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Autologe Chondrozytentransplantation nach lumbaler Sequestrektomie
Jatros
Autor:
Prof. Dr. Claudius Thomé
Autor:
Dr. Anja Tschugg
Korrespondierende Autorin<br> E-Mail: anja.tschugg@i-med.ac.at<br> Universitätsklinik für Neurochirurgie, Medizinische Universität Innsbruck
30
Min. Lesezeit
15.09.2016
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<p class="article-intro">Regenerative Therapiestrategien bei Bandscheibendegeneration rücken immer mehr in den Mittelpunkt der Forschung. Erste Ergebnisse von klinischen Studien nach autologer Zelltransplantation sind erfolgversprechend.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Das Konzept der Chondrozytentransplantation basiert auf der Annahme, dass injizierte vitale Chondrozyten in der avaskulären und sauerstoffarmen Umgebung der Bandscheibe überleben.</li> <li>Grundvoraussetzung für den Erhalt der Vitalität ist ein geeignetes Trägermaterial.</li> <li>Autologe Zelltransplantation soll eine Rehydratation der Bandscheibe bewirken bzw. das Fortschreiten der Degeneration verhindern.</li> <li>Mit den derzeitigen Studien stehen wir noch am Anfang der klinischen Forschung, erste Ergebnisse sind jedoch erfolgversprechend.</li> </ul> </div> <p>In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die spinale Chirurgie als eine der am schnellsten wachsenden Disziplinen herauskristallisiert. Dabei nahmen spinale Fusionen und Arthroplastie als unmittelbar symptomlindernde Maßnahmen einen hohen Stellenwert ein. Weniger Augenmerk wurde auf regenerative Therapiestrategien, die nicht nur präventive, sondern auch kurative Möglichkeiten bieten, gelegt. Basierend auf In-vitro- und auch In-vivo-Studien hat die Anwendung am Menschen in klinischen Studien erste erfolgversprechende Resultate gezeigt.</p> <h2>Die intervertebrale Bandscheibendegeneration</h2> <p>Die Grundsubstanz der Bandscheibe wird durch die Chondrozyten synthetisiert. Ihre hohe biochemische Widerstandsfähigkeit und Zugfestigkeit wird überwiegend durch das feinfibrilläre Kollagen Typ II der Knorpelmatrix vermittelt. Die Kompressionsfestigkeit beruht auf der exzessiven Wasserbindung hochmolekularer Proteoglykane und deren Einschluss in das rigide Kollagen-Typ-II-Gerüst. Durch diese Gewebearchitektur wird der Knorpelmatrix eine physiologische Vorspannung verliehen, die unter Belastung die Höhenveränderung des Knorpels erheblich reduziert. Bereits eine vergleichsweise geringe Schädigung der Proteoglykanarchitektur kann im Gegenzug zu massiven Einbußen der biomechanischen Eigenschaften der Bandscheibe führen. Da Chondrozyten vorzugsweise über Diffusion von Nährstoffen aus der gesunden Grund- und Deckplatte des angrenzenden Wirbelkörpers versorgt werden und damit kein direkter Zugang zu gewebsspezifischen regenerativen Zellpopulationen besteht, findet bei Bandscheibenschäden in der Regel keine Defektregeneration statt. Die im Rahmen einer Bandscheibendegeneration auftretenden Veränderungen der Zell- und Molekularbiologie des Knorpels sind gekennzeichnet durch das Absterben von Chondrozyten, eine insuffiziente Synthese neuer Matrixmoleküle und die Freisetzung von entzündlichen Mediatoren und katabolen Enzymen, wobei der Degenerationsgrad deutlich mit der Konzentration dieser proinflammatorischen Faktoren, insbesondere von IL-1 und TNF-alpha, korreliert. Die Chondrozyten produzieren in diesem pathologisch aktivierten Zustand vermehrt Proteasen, die durch Spaltung von Kollagen das Kollagennetzwerk, in das die Proteoglykane eingebettet sind, zerstören. Dadurch verliert die Bandscheibe die Fähigkeit zur Einlagerung von Wasser. Es tritt ein Höhenkollaps der Knorpelmatrix ein. Dieser Prozess führt zu einer weiteren Verschlechterung der biomechanischen Eigenschaften und damit auch zu einer pathologischen Veränderung der Grund- und Deckplatte. Diese antianabole, katabole Stoffwechsellage verbliebener Knorpelzellen wird weiter stimuliert, bis auch der subchondrale Knochen von den degenerativen Veränderungen betroffen ist und das finale Stadium erreicht wird.