<p class="article-intro">Das Innenband zählt zu den am häufigsten verletzten ligamentären Strukturen am Kniegelenk und ist in ca. 40 % aller Kniegelenksverletzungen betroffen. Als Unfallmechanismen können sowohl direkte als auch indirekte Traumata zu isolierten oder kombinierten Innenbandverletzungen führen. Die Therapie der Wahl stellt in den meisten Fällen eine funktionelle Nachbehandlung dar. Spezielle Verletzungsmuster bedürfen allerdings einer operativen Versorgung, um chronische Instabilitäten zu verhindern.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Läsionen von Grad I und II werden primär konservativ und frühfunktionell behandelt.</li> <li>Die Grad-III-Läsion nach Fetto und Marshall mit Instabilität in 0° Flexion geht in 78 % der Fälle mit einer Begleitverletzung einher.</li> <li>Spezielle Verletzungsmuster bedürfen einer akuten operativen Versorgung, um chronische Instabilitäten zu verhindern.</li> <li>Bei chronischer Instabilität ist die Rekonstruktion mittels Sehnentransplantat die Methode erster Wahl.</li> </ul> </div> <h2>Anatomie</h2> <p>Der Innenbandkomplex wird nach Warren und Marshall (1979) in drei Schichten, eine fasziale, eine oberflächliche und eine tiefe, unterteilt. Im anteroposterioren Verlauf verschmelzen diese Schichten teils miteinander und lassen sich nach Robinson et al (2004) in einen vorderen, mittleren und hinteren Abschnitt gliedern (Tab. 1). Zu den drei ligamentären Hauptstrukturen zählen das oberflächliche Innenband (sMCL), das tiefe Innenband (dMCL) und das hintere Schrägband (POL). Das sMCL liegt im oberflächlichen Blatt des mittleren Drittels und hat seinen femoralen Ursprung etwa 3mm proximal und 5mm posterior des Epicondylus medialis. Der tibiale Ansatz lässt sich in eine proximale und eine distale Insertion teilen. Distal erfolgt die Insertion periostal ca. 6cm distal der Gelenkslinie, wohingegen proximal die Fasern knapp unterhalb der Gelenkslinie über das umliegende Weichteilgewebe inserieren. Im tiefen mittleren Anteil liegt das dMCL, welches eine Verdickung der Gelenkskapsel selbst darstellt. Es besitzt sowohl meniskofemorale als auch meniskotibiale Fasern und hat im Gegensatz zum sMCL eine klare Verbindung zum Innenmeniskus. Posteromedial wird die Kapsel (PMC) durch das POL verstärkt, welches zusätzliche Fasern der Semimembranosussehne empfängt. Das POL hat Verbindungen zum Hinterhorn des Innenmeniskus und inseriert an der posteromedialen Tibia. Femoral setzt es etwa 3mm anterior und 1,4mm distal des Tuberculum gastrocnemii an (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1701_Weblinks_s44_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="371" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1701_Weblinks_s44_abb1.jpg" alt="" width="685" height="1166" /></p> <h2>Biomechanik</h2> <p>Die zuvor ausgeführten anatomischen Strukturen stellen die drei statischen Hauptstabilisatoren des Innenbandkomplexes dar. Theoretisch lässt sich der Bandverlauf des sMCL für jedes Kniegelenk individuell anhand der Burmesterkurve (Menschik 1974) rekonstruieren. In vereinfachter Form folgen die Bandansätze dem Verlauf von Kreisbögen, sodass es in keiner Gelenkstellung zu einem Spannungsverlust kommt. Einzelne Bandanteile, insbesondere des POL, liegen jedoch nicht auf der Burmesterkurve und würden ohne den dynamisierenden Effekt des M. semimembranosus in Flexion an Spannung verlieren. Daher wird die posteromediale Gelenksecke auch als Semimembranosus- Eck bezeichnet.<br /> Der primäre Stabilisator gegen Valgusstress ist das sMCL. Das dMCL und POL sind sogenannte sekundäre Stabilisatoren, wobei die Hauptfunktion des POL streckungsnahe als Hemmer der Innenrotation erfolgt. Diese Funktion wird in Kniebeugung zunehmend vom sMCL übernommen, sodass es zwischen den Strukturen zur kontinuierlichen Lastverteilung kommt und das sMCL auch Einfluss auf die Rotationsstabilität hat. Neben der Hemmung von Valgus- und Rotationskräften wird zusätzlich die anteroposteriore Translation je nach Kreuzbandstabilität und Gelenksstellung durch den Innenbandkomplex stabilisiert.