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Motorische Ersatzoperationen durch Sehnentransfers am Unterarm nach Nervenverletzungen der oberen Extremität

Nervenverletzungen der oberen Extremität hinterlassen, trotz des Fortschrittes sowohl in der Unfallverhütung als auch in der Mikrochirurgie, oft sehr schwere Funktionsbeeinträchtigungen, vor allem bei verspätet versorgten oder weit proximalen Läsionen. Motorische Ersatzoperationen können verlorene Funktionen wiederherstellen und die Handfunktion dadurch exorbitant verbessern.

Keypoints

  • Trotz verbesserter mikrochirurgischer Nahttechniken kommt es nach peripheren Nervenverletzungen noch immer zu Defektheilungen mit erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen, langen Rekonvaleszenzzeiten, verzögerter sozialer und beruflicher Reintegration und nicht zuletzt enormen Therapiekosten.

  • Motorische Ersatzoperationen dienen der Wiedererlangung von Muskelfunktionen, die durch Nervenlähmungen oder direkte Muskelzerstörung verloren gegangen sind. Sie können zu einer Wiederherstellung verlorener Nervenfunktionen und damit einer deutlichen Verbesserung der eingeschränkten Handfunktion führen, die Schienenbehandlung und Ausfallzeit können entscheidend verkürzt werden.

  • Spendermuskeln, die präoperativ nicht mindestens gegen Widerstand beweglich sind (Kraftgrad M4), müssen präoperativ durch gezielte Beübungen auftrainiert werden.

  • Stabile Sehnennähte ermöglichen eine frühfunktionelle Mobilisierung, reduzieren Verklebungen und führen zu einer schnelleren Funktionswiederkehr.

Prinzipiell erfolgt bei einer motorischen Ersatzoperation eine Umlagerung der Sehnen intakter Muskeln (Spender) auf die Sehnen gelähmter oder geschädigter Muskeln (Empfänger), um deren verlorene Funktion zu übernehmen.

Ursachen

Nervenschädigungen entstehen an erster Stelle durch traumatische Verletzungen, leider nicht selten auch iatrogen, seltener nichttraumatisch, z.B. nach Infektionen. Ist eine Nervennaht oder -rekonstruktion nicht (mehr) möglich, weil z.B. die motorischen Endorgane nicht mehr reinnervierbar sind (nach etwa 2 Jahren), oder ist die Residualkraft zu schwach, lassen sich ausgefallene Funktionen durch Ersatzoperationen kompensieren.

Indikationsstellung

Funktionsplateau

Allgemein ist eine Ersatzplastik erst indiziert, wenn spontan keine ausreichende Funktion wiedergekehrt ist, eine weitere Regeneration nicht zu erwarten ist und alle Optionen zur Funktionswiederherstellung ausgeschöpft sind.

Genaue Diagnostik

Die Indikation und der Zeitpunkt des Eingriffes (in der Regel etwa 1 Jahr nach der Verletzung) sollten zusammen mit Neurologen festgelegt werden, da genaue Informationen über das Ausmaß des Muskelausfalls, eine mögliche Regeneration (z.B. nach Nervenrekonstruktion) und die intakte Innervation der vorgesehenen Spendermuskeln oder kompensierende anatomische Varianten (z.B. Medianus-Ulnaris-Verbindungen) zur Operationsplanung notwendig sind. Eine ergänzende hochauflösende Ultraschalluntersuchung ermöglicht detaillierte Informationen über Muskeln und Sehnen der Spender und Empfänger, vor allem hinsichtlich Vernarbungen, Innervation und Perfusion. Pathologische Inaktivitätsveränderungen lassen sich sonografisch sehr exakt visualisieren, der gelähmte degenerierte Muskel erscheint weißlich und strukturell ähnlich wie Fettgewebe. Jeder Muskel und jede Sehne kann individuell dynamisch geprüft werden.

