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Biomechanische Untersuchung der Tubercula- Refixation mit Kabel- oder Faden-Cerclagen an die inverse Schulterprothese

<p class="article-intro">Um eine gute klinische Funktion nach einer proximalen Humerusfraktur, versorgt mit einer inversen Schulterprothese, zu erreichen, ist die suffiziente Refixation der Tubercula mit einer konsekutiven Einheilung entscheidend. Ziel dieser Arbeit war es, die Festigkeit der mittels nicht resorbierbarer Fäden oder Titan/Aluminium-Kabeln in einer Cerclage-ähnlichen Technik refixierten Tubercula anhand eines biomechanischen Test-Set-ups zu evaluieren.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Mit Kabel-Cerclagen refixierte Tubercula tendierten zu einer geringen Rotation und wiesen eine h&ouml;here Stabilit&auml;t auf als mit Faden-Cerclagen refixierte Tubercula.</li> <li>Im Vergleich zu Faden-Cerclagen k&ouml;nnten Kabel-Cerclagen zu einer verbesserten kn&ouml;chernen Einheilung der Tubercula f&uuml;hren.</li> <li>Die Entstehung von Hohlr&auml;umen zwischen den Tubercula und der Epiphyse/des Schaftes der Prothese sollte vermieden werden, da es zu einer Schw&auml;chung der Fixationsfestigkeit der Tubercula kommen k&ouml;nnte.</li> </ul> </div> <p>Proximale Humerusfrakturen betragen in etwa 5 % aller Frakturen und z&auml;hlen zu den dritth&auml;ufigsten osteoporotisch bedingten Frakturen.<sup>1</sup> Zur operativen Behandlung komplexer und nicht rekonstruierbarer proximaler Humerusfrakturen wurde lange Zeit auch beim &auml;lteren Patienten die Fraktur-Hemiprothese verwendet. Aufgrund der hohen Versagensrate in Bezug auf die Tubercula-Einheilung und des damit einhergehenden schlechten klinischen Ergebnisses bei der Fraktur-Hemiprothese gewann die inverse Schulterprothese auch in der Frakturversorgung vor allem beim &auml;lteren Patienten mehr und mehr an Bedeutung.<sup>2, 3</sup><br /> Rezente Arbeiten konnten bereits ein besseres klinisches/funktionelles Ergebnis der inversen Schulterprothese verglichen zur Fraktur-Hemiprothese mit einer h&ouml;heren Einheilungsrate der Tubercula vorweisen.<sup>4&ndash;6</sup> Trotz alledem wurde eine Fehlverheilung bzw. Nichteinheilung der Tubercula im Rahmen der inversen Schulterendoprothetik zur Behandlung proximaler Humerusfrakturen in bis zu 50 % der F&auml;lle beobachtet.<sup>7, 8</sup> Neben der insuffizienten Refixation k&ouml;nnten bez&uuml;glich des Versagens der kn&ouml;chernen Einheilung auch eine kompromittierte Blutversorgung oder eine &Uuml;berreposition der Tubercula eine Rolle spielen.</p> <p>Diverse Techniken f&uuml;r die Refixation der Tubercula, welche bei der inversen Schulterprothese Anwendung finden, sind meist auf die Fraktur-Hemiprothese zur&uuml;ckzuf&uuml;hren und sind auf ihre biomechanischen Eigenschaften in Bezug auf die inverse Frakturendoprothetik bislang nicht untersucht.<sup>9</sup></p> <h2>Methodik</h2> <p>Es wurden 8 humane Humeruspaare von 5 Frauen und 3 M&auml;nnern mit einem mittleren Alter von 71 &plusmn; 7 Jahren in die Studie eingeschlossen. Zu Lebzeiten war von allen Spendern ein schriftlicher Konsens zur wissenschaftlichen Verwendung ihrer K&ouml;rper nach dem Tod erteilt worden.<sup>10</sup> Vor der Pr&auml;paration und Testung der Humeri wurde eine CT-Untersuchung zum Ausschluss von pathologischen Ver&auml;nderungen sowie zur Messung der Knochendichte mittels EFP-Modell durchgef&uuml;hrt.