
Risiken auf zwei Rädern: E-Scooter als unterschätzte Gefahr
Autoren:
Florian Altenburger
Clemens Giselbrecht
Dr. Stefan Frank, MSc
Doz. Dr. Rainer Mittermayr
AUVA Traumazentrum Wien
Korrespondenz:
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E-Scooter haben sich in den letzten Jahren als neues und beliebtes Verkehrsmittel etabliert, insbesondere in städtischen Räumen Europas und Nordamerikas.1 Ihre einfache Bedienbarkeit, flexible Einsatzmöglichkeiten und Verfügbarkeit in Sharing-Programmen machen sie zu einer attraktiven Alternative zu traditionellen Verkehrsmitteln.1,2
Trotz dieser Vorteile zeigt die exponentiell steigende Nutzung von E-Scootern eine Kehrseite: eine besorgniserregende Zunahme von Verkehrsunfällen und damit verbundenen Verletzungen.2,3 Die epidemiologischen Daten deuten auf ein weltweit verbreitetes Muster hin, das insbesondere jüngere, männliche Nutzer betrifft.4 Unfälle mit E-Scootern führen häufig zu teils schweren Verletzungen, da Schutzausrüstungen wie Helme oder Schutzkleidung nur selten genutzt werden.5,6
Abb. 1: Das präoperative CCT zeigt ein temporales raumforderndes Epiduralhämatom im Bereich der A. meningea media
Analog zu Trends in vielen internationalen Großstädten zeigten sich über die letzten Jahre auch im Großraum Wien vergleichbare statistische Entwicklungen. Eine retrospektive Datenanalyse aus dem AUVA Traumazentrum Wien dokumentiert eine 19-fache Zunahme der E-Scooter-Unfälle im Untersuchungszeitraum, mit einem signifikanten Anteil schwerer Verletzungen.4 Junge männliche Fahrer stellten mit Abstand die größte Gruppe der Betroffenen dar. Besonders hervorzuheben ist, dass rund ein Drittel der Verletzungen in die Kategorie schwerwiegend fiel und Verletzungsmuster wie komplexe Frakturen und Schädel-Hirn-Traumata einschloss.4
Abb. 2: Dimension des Epiduralhämatoms in axialer und koronarer Ebene (in mm)
Verletzungen und damit verbundene Krankenhausaufenthalte zeigen den Stellenwert und möglichen Nutzen effektiver Präventionskonzepte aus medizinischer, nicht zuletzt aber auch aus sozioökonomischer Sicht .5,6
Der folgende Fall soll veranschaulichen, welche gravierenden Verletzungen ein Sturz (auch ohne Fremdeinwirkung) mit einem E-Scooter nach sich ziehen kann, insbesondere wenn keine Schutzausrüstung getragen wird.
Fallvorstellung
Schockraumankündigung: Ein 12-jähriger Junge kam aus Eigenverschulden während der Fahrt mit einem E-Scooter zu Sturz. Schutzausrüstung wurde zum Zeitpunkt des Unfalls nicht getragen. Vor Ort Notarztbetreuung bei einem wachen, ansprechbaren und orientierten Patienten. Schmerzen am Schädel und Abdomen wurden angegeben. Aufgrund des Unfallmechanismus und des Verletzungsmusters wird der Patient luftgebunden in das Traumazentrum Wien, Standort Meidling, gebracht. Angaben bei Übergabe durch den Notarzt: Der Junge präsentierte sich vor Ort bei vollem Bewusstsein (GCS 15), zeigte jedoch eine Pupillendifferenz mit verzögerter Lichtreaktion. Zusätzlich wies der Verunfallte eine diffuse abdominelle Abwehrspannung auf.
Abb. 3: Prä- vs. postoperatives CCT: Ausmaß des Mittellinienshifts vor und nach der Intervention
Im Schockraum erfolgte das entsprechende Management des Patienten mit einer ersten klinischen Untersuchung, ergänzt durch eine eFAST-Sonografie. Letztere ohne Hinweis auf freie abdominelle Flüssigkeit bei sehr guten Schallbedingungen. Die Oberbauchorgane waren sonomorphologisch homogen, ohne Anzeichen von Kapselhämatomen, Lazerationen oder fokalen Läsionen.
