
C-Brace®-Orthesensystem – Prothesentechnologie in der Orthetik
Autorin:
Dr. Susanna Philipp-Hauser
Rehabilitationszentrum Weißer Hof
Klosterneuburg
E-Mail: iris.philipp-hauser@auva.at
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2021 langte bei uns im Rehabilitationszentrum Weißer Hof der erste Antrag zur C-Brace®-Austestung ein – C-Brace® ist ein Orthesen-system der Firma Ottobock. Bis zu diesem Zeitpunkt fanden bei uns ausschließlich Prothesenaustestungen statt. Dies war der Grund, uns erstmals mit diesem Thema zu beschäftigen.
Keypoints
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Auch wenn nur ein kleines Patientenkollektiv für eine C-Brace®-Versorgung infrage kommt, lohnt es sich (nach richtiger Indikationsstellung), eine solche in Betracht zu ziehen.
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Der Gewinn an Lebensqualität kann im Einzelfall enorm sein.
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Es können Vorteile wie das Verlassen der eigenen Wohnung, ein Spaziergang im Freien und vieles mehr wieder ermöglicht werden.
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Aufgrund der geringen Fallzahlen macht eine Konzentration dieser Patient*innen in einigen wenigen Häusern durchaus Sinn.
Zwischen den Rehabilitationszentren (RZ) der AUVA wurde der Konsens geschlossen, solche Testungen nur in einem unserer Häuser durchzuführen. Da C-Brace®-Versorgungen derzeit selten vorkommen, ist die Zertifizierung von Therapeut*innen in allen AUVA-Zentren nicht sinnvoll. Durch die Konzentration dieser Versorgungen in einem RZ kann die Expertise der geschulten Therapeut*innen gut eingesetzt und dadurch die Qualität der Versorgung gewährleistet werden. Da im RZ Weißer Hof, wie bereits erwähnt, bereits ein Patient auf der Warteliste für die Testung stand, wurde unser Haus dazu auserkoren, sich mit dieser neuen Orthesentechnologie auseinanderzusetzen.
Was ist oder kann das C-Brace® überhaupt?
C-Brace® ist das weltweit erste mechatronische SSCO-System („stance and swing phase control orthosis“) mit 3D-Bewegungserkennung (Abb. 1). Sowohl die Stand- als auch die Schwungphase werden durch eine mikroprozessorgesteuerte Technologie geregelt. Diese erinnert an jene des C-Leg® aus der Prothetik (deshalb wurde dieser Artikel für diese Sonderausgabe von JATROS ausgewählt).1
Eine Besonderheit dieser Technologie ist das Auslösen der „Yielding“-Funktion. Unter Yielding versteht man eine unlimitierte Kniegelenksbeugung gegen einen hydraulischen Widerstand (den sogenannten Standphasenflexionswiderstand), um ein alternierendes Berg- bzw. Treppabgehen zu ermöglichen.1 Hierbei wird die exzentrische Funktion des M. quadriceps femoris simuliert, um eine kontrollierte Flexion des Prothesen- bzw. Orthesengelenkes unter Last zu ermöglichen. Das brachte uns zunächst zu der Frage, für welche Patientengruppe das C-Brace® geeignet ist.
Indikationen
Indikationen für eine C-Brace®-Versorgung sind neurologische Erkrankungen, die zu einer ein- oder beidseitigen schlaffen Beinparese führen, z.B. das (Post-)Polio-Syndrom, eine traumatische Parese sowie eine inkomplette Querschnittlähmung (Läsionshöhe zwischen L1 und L5) ohne bzw. mit geringer Spastik.1
Voraussetzung für die Nutzung dieser speziellen Orthese, welche ein passives Orthesensystem darstellt, sind eine ausreichende Rumpfstabilität des Patienten sowie ein gewisses Maß an Muskelkraft der Hüftflexoren und -extensoren, die ein kontrolliertes Durchschwingen der Extremität erlauben.1 Eine Kompensation über die Rumpfmuskulatur ist hier ebenfalls möglich.1
Kontraindikationen
Folgende Ausschlusskriterien (Kontraindikationen) wurden von Ottobock für diese Versorgung festgelegt:
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Das Auslösen einer Schwungphase ist nicht möglich.