<br /> In Anbetracht der detaillierten Datenlage zu den statischen Stabilisatoren rückt der Einfluss der dynamischen Stabilisatoren teils in den Hintergrund. Die Bedeutung der aktiven Stabilisatoren, zu denen die Semitendinosus-, Gracilis-, Semimembranosus- und Quadrizepsmuskulatur zählt, wird aber gerade bei Insuffizienz der statischen Strukturen deutlich (Herbort 2016).</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Die Anamnese gibt bereits erste Hinweise auf Alter, Art und Ausmaß der Verletzung. Typischerweise entstehen MCLVerletzungen im Rahmen von Kontaktsportarten durch direkte Traumata von lateral auf das Standbein. Ein zweiter häufiger Unfallmechanismus liegt bei pivotierenden Sportarten mit indirektem Valgusstress und kombiniertem Rotationsmoment vor.<br /> In der klinischen Untersuchung der akuten Verletzung kann durch Palpation die Lokalisation der Verletzung mit hoher Präzision erfasst werden. Tibiale Druckschmerzen weisen dabei auf eine „Stenerlike lesion“ (Corten 2010) hin. Schmerzen über dem Epicondylus medialis können hingegen differenzialdiagnostisch auch nach Patellaluxation auftreten.<br /> Der Grad der Instabilität wird im Vergleich zur unverletzten Gegenseite mittels Valgusstress bei 0° und 30° flektiertem, außenrotiertem Knie erhoben. Eine vermehrte Aufklappbarkeit in Flexion bei unauffälligem Befund in Streckung spricht primär für eine Läsion des sMCL bei intakten posteromedialen Strukturen. Ein positiver Befund in 0° Flexion wiederum weist auf eine Begleitverletzung des POL und/oder der Kreuzbänder hin. Weitere klinische Tests wie der Dial-Test und die Prüfung der Schublade mit rotiertem Unterschenkel geben Aufschluss über die Rotationsstabilität.<br /> Die Magnetresonanztomografie (MRT) erfolgt als weiterführende Bildgebung je nach Schweregrad des klinischen Befundes. Die Genauigkeit der MRT-Diagnostik liegt in der Darstellung von MCL-Läsionen bei 87 % und in der Interpretation des klinischen Schweregrades bei 65 % . Eine kostengünstige und ubiquitär einsetzbare Alternative stellt die Ultraschalluntersuchung in den Händen des geübten Untersuchers dar. Die gehaltene Röntgenaufnahme und funktionelle Untersuchung mittels Bildwandler dienen zur Objektivierung der medialen Aufklappbarkeit und Abklärung möglicher Begleitverletzungen. Gerade bei chronischen Instabilitäten empfiehlt es sich, eine Achsenfehlstellung mittels Ganzbeinröntgen auszuschließen.</p> <h2>Klassifikation</h2> <p>Eine MCL-Verletzung lässt sich klinisch- anatomisch und radiologisch klassifizieren. Wesentliche Kriterien in der klinischen Beurteilung sind der Druck- und Dehnungsschmerz, das Ausmaß der medialen Aufklappbarkeit und die Art des Bandanschlags. Hughston (1976, 1994) etablierte eine Klassifikation, welche sich zweier Kriterien, des Schweregrades (I– III) und der Laxizität (1+, 2+, 3+), bedient. Grad-I- und -II-Läsionen entsprechen einer stabilen, inkompletten Bandverletzung. Bei der Grad-III-Läsion handelt es sich um eine komplette Ruptur mit Instabilität in 30° Flexion.<br /> Die Einteilung der medialen Laxizität in die Grade 1+, 2+ und 3+ (3–5mm; 6–10mm; >10mm) wurde 1966 von der American Medical Association anhand subjektiver Kriterien beschrieben und ist in Anbetracht rezenter biomechanischer Studien zu diskutieren. LaPrade et al (2009) zeigten, dass eine Ruptur des sMCL in der gehaltenen Röntgenaufnahme bei 20° Flexion zu einer vermehrten medialen Aufklappbarkeit von 3,2mm führt. Bei kompletter Durchtrennung der medialen Strukturen (sMCL, dMCL, POL) kam es zu einer vermehrten Aufklappbarkeit von durchschnittlich 9,8mm im Seitenvergleich.<br /> In einer zweiten Klassifikation (Grad I–III) nach Fetto und Marshall (1978) bedingt die Grad-III-Läsion eine zusätzliche Instabilität in 0° und erfasst somit auch höhergradige Verletzungsmuster mit Beteiligung der posteromedialen Strukturen und/oder Kreuzbänder. Dies hat zur Folge, dass die genannten Klassifikationen nicht zwingend miteinander vergleichbar sind, was in der Interpretation von Studienergebnissen zu Missverständnissen führt (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1701_Weblinks_s44_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="615" /></p> <h2>Therapie</h2> <p><strong>Konservativ</strong><br /> Die Therapie der akuten Grad-I- und -II-Läsion erfolgt in erster Linie konservativ. Im Rahmen der frühfunktionellen Therapie kommen Maßnahmen zur Schmerzreduktion, Schwellungskontrolle, Wiedererlangung der Beweglichkeit und Kräftigung der Muskulatur zur Anwendung. Das Tragen einer Kniegelenksorthese und die Entlastung mittels Unterarmstützkrücken erfolgen je nach Beschwerdebild. Dabei kehren Patienten mit Grad- I-Läsion im Schnitt nach 10 Tagen und Patienten mit Grad-II-Läsion nach 3 bis 4 Wochen zum Sport zurück.