Bei initialer kardiorespiratorischer Stabilität verschlechterte sich aber der neurologische Status. Der junge Patient begann zu erbrechen, woraufhin eine Schutzintubation erfolgte. Ein Schädel-CT beim intubierten, nun zunehmend auch instabileren Patienten wurde durchgeführt. In der Bildgebung zeigte sich eine temporale Fraktur rechts mit raumforderndem epiduralem Hämatom. Die Halswirbelsäule war CT-morphologisch ohne pathologischen Befund.
Abb. 4: Postoperatives CCT: postoperative Ergebnisse nach parietotemporaler Schädeltrepanation sowie Anlage einer Parenchymsonde
Der Patient wurde unmittelbar nach CCT-Auswertung in den Operationssaal eingeschleust. Um das Epiduralhämatom zu entlasten, wurde eine osteoplastische Schädeltrepanation parietotemporal durchgeführt. Die Blutung an der A. meningea media konnte indentifiziert und suffizient gestillt werden. Zur Drucküberwachung auf der Intensivstation bei intubiertem Patienten wurde kontralateral eine Parenchymsonde an typischer Stelle eingebracht. Die Operation konnte komplikationslos abgeschlossen werden. Postoperativ wurde ein Kontroll-CCT durchgeführt mit entlastetem Hämatom und regelrechtem postoperativem osteoplastischem Befund sowie korrekt liegender Spiegelbergsonde. Hirndrücke zeigten einstellige Werte.
Noch während der Operation zeigte der Patient allerdings einen ungewöhnlich erhöhten anästhesiologischen Aufwand mit Notwendigkeit der Gabe von Noradrenalin. Zudem zeigte er einen Hämoglobinabfall mit der Indikation zur Transfusion von zwei Blutkonserven. Trotz initialem negativem eFAST wurde zum Ausschluss einer weiteren Blutungsquelle beim Kontroll-CCT auch eine Computertomografie von Thorax und Abdomen gefahren. Diese zeigte nun eine oberflächliche Verletzung des Pankreas im Corpus-Cauda-Übergang mit begleitendem Ödem (Typ I nach AAST-Klassifikation).7
Nach Durchführung eines abdominalchirurgischen Konsils wurde ein konservatives Prozedere festgelegt und eine weitergehende intensivmedizinische Überwachung indiziert. Der Patient wurde daraufhin in ein spezialisiertes Kinderkrankenhaus mit Intensivstation zur weiteren Betreuung transferiert.
Unter engmaschiger neurochirurgischer und intensivmedizinischer Überwachung stabilisierte sich das Zustandsbild des Patienten rasch.
Abb. 5: CT Abdomen: oberflächliche Lazeration am Übergang von Pankreascorpus zu -cauda mit begleitendem Ödem und peripankreatischer Flüssigkeit
Der Patient konnte bereits am 1. postoperativen Tag extubiert und die Hirndrucksonde bei unauffälligen Hirndruckwerten entfernt werden. Er präsentierte sich danach orientiert und reagierte adäquat. Bereits am 4. postoperativen Tag wurde er auf die Normalstation verlegt. Bei den abdominalen Ultraschallkontrollen war die peripankreatische Flüssigkeitslamelle bereits resorbiert und die Amylase sowie Lipase im Normbereich. Der weitere stationäre Verlauf bei unauffälligem neurologischem Status und gutem Allgemeinzustand war komplikationslos, sodass der junge Patient am 9. postoperativen Tag wieder in häusliche Pflege entlassen werden konnte.
Bereits 3 Wochen nach dem Unfall konnte der Patient den Schulunterricht wieder besuchen und weist kein neurologisches Defizit auf. Ebenfalls zeigte er keine weiteren Komplikationen seitens des Abdomens.