Optimale Voraussetzungen

Gelenkskontrakturen sind vor einer motorischen Ersatzoperation entweder durch konservative Maßnahmen (Quengel) oder operative Arthrolysen zu beseitigen. Die Haut- und Narbenverhältnisse müssen so beschaffen sein, dass die verpflanzten oder verlagerten Sehnen gut gleiten können, gegebenenfalls ist hier eine gestielte Nahlappen- oder sogar freie mikrovaskuläre Gewebetransplantation notwendig. Der Eingriff ist auch mit den Physio- und Ergotherapeuten zu planen, denn ohne kompetente Nachbetreuung können alle chirurgischen Bemühungen vergebens sein. Auch müssen eine gute Motivation und Einsichtsfähigkeit des Patienten (vor allem bezüglich der Nachbehandlung) gegeben sein.

Zielsetzungen

Die Priorität auf Höhe des Unterarmes liegt in der Wiederherstellung folgender Funktionen:

  • Handgelenksextension und Handgelenksflexion (auch wichtig für die Stabilisierung des Handgelenks),

  • extrinsische Flexion und Extension der Finger und des Daumens sowie

  • dessen radiale und palmare Abduktion sowie Opposition.

Zu beachten ist, welche Kraftspender man aus der Beuge- oder Streckergruppe verwenden kann, ohne die verbleibende Muskelfunktion zu stark zu schwächen. Die Bewegungs- und auch die Kraftamplitude des „neuen“ Spenders muss auch auf die Antagonisten abgestimmt werden, damit Kräftegleichgewicht und Stabilität erhalten bleiben. Folgende Prinzipien sind dabei zu berücksichtigen:

  • Der „neue“ Kraftspender übernimmt eine „wichtigere“ Funktion als seine bisherige (d.h., er ist verzichtbar).

  • Er verliert mit der Verlagerung meist einen Teil seiner Kraft, es muss aber noch genügend Kraft vorhanden sein, um dem Antagonisten entgegenzuwirken.

  • Seine Bewegungsamplitude soll etwa derjenigen der gelähmten Sehne entsprechen.

  • Wenn möglich sollten als Spender Synergisten und nur ausnahmsweise Antagonisten verwendet werden, da das Umlernen leichter ist.

  • Richtungsänderungen der Kraftspender wirken sich nachteilig aus, weil mehr Verwachsungen entstehen und Kraft verloren geht.

  • Bei Tunnelierung vor Sehnenverlagerungen sollten ausreichend große Öffnungen angelegt werden, um Kompression, Torsion und Adhäsionen zu vermindern.

  • Schlechte subjektive Bewertungen spiegeln oft wirklichkeitsferne Erwartungen mancher Patienten wider, die klare und realistische Informationen und eine detaillierte Aufklärung über die Möglichkeiten und Grenzen dieser Konzepte erfordern.

Zusatzeingriffe

Zu erwähnen sind potenziell sinnvolle Zusatzeingriffe:

  • Verlängerungen der Spendersehnen durch freie Transplantate

  • Tenodesen/Tenotomien oder Sehnenverlängerungen zur Verbesserung der Gelenksfunktionen

  • Arthrodesen/Kapselplastiken zur Gelenkstabilisation

  • Nerventransfers zur etwaigen Augmentation des Spendermuskels

  • neurovaskulär gestielte Hautinsellappen zur Wiederherstellung der Sensibilität

  • Primäre Amputationen haben zwar eine kurze Rehabilitationszeit, sind aber selten funktionsverbessernd – elektive sekundäre Amputationen (bei erfolglosem Rekonstruktionsversuch) und bionische Prothesenversorgung können vor allem bei komplexen Lähmungsbildern eine Option darstellen.

Teamkonzept

Von zentraler Bedeutung ist die Zusammenarbeit in einem Team aus Ärzten, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten, die mit den besonderen Anforderungen nach motorischen Ersatzoperationen bei peripheren oder zentralen Lähmungen vertraut sind.