<br /> Die Therapie der akuten Grad-III-Läsion wird bis heute kontrovers diskutiert. Diese Tatsache beruht vor allem auf den vorhin genannten inkonsistenten Klassifikationssystemen, inhomogenen Patientenkollektiven und fehlenden Metaanalysen. Der Großteil der Studien zeigt, dass die Rehabilitationszeit nach konservativer Therapie signifikant kürzer ist und die Ergebnisse vergleichbar sind. Dadurch entsteht der Eindruck, dass prinzipiell jede Innenbandverletzung nach 6-wöchiger funktioneller Schienenbehandlung ausheilt. Kannus (1988) zeigte jedoch, dass die Resultate bei medialer Aufklappbarkeit in 0° Flexion (Grad III n. Fetto und Marshall) nicht einheitlich zufriedenstellend sind. Die Ergebnisse waren langfristig sogar signifikant schlechter im Vergleich zur Grad-II-Läsion. Hier wird nochmals auf die hohe Rate an Begleitverletzungen (78 % ) bei vorliegender Instabilität in 0° Flexion verwiesen.<br /><br /> <strong>Operativ</strong><br /> Als OP-Indikation der Akutphase sind Grad-III-Läsionen nach Fetto und Marshall mit Dislokation der Bandstümpfe anzusehen. Gerade im Rahmen multiligamentärer Verletzungen wird von den meisten Autoren eine operative Revision angestrebt. Die Versorgung der MCL-Ruptur in Kombination mit einer vorderen Kreuzbandruptur wird hingegen kontrovers diskutiert. Halinen et al zeigten 2006 in einer prospektiven randomisierten Studie, dass die akute Operation einer Grad-IIILäsion bei gleichzeitiger vorderer Kreuzbandplastik keinen Vorteil erbrachte. Nichtsdestotrotz ist die Empfehlung zur akuten Naht bzw. Refixation spezieller Rissformen einhellig. Dazu zählen die intraartikuläre Einklemmung und „Stenerlike lesion“ des tibialen Ansatzes mit Dislokation des MCL über den Pes anserinus superficialis (Abb. 2).<br /> Im Falle einer irreparablen akuten Ruptur oder symptomatischen chronischen Instabilität ist die mediale Bandrekonstruktion mittels Sehnentransplantat Mittel erster Wahl. Prinzipiell können die Operationsmethoden in anatomische und nicht anatomische Rekonstruktionen sowie nicht anatomische Sehnentransfers klassifiziert werden. LaPrade und Wijdicks beschrieben 2012 eine biomechanisch validierte Zweibündeltechnik, welche die Insertionspunkte anhand von vier Bohrkanälen anatomisch rekonstruiert. Zuvor beschrieben Lind et al (2009) bei 61 Patienten einen Sehnentransfer mittels ipsilateraler Semitendinosussehne. Dabei wird die tibiale Insertion am Pes anserinus superficialis belassen und nach durchgeführter Isometrietestung mit jeweils einer Interferenzschraube femoral und einer zweiten an der posteromedialen Tibia fixiert. In Anbetracht der relativ geringen Fallzahlen und inhomogenen Patientengruppen ist derzeit jedoch unklar, ob die technisch aufwendigere Methode nach LaPrade im klinischen Ergebnis dem nicht anatomischen Sehnentransfer überlegen ist.<br /> Der Trend hin zu minimal invasiven, anatomischen Operationsmethoden wird auch in der Versorgung des MCL an Bedeutung gewinnen. Preiss et al berichteten 2012 erste gute Ergebnisse einer minimal invasiven Augmentation in Zweibündeltechnik unter Entnahme der kontralateralen Semitendinosussehne, wodurch die ipsilaterale Sehne als aktiver Stabilisator erhalten bleibt. Die Augmentation mittels geflochtenen Polyblend-Fadens im Sinne eines „internal bracing“ wurde bislang als technische Anleitung ohne klinische Daten beschrieben (Lubowitz 2014).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Ortho_1701_Weblinks_s44_abb2.jpg" alt="" width="685" height="1104" /></p> <h2>Nachbehandlung</h2> <p>Die frühfunktionelle Nachbehandlung akuter Grad-III-Läsionen erfolgt in Abhängigkeit der Begleitverletzungen analog zur Grad-II-Läsion. Eine Rückkehr zum Sport erfolgt meist nach 5 bis 7 Wochen, wobei das Tragen der Orthese je nach Sportart und individuellem Verlauf längerfristig empfohlen werden kann.</p></p>
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