© Getty Images

Die Zukunft der Schädel-Hirn-Trauma-Versorgung in Österreich

Durch die Änderungen in der Ausbildung für Orthopädie und Traumatologie 2015 sind Operationen bei Schädel-Hirn-Trauma nicht mehr im Operationskatalog inkludiert, aber weiterhin versorgen UnfallchirurgInnen in Österreich eine große Anzahl dieser PatientInnen. Parallel zu dieser Entwicklung steigt die Anzahl von PatientInnen mit Schädel-Hirn-Trauma mit antithrombotischer Therapie. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Erarbeitung von Richtlinien werden dadurch immer wichtiger.

Chirurgisches Management des Schädel-Hirn-Traumas

Traditionell wurde das schwere Schädel-Hirn-Trauma (SHT) in Österreich durch UnfallchirurgInnen versorgt. Im Jahr 2000 wurden noch 82% der PatientInnen mit schwerem SHT von UnfallchirurgInnen behandelt.1 Eine 2016 durch die Autorin durchgeführte telefonische Umfrage ergab, dass damals nur noch 48% der 65 österreichischen Unfallabteilungen das schwere SHT auch operativ versorgten. Die Zahl der unfallchirurgischen Abteilungen, die das schwere SHT routinemäßig operativ versorgen, war damit 2016 bereits annähernd halbiert im Vergleich zum Jahr 2000. Bei der Umfrage 2016 gab bereits der Großteil der Abteilungen, die das schwere SHT nicht operieren, an, auch bei mittelschwerem SHT angebundene neurochirurgische Abteilungen teleradiologisch zu konsultieren. Damit zeigte sich schon 2016 der international vorherrschende Trend in Richtung interdisziplinäres Management des SHT. Derzeit ist eine neue Umfrage durch den Arbeitskreis Schädel-Hirn-Trauma der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie (ÖGU) geplant, um die aktuelle Situation in Österreich zu erfassen.

Der Faktor Zeit und das Wissen um prioritätenbezogene Behandlung im Falle eines Polytraumas sind maßgeblich für das Outcome verantwortlich. Diese Tatsachen spiegeln sich jedoch in der Ausbildungsordnung 2015 für die Facharztausbildung Orthopädie und Traumatologie nicht wider, da hier nur die „interdisziplinäre Behandlung von Neurotraumata“ und nicht die chirurgische Behandlung in der Ausbildung verankert ist. Durch den Wegfall des Neurochirurgie-Gegenfaches der alten Unfallchirurgie-Ausbildung und die fehlende Aufstockung von Ressourcen an neurochirurgischen Abteilungen bahnt sich damit an manchen Abteilungen eine Versorgungslücke oder zumindest eine Phase des strukturellen Umbaus für die chirurgische Versorgung von PatientInnen mit schwerem SHT an.

Es gibt zahlreiche Publikationen als Hinweis darauf, dass die Spezialisierung in der Medizin für diese Verletzungen ein Problem darstellen kann. International wird deshalb Neurotraumatologie auch von anderen Fachdisziplinen als der Neurochirurgie durchgeführt. Beispielsweise gibt es Guidelines für das Management des Neurotraumas in ländlichen Regionen der Neurosurgical Society of Australasia, welche die operative Versorgung durch alternative Disziplinen empfehlen, wenn eine Zeitverzögerung von mehr als zwei Stunden bis zu einer neurochirurgischen Versorgung absehbar ist.2 Eine schwedische Arbeit kam zu dem Schluss, neurotraumatologische Operationen, welche durch lange Transportzeiten verzögert würden, an Allgemeinchirurgien durchzuführen.3 Eine prospektive Studie über die operative Versorgung des SHT an Unfall- oder Neurochirurgien wurde im Jahr 2012 von Leitgeb et al. durchgeführt. Bei dieser internationalen und multizentrischen Studie wurden die Ergebnisse von Entlastungskraniotomien durch Unfall- und NeurochirurgInnen bei isoliertem schwerem SHT verglichen, wobei keine signifikanten Unterschiede in der Mortalität festgestellt wurden.4

Die Notwendigkeit guter und strukturierter interdisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgie und Neurochirurgie wird durch die aktuellen Änderungen somit zunehmend wichtiger. An der Medizinischen Universität Wien wurde daher kürzlich ein interdisziplinäres Board für Neurotraumatologie zwischen Unfallchirurgie, Neurochirurgie und Anästhesie gegründet, um interne Abläufe zu strukturieren, aber auch allgemeingültige Richtlinien zu erarbeiten. Im Juni fand die 35.Wissenschaftliche Sitzung der ADNANI, der interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft Neuromedizin, in Wien mit öffentlicher Sitzung des Arbeitskreises Schädel-Hirn-Trauma der ÖGU statt und konnte einen Beitrag zur Verbesserung der interdisziplinären Versorgung des SHT leisten. Auch der Auf- und Ausbau von Traumanetzwerken, die eine regionale Zusammenarbeit von Abteilungen und Steuerung der PatientInnenströme strukturieren, wird durch die aktuellen Entwicklungen immer wichtiger.

