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Entwicklung innovativer Therapieansätze durch die Schulter-Forschungsgruppe am LBI Trauma
Jatros
Autor:
Doz. Dr. Rainer Mittermayr
Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie, Wien<br> E-Mail: rainer.mittermayr@trauma.lbg.ac.at
30
Min. Lesezeit
13.02.2020
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<p class="article-intro">Das Ziel der Schulter-Forschungsgruppe, welche 2017 im Ludwig Boltzmann Institut für Experimentelle und Klinische Traumatologie/Forschungszentrum der AUVA gegründet wurde (Rainer Mittermayr), liegt in der Entwicklung und Erforschung von neuen und innovativen Therapiekonzepten für unterschiedliche Schulterpathologien – von der glenohumeralen Instabilität über Pathologien der Rotatorenmanschette bis zur prothetischen Versorgung. Ein wesentlicher Fokus wird dabei auf den translationalen Aspekt gelegt, um die Patientenversorgung und -zufriedenheit weiter zu verbessern.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Mit der zunehmend älter werdenden Bevölkerung nehmen auch die altersbedingten orthopädischen Erkrankungen zu. Dies ist besonders auch im Bereich der Schulter von Relevanz, da sowohl die Arthrose als auch die Erkrankung der Rotatorenmanschette hauptsächlich degenerative Veränderungen sind, die in der alternden Bevölkerung stetig zunehmen. Aber auch die Schulterinstabilität als Folge der traumatischen Luxation und deren Konsequenzen stellen insbesondere im jungen Alter eine erhebliche Herausforderung in der Versorgung dar.</p> <h2>Rotatorenmanschette</h2> <p>Die Erkrankungen der Rotatorenmanschette reichen von Tendinopathien bis zur Massenruptur. Eine Risikostratifizierung zeigt eine Assoziation von Traumaanamnese, Armdominanz und Alter mit der Rotatorenmanschettenruptur. Partialrupturen können sich progredient über die Zeit zur transmuralen Komplettruptur entwickeln. Damit verbunden ist allerdings auch eine Veränderung der Muskelarchitektur sowie der Struktur im Sinne der Retraktion, fettigen Infiltration, Fibrose und Muskelatrophie. Dies steht wiederum im negativen Kontext mit der Rekonstruierbarkeit der Ruptur. Bei operativ versorgten Rupturen findet man trotz der stetigen Weiterentwicklung der Operationstechnik immer noch sehr hohe Rerupturraten. Um den Erfolg einer Rekonstruktion zu steigern, können unter anderem Strategien verfolgt werden, die auf eine Verbesserung der Sehnen- Knochen-Einheilung, aber auch der (initialen) Insertionsfestigkeit abzielen.<br /> Ein klinisch relevantes Modell an der Ratte mit chronischer Supraspinatussehnenruptur wurde zu diesem Zweck etabliert, um verschiedene therapeutische Strategien zu untersuchen.</p> <p><strong>Sehnen-Knochen-Einheilung</strong><br /> Nach erfolgter transossärer Rekonstruktion einer 3 Wochen alten Supraspinatussehnenruptur wurde die extrakorporale Stoßwellentherapie zur Verbesserung der Sehnenheilung unmittelbar postoperativ angewendet. Es konnte durch eine einmalige Stoßwellenapplikation ein verbessertes Einheilen anhand verbesserter biomechanischer „Load to failure“-Ergebnisse im Vergleich zur Kontrollgruppe nachgewiesen werden.<sup>1, 2</sup> Dem translationalen Ansatz folgend wurde bereits eine klinische Studie, basierend auf dieser und weiteren Studien, initiiert, um diese nebenwirkungsfreie, kosteneffiziente und wirksame Therapie in der Klinik zu testen.</p> <p><strong>Insertionsfestigkeit</strong><br /> Eine chronische Ruptur zeigt nicht nur Alterationen in der Muskelstruktur, sondern führt auch zu ossären Veränderungen im Bereich der Sehneninsertion (Abb. 1). Die Knochenmineraldichte („bone mineral density“) ist aber ein bedeutender Faktor für die Fixationsstabilität der bei Rekonstruktionen der Rotatorenmanschetten verwendeten Fadenanker im Knochen. Bei einer Reduktion der Knochenmineraldichte (Inaktivitätsosteoporose bei chronischen Rotatorenmanschettenrupturen) kann es in weiterer Folge zum Implantatversagen mit konsekutivem Ausfall der Rekonstruktion kommen.