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Implantat-assoziierte Allergie

Mythos oder Wahrheit?

<p class="article-intro">Unter der Schirmherrschaft des Orthopädischen Krankenhauses Gersthof fand im September 2014 erstmals in Österreich ein Symposium zum Thema „Implantat-assoziierte Allergie“ statt. Namhafte Experten aus dem deutschsprachigen Raum wurden als Referenten zu diesem Thema in das Parkhotel Schönbrunn, Wien, geladen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Grundlagenforschung</h2> <p>Prof. Dr. Peter Pietschmann vom Institut f&uuml;r Pathophysiologie und Allergieforschung der Medizinischen Universit&auml;t Wien referierte &uuml;ber die Allergie aus pathophysiologischer und immunologischer Sicht. Er wies darauf hin, dass Wien aufgrund der Tatsache, dass Clemens von Pirquet bereits 1906 eine erste Abhandlung &uuml;ber die Allergie verfasst hatte, eine enge Beziehung zu diesem Thema hat. Im Weiteren ging Prof. Pietschmann auf die noch immer g&auml;ngige Klassifikation von Coombs &amp; Gell (1963) in 4 Typen der Allergie ein (Tab. 1).<br /> <br /> Mit Prof. Dr. Peter Thomas konnte ein weiterer Experte f&uuml;r das Symposium gewonnen werden. Der Gr&uuml;nder des Allergomaten und der Metallallergiesprechstunde an der Dermatologischen Klinik der Ludwig Maximilian Universit&auml;t in M&uuml;nchen sowie Mitbegr&uuml;nder des Arbeitskreises Implantatallergie der DGOOC (Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Orthop&auml;die und Orthop&auml;dische Chirurgie) unterstrich die Wichtigkeit des Themas. Neben anschaulichen klinischen Beispielen f&uuml;hrte er m&ouml;gliche Allergene an, die zur klinischen Manifestation einer Metallallergie f&uuml;hren k&ouml;nnen. Er betonte, dass es bis heute ungekl&auml;rt ist, ob es sich bei der Reaktion des Menschen um eine klassische Allergie im Sinne einer Typ-IV-Reaktion (&bdquo;delayed T-cell hypersensitivity&ldquo;/DTH) nach Coombs &amp; Gell handelt. Auf Fragen des Auditoriums hin, welche Diagnostik im Vorfeld einer Endoprothesenimplantation vonn&ouml;ten sei, ging er auf die Empfehlungen des deutschen Arbeitskreises ein. Bei Atopikern (atopisches Ekzem, allergisches Asthma und/oder allergische Rhinokonjunktivitis) sowie Patienten mit einer positiven Anamnese hinsichtlich Metallunvertr&auml;glichkeit, z.B. Ekzemen oder Granulomen im Kontaktbereich von Modeschmuck oder Jeanskn&ouml;pfen, sollte eine Epikutantestung erfolgen. F&uuml;r diese sollten nur reine Materialien und keine Legierungspl&auml;ttchen, wie sie von manchen Herstellern angeboten werden, verwendet werden. Eine prophetische Testung ohne positive Anamnese wird von ihm nicht empfohlen. Zudem kann ein Lymphozytentransformationstest (LTT) durchgef&uuml;hrt werden, wobei er auch die Schwierigkeiten der klinischen Relevanz und damit der Interpretation eines solchen Tests erw&auml;hnte.<br /> <br /> Doz. Dr. Thomas Endler, Labor Endler, Wien, erl&auml;uterte in seinem Vortrag mit dem Titel &bdquo;Was kann die Labormedizin zur Diagnostik der Allergie beitragen?&ldquo; die M&ouml;glichkeiten der modernen Labormedizin. Er verwies darauf, dass die Labormedizin die Klinik lediglich unterst&uuml;tzen und letztendlich nur in Zusammenschau der Befunde eine Diagnostik erfolgen k&ouml;nne. Neben der klassischen Allergiediagnostik, welche in erster Linie die Typ-I-Allergie (Tab. 1; Soforttyp) mit Histamin und Bestimmung der Histamin-abbauenden Enzyme, namhaft der Diaminoxidase (DAO), betrifft, f&uuml;hrte Endler die Marker Tryptase, das ebenfalls aus den Mastzellen ausgesch&uuml;ttet wird, aber im Vergleich zu Histamin wesentlich l&auml;nger nachweisbar ist, und ECP (&bdquo;eosinophil cationic protein&ldquo;) an. Zudem erl&auml;uterte er diverse direkte und indirekte Nachweise von Allergenen mittels &bdquo;radioallergosorbent test&ldquo; (RAST) oder anderer &bdquo;enzyme-linked immunosorbent assays&ldquo; (ELISA). Auch stellte er einen spezifischen LTT namens MELISA&copy; vor.<br /> <br /> Prof. Dr. Claus Muss, Leiter der International Research Group for Applied Preventive Medicine, sprach &uuml;ber m&ouml;gliche toxische Einfl&uuml;sse von Metallen auf den Menschen. In seiner Praxis besch&auml;ftigt sich Prof. Muss im Rahmen der Pr&auml;ventivmedizin seit vielen Jahren mit den toxikologischen Einfl&uuml;ssen von Schwermetallen. In interessanten Fallbeispielen veranschaulichte er lehrreiche F&auml;lle aus der niedergelassenen Praxis.