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2 Jahre als Research Fellow an der Mayo Clinic in Rochester

Ein Erfahrungsbericht aus Klinik und Forschung in den USA.

Bereits im Rahmen meiner Facharztausbildung spielte ich immer wieder mit dem Gedanken, mir für die orthopädisch-traumatologische Forschung ganz bewusst ein bis zwei Jahre Zeit zu nehmen. Nachdem ich diesen Traum ehrlich gesagt bereits fast ad acta gelegt hatte, ergab sich für mich die einzigartige Gelegenheit, einen Forschungsaufenthalt im Biomechanik-Labor der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, antreten zu können. Die konkrete Stelle war im Team von Dr. Peter Amadio, einem erfahrenen Kliniker, erfolgreichen Wissenschaftler und gleichzeitig „Dean of Research“. Nach kurzer Rücksprache mit meiner Familie und der Abteilungsleitung war die Entscheidung für mich klar. Mich nun doch Vollzeit in orthopädisch-traumatologische Forschungsthemen vertiefen zu können, war eine Gelegenheit, die ich nicht ausschlagen konnte und wollte. Schlussendlich bewarb ich mich also ganz offiziell um die Stelle und – nachdem ich die schier unüberwindbar scheinende Menge an Bürokratie erledigt hatte – konnte ich meine Stelle am 1.August 2019 antreten.

Wissenschaftliche Projekte

Das Team rund um Dr. Peter Amadio, Dr. Chuangfeng Chao, den Leiter des Biomechanik-Labors, und Dr. Anne Gingery, die Molekularbiologin im Team, besteht aus zwei administrativen Kräften, zwei veterinärmedizinisch-technischen Assistentinnen („lab technicians“) und 15 Research-Fellows aus den diversesten Herkunftsländern.

Besonders beeindruckt hat mich die „Industrialisierung“ der wissenschaftlichen Prozessabläufe und die damit verbundene massive Entlastung. Die beiden Sekretärinnen kümmern sich dabei nicht nur um Administratives, sondern insbesondere auch um die Manuskripte vom Plagiats-Check bis zur Formatierung und Submission. Diesbezüglich wurden einem schon sehr viele „Kleinigkeiten“ abgenommen. Die beiden veterinärmedizinisch-technischen Assistentinnen kümmern sich um alle Tiere, die in Tierversuchsstudien involviert sind, und machen dort die tägliche Visite und etwaige (Physio-)Therapie der Truthähne, Hunde, Mäuse und Kaninchen, um nur einige zu nennen. Darüber hinaus sind sie auf viele biomechanische Testmaschinen eingeschult und sorgen so u.a. für einen nahtlosen Übergang bzw. Wissenstransfer zwischen „outgoing“ und „incoming“ Fellows.

Durch dieses kompakte Team war eine rasche Einarbeitung und Integration problemlos möglich. Die wöchentlich stattfindenden Lab-Meetings mit allen Teammitgliedern waren eine ideale Möglichkeit für gemeinsames Brainstorming zu laufenden und neuen Projekten. Es war auch extrem konstruktiv, von Kollegen, welche nicht unmittelbar mit dem Projekt befasst waren, Inputs zu bekommen und vice versa.

Vierteljährlich bzw. bei Bedarf standen „One-on-one“-Mitarbeitergespräche am Programm, die zusätzlich zum Fortschritt der Projekte beitrugen. Dabei nahm sich Dr. Amadio immer sehr viel Zeit, um jedes Projekt im Detail durchzugehen und evtl. die Fragestellung oder die Techniken zu konkretisieren. Beeindruckt hat mich hier besonders, wie ein eigentlicher Kliniker von seinen Tätigkeiten so freigespielt werden konnte, dass er sich wirklich voll und ganz für die gegebene Zeit auf das Thema konzentrieren konnte.

Zusätzlich fanden regelmäßige interdisziplinäre Arbeitsgruppentreffen zu fachübergreifenden Projekten statt, wobei mich die besondere Begeisterung aller Beteiligten über den Fortschritt des Projektes jedes Mal zusätzlich motivierte.

Eines der großen Projekte, mit denen ich mich gleich zu Beginn auseinandersetzen durfte, basierte auf dem „Rochester Epidemiology Project“ (www.rochesterproject.org), einer überregionalen Datenbank, die seit 1966 neben den medizinischen Befunden auch die soziodemografischen Informationen zu beinahe allen Bewohnern des ganzen Bezirks Olmsted County sammelt. Derartige Datenbanken bzw. nahezu uneingeschränkte Ressourcen in puncto technischem Support/Statistiker/etc. ermöglichen es einem, ab Tag 1 in große Projekte und spannende Fragestellungen abzutauchen. Gleichzeitig ist es aber genauso wichtig, die Realisierbarkeit und den zeitlichen Rahmen abzustecken, um am Ende nicht nur eine spannende Forschungsfrage beantwortet zu haben, sondern auch mit Publikationen aufwarten zu können.

Darüber hinaus sind auch Anträge an die Ethikkommission bzw. Förderanträge zu schreiben, die in ihrer Bearbeitung sehr zeitaufwendig sind und mir wohl erst am Ende meines Forschungsjahres oder sogar erst meinem Nachfolger zugute kommen werden. Nichtsdestoweniger konzentrierten Dr. Amadio und ich uns auf verschiedene Projekte – dies führte auch dazu, dass ich die Möglichkeit hatte, diese Arbeiten während meines Fellowships auf vielen verschiedenen nationalen und internationalen Kongressen in den USA, in Europa bzw. virtuell zu präsentieren.

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Ob der großartigen Zusammenarbeit vor Ort wird die Kollaboration zwischen Rochester und Wien weiter fortgesetzt: Als Research Collaborator arbeite ich weiterhin mit dem Team der Mayo Clinic an unseren gemeinsamen Projekten. Ich kann persönlich jedem zu einem derartigen Aufenthalt raten, da es einen auf allen Ebenen fordert, aber auch weiterbringt. Insbesondere der Fokus auf die wissenschaftliche Arbeit, die ansonsten im klinischen Alltag immer etwas zu kurz kommt, hat mir wahnsinnig viel Freude bereitet. Natürlich ist das Leben in Rochester völlig anders als in Wien und man vermisst zu Beginn Familie, Freunde und Kollegen. Doch die amerikanische Willkommenskultur machte es mir leicht, mich rasch einzuleben, viele interessante Kollegen kennenzulernen und neue Freundschaften zu schließen.

Fazit

Zusammengefasst dreht sich in Rochester alles um die Medizin und dementsprechend waren diese zwei Jahre arbeitsintensiv und vor allem der beruflichen Entwicklung gewidmet. Diese einmalige Erfahrung möchte ich keinesfalls missen und kann einen derartigen Aufenthalt jedem jungen Kollegen/jeder jungen Kollegin mit wissenschaftlichem Interesse uneingeschränkt weiterempfehlen.

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