Prinzipien der Nachbehandlung

Eine kompetente und intensive Physio- und Ergotherapie inklusive Schienenversorgung sind postoperativ unbedingt notwendig. Ziel ist eine frühzeitige Mobilisierung und funktionelle Reintegration in Alltagsaktivitäten. Die Dauer der Rehabilitation liegt bei zumindest drei Monaten, bei vielen Patienten bedarf es jedoch auch einer längeren Therapie.

Komplikationen

Komplikationen sind bei korrekter chirurgischer Technik selten. Allgemeine chirurgische Komplikationen (Hämatom, Infektion, Wundheilungsstörung, Verletzung von Strukturen, postoperative Schmerzsyndrome und Bewegungseinschränkungen etc.) müssen in der Aufklärung besprochen werden. Weitere Komplikationen entstehen meist durch fehlerhafte Planung, wie z.B. die Wahl eines zu schwachen Spenders, dessen Kraftgrad präoperativ überschätzt wurde oder dessen Kontraktionskraft nach Reinnervation oder Fibrose eingeschränkt ist. Wurde z.B. ein Kraftgrad M4 angenommen, war aber nur M3 vorhanden und bei der Transposition ging eine Stufe verloren, so resultiert eine Bewegungsmöglichkeit nur unter Ausschaltung der Schwerkraft (M2), die funktionell wertlos ist.

In der operativen Umsetzung ist v.a. die ungenügende oder übermäßige Spannung eines verlagerten Muskels ein erheblich unterschätztes Problem: Ist der Muskel entweder stark gestreckt oder verkürzt, entfaltet sich durch die ungünstigen Interaktionen zwischen den Myofilamenten sehr viel weniger Zugkraft.

Da auch durch Fehler in der Nachbehandlung, wie Ausreißen oder Überdehnung der Sehnennaht infolge einer unkontrollierten Überlastung, der Therapieerfolg verloren gehen kann, ist hier eine genaue und wiederholte Patientenaufklärung (am besten mit Plan, der die erlaubten Eigenübungen mit Foto zeigt) notwendig.

Das Risiko von Verklebungen von Sehnen oder Muskeln lässt sich durch ein narbenfreies Gleitlager, die Vermeidung von Hautinzisionen genau über dem Verlauf der transponierten Sehne und eine frühzeitige krankengymnastische Mobilisation vermindern. Bei ausbleibender Besserung von adhäsionsbedingten Bewegungseinschränkungen sollte eine Tenolyse erwogen werden, diese führen wir allerdings meist erst frühestens sechs Monate nach der Sehnenverlagerung durch.

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Ausfallsmuster der drei Stammnerven der oberen Extremität.

Tab. 1: Ausfallsmuster der drei Stammnerven der oberen Extremität

Nervus-medianus-Läsion

Man unterscheidet die proximale (hohe) von der distalen (tiefen) Medianuslähmung auf Handgelenksniveau.

Die distale Medianusläsion

Die Beugung im Daumenendgelenk und im Mittel- und Endgelenk des Zeigefingers ist aufgehoben, die Beugung des Mittelfingers geschwächt. Das oft gepredigte Merkbild von der Schwurhand ist irreführend, da es nur bei proximalen Läsionen auftritt. Die Daumenzirkumduktion, eine Kombination aus Retropulsion, radialer Abduktion, palmarer Abduktion, Opposition und Adduktion und Flexion, ist stark beeinträchtigt. Nebenbefundlich findet sich Asensibilität beugeseitig am Zeigefingermittel- und -endglied, an den Beugeseiten des Daumens, Zeigefingers, Mittelfingers und der Radialseite des Ringfingers.

