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Nervenkompressionssyndrome an der oberen Extremität

An der oberen Extremität können Nervenkompressionssyndrome im Verlauf des N.medianus, N. ulnaris und N. radialis an verschiedenen Stellen auftreten. Die Ursachen sind vielfältig, beispielsweise starke mechanische Belastungen und Verletzungen, knöcherne Auswüchse, rheumatische Erkrankungen oder Entzündungen. Symptome sind Parästhesien, Sensibilitätsstörungen und/oder Paresen, wodurch die Funktionen der Hand wie Tasten, Fühlen oder Greifen beeinträchtigt werden. Die Diagnose erfolgt durch Anamnese, klinischen Befund, elektrophysiologische Untersuchungen und Bildgebung. Ziele der konservativen und operativen Therapie sind die Schmerzlinderung sowie die Wiederherstellung von Sensibilität und Muskelkraft.

Keypoints

  • Nervenkompressionssyndrome sind chronische Irritationen oder Druckläsionen peripherer Nerven innerhalb anatomischer Engpässe. Sie betreffen besonders die obere Extremität.

  • Das häufigste Kompressionssyndrom ist das Karpaltunnelsyndrom, das zweithäufigste das Kubitaltunnelsyndrom.

  • Die Diagnose erfolgt durch Anamnese, klinische und elektrophysiologische Untersuchungen. Die Bildgebung (Röntgen, Sonografie, MRT) liefert ergänzende Informationen.

  • Für die Behandlung sind klinische Erfahrung sowie Kenntnisse der Anatomie und der diagnostischen und operativen Verfahren unentbehrlich.

Die drei Hauptnerven am Arm und an der Hand sind der Nervus medianus, Nervus ulnaris und Nervus radialis. Eine Nervenkompression kann an mehreren Stellen im Verlauf dieser Nerven auftreten. Besonders häufig sind das Karpaltunnel- und das Kubitaltunnelsyndrom. Seltenere Diagnosen sind das Pronator-teres-Syndrom, das Loge-de-Guyon-Syndrom, das Supinator- und das Wartenberg-Syndrom (Tab.1).

Tab. 1: Übersicht Kompressionen Hand/Unterarm

Kompression des N. medianus

Karpaltunnelsyndrom

Das Karpaltunnelsyndrom (KTS) ist eine Schädigung des N. medianus im Karpalkanal der Hohlhand und das häufigste Engpasssyndrom eines peripheren Nervs. Die Inzidenz beträgt 3−10% der erwachsenen Bevölkerung. Frauen sind 3-mal häufiger betroffen als Männer.1

Die Ursachen des KTS sind vielfältig. Auslöser können Schwellungszustände des Sehnengleitgewebes, Entzündungen sowie traumatische, posttraumatische oder überlastungsbedingte Ursachen sein.2,3 Typische Symptome sind nächtliche Parästhesien (Brachialgia paraesthetica nocturna) der radialen 3½ Finger. Die Parästhesien können auch durch starre Handhaltungen (Radfahren, Autofahren, Zeitunglesen, Schreiben etc.) ausgelöst werden. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu permanenten Missempfindungen mit belastungsabhängigen, einschießenden Schmerzen und Taubheit der Finger mit zunehmender Ungeschicklichkeit bei feinmotorischen Arbeiten. Im Spätstadium kommt es zu einer Atrophie der radialen Daumenballenmuskulatur.4,5

Im Initialstadium lassen sich Parästhesien durch klinische Tests, z.B. den Phalen-Test und das Hoffmann-Tinel-Zeichen, provozieren. Abduktionsschwächen des Daumens im Spätstadium lassen sich durch den Flaschentest nach Lüthy prüfen.6 Der im Bereich der vermuteten Engstelle durchgeführte Scratch-Collapse-Test ergänzt die Diagnostik.7

Die elektrophysiologische Untersuchung mittels Elektromyografie (EMG) und Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) ist aussagekräftig für die Objektivierung und Differenzialdiagnostik. Bildgebende Verfahren wie die Neurosonografie und die Magnetresonanztomografie (MRT) ermöglichen es, Raumforderungen oder Anomalien des Karpaltunnels zu beurteilen. Die häufigsten Differenzialdiagnosen sind zervikale Radikulopathien der Wurzeln C6 und C7 und Polyneuropathien. Seltener sind proximale Kompressionsneuropathien oder Läsionen des N. medianus.8

