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Osteologische Notfälle

Krebs und Östrogenmangel: die größten Gefahren für den Knochen

<p class="article-intro">Bei seltenen Erkrankungen wie dem Turner-Syndrom wird der große Einfluss des Östrogens auf den Knochen besonders deutlich. Daneben ist es aber vor allem der Krebs, der den Knochen bricht. Bei der Behandlung von Knochenmetastasen spielt die unterschiedliche Tumorbiologie eine große Rolle. Minimal invasive Verfahren werden an Bedeutung zunehmen, die postoperative Radiatio behält ihren Stellenwert im „Konzert der Behandlungen“.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Sch&auml;tzungsweise geht man in Deutschland von 80.000 bis 90.000 Patienten aus, die aufgrund einer Knochenmetastasierung behandlungsbed&uuml;rftig sind. Auf &Ouml;sterreich umgelegt, w&auml;ren das etwa 9.000 Krebspatienten. Ob eine Patientin mit multiplem, metastasierendem Mammakarzinom, das mit Schmerzen im R&uuml;cken oder im gesamten Skelettsystem einhergeht, oder ein Patient mit einem Nierenzellkarzinom, der eine Strahlentherapie hinter sich hat: Gemein ist ihnen ein hohes Ma&szlig; an Frakturgef&auml;hrdung.</p> <p>Unterschiedliche Tumoren erfordern unterschiedliche Behandlungsans&auml;tze. Krebspatienten durchlaufen in einem modernen interdisziplin&auml;ren und multimodalen &bdquo;Konzert der Behandlungen&ldquo; zahlreiche Therapien: Nuklearmedizin, Samarium-153, Strontium-89, Radiojod, Strahlentherapie, operative Therapie, Immuntherapie, Orthesenbehandlung, Schmerztherapie, Hormontherapie, Bisphosphonate/Denosumab, Chemotherapie oder Angiogenesehemmer. Vorrangiges Ziel der Behandlung ist die Optimierung der Lebensqualit&auml;t, wobei f&uuml;r die (kurative) Tumorkontrolle f&uuml;r bestimmte (solit&auml;re) Tumoren oder einzelne Metastasen im Skelettsystem immer mehr der Lokaltherapeut gefordert ist. Es gilt zwar nach wie vor der Grundsatz: &bdquo;Kill the tumor first&ldquo;, dar&uuml;ber hinaus m&uuml;ssen aber weitere Fragen beantwortet werden: Wie kann die Behandlung nicht vertebraler und vertebraler Knochenmetastasen bzw. Frakturen aussehen? Wann und wo wird operiert, und welche Rolle spielt die Strahlentherapie in den verschiedenen Stadien?</p> <h2>Chirurgie: Was wird wann operiert?</h2> <p>Um zu wissen, welcher Tumor den Knochen zerst&ouml;rt, gilt es, die Diagnose histologisch abzusichern, denn ein Nierenzellkarzinom ist anders zu behandeln als etwa ein Lymphom. Vorrangiges (Operations-)Ziel ist es, die Stabilit&auml;t zu erhalten bzw. herzustellen, Schmerzen zu lindern und die Funktion zu erhalten. Unerl&auml;sslich ist ein Eingriff bei einer pathologischen Fraktur oder schmerzhaften Metastase, die mit Strahlentherapie oder entsprechender Schmerztherapie nicht in den Griff zu bekommen ist. &bdquo;Viele Daten weisen darauf hin, dass man zumindest bei einigen Tumoren das Survival erh&ouml;ht, wenn man auch das negative Outcome, das durch die Interaktion von Knochen und Tumor entsteht, verbessert&ldquo;, erkl&auml;rte Prof. Dr. Andreas Kurth, Zentrum f&uuml;r Orthop&auml;die und Rheumatologie am Fachkrankenhaus Ratingen, Deutschland. Zur Erleichterung der Pflege sind solche Interventionen auch noch in den letzten Wochen sinnvoll und notwendig.