<br /> Prof. Klaus-Dieter K&uuml;hn, Professor f&uuml;r Mikrobiologie in der Orthop&auml;die, Universit&auml;tsklinik f&uuml;r Orthop&auml;die und orthop&auml;dische Chirurgie in Graz, brachte eindr&uuml;cklich Knochenzement und dessen Vor- und Nachteile in Zusammenhang mit Allergie und Infekt. Knochenzement ist heute vor allem als lokaler Antibiotikatr&auml;ger aus der Behandlung periprothetischer Infekte kaum mehr wegzudenken und gerade hier spielt eine m&ouml;gliche Allergie auch eine entscheidende Rolle. Neben vielen dokumentierten potenziellen Allergenen des Knochenzements sind es vor allem Antibiotika, die tats&auml;chlich zu einer Allergie beitragen k&ouml;nnten. So konnte in mehreren Arbeiten gezeigt werden, dass eine Sensibilisierung gegen&uuml;ber Gentamicin, welches vielfach in Zement zur Anwendung kommt, in bis zu 18 % besteht. Andere Substanzen, wie z.B. Benzoylperoxid (BPO) als Startersubstanz und Hydrochinon als Stabilisator, d&uuml;rften aufgrund ihrer Kurzlebigkeit und durch den fast vollst&auml;ndigen Verbrauch in der Polymerisation, laut Prof. K&uuml;hn, keine Rolle spielen, obwohl auch gegen&uuml;ber diesen Substanzen eine Sensibilisierung in der Literatur beschrieben ist. In F&auml;llen von nachgewiesener BPO-&Uuml;berempfindlichkeit empfiehlt K&uuml;hn einen Zement mit Dimethyl-p-Toluidin-&Uuml;berschuss zu verwenden, der im Rahmen der Polymerisation mit BPO reagiert, um so etwaige Diskussionen &uuml;ber den Verbleib der Substanz zu vermeiden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Ortho_1501_Weblinks_Seite21_1.jpg" alt="" width="1000" height="388" /></p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Prof. Veit Krenn, Gesch&auml;ftsleiter der Pathologie des medizinischen Versorgungszentrums f&uuml;r Histologie, Zytologie und molekulare Diagnostik in Trier, erl&auml;uterte seine von ihm und Mitarbeitern publizierte SLIM-Klassifikation (&bdquo;synovial-like interface mebrane&ldquo;). Diese erm&ouml;glicht, durch eine klare histopathologische Zuordnung mittels Score eine Einteilung in 4 Typen vorzunehmen (Morawietz et al 2004, Krenn et al 2014; Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Ortho_1501_Weblinks_Seite21_2.jpg" alt="" width="648" height="197" /></p> <p><br /> Anhand dieser Einteilung kann das Vorliegen eines Infekts oder einer Allergie erh&auml;rtet werden. &Auml;hnlich wie Doz. Endler verwies auch Krenn darauf, dass diese nur in Zusammenhang mit der Klinik zu deuten ist. Er w&uuml;rde auch keine direkten Empfehlungen bez&uuml;glich einer Wechseloperation in Abh&auml;ngigkeit dieser Klassifikation abgeben. In der Frage einer Endoprothesen-assoziierten Arthrofibrose kann eine immunhistochemische F&auml;rbung auf Beta-Catenin 20 weiteren Aufschluss geben. Gerade in der Unterscheidung zum Low-grade-Infekt, welche immer noch die wichtigste Differenzialdiagnose zur Allergie darstellt, kann dieser Algorithmus unter Zuhilfenahme des CD15-Focus-Scores ebenfalls viel beitragen. Dieser Oberfl&auml;chenmarker von neutrophilen Granulozyten zeigt eine hohe Korrelation mit der Mikrobiologie (Sensitivit&auml;t 0,89, Spezifit&auml;t 0,88).<br /> Dies best&auml;tigte auch Prof. Andrej Trampuz, Professor f&uuml;r Infektiologie und Leiter des infektiologischen Forschungslabors an der Charit&eacute; in Berlin. In seiner gewohnt &bdquo;ansteckenden&ldquo; Art brachte Prof. Trampuz anhand von interaktiven Fallbeispielen alle M&ouml;glichkeiten der modernen Infektabkl&auml;rung inklusive deren Therapie zur Sprache. Im Hinblick auf die Einteilung der Infekte verwies er auf die von Zimmerli und ihm publizierte Klassifikation (Tab. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Jatros_Ortho_1501_Weblinks_Seite21_1.jpg" alt="" width="1000" height="376" /></p> <p>Er erkl&auml;rte, dass gerade der Low-grade-oder chronische Infekt in der Abkl&auml;rung und dadurch auch in der Differenzialdiagnose problematisch sei. Als Diagnostik der Wahl sieht Trampuz immer noch die Punktion mit Analyse der Leukozytenzahl sowie des relativen Anteils der neutrophilen Granulozyten. Neuere Methoden, wie z.B. das Alpha-Defensin, welches von aktivierten, neutrophilen Granulozyten ausgesch&uuml;ttet wird, wurden nur kurz gestreift, da Trampuz bislang keine wesentliche Verbesserung der Sensitivit&auml;t und Spezifit&auml;t dieser Methode gegen&uuml;ber der Punktion sieht.