Im Frühstadium der Erkrankung kommen konservative Behandlungsmethoden (Handgelenksschiene, Kortikoidpräparate, lokale Kortikoidinfiltration) infrage. Eine dauerhafte Beschwerdefreiheit bringt im Allgemeinen nur eine operative Behandlung. Die Standardmethode ist die offene Retinakulumspaltung, die in der Regel ambulant unter Lokal- oder Leitungsanästhesie durchgeführt wird. Alternativ kommen auch endoskopische Verfahren mit vergleichbaren Ergebnissen zur Anwendung (Tab.2).9,10

Tab. 2: Operative Techniken beim Karpaltunnelsyndrom

Proximale Kompressionen des N. medianus

Im Bereich des Ellenbogens können verschiedene anatomische Strukturen für die Kompression des N. medianus verantwortlich sein (Struther-Ligament, Processus supracondylaris, Lacertus fibrosus, Pronator teres, M. flexor digitorum superficialis). Am Unterarm werden klassischerweise das Pronator-teres-Syndrom (PTS) und das Nervus-interosseus-anterior-Syndrom (NIA) unterschieden.

Die Ursachen der Kompression sind neben anatomischen Gegebenheiten insbesondere chronische Überlastungen durch forcierte Pro- und Supinationsbewegungen in Beruf oder Sport.

Die Symptome des PTS sind ähnlich dem KTS, es treten aber keine nächtlichen Parästhesien auf. Zusätzlich kann eine Schwäche des Faustschlusses auftreten. Im Vordergrund stehen diffuse Schmerzen in der Ellenbeuge und im beugeseitigen proximalen Unterarm, die gelegentlich von Parästhesien in den radialen Fingern begleitet werden.8

Charakteristische klinische Befunde sind der lokale Druckschmerz über dem N. medianus in der Ellenbeuge und ein positives Hoffmann-Tinel-Zeichen an der vermuteten Kompressionsstelle. Durch das Testverfahren nach Spinner lassen sich die Kompressionsstellen bei auftretenden Schmerzen lokalisieren:6

  1. Pronationsbewegung gegen Widerstand (Pronator teres)

  2. Flexion des Ellenbogens gegen Widerstand (Lacertus fibrosus)

  3. Flexion des Mittelfingers gegen Widerstand (M. flexor digitorum superficialis)

Der N. interosseus anterior ist ein rein motorischer Ast des N. medianus. Er kann durch den M. pronator teres oder den M. flexor digitorum superficialis komprimiert werden. Im Gegensatz zum PTS finden sich beim NIA keine sensiblen Ausfälle. Charakteristisch ist eine Beugeschwäche von Daumen und Zeigefinger im Endgelenk, mit der Unfähigkeit, ein „O“ zu formen. Stattdessen findet sich eine charakteristische Tropfenform (Pinzettengriff). Der Nagel-zu-Nagel-Kontakt fehlt. Differenzialdiagnostisch ist an eine Ruptur der langen Daumenbeugesehne zu denken.8

Ein positiver Scratch-Collapse-Test auf Höhe des Lacertus fibrosus in Kombination mit einer Muskelschwäche des Flexor pollicis longus (FPL), Flexor digitorum profundus (FDP) und des Flexor carpi radialis (FCR) im Seitenvergleich und einem Druckschmerz wird von einigen Autoren als Lacertus-Syndrom beschrieben.11

Die elektroneurografischen Untersuchungen und die Bildgebung sind meist unauffällig und dienen der Verlaufskontrolle und differenzialdiagnostischen Abklärung.

Zur Therapie kann zunächst eine Ruhigstellung in einer Oberarmschiene mit lokaler Kortisoninfiltration versucht werden. Bei persistierenden Beschwerden besteht die Indikation zur Operation.

Kompression des N. ulnaris

Kubitaltunnelsyndrom (Sulcus-ulnaris-Syndrom)

Das Kubitaltunnelsyndrom (KUTS) ist eine Einengung des N. ulnaris auf Höhe des Ellenbogens. Es ist das zweithäufigste Nervenkompressionssyndrom der oberen Extremität. Das KUTS wird anatomisch nicht korrekt auch als Sulcus-nervi-ulnaris-Syndrom bezeichnet, da der Nerv in den meisten Fällen nicht an der Ulnarisrinne, sondern im Kubitaltunnel komprimiert ist. Das Dach des Kubitaltunnels wird vom Retinakulum zwischen medialem Epicondylus und Olekranon gebildet („Osborne-Ligament“), dessen Anspannung bei Beugung zu einer Druckerhöhung führt.12,13 Die Ursachen sind vielfältig und können sowohl degenerativ als auch traumatisch bedingt sein. Zur Einengung des Nervs kann es beispielsweise durch Faszien, Muskeln, knöcherne Veränderungen nach Verletzungen, Tumoren wie Ganglien, Lipome etc. kommen.