<br /> Bei Frakturgef&auml;hrdung sollte eine Operation erwogen werden. Aber welcher Knochen ist frakturgef&auml;hrdet? Die Einsch&auml;tzung, ob etwa eine Osteolyse eventuell zu Frakturen f&uuml;hren kann, kann mithilfe von Scores (z.B. Mirels Scoring System) erfolgen. Die Einteilung (&bdquo;site&ldquo;, &bdquo;pain&ldquo;, &bdquo;lesion&ldquo;, &bdquo;size&ldquo;) wird jeweils in 3 Graden (1&ndash;3) bewertet. Bei einem Score &gt;7 sollte operiert werden.<sup>1</sup> &bdquo;Aber solche Scores sind kaum in Verwendung, weil sie f&uuml;r die t&auml;gliche Entscheidung nicht ad&auml;quat sind&ldquo;, so Kurth.</p> <h2>Save, short and simple</h2> <p>Tumoren mit weiten Resektionsr&auml;ndern k&ouml;nnen wie prim&auml;re Knochensarkome operiert werden, die Patienten sollten daf&uuml;r an ein Sarkomzentrum &uuml;berwiesen werden, ebenso Patienten mit solit&auml;ren Metastasen und Patienten mit guter Prognose, mit pathologischer Fraktur oder drohender Fraktur bei langen R&ouml;hrenknochen. Da die Patienten teilweise eine &uuml;berschaubare Lebenserwartung haben, sollte eine Operation sicher sein, schnell gehen und m&ouml;glichst einfach sein (keine gro&szlig;en Verfahren wie in der Sarkomchirurgie). Das Ziel ist die Entfernung aller Bereiche der L&auml;sion, die Biologie des Knochens bzw. eine Konstruktion muss eine Vollbelastung erm&ouml;glichen.<sup>2</sup> Die erwartete Lebensdauer sollte h&ouml;her sein als die postoperative Erholungsphase, als gr&ouml;&szlig;ter Risikofaktor f&uuml;r das Versagen einer OP gilt die &Uuml;berlebenszeit.<sup>3</sup></p> <h2>Minimal invasiv: Vertebroplastie und Kyphoplastie</h2> <p>Bei den vertebralen Metastasen ist die Problemlage &auml;hnlich wie bei den nicht vertebralen Metastasen. Die Behandlungsm&ouml;glichkeiten reichen von der kompletten Entfernung einer solit&auml;ren Metastase bis zur Stabilisierung von weichen Knochen durch Augmentation. Ein minimal invasives Operationsverfahren zur Behandlung von (osteoporotischen) Wirbelk&ouml;rperfrakturen ist die Vertebroplastie. Es kommt bei andauernden, durch Medikamente nicht kontrollierbaren Schmerzen zur Anwendung. Vermehrt eingesetzt wird es in der Krebstherapie im Bereich des Wirbelk&ouml;rpers, der durch Metastasen besch&auml;digt und instabil geworden ist.Bei der Kyphoplastie handelt es sich um ein weiteres minimal invasives Verfahren zur Therapie von Wirbelfrakturen der mittleren und unteren Brust- und Lendenwirbels&auml;ule. Die Ballonkyphoplastie ist eine substanzzerst&ouml;rende, die Radiofrequenzkyphoplastie eine substanzerhaltende Technik. Beide Methoden dienen haupts&auml;chlich zur Stabilisierung von Wirbelk&ouml;rperfrakturen bei Osteoporose- und Tumorpatienten. Klassische Osteoporosemedikamente (wie z.B. Bisphosphonate) k&ouml;nnen daneben weiter zum Einsatz kommen.<br /> Die randomisierte und prospektive CAFE(Cancer Patient Fracture)-Studie<sup>4</sup>, im Lancet publiziert, stellte einen Vergleich von operierten (Kyphon/Medtronic) mit nicht operierten Patienten an. Der in den Tumor implantierte und mit Zement aufgef&uuml;llte Ballon brachte eine signifikante Schmerzreduktion. Die Evidenz zeigt aber auch, dass die operierten Patienten nach einem Jahr doppelt so h&auml;ufig versterben wie jene, die nicht operiert wurden. &bdquo;Anders ausgedr&uuml;ckt: Der Patient hat zwar nach einer Woche deutlich weniger Schmerzen, hat aber nur eine 50-prozentige Chance, nach einem Jahr noch zu leben&ldquo;, so Kurth.