<br /> Dr. Amir Kamali, Scientific Director bei Smith&amp;Nephew, referierte &uuml;ber unterschiedliche Implantatbeschichtungen respektive Oberfl&auml;chenver&auml;nderungen. Er verwies dabei auf unterschiedliche Methoden der Mehrfachbeschichtung (Multilayer-Beschichtung, z.B. AS &ndash; Allergy Solution der Fa. B. Braun) sowie auf m&ouml;gliche Oberfl&auml;chenver&auml;nderungen (Oberfl&auml;chenkeramisierung von TiNb, Oxinium der Fa. Smith&amp;Nephew). Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Methoden besteht darin, dass es im Falle von Multilayer-Beschichtungen zu Delamination oder Abplatzen von einzelnen Schichten kommen kann, was im Fall der Oberfl&auml;chenver&auml;nderung nicht m&ouml;glich ist. In den letzten Jahren wurde eine Unzahl von technischen Neuerungen auf den Markt gebracht, welche gro&szlig;teils darauf abzielten, den Abrieb und damit die Generation von Partikeln als m&ouml;gliche allergene Substanzen zu minimieren. Bis heute herrscht kein Konsensus &uuml;ber die Wertigkeit dieser Materialien, obwohl diese zumindest in vitro und mittelfristig scheinbar auch in vivo eine deutliche Reduktion des Abriebes bewirken. Die Nachhaltigkeit solcher Implantate gemessen an den bisherigen Standardimplantaten bleibt abzuwarten. Nichtsdestotrotz sind diese Implantate derzeit zumindest bei bekannter &Uuml;berempfindlichkeit gegen Nickel und andere Bestandteile von Kobalt-Chrom-Legierungen ein aussichtsreicher Weg.<br /> Den wissenschaftlichen Abschluss machte Prof. Dr. Vera Stejskal, eine erfahrene Immunologin, die sich in den letzten 10 Jahren mit der Detektion von potenziellen Allergenen auseinandergesetzt hat. Im Zuge ihrer langj&auml;hrigen T&auml;tigkeit als Immunologin bei AstraZeneca und auch an der Karolinska-Universit&auml;t in Stockholm hat sie an der Entwicklung eines dualen LTT gearbeitet. Der von ihr entwickelte Test MELISA&copy; vermag einerseits, wie herk&ouml;mmliche LTTs, einen Stimulationsindex (SI) anzugeben, und andererseits eine morphologische (mikroskopische) &Uuml;berpr&uuml;fung der Lymphozyten durchzuf&uuml;hren. Er nimmt somit eine Schl&uuml;sselstelle in der Verkn&uuml;pfung des herk&ouml;mmlichen LTT mit der Effektorzellpr&uuml;fung ein.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Ob es eine Allergie im eigentlichen Sinne gibt, kann letztlich nicht beantwortet werden. Sollte es eine Reaktion dieser Art geben, handelt es sich h&ouml;chstwahrscheinlich um eine Typ-IV(DTH)-Reaktion nach Coombs &amp; Gell. Welche Zelle als die antigenpr&auml;sentierende Zelle fungiert, bleibt ebenso unklar. F&uuml;r den Bereich der Haut ist diese Frage gekl&auml;rt. Demnach muss auch die Wertigkeit des Epikutantests, der in unseren Breiten noch immer den Goldstandard darstellt, zumindest kritisch hinterfragt werden. F&uuml;r Titan, das im menschlichen K&ouml;rper durch rasche Oxidation ausschlie&szlig;lich als Titandioxid vorkommt, ist eine Proteinbindung faktisch nicht m&ouml;glich und demnach eine Wirkung als Hapten, welches durch Proteinbindung letztendlich zum Allergen werden k&ouml;nnte, nicht wahrscheinlich. Dennoch scheint auch Titandioxid eine Reaktion auszul&ouml;sen. Auf welchem Weg dieses die T-Zellen zu stimulieren vermag, bleibt allerdings unklar.<br /> Viele Fragen bleiben unbeantwortet, doch war es wichtig, diese einmal zu stellen. Zu guter Letzt gilt unser spezieller Dank den hervorragenden Referenten und Vorsitzenden, die dieses Meeting zu einem f&uuml;r uns unvergesslichen Erlebnis gemacht haben. Das Symposium war gut besucht und von spannender Diskussion gepr&auml;gt, und wir hoffen, dass wir dank unserer Sponsoren auch in Zukunft solche Symposien veranstalten k&ouml;nnen.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: Korrespondierender Autor<br/> Orthopädisches Krankenhaus Gersthof<br/> Quelle: Symposium „Implantat-assoziierte Allergie: Mythos oder Wahrheit?“<br/> 26. September 2014, Wien </p>
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