</p> <h2>Das Konzept der Chondrozytentransplantation</h2> <p>Das Konzept der Chondrozytentransplantation basiert auf der Annahme, dass injizierte vitale Chondrozyten einerseits in der avaskulären und sauerstoffarmen Umgebung der Bandscheibe überleben und andererseits extrazelluläre Matrix produzieren und damit das Fortschreiten der Degeneration reduzieren bzw. verhindern. Grundvoraussetzung für die erfolgreiche klinische Anwendung der biologischen Verfahren ist die Herstellung einer funktionsfähigen Knorpelmatrix, die in der Lage ist, mit den gesunden Umgebungsstrukturen zu fusionieren, und deren biomechanische Eigenschaften auch langfristig mit denen der Bandscheibe vergleichbar sind. Nach den Ergebnissen der gegenwärtig vorliegenden In-vitro- und In-vivo-Studien ist hierzu eine ausreichende Zahl vitaler knorpelbildender Zellen erforderlich. Die primäre Matrix, also das Trägermaterial, dient den Zellen als temporäre Leitstruktur für ihre räumliche Ausrichtung und bis zur Resorption des Trägers als Ort der eigenen Matrixsynthese. Da die funktionellen Eigenschaften der Zellen vor allem durch Zell-Matrix-Interaktion beeinflusst werden, ist die Zusammensetzung des Trägermaterials von entscheidender Bedeutung für die spätere Regenerationsqualität in vivo. Weiters sind biomechanische und physikalische Eigenschaften entscheidend für die operative Handhabbarkeit und die Transplantatintegration.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite69_1.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Klinische Studien</h2> <p>Eine Pionierarbeit haben Meisel und seine Mitarbeiter mit der ersten Anwendung am Menschen geleistet, indem sie an 14 Patienten die Durchführbarkeit und Sicherheit der Transplantation autologer Bandscheibenzellen zeigen konnten. Darauf folgte eine multizentrische, prospektive, randomisiert kontrollierte Studie (EuroDISC), in der die Diskektomie in Kombination mit autologer Zelltransplantation mit einer alleinigen Diskektomie an 112 Patienten verglichen wurde. Wichtige Ausschlusskriterien waren eine fortgeschrittene Bandscheibendegeneration mit Modic-Veränderungen von Typ II und III, eine Spondylolisthese und ein chronisches Facettengelenkssyndrom. Nach zwei Jahren Beobachtungszeitraum zeigten die Patienten, die die Zellen erhalten hatten, eine signifikante Reduktion des Rückenschmerzes im Vergleich zur Kontrollgruppe. Zudem wies die Kontrollgruppe bildgebend eine deutliche Höhenminderung des Bandscheibenfaches auf. Nachteile dieser Studie waren neben einigen methodischen Schwächen die Verwendung der autologen Zellen ohne spezielles Trägermaterial.<br /> Eine prospektive Studie von Coric et al umfasste die Injektion von allogenen juvenilen Chondrozyten mit einem Trägermaterial aus Fibrin. Relevante Nebenwirkungen wie Abstoßungsreaktionen wurden in einem Zeitraum von zwölf Monaten nicht beobachtet – bei erstaunlich guter klinischer und radiologischer Befundbesserung. Anzumerken ist hierbei jedoch, dass Fibrin für chondrogene Zellen als Trägermaterial nicht die beste Wahl darstellt, da der Kontakt mit Fibrin sogar zum Knorpelabbau führen kann. Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat als Biomaterialien garantieren in einer definierten Konzentration eine natürliche Umgebungsstruktur für Chondrozyten, damit ein ausgeglichenes Nährstoffangebot und letztlich eine höhere Überlebensrate der transplantierten Zellen durch einen antiinflammatorischen und osmotischen Effekt. Dieser Therapieansatz wird im Rahmen der N-Disc-Studie aufgegriffen und derzeit prospektiv randomisiert an 120 Patienten in einer Phase-I/II-Kombinationsstudie untersucht. Hierbei werden autologe Knorpelzellen nach einer lumbalen Sequestrektomie gezüchtet (Abb. 1) und nach drei Monaten in einem Sekundäreingriff reimplantiert (Abb. 2). Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Ortho_1605_Weblinks_Seite69_2.jpg" alt="" width="381" height="483" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Trotz erheblicher Entwicklungsfortschritte erfüllen die momentan zur Verfügung stehenden Matrices zur biologischen Rekonstruktion von Bandscheibendegenerationen noch nicht alle an sie gestellten Anforderungen. Dies gilt insbesondere für ihre Verwendung als Trägermaterial für die Transplantation chondrogener Zellen. Zusammenfassend könnte die Nucleusaugmentation, speziell nach Bandscheibenoperationen, produktiv in den komplexen pathophysiologischen Prozess der Bandscheibendegeneration mit antikatabolen und inflammatorischen Faktoren eingreifen. Vermutlich ist dieses Verfahren jedoch in den Spätstadien des Degenerationsprozesses nicht mehr erfolgversprechend. Mithilfe einer neuen Generation von Biomaterialien, die derzeit Mittelpunkt intensiver Forschung sind, soll es in Zukunft auch möglich werden, fortgeschrittene Bandscheibenschäden biologisch zu rekonstruieren. Die autologe Chondrozytentransplantation selbst stellt zudem ein sicheres Verfahren dar, die Effektivität dieses Therapieverfahrens ist noch unklar. Eine randomisierte Phase-II-Studie wird derzeit abgeschlossen.</p></p>
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<p>bei den Verfassern</p>
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