Die Symptome können akut auftreten als Sensibilitätsminderung am Kleinfinger, an der Ulnarseite des Ringfingers und an der ulnaren Handkante sowie als ziehende Schmerzen vom Ellenbogen zum Unterarm. Eine Schwäche und motorische Ausfälle der Hand sind spätere Symptome. Im fortgeschrittenen Stadium sieht man eine Atrophie der ulnarisversorgten Handmuskeln mit einer Krallenstellung des Ring- und Kleinfingers.14

Bei der klinischen Untersuchung ist das Hoffmann-Tinel-Zeichen häufig positiv. Teilweise steht der Kleinfinger leicht abduziert (Wartenberg-Zeichen). Durch die Schwächung des M. adducor pollicis ist es dem Patienten nicht möglich, den Daumen fest an den Zeigefinger zu adduzieren (Froment-Zeichen). Dies wird durch die Endgliedbeugung des Daumens durch den M. flexor pollicis longus kompensiert, der durch den N. medianus innerviert wird.6

Bildgebende Verfahren können zur Darstellung von knöchernen Veränderungen, vor allem nach Traumata, und zum Ausschluss tumoröser oder anderweitiger Veränderungen durchgeführt werden. Die häufigsten Differenzialdiagnosen sind die akute Druckparese des N. ulnaris am Ellenbogen nach längerem Auflegen oder Aufstützen sowie radikuläre C8- beziehungsweise Th1-Irritationen/-Läsionen.3

Die Behandlung kann in leichten Fällen konservativ erfolgen (Verhaltensänderung, nächtliche Armschiene). Für die operative Behandlung stehen mehrere Verfahren zur Verfügung (Tab.3).3,15,16

Tab. 3: Operative Techniken beim Kubitaltunnelsyndrom

Loge-de-Guyon-Syndrom

Der N. ulnaris zieht gemeinsam mit der A.ulnaris durch die Loge de Guyon am Handgelenk. Diese liegt auf dem Retinaculum flexorum und erstreckt sich vom Os pisiforme bis zum Hamulus ossis hamati.

Die häufigste Ursache dieser distalen N.-ulnaris-Schädigung ist ein Ganglion oder Lipom, häufig ist auch eine externe Druckläsion z.B. bei Radsportlern („Radfahrerlähmung“) oder Mechanikern.6

Die Symptome entsprechen im Wesentlichen denen beim KUTS. Die Patienten klagen meist über Schmerzen in Kombination mit Parästhesien des Klein- und Ringfingers und des Hypothenars, die Sensibilität am Handrücken ist jedoch intakt. In fortgeschrittenen Fällen treten Schwäche und Ungeschicklichkeiten der Hand auf.17

Die Diagnose wird mit klinischer und elektrophysiologischer Untersuchung gestellt. Die Therapie erfolgt konservativ, bei anhaltenden Beschwerden ohne klinische und elektroneurografische Besserung ist eine Operation indiziert.8,18

Kompression des N. radialis

Nervus-interosseus-posterior-Syndrom (Supinatorlogen-Syndrom)

Der N. radialis teilt sich knapp distal des Ellenbogengelenks in einen sensiblen R. superficialis und einen motorischen R. profundus auf. Beim Nervus-interosseus-posterior-Syndrom (NIP) handelt es sich um eine Einengung des R. profundus im proximalen Unterarmdrittel beim Eintritt in die Supinatorloge. Die typische Kompressionsstelle ist die Frohse-Arkade, der bindegewebige obere Rand des M. supinator. Weitere Ursachen können raumfordernde Prozesse wie Lipome oder Ganglien sein.8

Beim NIP liegt ein ausschließlich motorisches Lähmungsbild ohne Sensibilitätsausfälle vor. Das Handgelenk kann zwar noch gestreckt werden, eine Streckung in den Grundgelenken der Finger ist jedoch nicht mehr möglich (Fallfinger).

Die Kompression kann sich in zwei unterschiedlichen klinischen Bildern äußern, die im angelsächsischen Sprachraum als eigenständige Symptome dargestellt werden. Beim ersten dominieren Schmerzen („radial tunnel syndrome“), beim zweiten Paresen („PIN syndrome“). Bei beiden fehlen sensible Störungen.19−21

Bei der klinischen Untersuchung werden beim Druck auf die Durchtrittsstelle des R. profundus durch den M. supinator Druckschmerzen ausgelöst. Bei Supination des gestreckten Ellenbogens gegen Widerstand werden Schmerzen ausgelöst, ebenso durch Streckung des Mittelfingers gegen Widerstand bei gestrecktem Handgelenk.6

Differenzialdiagnostisch sind Strecksehnenrupturen sowie radikuläre und spinale Syndrome abzugrenzen. Die wichtigste Differenzialdiagnose beim reinen Schmerzsyndrom ist die Epicondylitis humeri radialis („Tennisellenbogen“).

