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Am Anfang war die Hand
Jatros
Autor:
Mag. Christine Lindengrün
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Die Hände sind von jeher das wichtigste Instrument des Arztes. Greifen und Begreifen, Handeln und Behandeln als wichtige Elemente der Heilkunst tragen die Hand und ihre Funktion sogar im Wortlaut. Besonders in der Orthopädie spielt die Hand als Diagnostikum eine wichtige Rolle. „Wer angreift, der begreift“, sagt Prof. Dr. Hans Tilscher.</p>
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<p class="article-content"><p>Seit 1969 veranstaltet Prof. Dr. Hans Tilscher, Gründer und Präsident der Österreichischen Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin und konservative Orthopädie (ÖÄGMM), alljährlich einen Kurs für manuelle Medizin in Pörtschach. Zur 50. Veranstaltung stellte er die Hand selbst in den Mittelpunkt. Der Kongress „Am Anfang war die Hand“ bot an drei Tagen ein reichhaltiges interdisziplinäres Programm. In Vorträgen und Workshops wurde die Hand sowohl als Behandlungsziel bei Schmerzen, Ver­letzungen und Funktionsstörungen als auch als „Werkzeug“ für Diagnostik und Therapie in der manuellen Medizin betrachtet.</p> <h2>Szintigrafie und Radiosynoviorthese der Hand</h2> <p>Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz folgten Prof. Tilschers Einladung nach Kärnten. So kam auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin, Doz. Dr. Dipl.-Phys. Rigobert Klett, aus Gießen und sprach in zwei Referaten über die Hand als diagnostisches Instrument und über die nuklearmedizinische Diagnostik und Therapie der Hand. <br />Die Skelettszintigrafie zeigt laut Klett bei schwierigen traumatologischen Fragestellungen hohe Sensitivität und kann Frakturen sicher ausschließen. Bei Erkrankungen, die mit funktionellen Veränderungen, wie z.B. einer Perfusions- oder Knochenstoffwechselstörung, einhergehen, sei die Szintigrafie auch in ihrer Spezifität der radiologischen Bildgebung überlegen. Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist die Ganzkörperdarstellung die Domäne der Szintigrafie, aber auch die gezielte Diagnostik der Hand ergibt wesentliche Aussagen für die Frühdiagnose und Therapieplanung: „Die Szintigrafie der Finger- und Handgelenke kann die Entwicklung einer rheumatoiden Arthritis in den nächsten zwei Jahren zu 92 % voraussagen. Im Vergleich dazu liegt die Sensitivität der MRT hier bei 83 % , die des Röntgen bei 50 % “, sagt Klett. „Der Erfolg einer eingeleiteten Basistherapie ist im Verlauf mittels Weichteilphase der Skelettszintigrafie beurteilbar.“<br />Eine nuklearmedizinische therapeutische Methode bei Synovialitis und aktivierter Arthrose ist die Radiosynoviorthese. „Prospektive Studien zeigen bei rheumatoider Arthritis und seronegativen Arthritiden Erfolgsraten zwischen 62 und 88 Prozent“, so Klett. „Bei aktivierter Arthrose hängt die Erfolgsrate vom Ausmaß der knöchernen Veränderungen ab und liegt zwischen 45 und 85 Prozent. Die besten Ergebnisse werden am Daumensattelgelenk erzielt.“</p> <h2>Die Maus in der Hand</h2> <p>Über ein Krankheitsbild, das in der Menschheitsgeschichte erst vor Kurzem aufgetaucht ist, referierte Prof. Dr. Gerold Ebenbichler von der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin, Wien: „Die meisten Computerbefehle und -aktionen werden mit einer Computermaus durchgeführt. Der Unterarm ist dabei meist in Pronation und das Handgelenk abhängig von der Maushöhe in mehr oder weniger starker Extensions- und Ulnardeviationsstellung.“ In die Bewegungen zur Steuerung der Maus sind Gelenke von den Fingern bis zur Schulter involviert. Bei übermäßiger Beanspruchung können verschiedene Beschwerden in Hand, Unterarm, Schulter, Nacken und Wirbelsäule entstehen, die unter dem Begriff „Repetitive Strain Injury“-Syndrom (RSI-Syndrom) zusammengefasst werden.<br />„Eine monotone, repetitive und ergonomisch ungünstige Haltung der Hand mit Pronation, Ulnardeviation und verstärkter Extension im Handgelenk könnte das gehäufte Auftreten von Kompressionssyndromen wie Karpaltunnelsyndrom und De-Quervain-Syndrom erklären“, so Ebenbichler. Weitere mögliche Folgen eines Langzeit-Mausgebrauchs sind Arthrosen im PIP- und DIP-Gelenk, schnellende Finger, Insertionstendinosen (Fingerstrecker, Supraspinatus und Bizepssehne) und muskuläre Verspannungen, vorwiegend in der Pars horizontalis des M. trapezius.