<sup>11</sup> Die Zuteilung der einzelnen Humeri eines Paares in die Faden- oder Kabel-Gruppe erfolgte per Zufall.</p> <p><strong>Pr&auml;paration und Prothesenimplantation</strong><br />Mit einer oszillierenden S&auml;ge wurde in Anlehnung an die Frakturbeschreibung von Hertel eine standardisierte 4-Teile- Oberarmkopffraktur an allen Humeri kreiert.<sup>12</sup> Die Frakturlinien wurden zwischen dem Tuberculum minus und dem Tuberculum majus lateral des Sulcus intertubercularis gesetzt, wobei das Tuberculum majus v-f&ouml;rmig osteotomiert wurde. Die Supraspinatussehne wurde abgel&ouml;st und reseziert; die Infraspinatus- und die Subscapularissehne wurden mittels Mason-Allen-N&auml;hten und zus&auml;tzlicher transoss&auml;rer Fixierung angeschlungen. Um den Anpressdruck des M. deltoideus zu simulieren, wurde im Ansatzbereich des Muskels (Tuberositas deltoidea) ein Faden transoss&auml;r fixiert, an welchen eine passive Muskelkraft von 10N angebracht wurde.<br />Eine Monoblockkomponente der Delta- Xtend-Prothese (DePuy Synthes) wurde entsprechend der Operationsanleitung des Herstellers implantiert und zementiert. In weiterer Folge wurden die Tubercula reponiert und entweder mit zwei Ethibondexcel- 6-F&auml;den (Ethicon Inc.) oder zwei 1mm-Titan/Aluminium-Kabeln (DePuy Synthes) in einer Cerclage-&auml;hnlichen Technik um die Epiphyse/den Schaft der Prothese refixiert. Die F&auml;den bzw. Kabel wurden jeweils am &Uuml;bergang des Sehnenansatzes der Subscapularis- und Infraspinatussehne an den Tubercula transoss&auml;r vorgelegt. Die F&auml;den wurden gedoppelt und mittels &bdquo;nice knot&ldquo; geknotet.<sup>13</sup> Die Kabel wurden mit dem entsprechenden Spannger&auml;t gespannt und jeweils mittels einer &Ouml;se verblockt.</p> <p><strong>Test-Set-up</strong><br /> In 30&deg; abduzierter Position wurden die in PMMA eingebetteten Humeri in den Testaufbau der Material-Pr&uuml;fmaschine (MTS) eingespannt. Durch ein Kugellager wurden Rotations- und Translationsbewegungen mit einer maximalen Rotation von 7,5&deg; je Seite erm&ouml;glicht. Die Glenosph&auml;re wurde am Testaufbau fixiert, um eine Rotations-/Gleitbewegung zu erm&ouml;glichen. Die Infraspinatus- und Subscapularissehnen wurden mit den vorgelegten F&auml;den mit dem Aktuator der MTS, welcher &uuml;ber dem Rotationszentrum der Prothese platziert wurde, verbunden und mit 10N vorgespannt (Abb. 1).<br /> Ein zyklisches Lastprotokoll beginnend mit 1Nm und einer schrittweisen Steigerung um 0,25Nm nach jedem 100. Zyklus wurde angewendet.<br /> Die Rotationsmessung der Tubercula erfolgte mit einem 3D-Ultraschall-basierten Bewegungsanalysesystem anhand einer x-, y- und z-Achse. Dabei spiegelte die z-Achse die Rotation der Tubercula um die Humerusschaftachse wider, die x-Achse eine Kranialisierung der Tubercula und die y-Achse eine &Ouml;ffnung des intertuberkularen Frakturspaltes. Das Versagen der Refixation wurde ab einer Rotation der Tubercula von &gt;15&deg; festgelegt.