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Radiofrequenzdenervation bei Kreuzschmerz

Psychosoziale Risikofaktoren screenen

Kommentar zur Leitlinie der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft zur Radiofrequenzdenervation der Facettengelenke und des ISG.1

Im Wesentlichen entsprechen die Empfehlungen der neuen Leitlinie denen des Schmerzzentrums im Inselspital, der internationalen Spine Intervention Society (SIS)2 und der Schweizer Gesellschaft für Interventionelle Schmerztherapie (SSIPM, www.ssipm.ch). Inhaltlich gibt es keine wesentlichen Neuerungen, aber es ist immerhin die erste deutsche Leitlinie zu dieser Therapieform.

Zu kritisieren ist, dass die Autoren die Indikationen für die Radiofrequenzdenervation nicht differenziert beschreiben und die vorhandene Evidenz zu positiv sehen. Sie empfehlen, die Denervation nur bei chronischen Schmerzen durchzuführen, ohne darauf einzugehen, welche Probleme interventionelle Therapien gerade bei chronischen Schmerzen mit sich bringen können. Diese sind als eine eigenständige Erkrankung zu sehen, die häufig mit zentraler Sensibilisierung, also Schmerzausweitung, und Ängstlichkeit verbunden ist. Beides kann dazu führen, dass selbst bei korrekter Durchführung der Radiofrequenzdenervation die Schmerzen längerfristig unverändert bleiben oder sich sogar verschlechtern. Daher muss das Gesamtbild von chronischem Schmerz als Erkrankung gemäss ICD-11 im biopsychosozialen Kontext berücksichtigt werden. Eine psychosoziale Anamnese sollte bei jeder invasiven Therapie erfolgen und in der Indikationsstellung auch berücksichtigt werden. So gibt es beispielsweise Hinweise darauf, dass die Therapie bei Depressivität weniger gut hilft.3

Im Allgemeinen müssen bei psychosozialen Problemen diese auch mitbehandelt werden, sonst ist Frustration vorprogrammiert, weil die Schmerzen im zentralen Nervensystem durch die lokale Behandlung unbeeinflusst bleiben oder schneller wieder auftreten. Insbesondere bei schweren psychischen Problemen, wie posttraumatischen Belastungsstörungen oder existenziellen Ängsten, wirkt eine lokale interventionelle Behandlung häufig nicht so gut. Empfehlung Nummer 7 in der Leitlinie deutet zwar an, dass es bei Verdacht auf eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren einer interdisziplinären Abklärung vor einer Intervention bedarf, allerdings sollten alle Patienten auf psychosoziale Risikofaktoren gescreent werden. Das sind z.B. vorbestehende Depressionen und Angststörungen, negative Erwartungshaltung (Katastrophisieren), erhöhter Stress im sozialen Umfeld, insbesondere Arbeitsplatzverlust und finanzielle Probleme. Dieses Screening sollte bei anhaltenden akuten Rückenschmerzen möglichst schon vor einer Chronifizierung erfolgen,4 wie auch den Leitlinien für spezifische und unspezifische Kreuzschmerzen zu entnehmen ist.5,6

Die Situation einer Unter- oder Überversorgung mit Radiofrequenzablation in der Schweiz ist schwer zu beurteilen. Aufgrund der finanziellen Attraktivität und Verbreitung der interventionellen Schmerztherapie in der Schmerzmedizin ist aber davon auszugehen, dass sie recht häufig und oft leider auch unreflektiert durchgeführt wird. Daten gibt es jedoch kaum. Die SSIPM hat mit dem Aufbau eines Registers begonnen, es wird aber aktuell noch kaum genutzt.

Zur Evidenz, die als moderat bis niedrig eingestuft wird: Es gibt zwar ein paar zitierte Studien mit guten Ergebnissen, aber mit wenigen Studienteilnehmern. Die grösste kontrollierte Studie zeigte, dass Radiofrequenzdenervation bei Rückenschmerzen nicht besser als eine Sham-Behandlung war, und alle Studien haben Schwächen. In vielen Ländern, u.a. in der Schweiz, ist die Therapie deshalb auch nicht über die Regelversorgung abgedeckt. Paradoxerweise wird aber die diagnostische Nervenblockade von der Grundversicherung übernommen und kann auch für die Radiofrequenztherapie abgerechnet werden. Im neuen ambulanten Tarifsystem (wenn es dann einmal kommt) soll auch die Therapie abgedeckt werden. Das ist gut und konsequent, unter der Voraussetzung, dass es Qualitätskriterien für eine strenge Indikationsstellung und Einbettung der Therapie in ein Gesamtkonzept gibt.

Der ideale Kandidat für die Radiofrequenztherapie hat einseitig lokalisierte Rückenschmerzen, die sich unter adäquater Physiotherapie nicht bessern oder ihn an aktiver Physiotherapie hindern. Er hat keine nennenswerten psychosozialen Risikofaktoren oder ist schon in entsprechender Behandlung. Wenn Röntgen oder MRT degenerative Auffälligkeiten im betroffenen Gelenk zeigen, würde ich eine diagnostische Nervenblockade empfehlen, und wenn diese positiv ausfällt, die Therapie durchführen.7 Abraten würde ich Patienten, bei denen Bildgebung und klinische Untersuchung nicht übereinstimmen, die unbehandelte psychosoziale Riskofaktoren haben oder erhöhte Erwartungen an Schmerzfreiheit.

Nach meiner Erfahrung kann die Radiofrequenzablation in ausgewählten Fällen eine sehr gute Therapie sein. Vorher sollten aber immer psychosoziale Risikofaktoren erfragt werden und allenfalls sollte auch eine interdisziplinäre Abklärung erfolgen. Bei chronischen Schmerzen sollte die Therapie immer in ein multimodales Therapiekonzept eingebaut werden: zumindest Physiotherapie mit aktiven Übungen und, sofern nötig und möglich, Stabilisation des psychosozialen Umfelds. Die Therapie sollte nur durch spezialisierte Schmerztherapeuten indiziert und durchgeführt werden. In der Schweiz sind das diejenigen mit einem interdisziplinären Schwerpunkt gemäss SSIPM ( www.ssipm.ch/faehigkeitsausweis ).

1 Klessinger S et al.: www.awmf.org ; Reg. Nr. 151-004 2 www.spineintervention.org/Guidelines 3 Streitberger K et al.: Eur Spine J 2011; 20(12): 2160-5 4 Prevention of Pain Chronification. www.gesundheitsfoerderung.ch 5 Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz. www.leitlinien.de 6 www.awmf.org ; Reg. Nr. 033-051 7 Streitberger K: Therapeutische Umschau 2020; 6: 270-3

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