Rekonstruktionsverfahren In der Praxis haben sich folgende Standardtechniken bewährt:

M.-palmaris-longus-Transposition (nach Camitz): Diese schnelle und einfache Methode beeinflusst v.a. die palmare Abduktion des Daumens, sie kann auch mit anderen Sehnentranspositionen zur Daumenopposition kombiniert werden und ist bei fortgeschrittener Medianusparese infolge Karpaltunnelsyndrom indiziert. Die Palmarissehne wird durch einen verlängerten Karpaltunnelzugang dargestellt und mit einem etwa gleich dicken Streifen aus der Palmaraponeurose verlängert. Die Sehnenfixation erfolgt in maximaler palmarer Daumenabduktion, um ausreichend Sehnenlänge für die Naht mit der Sehne des M. abductor pollicis brevis zu gewinnen.

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Abb. 1: Beispiel einer klassischen Sehnenverlagerung zum motorischen Ersatz der Fingerstreckung bei Ausfall des Nervus radialis: Der vom Nervus ulnaris innervierte und verzichtbare Handgelenksbeuger Musculus flexor carpi ulnaris wird als Spender beugeseitig an seinem distalen Ansatz abgetrennt (a), durch einen subkutanen Tunnel nach streckseitig transponiert (b) und hier mit den Sehnen des gelähmten Musculus extensor digitorum (Empfänger) vernäht, sodass er dessen Funktion übernehmen und die Hand besser öffnen kann

Transposition des M. flexor digitorum superficialis IV (nach Royle-Thompson): Diese Technik hat den Vorteil eines isoliert willentlich steuerbaren Spendermuskels mit guter Kraft und Amplitude und langer Sehne. In der Modifikation der Originaltechnik erfolgt die Durchtrennung der Superfizialiszügel des Ringfingers mindestens 1cm proximal ihrer Insertion, um eine Schwanenhalsdeformität zu verhindern. Die Sehne des M. flexor digitorum superficialis wird unter der Sehne des M. flexor carpi ulnaris ulnar, dann durch einen subkutanen Tunnel in Richtung des radialen Daumengrundgelenkes geführt und distal in die Sehne des M. abductor pollicis brevis eingeflochten. Die FCU-Sehne und das Os pisiforme wirken dabei als kraftförderndes Hypomochlion.

Transposition des M. extensor indicis (nach Burkhalter): Dieses Verfahren ist primär bei Ausfall der beugeseitigen Kraftspender indiziert, wie sie durch handgelenksnahe Verletzungen mit N.-medianus-Beteiligung (z.B. suizidale Schnittverletzungen am Handgelenk) eintreten. Mit der Neuinsertion des M. extensor indicis auf der Sehne des M. abductor pollicis brevis ist eine gleichzeitige Rekonstruktion der Abduktion, Pronation und Beugung des Daumengrundgelenks möglich. Nach der Mobilisierung der Sehne des M. extensor indicis wie bei der Umlagerung zur Rekonstruktion der Daumenstreckung erfolgt die distale Abtrennung etwa 2cm weiter distal unter Mitnahme eines Streifens der Aponeurose. Nach Herausziehen der Indicissehne am Handgelenk wird diese um die ulnare Handkante geführt und nach streng subkutaner Tunnelung an der Opponenssehne oder radialseitig am ersten Metacarpale neu inseriert.

Eine weitere Möglichkeit ist die Transposition des M. abductor digiti minimi (nach Huber), die hier allerdings nicht näher betrachtet wird, da es sich um eine Muskelverlagerung auf Handniveau handelt.

Die hohe Medianusläsion

Bei vollständiger hoher Medianuslähmung werden die ulnarisinnervierten Profundussehnen IV/V proximal des Karpalkanals mit den tiefen radialen Beugern gekoppelt, eine einzelne unabhängige Fingerbeugung ist dann nicht möglich. Alternativ können die Mm. ECRL oder ECRB als Motoren eingeflochten werden. Zur Rekonstruktion der Opposition kann im Gegensatz zur distalen Medianuslähmung nicht der gelähmte FDS IV, sondern es muss ein Strecker (EI, EDM, EPB oder ECRL) verwendet werden. Diese werden um die ulnare Unterarmkante geführt, der ECRL muss mittels Sehnentransplantat verlängert werden.