</p> <h2>Resultate</h2> <p>Insgesamt wurden 7 Paare f&uuml;r die statistische Auswertung herangezogen, da ein getestetes Humeruspaar in beiden Fixationsgruppen aufgrund der schlechten Knochenqualit&auml;t bereits nach 100 Zyklen versagte. Im Allgemeinen lag die mittlere gemessene Knochendichte in der Faden- Gruppe bei 110 &plusmn; 15mg/cm<sup>3</sup> und in der Kabel-Gruppe bei 115 &plusmn; 15mg/cm<sup>3</sup>. Die Kabel-Gruppe erreichte 1414 &plusmn; 372 Zyklen und die Faden-Gruppe 1257 &plusmn; 230 Zyklen bis zum Versagenskriterium (p=0,313). Alle Pr&auml;parate erreichten 900 Zyklen, bevor die ersten Versager beobachtet wurden. Die Hauptbewegung wurde um die Humerusschaftachse (z-Achse) detektiert. Die Rotation des Tuberculum minus um die z-Achse war in der Kabelgruppe nach 200, 400 und 600 Zyklen signifikant niedriger, verglichen mit der Fadengruppe (p=0,018&ndash;0,043). Bezogen auf das Tuberculum majus zeigte sich an der z-Achse kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Nach 900 Zyklen wies die Kabel-Gruppe signifikant weniger Rotation beider Tubercula an der x- und y-Achse auf (p=0,028) (Abb. 2&ndash;4).</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Eine ad&auml;quate Refixation der Tubercula im Rahmen der Schulterendoprothetik bei komplexen proximalen Humerusfrakturen f&uuml;hrt zu einer besseren kn&ouml;chernen Einheilung, gefolgt von einer verbesserten klinischen Schulterfunktion.<sup>7, 8, 14&ndash;16</sup><br /> In dieser biomechanischen Studie konnte eine niedrigere Rotation der Tubercula in der Kabel-Gruppe verglichen mit der Faden-Gruppe an allen 3 gemessenen Achsen beobachtet werden. Es l&auml;sst sich daher die Tendenz zu einer h&ouml;heren Stabilit&auml;t der mit Titan/Aluminium-Kabeln refixierten Tubercula ableiten.<br /> Von klinischer Seite betrachtet erwies sich die auf die frakturierten Tubercula einwirkende Kraft als gering und nicht vergleichbar mit an intakten Humeri applizierten Kr&auml;ften aus In-vivo-Untersuchungen.<sup>17</sup> Ziel dieser biomechanischen Testung war es jedoch, Kr&auml;fte, welche w&auml;hrend der initialen postoperativen passiven Mobilisierung entstehen, anzuwenden. Hierf&uuml;r wurde eine dynamische Testung mit einem zyklischen Lastprotokoll und einer schrittweisen Lasterh&ouml;hung erarbeitet und angewendet, um ein Versagen der refixierten Tubercula zu provozieren.<br /> Der Fokus der in dieser Studie verwendeten Cerclage-&auml;hnlichen Refixationstechnik der Tubercula f&uuml;r beide Gruppen lag auf einer praktikablen Handhabung bei ausreichender Fixationsfestigkeit. Die Technik lehnt sich an die bereits von Hertel beschriebene Technik mit Titan/Aluminium- Kabeln bei der anatomischen Frakturprothese an, welche in einer klinischen Studie deutlich bessere Ergebnisse in Bezug auf die Einheilung der Tubercula sowie die daraus resultierende Schulterfunktion gegen&uuml;ber einer Fadenrefixation nach Rockwood aufzeigte.<sup>18</sup><br /> Auf eine Einbindung der Finnen der Prothese wurde in dieser Arbeit verzichtet, da es nach unserer klinischen Erfahrung zu einer Fehlreposition der Tubercula kommen k&ouml;nnte. Eine biomechanische Untersuchung, bezogen auf eine anatomische versus nicht anatomische Reposition der Tubercula an eine anteriore oder laterale Finne der Prothese, zeigte einen 8-fach erh&ouml;hten Wiederstand bei der Au&szlig;enrotation in der nicht anatomischen Gruppe.<sup>19</sup> Daten &uuml;ber einen biomechanischen Vorteil bei der Verwendung der Finnen zur Refixation der Tubercula existieren derzeit nicht.