeit nicht gewünscht oder möglich ist. Diese Verfahren sind auch nach erfolgter endoprothetischer Versorgung bei entsprechendem Restschmerz anzudenken. Mithilfe neuromodulierender, also nicht denervierender, Verfahren lassen sich auch an der Schulter gute, aber leider meist innerhalb weniger Monate nachlassende Erfolge erzielen. Während am Knieund Schultergelenk im günstigsten Fall kombiniert röntgen- und ultraschallgezielt gearbeitet wird, ist dies am Hüftgelenk ein rein röntgengezieltes Unterfangen.</p> <h2>Bildwandler/C-Bogen vs. Computertomograf</h2> <p>Weithin verbreitet ist die Annahme, dass Infiltrationen im Computertomografen denen im Bildwandler, also dem CBogen, vorzuziehen sind. Abgesehen von der höheren Strahlenbelastung für den Patienten bei der CT-gesteuerten Infiltration ist dies auch in fachlicher Hinsicht nicht haltbar: Bei Infiltrationen unter Röntgen versucht man, mittels Kontrastmittel nicht nur die Zielstruktur darzustellen, sondern vor allem auch einen etwaigen Gefäßanschluss mit folglich anzunehmendem Abfluss der Wirksubstanzen auszuschließen, was einerseits die lokale Wirkung mindern und andererseits systemische Nebenwirkungen zeitigen würde. Dies ist naturgemäß nur mittels Echtzeitdarstellung des Kontrastmittelabflusses möglich, was unter Bildwandlerkontrolle wesentlich einfacher, kontrastmittelsparend sowie strahlendosisärmer möglich ist.<br /> Gerade im Bereich der Halswirbelsäule wird vielfach die Computertomografie favorisiert, was in Anbetracht der ausgesprochen hohen Gefäßdichte paravertebral ebendort nicht sinnvoll erscheint. Bei einigen wenigen Indikationen wie beispielsweise der Punktion von intraspinalen Facettgelenkszysten kann aber auch die Computertomografie ihre zweifellos vorhandenen Vorzüge der simultanen, mehrdimensionalen Darstellungsmöglichkeiten ausspielen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1902_Weblinks_jatros_ortho_1902_s56_abb1.jpg" alt="" width="550" height="312" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1902_Weblinks_jatros_ortho_1902_s56_abb2.jpg" alt="" width="550" height="312" /></p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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