Zur Stabilisierung des häufig lähmungsbedingt hypermobilen Daumengrundgelenks wird die transponierte Sehne gespalten und distal am Metacarpale-Kopf und an der Basis des Daumengrundglieds transossär befestigt oder in die EPL-Sehne oder den APB-Ansatz eingeflochten.

Zur Rekonstruktion der Daumenbeugung wird meist der M. brachioradialis als Kraftspender verwendet, der dem FPL direkt anliegt und nach ausgiebiger proximaler Freilegung (die Exkursion ist sonst auf nur etwa 1,5cm begrenzt) in Amplitude und Verlaufsrichtung nahezu gleich ist.

Die Unterarm-Umwendung ist bei Parese von M. pronator teres und M. pronator quadratus selten vollständig aufgehoben, da die Mm. brachialis, FDP und ECU eine Restpronation aufrechterhalten. Besteht jedoch ein vollständiger Ausfall, können wichtige Funktionen wie Schreiben, Tastaturbedienen oder Essen kaum mehr ausgeführt werden. Hier kann eine Rekonstruktion der Pronation durch Bizeps-Rerouting (Umlagerung verändert Funktion von Supination in Pronation) erfolgen.

Nervus-radialis-Läsion

Durch eine komplette Radialislähmung (Axilla- oder Oberarmniveau) geht die Streckung des Ellenbogens, Handgelenks und Daumens verloren, einschließlich dessen Radialabduktion. Zudem führt sie zum Extensionsverlust der Fingergrundglieder. Von der etwas distal gelegenen Schädigungshöhe (distales Oberarmniveau) mit komplettem Ausfall der Handgelenkstreckung (komplette Fallhand) unterscheidet sich die periphere Lähmung des Ramus profundus (N. interosseus posterior) mit Ausfall der Daumen- und Fingerstreckung und geschwächter Handgelenksstreckung bei erhaltener ECRL-Funktion (inkomplette Fallhand).

Rekonstruktionsverfahren
Wiederherstellung der Handgelenksstreckung

Bestandteil aller modernen Radialisersatz-Verfahren ist die von Jones 1916 vorgeschlagene Transposition des M. pronator teres auf den Musculus ECRB. Dieser wird dem ECRL vorgezogen, weil er am 3. Mittelhandknochen und nicht wie der ECRL am 2. Mittelhandknochen ansetzt. Dadurch resultiert eine „saubere“ Handgelenksstreckung ohne Radialdeviation. Zur Erlangung einer ausreichenden Länge wird die kurze Spender-Ansatzsehne mit 4cm Perioststreifen entnommen.

Wiederherstellung der Fingerstreckung

Hier kommen unterschiedliche Spendersehnen zum Einsatz:

Transposition des M. flexor carpi ulnaris: In Europa wird häufig der M. flexor carpi ulnaris eingesetzt. Nachteil ist jedoch, dass dieser als kräftigster ulnarer Stabilisator des Handgelenks („dart throwing motion“, z.B. beim Hämmern) geopfert wird.

Transposition des M. flexor carpi radialis (FCR): Eine gute Alternative bietet der FCR-Transfer, der technisch einfacher ist, den FCU als Hauptstabilisator des Handgelenks bewahrt und sich als Option auch bei NIP-Lähmung anbietet.

Transposition von FDS 3 und/oder 4: Bei Verwendung der oberflächlichen Beugesehnen 3 oder 4 für die Wiederherstellung der Finger- und Daumenextension (Boyes-Transfer) entspricht die Gleitamplitude der oberflächlichen Beuger nahezu ideal der Gleitamplitude der Fingerstrecker. Bei dieser Transposition von funktionellen Antagonisten ist eine Koordination der neuen Bewegung schwieriger zu erlernen. Vorteil ist die Möglichkeit einer unabhängigen Bewegung von Daumen und Fingern.