<br /> Unabh&auml;ngig von der Verwendung von Kabeln oder F&auml;den kam es vor allem im hohen Lastbereich zu einer Lockerung der refixierten Tubercula w&auml;hrend der zyklischen Testung. Eine m&ouml;gliche Ursache k&ouml;nnte die Entstehung eines Hohlraums zwischen den refixierten Tubercula und der Epiphyse/des Schaftes der Prothese gewesen sein. Um dies zu vermeiden, kann eine nicht anatomische Reposition der Tubercula durchgef&uuml;hrt werden, welche jedoch aufgrund der ver&auml;nderten Muskelfunktion der Rotatorenmanschette und einer potenziell resultierenden Bewegungseinschr&auml;nkung vermieden werden sollte.<sup>19, 20</sup><br /> Eine andere Alternative stellt die Unterf&uuml;tterung mit autologem Knochen dar. Klinische Arbeiten konnten bereits eine verbesserte Einheilung der Tubercula und damit verbunden eine bessere klinische Funktion unter der Anwendung einer autologen Knochenunterf&uuml;tterung der refixierten Tubercula aufweisen.<sup>21, 22</sup> Die kleine Fallzahl der Studie stellt eine Limitation dar. Auch stellt das einheitlich kreierte 4-Teile-Oberarmkopffrakturmodell in Hinblick auf die gro&szlig;e Variationsbreite und die Individualit&auml;t proximaler Humerusfrakturen, welche im klinischen Alltag auftreten, eine weitere Limitation dieser biomechanischen Arbeit dar. Es sollte jedoch bedacht werden, dass alle Testungen und Pr&auml;parationen unter kontrollierten und standardisierten Laborbedingungen durchgef&uuml;hrt wurden und daher diverse Einflussfaktoren, welche in klinischen Studien vorkommen k&ouml;nnen, ausgeschlossen waren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Ortho_1806_Weblinks_jatros_ortho_1806_s25_abb1+2-4.jpg" alt="" width="2150" height="2763" /></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Khatib O et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 1356-62 <strong>2</strong> Boileau P et al.: J Shoulder Elbow Surg 2002; 11: 401-12 <strong>3</strong> Kralinger F et al.: J Bone Joint Surg Br 2004; 86: 217-9 <strong>4</strong> Ferrel J et al.: J Orthop Trauma 2015; 29: 60-8 <strong>5</strong> Mata- Fink A et al.: J Shoulder Elbow Surg 2013; 22: 1737-48 <strong>6</strong> Sebastia-Forcada E et al.: J Shoulder Elbow Surg 2014; 23: 1419-26 <strong>7</strong> Bufquin T et al.: J Bone Joint Surg Br 2007; 89: 516-20 <strong>8</strong> Ross M et al.: J Shoulder Elbow Surg 2015; 24: 215-22 <strong>9</strong> Baumgartner D et al.: J Orthop Surg Res 2011; 6: 6-36 <strong>10</strong> Riederer B et al.: Eur J Anat 2012; 16: 1-21 <strong>11</strong> Krappinger D et al.: Skeletal Radiol 2012; 41: 299-304 <strong>12</strong> Hertel R: Osteoporos Int 2005; 16: 30 <strong>13</strong> Boileau P et al.: Orthopedics 2016; 8: 1-5 <strong>14</strong> Gallinet D et al.: J Shoulder Elbow Surg 2013; 22: 38-44 <strong>15</strong> Grubhofer F et al.: J Shoulder Elbow Surg 2016; 25: 1690-8 <strong>16</strong> Jorge-Mora A et al.: J Shoulder Elbow Surg 2018. doi: 10.1016/j. jse.2018.05.036 <strong>17</strong> Westerhoff P et al.: J Biomech 2009; 42: 1840-9 <strong>18</strong> Krause FG et al.: J Orthop Trauma 2007; 21: 682-6 <strong>19</strong> Frankle MA et al.: J Shoulder Elbow Surg 2001; 10: 321-6 <strong>20</strong> Ackland DC et al.: J Bone Joint Surg Am 2010; 92: 1221-30 <strong>21</strong> Levy C, Badman B: J Orthop Trauma 2011; 25: 318-24 <strong>22</strong> Uzer G et al.: J Shoulder Elbow Surg 2017; 26: 36-41</p> </div> </p>
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