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Komplexes regionales Schmerzsyndrom

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom („complex regional pain syndrom“, CRPS) ist ein altbekanntes Krankheitsbild. Jedoch weisen die Beschwerden eine große Variabilität mit unterschiedlicher Dominanz auf. Daher kann es auch mit anderen Schmerzen Überschneidungen geben und das erschwert die Differenzialdiagnose. ImFolgenden werden Klinik, Diagnostik, Vorstellungen zur Pathogenese und Therapie des CRPS skizziert.

Keypoints

  • Das CRPS ist eine schmerzhafte Erkrankung mit einer Kombination an motorischen, sensiblen und trophischen Symptomen.

  • Es kommt nur distal vor.

  • Die Behandlung soll sehr rasch, abgestuft und immer auch mit Ergo- und Physiotherapie erfolgen.

Definition und Symptomatik

Das CRPS ist eine schmerzhafte Erkrankung mit einer Reihe an motorischen, sensiblen und trophischen Symptomen. Es entwickelt sich meist als Folge eines Traumas an einer distalen Extremität. Die Stärke der Beschwerden steht im Gegensatz zum auslösenden Ereignis.

Nach der Genese wird das CRPS I vom CRPS II unterschieden. Das CPRS II entsteht nach peripheren Nervenläsionen und weist eine Nervenläsion mit neurologischem Defizit auf. Die Klinik entspricht dem CRPS I. CRPS I tritt ohne Befund einer Nervenschädigung auf. Es ist die häufigere Form des Syndroms.

Schmerzen

Die Beschwerden sind distal betont und weisen keine Beschränkung auf Versorgungsgebiete von peripheren Nerven auf („komplexes regionales Schmerzsyndrom“). Im Seitenvergleich ist sehr häufig ein Temperaturunterschied mit Überwärmung oder Unterkühlung zu beobachten.

Folgende Schmerzen sind typisch: Ruheschmerzen (brennend, bohrend, dumpf ziehend), Allodynie, Tiefendruckschmerz (Finger-, Gelenksbewegungen sehr schmerzhaft), Hitze- und/oder Kältehyperalgesie oder auch sensorisches Defizit, Halbseitensymptomatik ähnlich einer Neglect-Symptomatik (als Hinweis auf eine zentralnervöse Pathogenese).

Hochlagerung der betroffenen Extremität lindert die Schmerzen (diagnostische Information).

Ödem

Die Vasomotorik ist deutlich gestört. Besonders im akuten Stadium imponiert ein meist distal betontes Ödem. Die Schmerzen werden durch orthostatische Belastung verstärkt.

Motorische Störungen

Auch motorische Störungen gehören zum CRPS und haben stark beeinträchtigende Konsequenzen. Dazu zählen Kraftverlust, Verlust der Willkürbewegung, Tremor und Koordinationsstörungen.

Hyperhidrose und trophische Änderungen

Trophische Änderungen sind bei genauer Beobachtung im Seitenvergleich zu bemerken und können sowohl verstärkt oder vermindert sein: Störung der Sudomotorik (Hyper- oder Hypohidrose), beschleunigtes Nagel- und Haarwachstum, Haarausfall, dünne, glänzende Haut (Hautatrophie).

Es kommt zur Steigerung des Knochenstoffwechsels mit gelenknaher Osteoporose, Gelenksteifigkeit und – im Spätstadium – Ankylosen.

Diagnostik

Anamnese (spontane Schmerzzunahme ohne plausiblen Grund, sensorische und trophische Symptome) und klinische Untersuchung mit Nachweis von zum Trauma inadäquaten, distal betonten Schmerzen, Allodynie, Ödem, trophischen Störungen, gestörter Schweißsekretion und Bewegungsstörungen tragen zur Diagnosestellung bei. Zur Anwendung kommen klinische Diagnosekriterien nach Rebhorn et al. (siehe Textkasten).1 Zusätzliche diagnostische Methoden können sein: quantitative sensorische Testung (QST), Vigorimeter (Handkraft), Winkelmesser, 3-Phasen-Szintigrafie. Eine diagnostische Sympathikusblockade kann zu einer deutlichen Schmerzreduktion führen, soll jedoch nur in erfahreren Zentrum zur Anwendung kommen.

Vorstellungen zur Pathogenese

Vielfältige periphere und zentrale Prozesse wirken bei der Entstehung und Aufrechterhaltung des CRPS zusammen: Periphere Entzündungsprozesse und Sensibilisierung von Nozizeptoren sowie zentralnervöse Änderungen, die als Neglect-ähnliche Symptome bezeichnet werden, gehören beim CRPS zusammen. Die Körperwahrnehmung ist dabei gestört und motorische Störungen haben zentrale Ursachen. Als chronische Schmerzerkrankung erklärt das biopsychosoziale Modell psychische und Verhaltensänderungen.