Rekonstruktion von Daumenextension und -abduktion: Um die Abduktion und Streckfunktion des Daumens zu rekonstruieren, wird meist der Palmaris longus (PL) über einem queren Hautschnitt in der Beugefurche des Handgelenks vor dem Karpaltunnel abgetrennt, freigelegt und unter Spannung mit den geschlitzten Sehnen des M. extensor pollicis brevis (EPB) und des M. abductor pollicis longus (APL) am palmaren Rand der Tabatière vernäht.

Vorgehen bei inkompletter Radialis-Parese: Bei isolierter N.-interosseus-posterior-Läsion müssen nur die Finger- und Daumenstreckung wiederhergestellt werden. Sowohl Daumenstreckung als auch Abduktion lassen sich durch alleinige PL-Transposition ersetzen, indem dieser in den aus dem 3. Strecksehnenfach nach subkutan luxierten EPL inseriert wird, wodurch gleichzeitig Extension und Abduktion entstehen.

Ulnaris-Läsion

Da der Nervus ulnaris vorwiegend die intrinsische Handmuskulatur versorgt und am Unterarm nur den Musculus flexor carpi ulnaris sowie den Flexor digitorum profundus vom 4. und 5. Strahl innerviert, sind die Ausfälle auf Unterarmniveau oft nicht im Vordergrund stehend.

Rekonstruktionsverfahren

Rekonstruktion der FDP4/5-Funktion: Bei hohen Ulnarisläsionen besteht zusätzlich zur intrinsischen Parese eine aufgehobene extrinsische Funktion der FDP4/5-Sehnen. Hier ist eine Seit-zu-Seit-Kopplung der beiden Beugesehnen an die FDP3-Sehne das zu empfehlende Verfahren. Eine isolierte Fingerbeugung ist dann nicht mehr möglich. Die FDP2-Sehne sollte für den Erhalt der unabhängigen Funktion des Zeigefingers einzeln belassen werden.

Fazit für die Praxis

  • Nervenverletzungen der oberen Extremität führen meist zu schweren Funktionsbeeinträchtigungen. Betroffen sind überwiegend aktive Erwachsene, sodass neben der individuellen Behinderung auch die sozioökonomischen Auswirkungen beachtlich sind.

  • Die chirurgische Funktionsverbesserung der oberen Extremität durch motorische Ersatzoperationen ist ein sicheres und zuverlässiges Konzept.

  • Die Indikationen können nach dem Lähmungsausmaß und nach der Anzahl der zur Transposition geeigneten Muskeln sowie den individuellen Anforderungen des Patienten bestimmt werden.

  • Absolut notwendig sind exzellente Kenntnisse der funktionellen Anatomie der oberen Extremität und ausreichend Erfahrung mit der handchirurgisch anspruchsvollen Eingriffstechnik.

  • Es handelt sich um eine hochspezialisierte Form der Chirurgie, die große Erfahrung und eine Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen im Behandlungsteam erfordert – definitiv nicht um eine Anfängeroperation!

  • Jedem Patienten mit ausgefallenen Muskelfunktionen sollte daher nach einer eingehenden Untersuchung diese Therapieform angeboten werden.

  • Bei Beachtung eines Behandlungskonzepts, das eine genaue präoperative Planung, sorgfältige intraoperative Technik als auch eine intensive Physio- und Ergotherapie beinhaltet, können in mehr als 80% der Fälle positive Ergebnisse erzielt werden, auch wenn es nicht möglich ist, eine „normale“ Hand zu schaffen.

  • Auch bei älteren Patienten und selbst nach Jahrzehnten ist noch ein erheblicher Funktionsgewinn möglich.

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