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Eine individuelle und interdisziplinäre Behandlungsstrategie ist gefordert
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Cordula Netzer
Oberärztin Spinale Chirurgie<br> Mitglied Sarkomzentrum<br> stv. Leitung Wirbelsäulenzentrum<br> Universitätsspital Basel<br> E-Mail: cordula.netzer@usb.ch
30
Min. Lesezeit
08.03.2018
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<p class="article-intro">Die Heterogenität der Sarkome, die geringe Inzidenz und die anatomische Nähe zu essenziellen Strukturen machen die Behandlung an der Wirbelsäule komplex und stellen eine grosse Herausforderung dar. Basierend auf dem aktuellen Wissensstand und den Empfehlungen internationaler Expertengremien haben wir den Behandlungskonsens zusammengefasst.</p>
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<p class="article-content"><h2>Klassifikation und Epidemiologie</h2> <p>Im Gegensatz zu Wirbelsäulenmetastasen sind primäre Knochentumoren an der Wirbelsäule mit einer Häufigkeit von 0,2 % aller Tumorleiden des Menschen selten. Die grösste Gruppe sind hierbei die Osteosarkome mit 35 % , gefolgt von den Chondrosarkomen mit 25 % und dem Ewing-Sarkom mit 17 % . Zusammengenommen wird für Primärtumoren an der Wirbelsäule eine Inzidenz von 2,4 bis 8,5/1 000 000/Jahr angegeben. Histopathologisch sind die Sarkome heterogen. Es lassen sich über 100 Entitäten unterscheiden. Die differenzierte Zuordnung ist therapeutisch und prognostisch entscheidend.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Die Basis eines erfolgreichen Therapiekonzeptes bildet eine fundierte detaillierte Diagnostik. In der Regel ist eine umfassende apparative Diagnostik unerlässlich. So ist beispielsweise bei einem Drittel der Patienten mit osteogenem Osteosarkom oder Ewing- Sarkom bereits bei der Erstdiagnose mit Metastasen zu rechnen.<br /> Die Bildgebung ist bei Wirbelsäulentumoren – bis auf sehr wenige Ausnahmen – nicht pathognomonisch. Somit ist eine Biopsie des Tumors in der Regel unerlässlich (Abb. 1). Diese sollte an einem entsprechenden Referenzzentrum stattfinden. Biopsien an nicht qualifizierten Zentren sind mit einer höheren Mortalitätsrate assoziiert.<br /> Anhand histologischer Eigenschaften wird versucht, das biologische Verhalten vorherzusagen. Dieses Vorgehen bezeichnet man als «Grading». Ein allgemeingültiges Einteilungssystem der malignen Knochentumoren existiert nicht, man unterscheidet in der Praxis meist «high grade» und «low grade».<br /> Das sogenannte «Staging» berücksichtigt den Grad der Differenzierung, die lokale Tumorausdehnung und die Metastasierung. Die sonst für das Staging übliche TNM-Klassifikation (Tumor-Nodus-Metastasen- Klassifikation) wird bei Sarkomen nicht verwendet. Die seltenen Lymphknotenmetastasierungen und die Tatsache, dass viele Sarkome per se als «high grade» klassifiziert werden, lassen dieses System als ungeeignet erscheinen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1801_Weblinks_s29_abb1.jpg" alt="" width="933" height="698" /></p> <h2>Therapieoptionen</h2> <p>Ist die Diagnose gesichert, sollte geprüft werden, ob die Einbeziehung des Patienten in ein standardisiertes Therapieprotokoll möglich ist. Es existieren noch keine spezifischen Protokolle für Sarkome im Bereich der Wirbelsäule.<br /> Es wurden verschiedene Scores publiziert (Tomita, Tokuhashi, Bauer), welche prognostische Faktoren berücksichtigen und uns in der Entscheidungsfindung stützen, eine individuelle und interdisziplinäre Entscheidung jedoch nicht ersetzen. Das Behandlungskonzept sollte am besten im Rahmen eines interdisziplinären Tumorboards festgelegt und mit dem Patientenwunsch abstimmt werden. Die Säulen der Behandlung sind – je nach Entität des Sarkoms – Chemo- und Radiotherapie sowie die operative Behandlung. Hier ein kurzer Überblick. <br /><br /><strong>Operative Techniken</strong><br /> Zur konkreten Operationsplanung findet heute weitgehend die von Weinstein, Boriani und Biagini beschriebene WBBKlassifikation Anwendung. Kurative Eingriffe können