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keine ausreichende Rumpfstabilität
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mittlere bis schwere Spastizität
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Beugekontrakturen im Knie und/oder in der Hüfte von mehr als 10°
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Knievarus-/-valgusfehlstellung über 10°, welche passiv nicht korrigierbar ist
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Beinlängendifferenz über 15cm
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Orthoprothese
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Körpergewicht über 125 kg
Bevor Patient*innen die Möglichkeit erhalten, ein C-Brace® zu testen, müssen das „C-Brace®-Versorgungsrad“ sowie der Muskel- und Gelenkstatus von einem Mitarbeiter des Sanitätshauses erhoben und vollständig ausgefüllt werden. So kann gewährleistet werden, dass die richtige Indikation für diese Versorgung gestellt wurde.2 Eine solche Versorgung benötigt Teamarbeit von Arzt und Ärztin, Therapeut*in, Orthopädietechniker*in vom Sanitätshaus, den entsprechenden Berufsgruppen im Rehazentrum, dem Kostenträger und dem/der Mitarbeiter*in von Ottobock.2
Meist verfügen Patient*innen der oben angeführten Zielgruppe bereits über eine konventionelle Ganzbeinorthese (KAFO: „knee-ankle-foot orthosis“) beziehungsweise sind nur mit dem Rollstuhl mobil.
Während einer einwöchigen Probephase werden, begleitet von eigens dafür zertifizierten Physiotherapeut*innen, täglich zwei Stunden Gangschulung absolviert. Patient*innen haben die Möglichkeit, den Mehrwert der C-Brace®-Versorgung für den jeweiligen Alltag zu unterstreichen. Am Ende dieser Woche wird die C-Brace®-Versorgung im Rahmen eines objektivierten Tests der vorhandenen Versorgung gegenübergestellt.
Vorteile
Wie auch bei mikroprozessorgesteuerten Prothesen liegt der Vorteil für Patient*innen in erster Linie in der Erleichterung von Alltagsaktivitäten, z.B. kontrolliertem Hinsetzen, Überwinden kleiner Hindernisse, Gehen über Stiegen und Rampen, Gehen in unebenem Gelände sowie Gehen mit unterschiedlichen Gehgeschwindigkeiten.4 Hauptziel ist dabei die Verminderung der Sturzgefahr.4
Die Studie von Deems-Dluhy et al. 2017 konnte zeigen, dass Stürze im Vergleich zu LKAFO („locked knee-ankle-foot orthosis“) um 65% und im Vergleich zu SCO („stance-controlled orthosis“) um 85% reduziert werden konnten.3,5 Gleichzeitig konnte auch die Gehgeschwindigkeit gesteigert werden.3 Im 6-Minuten-Gehtest konnte eine größere Distanz zurückgelegt werden und Stufen, Rampen sowie unebenes Gelände konnten besser bewältigt werden. Das Gleichgewicht verbesserte sich ebenfalls.3
Beim Hinsetzen ist es mit dem C-Brace® möglich, kontrolliert ins Knie zu gehen, wodurch das Gesäß gezielt, aber vor allem sehr sanft auf der Sitzfläche aufkommt. Hierfür nimmt der Mikroprozessor die Einleitung der Bewegung über einen Sensor wahr.6 Der Kniegelenksbeugung wird ein Widerstand entgegengesetzt, um diese dosieren zu können.6 Diese Funktion kommt auch beim Treppenabwärts- und Schrägenhinuntergehen zum Einsatz.6
Das C-Brace®-System erkennt auch das Rückwärtsgehen.6 Die kontrollierte Kniegelenksbeugung beim Rückwärtsgehen minimiert das Sturzrisiko erheblich.6
Ein weiterer Vorteil einer C-Brace®-Versorgung kann der Abbau von Hilfsmitteln sein.6 Für viele Patient*innen ist es möglich, den Einsatz von Unterarmstützkrücken zu reduzieren bzw. diese ganz wegzulassen.6 Mit freien Händen ist wieder ein selbstbestimmtes Leben möglich. So können z.B. Eltern wieder alleine mit dem Kind unterwegs sein.7 Wo einst die Unterarmstützkrücke hinderlich war, kann nun das Kind an der Hand geführt oder sogar getragen, ein Kinderwagen geschoben oder ein Hund an der Leine geführt werden.3,7
Schulung
Am 2. Juni 2021 fand im RZ Weißer Hof das Therapeut*innenseminar für das C-Brace® statt, an dem auch ich teilnehmen durfte. Nachdem wir mit den wichtigsten Informationen vertraut gemacht wurden, durften wir selbst eine Testversion des C-Brace® (DTO: diagnostische Testorthese) anlegen. Zunächst sollten wir versuchen, die Schwungphase auszulösen. Gelang dies, wurde das mit einem akustischen Signal „belohnt“.