Diskussion
Der beschriebene Fall veranschaulicht eindrucksvoll die mit der Nutzung von E-Scootern verbundenen Verletzungsrisiken, insbesondere im Hinblick auf Schädelverletzungen, die etwa ein Viertel aller Unfälle betreffen. Beim gegenständlichen Fall dürfte es sich um einen Sturz auf den Schädel mit abdominalem Kontusionstrauma durch den Lenker des E-Scooters gehandelt haben. Die Analyse der in Referenz 4 erhobenen Daten zeigt, dass der Einsatz von Schutzhelmen eine signifikante Reduktion von Kopfverletzungen ermöglichen könnte. Dennoch bleibt die tatsächliche Nutzung von Helmen auf einem besorgniserregend niedrigen Niveau. Im Großraum Wien lag der Anteil der Helmträger:innen bei lediglich 13,7%, ein Wert, der sich im internationalen Vergleich als ähnlich niedrig erweist.4,8–10
Diese Zahlen verdeutlichen das erhebliche Verbesserungspotenzial hinsichtlich der Nutzung von Schutzausrüstungen und geben Anlass zu einer kritischen Diskussion über regulatorische Maßnahmen und Strategien zur Förderung von Präventionsmaßnahmen.
Der vorliegende Fallbericht unterstreicht die Dringlichkeit, das Bewusstsein für den Schutz vor Verletzungen zu erhöhen, insbesondere durch die konsequente Nutzung von Helmen. Dies erfordert eine Kombination aus Aufklärungskampagnen, gesetzlichen Vorgaben und infrastrukturellen Verbesserungen, um die Sicherheit der Nutzer:innen nachhaltig zu verbessern.
Eine verstärkte Verbreitung von Schutzausrüstung könnte maßgeblich dazu beitragen, die Häufigkeit und Schwere von Verletzungen zu reduzieren. Neben der Verringerung des individuellen Verletzungsrisikos würde dies auch eine Entlastung des Gesundheitssystems bewirken. Ein Rückgang der Unfall- und Hospitalisierungszahlen hätte positive Auswirkungen auf die Ressourcenverteilung in medizinischen Einrichtungen, wodurch Effizienzsteigerungen und eine Verbesserung der Patientenversorgung möglich wären.
Darüber hinaus könnten gezielte Präventionsstrategien, wie verpflichtende Helmnutzung, Schulungsprogramme und technische Verbesserungen an E-Scootern, langfristig zur Senkung der mit E-Scooter-Unfällen verbundenen sozioökonomischen Belastungen beitragen. Die Reduktion von Arbeitsunfähigkeit und den damit verbundenen Kosten für die Allgemeinheit könnte das öffentliche Gesundheitswesen spürbar entlasten.
Zusammenfassend zeigt der diskutierte Fall die Notwendigkeit eines multidisziplinären Ansatzes, um die Sicherheit im E-Scooter-Verkehr zu erhöhen. Effektive Prävention erfordert nicht nur medizinische und technische, sondern auch gesellschaftspolitische Anstrengungen, um eine nachhaltige Verbesserung der urbanen Mobilität zu gewährleisten.
Literatur:
1 Hardt C, Bogenberger K: Usage of e-Scooters in Urban Environments. Transportation Research Procedia 2019; 37; 155-62 2 Mitchell G et al.: Impact of electric scooters to a tertiary emergency department: 8-week review after implementation of a scooter share scheme. Emerg Med Australas 2019; 31(6): 930-4 3 Shichman I et al.: Epidemiology of Fractures Sustained During Electric Scooter Accidents: A Retrospective Review of 563 Cases. J Bone Joint Surg Am 2021; 103(12): 1125-31 4 Frank S et al.: Continuously increasing e-scooter accidents and their possible prevention in a large European city. Eur J Trauma Emerg Surg 2024; 50(6): 2895-904 5 Papic C et al.: Factors associated with long term work incapacity following a non-catastrophic road traffic injury: analysis of a two-year prospective cohort study. BMC Public Health 2022; 22(1): 1498 6 Rissanen R et al.: Quality of life following road traffic injury: A systematic literature review. Accid Anal Prev 2017; 108; 308-20 7 Oniscu GC et al.: Classification of liver and pancreatic trauma. HPB (Oxford) 2006; 8(1): 4-9 8 Badeau A et al.: Emergency department visits for electric scooter-related injuries after introduction of an urban rental program. Am J Emerg Med 2019; 37(8): 1531-3 9 Mair O et al.: [E-scooter accidents and their consequences : First prospective analysis of the injury rate and injury patterns in the urban area of a German city with over 1 million residents]. Unfallchirurg 2021; 124: 382-90 10 Shiffler K et al.: Intoxication is a Significant Risk Factor for Severe Craniomaxillofacial Injuries in Standing Electric Scooter Accidents. J Oral Maxillofac Surg 2021: 79(5): 1084-90
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