bei klar umschriebener Läsion im Sinne einer sogenannten R0-Resektion (kein Nachweis von Residualtumoren) durchgeführt werden. Bei epiduraler, mehrétagèrer, paraspinaler oder zirkumferenter Tumorausdehnung ist bestenfalls eine R1-Resektion (mikroskopischer Nachweis eines Residualtumors) erzielbar. Mit der sogenannten «En bloc»-Resektion werden Techniken bezeichnet, bei welchen ein R0-Status erreicht werden kann. Sie wurden in den letzten Jahren standardisiert und haben klare Vorteile gegenüber den früher oft intraläsionalen Techniken. Darunter fallen die Spondylektomie, die sagittale Teilresektion und die hintere Bogenresektion. Unter Berücksichtigung der Tumorregion und ihrer Ausdehnung ergeben sich etwa 10 Resektionsvarianten und 6 Zugänge. Details finden sich in der «AO Spine Master»-Serie «Primary Spinal Tumors ». Naturgemäss können bei «En bloc»- Resektionen erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen die Folge sein. Zu nennen sind Blasen-/Mastdarm-Funktionsstörungen und periphere Paresen. Die Morbidität (35,1 % ) und Mortalität dieser Eingriffe (0 –7 % ) sind sehr hoch. Diese möglichen gravierenden Nebenwirkungen veranlassen oft zu marginalen Resektionsgrenzen oder intraläsionalen Interventionen zulasten der Tumorkontrolle. Sämtliche Details sind zwingend dem Patienten zu kommunizieren. Abhängig von der Region des Tumors ist ein interdisziplinäres chirurgisches Team mit entsprechender onkologischer Erfahrung erforderlich.<br /> An Implantaten stehen heute neue Materialien, wie Karbon und PEEK (Polyethyletherketon), zur Verfügung. Deren Vorteil ist die nur geringe Artefaktbildung bei späteren bildgebenden Verlaufskontrollen und ggf. Bestrahlungsplanungen (Abb. 2). Die intraoperative 3D-Navigation erlaubt eine präzise Tumorresektion.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1801_Weblinks_s29_abb2.jpg" alt="" width="685" height="1044" /><br /><br /> <strong>Radiotherapie</strong><br /> Als Therapie der ersten Wahl bei primären malignen Knochentumoren erzielt die konventionelle Strahlentherapie meist nur unbefriedigende Langzeitergebnisse. Die applizierbaren Strahlendosen sind aus Rücksicht auf das strahlensensitive Umgebungsgewebe – zum Beispiel das Myelon oder den Ösophagus – limitiert. Zur Anwendung kommen aktuell drei verschiedene Strahlentechniken:</p> <ul> <li>Hochdosis-Photonentherapie in Form von IMRT («intensity-modulated radiotherapy »), IORT («intraoperative radiotherapy ») oder SRS («stereotactic radiosurgery »)</li> <li>Partikelbestrahlung mit – unter anderem – Kohlenstoffionen und Protonen</li> <li>Brachytherapie</li> </ul> <p>Die Hochdosis-Photonentherapie ermöglicht eine Dosiseskalation durch Modulation der Einstrahlrichtung und -intensität. Eine vergleichbare biologische Wirkung erzielt die Protonentherapie. Sie bietet den physikalischen Vorteil einer geringen Eintrittsdosis und einer definierbaren tiefen Applikation («Bragg peak»). Die Schwerionentherapie ist eine weitere Partikelbestrahlung mit speziellen biologischen Eigenschaften. Genutzt wird hierbei die höhere biologische Wirksamkeit von Kohlenstoffionen. Vielversprechend sind die Ergebnisse bei grossen sakralen Chordomen. Eine weitere Form der Radiotherapie stellt die Brachytherapie dar. Betastrahler werden intraoperativ oder mittels Katheter eingebracht. Vorteile sind eine hohe lokale Dosis bei geringer Gefährdung benachbarter Strukturen. Nachteile sind ein hoher logistischer Aufwand bei kurzer Halbwertszeit sowie hohe Kosten. <br /><br /><strong>Chemotherapie</strong><br /> Die Chemotherapie ist oft ein elementarer Bestandteil der Therapie. Sie sollte immer im Rahmen eines Studienprotokolls erfolgen. Je nach Protokoll erfolgt eine neoadjuvante (präoperative) und/ oder adjuvante (postoperative) Gabe. Voraussetzung ist die Chemosensitivität des Tumors entsprechend der histopathologischen Analyse. Neoadjuvante (präoperative) Chemotherapien können die weitere Tumorausdehnung begrenzen und induzieren teilweise eine Kalzifizierung. Dieser Wirkmechanismus ist speziell beim Ewing- und Osteosarkom oft sehr effektiv. Der Grad des Ansprechens wird mit der sogenannten Regressionsrate beschrieben und korreliert positiv mit der Prognose. Die Bestimmung erfolgt durch eine zwingend erforderliche Rebiopsie.