© Halfpoint – stock.adobe.com

Ärztliche Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit

Umsetzung des Mutterschutzgesetzes in Deutschland

Das novellierte Mutterschutzgesetz in Deutschland zielte auf die Ermöglichung selbstbestimmter Berufsausübung in der Schwangerschaft ab. Dennoch bestimmen weiterhin betriebliche Beschäftigungsverbote und große Unsicherheiten die Arbeitsrealität schwangerer Ärztinnen. Mit dem Leitfaden zu ärztlichen Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit nimmt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG e.V.) nun die Rolle der Vorreiterin ein.

Am 1. Januar 2018 trat das Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium, auch bekannt als Mutterschutzgesetz (MuSchG), in seiner novellierten Form in Deutschland in Kraft. Zielsetzung hierbei war es, mehr Selbstbestimmung für schwangere Frauen zu ermöglichen und geschlechtsbezogener Diskriminierung am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Das Recht einer jeden Frau, auch während Schwangerschaft und Stillzeit möglichst unbeeinträchtigt erwerbstätig sein zu können, soll ohne Inkaufnahme einer Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit und der ihres Kindes bestärkt werden. Ebenso wurde der Anwendungsbereich des MuSchG auf weitere Berufsgruppen ausgedehnt, so auch auf Schülerinnen und Studentinnen.1

Im Zentrum des MuSchG steht die individuelle Gefährdungsbeurteilung, zu deren Durchführung der Arbeitgeber nach Bekanntgabe einer Schwangerschaft verpflichtet ist. Es gilt zu erfassen, welche Tätigkeiten risikolos weiterhin durchgeführt werden können, welche Tätigkeiten nur unter entsprechenden Schutzvorkehrungen weiter ausgeübt werden können und welche Tätigkeiten aufgrund gravierender Risiken nicht mehr durchgeführt werden dürfen.2 Der Arbeitgeber ist zur Implementierung von geeigneten Schutzmaßnahmen verpflichtet, um unverantwortbare Gefährdungen auszuschließen. Gelingt dies am aktuellen Arbeitsplatz nicht, kann ein Arbeitsplatzwechsel erforderlich werden. Nur wenn eine unverantwortbare Gefährdung durch die ärztliche Tätigkeit weder durch eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes noch durch einen Arbeitsplatzwechsel ausgeschlossen werden kann, greift das betriebliche Beschäftigungsverbot.2

Arbeitsrealität in Deutschland

Trotz der angepassten gesetzlichen Rahmenbedingungen wird die Fortführung ihrer ärztlichen Tätigkeit in der Schwangerschaft vielen Kolleginnen auch weiterhin verwehrt oder deutlich erschwert. In einer Anfang 2023 publizierten Umfrage des Marburger Bundes, des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. und weiterer Akteure wurden 4800 Ärztinnen und Medizinstudentinnen zu den Auswirkungen ihrer Schwangerschaft auf ihre Karriere befragt. Rund die Hälfte der Befragten gab Bedenken an, die Schwangerschaft ihrem Arbeitgeber mitzuteilen, da sie Einschränkungen in ihrer Weiterbildung fürchteten. Mit der Corona-Pandemie erhielten fast 50% der Schwangeren ein betriebliches Beschäftigungsverbot, rund ein Drittel konnte ihren Beruf nur unter erheblichen Einschränkungen weiter ausüben. Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich zwei Drittel der Befragten durch ihre Schwangerschaft und die daraus resultierenden beruflichen Einschränkungen in ihrer Karriere zurückgeworfen sahen. Im Vergleich zur Arbeitsrealität unter der alten Mutterschutzgesetzgebung konnten sich – sicherlich auch durch die Corona-Pandemie bedingt – bisher keine Verbesserungen hinsichtlich des Erlangens weiterbildungsrelevanter Inhalte für schwangere Ärztinnen aufzeigen lassen. Vielmehr hat sich die Anzahl derjenigen Ärztinnen, die während ihrer Schwangerschaft keine anrechnungsfähigen Weiterbildungsinhalte erwerben konnten, mehr als verdoppelt.3