</p> <h2>Gyn&auml;kologie: &bdquo;It&rsquo;s all about estrogens&ldquo;</h2> <p>Das &Ouml;strogen wirkt &uuml;ber Osteoklasten, Osteoblasten und Osteozyten auf den Knochen ein und beeinflusst so Knochendichte, Knochenstruktur und Knochenqualit&auml;t. Verst&auml;rkt wird der negative Effekt eines &Ouml;strogenabfalls durch andere Faktoren, wie etwa den generellen R&uuml;ckgang der Muskelmasse.<br /> Anhand des Turner-Syndroms (Monosomie X) l&auml;sst sich der Einfluss des &Ouml;strogens gut ablesen. Bei dieser seltenen Erkrankung handelt es sich um eine gonosomale Monosomie, bei der anstelle von zwei Geschlechtschromosomen (XX oder XY) nur ein funktionsf&auml;higes X-Chromosom in den K&ouml;rperzellen vorhanden ist. Der Funktionsverlust des zweiten X-Chromosoms ist mit einer deutlichen Verminderung der gonadalen Funktion verbunden. Prim&auml;re Amenorrh&ouml; tritt meist, aber nicht immer w&auml;hrend der Adoleszenz auf. Im Erwachsenenalter kommt es zu Infertilit&auml;t und gr&ouml;&szlig;erem Osteoporoserisiko. Weiters k&ouml;nnen kardiovaskul&auml;re Komplikationen, Nierenkrankheit, Otitis media, Hyperthyreoidismus, Bluthochdruck, Dyslipid&auml;mie, Diabetes oder Neoplasien der Gonaden hinzukommen.<sup>5</sup> &bdquo;Diese Patientinnen ben&ouml;tigen einen multidisziplin&auml;ren Ansatz&ldquo;, erkl&auml;rt Prof. Dr. Georg Pfeiler, Universit&auml;t f&uuml;r Frauenheilkunde, Wien.<br /> Die Knochen zeigen beim Turner-Syndrom eine reduzierte Dichte, ein etwa 2,5-fach erh&ouml;htes Risiko f&uuml;r Frakturen sowie eine verminderte Knochenqualit&auml;t. Die Knochendichte wird anhand der Fl&auml;chenknochendichtemessung oftmals als zu gering beurteilt, da die Gr&ouml;&szlig;e der Patienten, die im Durchschnitt lediglich bei 145cm liegt, unber&uuml;cksichtigt bleibt. Deshalb sollten bei Turner-Patientinnen 0,8 bis 2,4 Punkte zum T-Score dazugerechnet werden. &bdquo;Oft ist die aufgrund der Fl&auml;chenknochendichtemessung diagnostizierte Osteopenie bzw. Osteoporose gar nicht vorhanden&ldquo;, so Pfeiler.<br /> Der Einfluss des &Ouml;strogens ist bei Turner-Patientinnen naturgem&auml;&szlig; gro&szlig;. Es gibt auch Turner-Patientinnen mit spontaner Menstruation, die nicht nur einen h&ouml;heren &Ouml;strogenspiegel, sondern im Endeffekt auch eine gr&ouml;&szlig;ere Knochendichte haben als Patientinnen, die keine spontane Menstruation haben. Patientinnen, die schon fr&uuml;hzeitig (ab einem Alter von 14 Jahren) mit einer &Ouml;strogentherapie begonnen haben, weisen langfristig eine bessere Knochendichte auf als jene, bei denen erst mit 18 oder 19 Jahren die Substitution begonnen wurde.<sup>6</sup> Was die Knochenqualit&auml;t betrifft, ist es vor allem der trabekul&auml;re Knochen, der in seiner Qualit&auml;t und seinem Aufbau Ver&auml;nderungen zeigt.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Mirels H: Clin Orthop 1989; 249: 256-64<br /><strong>2</strong> Wedin R, Bauer HC: J Bone Joint Surg Br 2005; 87(12): 1653-57<br /><strong>3</strong> Wedin R: Acta Orthop Scand Suppl 2001; 72(302): 2p., 1-29<br /><strong>4</strong> Berenson et al: Lancet Oncol 2011; 12(3): 225-35<br /><strong>5</strong> Sakakibara H et al: J Obstet Gynaecol Res 2011; 37(7): 836-42<br /><strong>6</strong> Nakamura T et al: Endocr J 2015; 62(11): 965-70</p> </div> </p>
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