</p> <h2>Spezifische diagnostische und therapeutische Aspekte bei Wirbelsäulensarkomen</h2> <p><strong>Osteosarkom</strong><br /> 3–15 % der Osteosarkome sind in der Wirbelsäule lokalisiert, davon wiederum 68–74 % im Sakrum. Es handelt sich stets um einen «High grade»-Tumor mit einer Metastasierungsrate von 10–20 % zum Diagnosezeitpunkt. Meist ist hiervon die Lunge betroffen (80–90 % ), was ein umfassendes bildgebendes Staging erforderlich macht (Abb. 3). Zwar fehlen in der Regel Lymphknotenmetastasen, charakteristisch sind jedoch sogenannte «Skip»-Läsionen in kurzem Abstand zum Primärtumor.<br /> Die Konsensusempfehlung der SOSG (Spine Oncology Study Group) formuliert eine neo- und adjuvante Chemotherapie und eine «En bloc»-Resektion mit weiten Grenzen. Bei lokalem Befund und aggressiver operativer Therapie liegt die mittlere Überlebenszeit bei etwa 18 Monaten. Die 5-Jahres-Gesamtüberlebensrate wird – unter Berücksichtigung aller spinalen Osteosarkome – mit 18 % beziffert. Prognostisch günstig sind das Ansprechen des Tumors auf die Chemotherapie (Regressionsgrad) und das Fehlen von Metastasen. Die Strahlensensitivität ist gering.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1801_Weblinks_s29_abb3.jpg" alt="" width="685" height="1044" /><br /><br /><strong>Ewing-Sarkom</strong><br /> Das Ewing-Sarkom ist selten, stellt aber den häufigsten Tumor der Wirbelsäule bei Kindern dar. Auch hier ist das Sakrum am häufigsten betroffen. Es ist ebenfalls ein «High grade»-Sarkom, eine Lymphknotenbeteiligung ist selten. Hingegen ist bei einem Drittel der Patienten bereits eine Metastasierung zum Zeitpunkt der Erstmanifestation, vor allem in Lunge, Knochen und Knochenmark, festzustellen.<br /> Als Standardprotokoll wird in der Regel das EWING-2008 verwendet. Hiermit konnten – speziell unter der Einführung der Chemotherapie – die Überlebensraten erheblich verbessert werden, auch bei Wirbelsäulenmanifestation (Abb. 4). Die Behandlung wird mit einer Chemotherapie eingeleitet, gefolgt von einem Restaging. Der Regressionsgrad gibt Hinweise auf die Wirksamkeit der Therapie. Es gibt nur eine schwache Empfehlung der SOSG für die «En bloc»-Resektion an der Wirbelsäule. Die Gesamtüberlebenszeit lässt sich hierdurch nicht entscheidend verlängern. Sie liegt bei lokalem spinalem Tumor und erfolgter multimodaler Therapie bei durchschnittlich 90 Monaten. Ungünstig wirkt sich ein Tumorvolumen über 200ml aus. Eine adjuvante Strahlentherapie ist irresektablen Befunden oder intraläsionalen/ marginalen Tumorresektionen vorbehalten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1801_Weblinks_s29_abb4.jpg" alt="" width="1420" height="1220" /><br /><br /><strong> Chondrosarkom</strong><br /> Das Chondrosarkom tritt in 10 % der Fälle an der Wirbelsäule auf, vorwiegend in einem Lebensalter zwischen 30 und 70 Jahren. Circa 60 % der Chondrosarkome sind hoch-, 35 % mittel- und 5 % geringgradig differenziert. Dedifferenzierte Chondrosarkome sind eine Rarität. Der Differenzierungsgrad ist prognostisch entscheidend. Von Bedeutung sind die Lokalisationen. Eine schlechte Resektabilität ist neben dem histologischen Grading entscheidend für das Langzeit-Outcome. Die Evidenz für den Effekt der «En bloc»-Resektion ist zwar mässig, in Anbetracht der hohen Mortalität bei intraläsionaler Resektion und bei Rezidiv ist die Indikation bei vertretbarer Mutilisierung dennoch gegeben (Abb. 5). Chondrosarkome sind weder strahlen- noch chemosensitiv. Die Indikationsstellung zur Resektion und deren Ausmass haben deshalb entscheidende Bedeutung. Möglicherweise eröffnen künftig Hochdosis- und Partikelbestrahlungen (Protonen) neue therapeutische Möglichkeiten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Ortho_1801_Weblinks_s29_abb5.jpg" alt="" width="909" height="995" /></p></p>
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