<br /> Um die knöcherne Insertionsstelle zu augmentieren und somit die Einheilung der Sehne in den Muskel zu verbessern, haben wir die Effekte eines systemisch applizierten Bisphosphonats im bereits zuvor erwähnten chronischen Defektmodell an der Ratte untersucht. Eine postoperative einmalige subkutane Applikation von Zoledronsäure führte zu einer signifikant verbesserten Knochenmikroarchitektur im Bereich der Insertionsstelle im Vergleich zur Kontrollgruppe, welche mit Kochsalzlösung behandelt wurde. Diese verbesserte Knochenstruktur im microCT ging einher mit signifikant verbesserten biomechanischen Eigenschaften durch eine Erhöhung der maximalen Ausrisskräfte bei den mit Zoledronsäure therapierten Ratten.<sup>3</sup> Auch diese Therapieoption kann rasch translational in einer klinischen Studie überprüft werden, wobei insbesondere ältere Patienten mit chronischen Rupturen und assoziierter Osteoporose potenziell profitieren könnten.</p> <p><strong>Augmentations-/Interpositionsverfahren</strong> <br />Bei schlechter Sehnenqualität oder bei nicht komplett verschließbaren Defekten der Rotatorenmanschette kann auf die rekonstruierte Sehne ein Patch als Augmentation aufgebracht oder der Defekt mittels Patch überbrückt werden (Interposition). Der Haupteffekt besteht in der Entlastung der nativen, oft degenerativ veränderten Sehne im Rahmen der Rekonstruktion und damit der Stärkung bei initialer Belastung. Unterschiedliche Patches aus synthetischen und biologischen Materialien (Allografts und Xenografts) wurden bereits präklinisch und klinisch untersucht. Biologische Verfahren haben den Vorteil der verbesserten Integration und der Abbaubarkeit, allerdings gepaart mit einer möglichen Antigenität. <br />In dieser Studie verwenden wir Fibroin (Abb. 2), welches über eine spezielle Aufbereitung (Entfernung des Sericins) keine Antigenität bei guten biomechanischen und biologischen Eigenschaften aufweist.<sup>4</sup> Zusätzlich kann es in unterschiedlichen Konfigurationen individuell gewoben werden und zeigte bereits sehr gute experimentelle Ergebnisse in einer Untersuchung bei vorderer Kreuzbandplastik in einem Schafmodell.<sup>5</sup> Als Interpositionspatch wurde bei dem chronischen Rupturmodell der Supraspinatussehne ein zusätzlich gesetzter Defekt mit dem Fibroin- Patch überbrückt. Erste Ergebnisse der biomechanischen Prüfung zeigten eine höhere Festigkeit bei den Ausrissversuchen im Vergleich zur Kontrollgruppe, welche nur eine Rekonstruktion der Rotatorenmanschette ohne Patch-Augmentation erhielt. Nach Abschluss der experimentellen Studie im Rattenmodell soll zur Überprüfung und Bestätigung der positiven Ergebnisse eine Großtierstudie angeschlossen werden (Kooperation A. Teuschl, FH Technikum Wien).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s36_abb1.jpg" alt="" width="250" height="415" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s36_abb2.jpg" alt="" width="400" height="207" /></p> <h2>Schulterinstabilität</h2> <p>Prinzipiell werden unter dem Terminus der Schulterinstabilität unterschiedliche Ausprägungen, von der schmerzhaften Hyperlaxizität über die Subluxation bis zur Luxation, subsumiert. Definitionsgemäß versteht man unter Schulterinstabilität die Unfähigkeit, den Humeruskopf in der Pfanne zu zentrieren. <br />Schulterluxationen sind die häufigsten Verrenkungen beim Menschen mit einer berichteten Luxationsinzidenz von 1,7 % zwischen dem 18. und 70. Lebensjahr und einer Geschlechterverteilung von 3 : 1 zugunsten des männlichen Geschlechts. In 95 % handelt es sich bei der Schulterluxation um eine unidirektionale anterior-inferiore Verrenkung des Oberarmkopfs. Bei der (traumatischen) Erstluxation wird immer das Labrum abgeschert und gibt Anlass für die Reluxation, abhängig vom Alter. Hohe Rezidivraten finden sich vor dem 20. Lebensjahr und können durch die wiederkehrenden Luxationen zu einem substanziellen Knochenverlust am Glenoid führen. Dieser Knochendefekt stellt allerdings wiederum einen negativen Parameter für die Stabilität dar und ist