Bei der rein schmerzhaften Form ist die Therapie zunächst konservativ. Bei chronisch auftretenden Paresen oder raumfordernden Tumoren besteht eine OP-Indikation.3

Cheiralgia paraesthetica (Wartenberg-Syndrom)

Zu einer Kompression des Nervs kann es auch beim Durchbruch des R. superficialis des N. radialis durch die Unterarmfaszie ca. 8–10cm proximal des Handgelenks kommen. Davon abzugrenzen sind die häufigeren Druckläsionen des Nervs über dem distalen Radius.6

Die Ursachen können extern sein (Uhren, Armbänder), aber auch traumatisch (distale Radiusfraktur), auch Ganglien oder Lipome kommen als Ursache infrage. Im Vordergrund stehen Schmerzen und Parästhesien am radialen Handrücken und am Daumen. Die Sensibilität kann vermindert, das Hoffmann-Tinel-Zeichen positiv sein.22

Mit konservativer Therapie ist meist eine Besserung möglich. Eine operative Dekompression ist bei anhaltenden Symptomen, Druckschmerz, positivem Hoffmann-Tinel-Zeichen und elektroneurografischem Nachweis indiziert.23

1 Ibrahim I et al.: Carpal tunnel syndrome: a review of the recent literature. Open Orthop J 2012; 6: 69-76 2 Geoghegan JM et al.: Risk factors in carpal tunnel syndrome. J Hand Surg Br 2004; 29: 315-20 3 Assmus H et al.: Carpal and cubital tunnel and other, rarer nerve compression syndromes. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 14-25 4 Cranford CS et al.: Carpal tunnel syndrome. J Am Acad Orthop Surg 2007; 15: 537-48 5 Ghasemi-Rad M et al.: A handy review of carpal tunnel syndrome: From anatomy to diagnosis and treatment. World J Radiol 2014; 6: 284-300 6 Al-Malat TH et al.: Klinische Untersuchung der Hand. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2019; 14: 23-39 7 Cheng CJ et al.: Scratch collapse test for evaluation of carpal and cubital tunnel syndrome. J Hand Surg Am 2008; 33: 1518-24 8 Assmus H, Martini AK: Nerve compression syndromes of the upper extremity. Z Orthop Unfall 2010; 148: 595-610 9 Huisstede BM et al.: Carpal tunnel syndrome. Part II: effectiveness of surgical treatments--a systematic review. Arch Phys Med Rehabil 2010; 91: 1005-24 10 Scholten RJ et al.: Surgical treatment options for carpal tunnel syndrome. Cochrane Database Syst Rev 2007; 2007(4): CD003905 11 Hagert E: Clinical diagnosis and wide-awake surgical treatment of proximal median nerve entrapment at the elbow: a prospective study. Hand (N Y) 2013; 8: 41-6 12 Palmer BA, Hughes TB: Cubital tunnel syndrome. J Hand Surg Am 2010; 35: 153-63 13 Elhassan B, Steinmann SP: Entrapment neuropathy of the ulnar nerve. J Am Acad Orthop Surg 2007; 15: 672-81 14 Unglaub FH et al.: Das Kubitaltunnelsyndrom: Diagnostik und Therapieoptionen. Handchirurgie Scan 2017; 06: 71-82 15 Caliandro P et al.: Treatment for ulnar neuropathy at the elbow. Cochrane Database Syst Rev 2016; 11: CD006839 16 Soltani AM et al.: Trends in the surgical treatment of cubital tunnel syndrome: an analysis of the national survey of ambulatory surgery database. J Hand Surg Am 2013; 38: 1551-6 17 Chen SH, Tsai TM: Ulnar tunnel syndrome. J Hand Surg Am 2014; 39: 571-9 18 Earp BE et al.: Ulnar nerve entrapment at the wrist. J Am Acad Orthop Surg 2014; 22: 699-706 19 Huisstede B et al.: Interventions for treating the radial tunnel syndrome: a systematic review of observational studies. J Hand Surg Am 2008; 33: 72-8 20 Borisch NH: Nervenkompressionssyndrome der oberen Extremität. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 1996; 72: 336-41 21 Levina Y, Dantuluri PK: Radial tunnel syndrome. Curr Rev Musculoskelet Med 2021; 14: 205-13 22 Sharrak S, Das JM: Hand nerve compression syndromes. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing, 2022 23 Spies CK et al.: Surgical decompression of the superficial radial nerve: Wartenberg syndrome. Oper Orthop Traumatol 2016; 28: 145-52

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