Das leichte Schädel-Hirn-Traumain einer alternden Gesellschaft

Unsere alternde Gesellschaft mit steigender Lebenserwartung führt konstant zu erhöhten Zahlen von PatientInnen mit leichtem SHT unter antithrombotischer Therapie. Für diese große Zahl an PatientInnen gibt es international jedoch Uneinigkeit über das klinische Management. In manchen Ländern erfolgt bei Schädelverletzungen unter antithrombotischer Therapie (ATT) immer ein CCT, in manchen (wie großteils in Österreich) auch die stationäre Aufnahme zur Überwachung. 2019 wurden österreichische Guidelines von Wiegele et al. veröffentlicht, welche bei Schädelverletzungen unter ATT immer ein CCT und eine stationäre Aufnahme empfehlen – mit der Ausnahme von Acetylsalicylsäureeinnahme, hier wird lediglich ein CCT, aber keine stationäre Aufnahme empfohlen.5

Gleichzeitig gibt es Publikationen und Aussagen auf Kongressen, welche überhaupt die routinemäßige Durchführung von CCT-Untersuchungen bei Schädelverletzungen unter ATT infrage stellen. Prof. Schipper aus den Niederlanden, die frühere Präsidentin der ESTES (European Society for Trauma and Emergency Surgery), stellte bei der diesjährigen Jahrestagung in Oslo anhand ihrer Daten infrage, ob ein routinemäßiges CT bei PatientInnen mit leichtem SHT unter direkter oraler Antikoagulanzientherapie überhaupt notwendig sei.6

Bei geriatrischen PatientInnen mit Kopfverletzungen unter ATT darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es zu negativen Auswirkungen auf diese PatientInnen durch stationäre Aufnahmen im Zuge eines akuten Verwirrtheitszustandes durch den Wegfall der gewohnten Pflegeumgebung kommen kann.7 Die Tatsache, dass in einer eigenen Studie nur 1,2% der stationär aufgenommenen PatientInnen mit Kopfverletzungen unter ATT eine intrakranielle Blutung während des stationären Aufenthaltes entwickelten,8sollte Anlass zur Diskussion über das Management dieser stetig wachsenden PatientInnengruppe sein. Es bedarf einer Nutzen-Risiko-Abwägung, welche das Wohl der PatientInnen in den Vordergrund stellt, aber auch die zunehmend begrenzten Ressourcen im Gesundheitswesen in Betracht zieht.

1 Drobetz H et al.: The treatment of severe head-brain injuries in Austria. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(10): 630-4 2 Neurosurgical Society of Australasia Inc. (2009): The management of acute neurotrauma in rural and remote locations: a set of guidelines for the care of head and spinal injuries. Second edn. East Melbourne: Neurosurgery Society of Australasia Inc. 3 Fischerström A et al.: Acute neurosurgery for traumatic brain injury by general surgeons in Swedish county hospitals: a regional study. Acta Neurochir (Wien) 2014; 156(1): 177-85 4 Leitgeb J et al.: Outcome of patients with severe brain trauma who were treated either by neurosurgeons or by trauma surgeons. J Trauma Acute Care Surg 2012; 72(5): 1263-70 5 Wiegele M et al.: Diagnostic and therapeutic approach in adult patients with traumatic brain injury receiving oral anticoagulant therapy: an Austrian interdisciplinary consensus statement. Crit Care 2019; 23(1): 62 6 Nederpelt C et al.: Treatment and outcomes of anticoagulated geriatric trauma patients with traumatic intracranial hemorrhage after falls. Eur J Trauma Emerg Surg 2022. Online ahead of print 7 Pritchard E et al.: Volunteer programs supporting people with dementia/delirium in hospital: systematic review and meta-analysis. Gerontologist 2021; 61(8): e421-e34 8 Antoni A et al.: Delayed intracranial hemorrhage in patients with head trauma and antithrombotic therapy. J Clin Med 2019; 8(11): 1780

Weitere Quellen auf Anfrage bei der Autorin

Back to top