damit mit einem weiteren erhöhten Reluxationsrisiko assoziiert. <br />In diesen Fällen führt nur eine operative knöcherne Rekonstruktion des Glenoids wieder zu stabilen Gelenksverhältnissen. Sie verhindert den weiteren Knorpelschaden, der bei jeder Verrenkung (durch „shear force“) stattfindet, und damit die vorzeitige aggravierte Arthrose. <br />Zwei zum Teil sehr kontrovers diskutierte operative Verfahren kommen in diesen Fällen zum Einsatz: Latarjet und J-Span. Während die extraanatomische Operation nach Latarjet zwar mit der Verwendung von Implantaten (Schrauben zur Stabilisierung des transplantierten Processus coracoideus und der ansetzenden Sehnen) durchgeführt wird, kommt es aber zu keiner Hebemorbidität, wie dies beim J-Span der Fall ist. Bei der knöchernen Augmentation mittels J-Span wird ein Knochenspan aus dem Beckenkamm entnommen. Der entnommene Knochenspan wird dann mit der Pressfit-Technik, ohne die weitere Verwendung von Implantaten, an das Glenoid impaktiert und füllt somit den knöchernen Defekt. Derzeit gibt es kein klinisches Verfahren, welches die Vorteile beider Operationen vereint. <br />Ziel eines neuen Projektes ist es, ein personalisiertes, an den Defekt angepasstes Transplantat im Sinne eines J-Spans zu entwickeln, ohne ein permanentes Implantat wie Schrauben verwenden zu müssen. Gleichzeitig soll auch die Hebemorbidität am Beckenkamm durch Verwendung eines osteo- und angiokonduktiven Knochensubstituts vermieden werden. Es wurden bereits computertomografische Datensätze von Patienten mit chronischen Schulterluxationen herangezogen, um einerseits das Ausmaß des ossären Glenoiddefekts zu ermitteln und zu quantifizieren und andererseits ein Substitut basierend auf diesen Daten zu modellieren (Abb. 3). <br />Im nächsten Schritt werden diese personalisierten Substitute hergestellt und an den korrespondierenden Glenoiddefekt mittels verschiedener abbaubarer Methoden fixiert. Anschließend soll die initiale Festigkeit des augmentierten Blocks mit einem am LBI für Experimentelle und Klinische Traumatologie konzipierten und entwickelten Schultersimulator durch Translationsversuche mit dem Humeruskopf getestet werden (Abb. 4). In weiterer Folge soll diese Technik in Kooperation mit dem Anatomischen Institut der Medizinischen Universität Wien in einem komplexeren Modell bei Körperspendern untersucht werden. Ziel ist die Einführung des individualisierten und personalisierten Transplantats in die Klinik, um die positiven Eigenschaften von beiden zurzeit verfügbaren Operationstechniken zu vereinen: die Implantatfreiheit und die Vermeidung der Donormorbidität.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s36_abb3.jpg" alt="" width="750" height="392" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Ortho_2001_Weblinks_s36_abb4.jpg" alt="" width="350" height="547" /></p> <h2>Ausblick</h2> <p>Die Schulter-Forschungsgruppe am LBI für Experimentelle und Klinische Traumatologie hat sich zum Ziel gesetzt, pathologische Mechanismen bei Schulterpathologien weiter zu erforschen und dadurch neue innovative Therapiestrategien abzuleiten. Zusätzlich soll der translationale Aspekt fokussiert und in Kooperationen ausgebaut werden.</p> <p>Klinische Teammitglieder:<br />AUVA-Traumazentrum Wien: DDr. Xaver<br />Feichtinger, Dr. Jakob Schanda, Doz. DDr. Sandra<br />Bösmüller, Prim. Prof. Dr. Christian Fialka, MBA<br />UKH Graz: Dr. Angelika Schwarz, Dr. Michael<br />Maier, Doz. Dr. Martin Sauerschnigg, Prim. Dr.<br />Michael Plecko<br />alphaklinik Zürich: Dr. Daniel Smolen</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Feichtinger X, Mittermayr R: JATROS Orthopädie & Traumatologie Rheumatologie 2019; 5: 29-31 <strong>2</strong> Feichtinger X et al.: Am J Sports Med 2019; 47(9): 2158-66 <strong>3</strong> Schanda J, in review<strong> 4</strong> Teuschl A et al.: Tissue Eng Part C Methods 2014; 20(5): 431-9 <strong>5</strong> Teuschl A et al.: Am J Sports Med 2016; 44(6): 1547-57</p>
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