Therapie

Das Ziel der Behandlung ist bei Weitem nicht nur die Schmerzreduktion, sondern die Wiederherstellung der Funktionalität der Extremität. Dies gelingt nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen mehreren Berufsgruppen, vor allem Schmerztherapeuten, Physiotherapeuten und bei chronischen Zuständen auch Psychotherapeuten.

Die Therapie soll so früh wie nur möglich beginnen. In Trauma- und Orthopädiezentren wird heute das CRPS sehr früh diagnostiziert und dann sofort erfolgreich mit der umfangreichen Therapie begonnen.

Medikamentöse Therapie

Kortison hat einen hohen Stellenwert im frühen Stadium (z.B. Prednisolon 20– 30mg über bis zu 4 Wochen).

Nichtopioide und Opioide kommen im Akutstadium in Abhängigkeit von der Schmerzreduktion zum Einsatz. Besonders bei Nichtopioiden sollte die tatsächliche Wirksamkeit genau beobachtet werden und im Bedarfsfall sollte auch darauf verzichtet werden. Antikonvulsiva und Antidepressiva werden in Analogie zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt.

Bisphosphonate sind Teil einer intensiven CRPS-Behandlung und werden an unserem Zentrum regelmäßig eingesetzt.

Dimethylsulfoxid (DMSO) wird als Salbe mit 50% topisch aufgetragen.

Aktive Ergo- und Physiotherapie

Eine Ruhigstellung sollte vermieden werden, da die oben genannten Neglect-Phänomene und Bewegungsvermeidungsverhalten die Erkrankung verstärken. Daher ist eine Hinführung zu aktiver, angeleiteter und dann täglich wiederholt selbst durchgeführter Ergo- und Physiotherapie Kern der CRPS-Behandlung. Schmerzverstärkung durch die Behandlung ist heute grundsätzlich erlaubt, jedoch nur bis zum Grad der persönlichen Belastungsgrenze und mit Respekt vor der Akzeptanz durch die Patienten. Eine weitere, aus Sicht unseres Zentrums besonders wichtige Behandlung ist die Spiegeltherapie. Auch hier ist eine Anleitung zum täglichen Selbsttraining wichtig.

Invasive Techniken

Sympathikusblockaden sind Schmerzzentren vorbehalten und sollen zunächst diagnostisch (2–3 Blockaden, nicht mehr!) erfolgen und therapeutisch nur fortgesetzt werden, wenn Schmerzreduktion, Abnahme des Ödems und/oder verbesserte Beweglichkeit resultieren.

Therapierefraktäre Patienten können von einer epiduralen Stimulation („spinal cord stimulation“, SCS) profitieren. Eine Probeanlage der Elektrode sollte erwogen werden, wenn nach drei Monaten Therapie keine deutliche Verbesserung erreicht wurde. Eine Testphase geht einer Implantation voraus und sollte neben der Schmerzbehandlung die Physio- und Ergotherapie und damit die Verbesserung der Funktionalität unterstützen.

Schmerzpsychotherapeutische Behandlung

Eine psychotherapeutische Behandlung wird entsprechend der Krankheitsintensität und Chronifizierung durchgeführt. Das kann von Information und Aufklärung zum Krankheitsbild über Unterstützung der laufenden Behandlungen bis zur Behandlung von Angst, Vermeidung und Depression reichen.



Klinische Diagnosekriterien1

  1. Anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma nicht mehr
    erklärbar ist

  2. Die Patienten müssen über jeweils mindestens 1 Symptom aus 3 der folgenden Kategorien in der Anamnese berichten:

    - Hyperalgesie (Überempfindlichkeit gegenüber Schmerzreizen),
    - „Hyperästhesie“/Allodynie (Überempfindlichkeit gegenüber Berührung)
    - Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe
    - Asymmetrie des lokalen Schwitzens, Ödem reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“ (im Sinne von
    Schwäche), Veränderungen von Haar- oder Nagelwachstum

  3. Bei den Patienten muss jeweils mindestens 1 Symptom aus 2 der folgenden Kategorien zum Zeitpunkt der Untersuchung vorliegen:

    - Hyperalgesie auf spitze Reize (z. B. Zahnstocher), Allodynie, Schmerz bei Druck auf Gelenke/Knochen/Muskeln
    - Asymmetrie der Hauttemperatur, Veränderung der Hautfarbe
    - Asymmetrie des lokalen Schwitzens, Ödem
    - reduzierte Beweglichkeit, Dystonie, Tremor, „Paresen“ (im Sinne von Schwäche), Veränderungen von Haar- oder Nagelwachstum

  4. Eine andere Erkrankung erklärt die Symptomatik nicht hinreichend.

1 Rebhorn C et al.: Komplexes regionales Schmerzsyndrom – ein Update. Schmerz 2022; 36(2): 141-9

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