Das Gehen in der Ebene war nach kurzer Trainingsphase möglich, sodass wir uns anschließend zunächst auf eine Rampe und in weiterer Folge auf die Treppe wagten. Das alternierende Treppabgehen ist durchaus ein Unterfangen mit Adrenalinausschüttung, gleichzeitig aber auch eine tolle Erfahrung. Es ist für eine gesunde Person so zumindest annähernd spürbar, wie sich das Gehen mit einer C-Brace®-Orthese oder C-Leg®-Prothese anfühlen könnte (Abb. 2).
Austestung
In der Zwischenzeit hatten wir insgesamt vier Patient*innen: Drei davon kamen zur Austestung (zwei davon für den Kostenträger, ein Patient war Selbstzahler) und einer zur Gangschulung. Bei der Austestung wird dann hierorts festgestellt, ob C-Brace® die geeignete Alltagsversorgung ist. Der vierte Patient, der zur Gangschulung zu uns kam, war bereits mit einer von seinem Kostenträger bewilligten Maßanfertigung eines C-Brace® versorgt.
Von den drei zu testenden Patient*innen konnten zwei zeigen, dass sie die technischen Möglichkeiten vollumfänglich nutzen können, und die Versorgung wurde in beiden Fällen von den Kostenträgern bewilligt. Der dritte Patient (der Selbstzahler) war primär bereits richtig vorselektiert worden: Es bestand hier bei vorhandener Quadricepsfunktion und fehlender Ansteuerbarkeit der Hüftmuskulatur eine Kontraindikation für eine C-Brace®-Versorgung. Dieser Patient war jedoch dankbar, dass er fünf Tage lang die Möglichkeit hatte, damit zu üben und selbst feststellen konnte, dass er von einer solchen Orthese nicht profitiert.
Welche Diagnosen hatten die Patient*innen? Zwei Patient*innen kamen mit der Diagnose eines (Post-)Polio-Syndroms der unteren Extremitäten. Bei dem dritten Patienten, welcher auf eigene Kosten zu uns kam, bestand eine Tetraplegie sub C7 ASIA B, bei erhaltener Funktion des M. quadriceps. Bei jenem Patienten, welcher bereits mit der verordneten und bewilligten maßgefertigten C-Brace®-Orthese zur Gangschulung kam, lag ein inkompletter Querschnitt nach vorangegangener Tumorerkrankung vor.
Ablauf der Austestung
Unser Testablauf ist an jenen der Prothesentests angelehnt. Er besteht aus Basistests, wie dem „Timed-up-and-go-Test“, dem 6-Minuten-Gehtest sowie dem 10-Meter-Gehtest.
Neben den Basistests werden auch funktionelle Tests gemacht. Hier müssen die Patient*innen zeigen, ob es für sie möglich ist, Stiegen aufwärts und – gegebenenfalls alternierend – abwärts zu gehen, bei geringer Steigung (6–10%) bzw. großer Steigung (12–15%) bergauf/-ab zu gehen, sich hinzusetzen bzw. von einem Stuhl aufzustehen und auch das Stehgleichgewicht mit offenen und geschlossen Augen wird getestet. Beurteilt wird ebenfalls, ob die angeführten Anforderungen mit oder ohne Hilfsmittel (Stöcke bzw. Unterarmstützkrücken) bewältigt werden. Sämtliche Tests werden mit der bestehenden Orthese (z.B. KAFO) und mit dem C-Brace® durchgeführt.
Das Ziel dieser Testung ist es, einen möglichen Mehrwert einer C-Brace®-Versorgung für den Alltag zu zeigen (Abb. 3).
Literatur:
1 C-Brace® – Einführung 2 C-Brace®-Versorgungsrad 3 Böing T: Transfer von prothetischen Versorgungsstandards in die Neurorehabilitation 4 C-Brace®: der neue Behandlungsstandard. Klinisch belegte Vorteile 5 Deems-Dluhy S et al.: The impact of a MPO vs. SCO vs. locked KAFO on the functional ability of individuals with lower extremity weakness due to neurologic or orthopaedic injury or disease. 16th ISPO World Congress, Kapstadt, 8.–11. Mai 2017 6 Das neue C-Brace®: ein physiotherapeutischer Trainingsleitfaden 7 Pröbsting E et al.: Safety and walking ability of KAFO users with the C-Brace® orthotronic mobility system, a new microprocessor stance and swing control orthosis. Prosthet Orthot Int 2017; 41(1): 65-77
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