</p> <h2>„Darf ich Sie angreifen?“</h2> <p>Rechtsanwalt Dr. Stephan Trautmann, Wien, beleuchtete in seinem Vortrag einige juridische Aspekte von „Handgreiflichkeiten“ im Gesundheitsbereich und gab Tipps für die Praxis mit auf den Weg.<br />„Bevor man einen Patienten angreift, sollte man ankündigen, was man vorhat, wo man ihn berühren wird und warum das notwendig ist“, rät Trautmann. Das kann Missverständnisse vermeiden und bietet dem Behandler auch eine gewisse rechtliche Absicherung, falls es später zu Vorwürfen wegen Übergriffen kommen sollte. Bestimmte Berufsgruppen, die längeren körperlichen Kontakt mit Patienten haben, wie z.B. Masseure, sollten Art und Ausmaß der geplanten Behandlung mit dem Patienten sogar schriftlich fixieren. <br />Weil mit Händen leider auch Krankheitskeime übertragen werden können, ist der Trend zum begrüßenden Händeschütteln rückläufig, insbesondere in Ordinationen und Krankenanstalten. „Eine Klinik in Bochum rät ihren Angestellten sogar per Erlass vom Handgeben ab“, berichtet Trautmann. Weil viele Menschen aber nicht auf diese Grundgeste der Höflichkeit verzichten möchten, sollte man zumindest dafür sorgen, dass in Gesundheitseinrichtungen Möglichkeiten für die Händedesinfektion vorhanden sind. <br />„Als Dienstgeber haben Sie eine Fürsorge- und Aufsichtsverpflichtung für Ihre Mitarbeiter“, erinnert Trautmann. Diese geht weit über Dinge wie Händedesinfektion hinaus. „Sie müssen auch dafür sorgen, dass es unter Ihren Mitarbeitern zu keinen (sexuellen) Übergriffen kommt, dass Autoritätsverhältnisse nicht ausgenutzt werden. Sie haben die Verpflichtung, Präventivmaßnahmen zu treffen. Wenn es zu einem Verfahren kommt, können Sie als Dienstgeber zur Verantwortung gezogen werden“, so Trautmann.</p> <h2>Evidenz steigend</h2> <p>„Massage als Therapieform wurde schon von Hippokrates empfohlen und wird seit Jahrhunderten erfolgreich bei Funktionsstörungen und Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates eingesetzt“, so Prim. Dr. Christian Wiederer, ärztlicher Leiter Kurhaus Bad Gleichenberg und Klinikum am Kurpark Baden. „In den letzten Jahren hat sie als Teil multimodaler Behandlungskonzepte noch mehr an Bedeutung gewonnen.“<br />Trotz ihrer langen Geschichte und den vielfältigen beobachteten Effekten (mechanische, biochemische, reflektorische, psychogene und immunmodulierende) gibt es für die Massage – wie auch für andere physikalische Therapieformen – keinen Nachweis der Wirksamkeit im Sinne von evidenzbasierter Medizin, sagt Wiederer. Der Grund dafür ist, dass ein Studiendesign mit doppelter Verblindung nicht möglich ist und somit hohe Evidenzlevel nicht erreichbar sind. Massage ist zudem schwer standardisierbar, weil abhängig vom ausführenden Therapeuten. <br />„Mangelnde Wissenschaftlichkeit, fehlende Transparenz und Uneinheitlichkeit – das sind die Vorwürfe, mit denen die manuelle Medizin oft konfrontiert wird“, sagt auch Dr. Bernard Terrier aus Baden in der Schweiz. Die europäische Dachgesellschaft der manuellen Medizin (European Scientific Society für Manual Medicine, ESSOMM) will dem entgegenwirken. Sie bündelt die Werte ihrer Mitglieder und vertritt sie gegenüber anderen Fachbereichen glaubhaft und wissenschaftlich nachvollziehbar. „Sie ist das manualmedizinische Sprachrohr ihrer Mitglieder“, so Terrier. Aus Österreich ist derzeit neben der ÖÄGMM auch die Österreichische Arbeitsgemeinschaft Manuelle Medizin (ÖAMM) mit dabei.<br />In Anlehnung an die Vorgaben der Europäischen Union der medizinischen Fachärzte (Union Européenne des Médicines Spécialistes, UEMS) hat die ESSOMM ein Konsensusdokument verabschiedet, das „European Core Curriculum Manual Medicine“, sowie ein Ausbildungskonzept für ein erstes Curriculum über 100 Ausbildungsstunden, um eine solide Ausbildungsstruktur zu schaffen.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: <br>Kongress „50 Jahre Manuelle Medizin in Pörtschach. Am Anfang war die Hand“, 6.–8. Juli 2018, Pörtschach
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