Umsetzung eines modernen Mutterschutzes in der Gynäkologie und Geburtshilfe

Das MuSchG verfolgt die Zielsetzung, Rahmenbedingungen für eine Vielzahl an Berufsbildern vorzugeben. Die ärztliche Tätigkeit weist jedoch Besonderheiten auf, die auch in der jüngeren Vergangenheit zu Unsicherheiten bei den Verantwortlichen geführt haben. Zu oft wurde bisher unzureichend ermittelt, ob und unter welchen Bedingungen eine Weiterbeschäftigung derSchwangeren möglich gewesen wäre.3 Zwei Drittel der Studienanfänger:innen im Fach Medizin sind Frauen, über 70% der Gynäkolog:innen in Deutschland sind weiblich.4

Das Gesundheitssystem und unser Fachgebiet im Besonderen ist von den Auswirkungen der aktuellen Auslegung des Mutterschutzgesetzes also maßgeblich betroffen und wird es in näherer Zukunft zunehmend sein. Auf Initiative des Jungen Forums in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) wurde daher im September 2023 von der DGGG e.V. ein Leitfaden zu „Tätigkeiten für ärztliches Personal in Schwangerschaft und Stillzeit in der Gynäkologie und Geburtshilfe“ herausgegeben, der die Regelungen des MuSchG im Kontext unseres Fachgebietes betrachtet. Dieser Leitfaden ist ein wichtiger Schritt zu einer bundesweit einheitlichen Auslegung des MuSchG, was es schwangeren Ärztinnen ermöglichen soll, ihre Schwangerschaft ohne Angst vor unkalkulierbaren Tätigkeitsbeschränkungen schon frühzeitig öffentlich zu machen. Es soll trotz Schwangerschaft möglich werden, die Fachärztinnenreife zügig zu erlangen. Gerade in Hinblick auf den zunehmenden Ärzt:innenmangel sollte das deutsche Gesundheitssystem nicht auf die wertvolle Arbeitskraft motivierter Schwangerer verzichten müssen. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. hat sich daher als zukunftsgewandte und proaktiv gestaltende Fachgesellschaft hinsichtlich der Umsetzung eines modernen Mutterschutzes klar positioniert.

Operieren in der Schwangerschaft

Über die rechtlichen Grundlagen hinausgehend besticht der Leitfaden durch hohen Praxisbezug. Angepasst an die Beschäftigung in der Ambulanz, auf der Station, im Kreißsaal, im OP oder in der Niederlassung werden anhand von Positivlisten die Tätigkeiten aufgezeigt, die völlig unproblematisch bzw. unter Einhaltung bestimmter Schutzmaßnahmen auch in der Schwangerschaft ausgeübt werden können. Bei der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsumfeldes muss der Wunsch der Schwangeren im Fokus stehen, eine Verpflichtung zur operativen Tätigkeit soll es nicht geben. Ergebnisoffene Gespräche und eine generelle Unterstützungsbereitschaft bilden die Grundlage ärztlicher Tätigkeit in der Schwangerschaft.

Festzuhalten ist jedoch, dass patient:innennahe Tätigkeiten sowie nahezu jede gynäkologische Operation in der Schwangerschaft prinzipiell durchführbar sind. Hierbei kommt der Infektionsprophylaxe eine besondere Bedeutung zu: Neben einem bekannten Immunitätsstatus der Schwangeren sollte der Impfstatus gegen impfpräventable Erkrankungen aufseiten der Schwangeren aktualisiert werden. Präoperativ ist das Einverständnis der Patient:innen hinsichtlich eines Screenings betreffend das Hepatitis-C-Virus (HCV) und das humane Immundefizienz-Virus (HIV) einzuholen. Intraoperativ werden das Tragen doppelter (Indikator-)Schutzhandschuhe sowie eines Gesichtsvisiers und die Verwendung stichsicherer Instrumente empfohlen. Die Betreuung infektiöser oder aggressiver Patient:innen, Notfallmaßnahmen unter Zeitdruck oder Eingriffe mit unterbrochener Sichtkontrolle dürfen nicht durch eine Schwangere erfolgen. Somit werden beispielsweise auch die Betreuung Schwangerer ab der aktiven Austrittsperiode oder die Versorgung von (höhergradigen) Geburtsverletzungen nicht empfohlen.

Über die Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe hinausgehend ist bei Anwesenheit Schwangerer im Operationssaal i.d.R. eine Anpassung der Narkoseführung hin zu totaler intravenöser Anästhesie (TIVA) oder Spinalanästhesie nötig. Weiterhin ist entsprechend dem MuSchG vorgesehen, dass schwangere Ärztinnen keine ununterbrochen stehenden Tätigkeiten ausüben, eine Sitzgelegenheit bereitsteht, kein Einsatz bei der Mobilisierung von Patient:innen erfolgt und ein ärztliches Back-up vorhanden ist, falls die Schwangere ihren Arbeitsplatz plötzlich verlassen muss. Trotz dieser Einschränkungen wird aus Tabelle 1 ersichtlich, wie breit das Tätigkeitsspektrum schwangerer Ärztinnen ausfallen kann.

Tab. 1: Unter Beachtung aller generellen Auflagen und Empfehlungen sowie unter Einhaltung genannter technischer bzw. persönlicher Schutzmaßnahmen können auf der Station bzw. in der Ambulanz die angeführten Tätigkeiten im Allgemeinen durch Schwangere erfolgen (modifiziert nach dem Leitfaden des Jungen Forums der DGGG)5

Beispielhaft für den Einsatz in der Klinikambulanz bzw. auf der Station abgebildet, reichen die Betätigungsmöglichkeiten von rein administrativ über patient:innennah bis hin zu invasiv.

Das Gewinnen und die Bindung ärztlichen Nachwuchses stellen immer mehr Kliniken in Deutschland vor große Herausforderungen. Die Etablierung moderner Arbeitsstrukturen schließt die Generierung von schwangeren- und stillfreundlichen Arbeitsplätzen ein und wird einen wichtigen Faktor im Wettbewerb um ärztliche Arbeitskräfte darstellen. Die mediale Präsenz der Thematik über alle chirurgischen Disziplinen hinweg unterstreicht die Notwendigkeit verlässlicher Arbeitsbedingungen für Ärztinnen im Falle einer Schwangerschaft. Die Angst vor einem betrieblichen Beschäftigungsverbot darf nicht länger Ärztinnen davon abhalten, ihren Arbeitgeber über eine Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen und relevante Schutzmaßnahmen für sich und ihr ungeborenes Kind in Anspruch zu nehmen.

Mit dem vorgestellten Leitfaden erhoffen wir uns, einen Beitrag leisten zu können, dass Gynäkologinnen selbstbestimmt entscheiden können, inwiefern sie ihre operative Tätigkeit auch in einer Schwangerschaft fortführen möchten. Eine Schwangerschaft sollte nicht zum Karriereknick führen.

1 BMFSFJ: Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts. Verfügbar unter https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-zur-neuregelung-des-mutterschutzrechts-73762 ; zuletzt aufgerufen am 6.3.2024 2 Odendahl D: Neues Mutterschaftsgesetz erfordert neue Gesetze. Dtsch Arztebl 2018; 115(7): 2 3 Pressemitteilung Deutscher Ärztinnenbund e.V.: Karriereknick durch Schwangerschaft: junge Ärztinnen unter Druck. Verfügbar unter https://www.aerztinnenbund.de/Karriereknick_durch_Schwangerschaft.3914.0.2.html ; zuletzt aufgerufen am 6.3.2024 4 KBV: Die Medizin wird weiblich. https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16396.php ; zuletzt aufgerufen am 6.3.2024 5 Junges Forum der DGGG: Leitfaden „Tätigkeiten für ärztliches Personal in Schwangerschaft und Stillzeit in der Gynäkologie und Geburtshilfe“. Abrufbar unter: https://www.dggg.de/fileadmin/data/Stellungnahmen/DGGG/2023/Leitfaden_Taetigkeiten_fuer_aerztliches_Personal_in_Schwanger schaft_und_Stillzeit_in_der_Gynaekologie_und_Geburtshilfe.pdf

Back to top