Hormonsubstitutionstherapie und hämatologische Komplikationen
Bericht:
Ingeborg Morawetz, MA
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Geschlechtsangleichende Maßnahmen sind identitätsstärkend und -schaffend. Nichtsdestotrotz handelt es sich um medizinische Eingriffe, inklusive Risiken und unerwünschter Nebenwirkungen. Insbesondere die Hormonsubstitutionstherapie kann auch hämatologisch relevante Auswirkungen haben, auf die Ärzt*innen vorbereitet sein sollten.
Die Möglichkeit, die physische Geschlechtsidentität dem eigenen Gender, also der psychischen Geschlechtsidentität, anzupassen, wird in allen Lebensbereichen greifbarer: Mit steigender Repräsentation in Gesellschaft, Medien und Politik stoßen Transgender-Personen auf wachsende Toleranz und Akzeptanz unter ihren Mitmenschen.
Auch die psychologische, psychiatrische und medizinische Versorgung verbessern sich zunehmend. Wer sich für eine geschlechtsangleichende Hormontherapie und eventuell Operation entscheidet, findet nicht nur Rückhalt bei zahlreichen Beratungsstellen, sondern kann auch mit der finanziellen Unterstützung österreichischer Krankenkassen rechnen.1
Solange Geschlechterbinarität das herrschende Konzept in unserer patriarchalen Gesellschaft ist, ist eine Geschlechtsangleichung jedoch nicht immer nur ein inneres Bedürfnis. Sie kann sich auch wie eine Bedingung dafür anfühlen, ein Leben führen zu können, in dem die eigene Identität nicht primär über die Trans-Identität definiert wird. So kann es sein, dass auch im medizinischen Kontext geschlechtsangleichende Maßnahmen von Transgender-Menschen nicht genannt oder verborgen werden.2 Wer will schon über Genitalien reden, wenn man sich eigentlich nur wegen Kopfschmerzen krankschreiben lassen möchte?
Doch auch wenn die Transgender-Vorgeschichte von Patient*innen in der Anamnese angegeben wird, sind nicht alle Ärzt*innen auf die möglichen medizinischen Ramifizierungen vorbereitet. Im Folgenden möchten wir Ihnen einen Überblick über hämatologische Komplikationen bei Transgender-Personen geben, die mit einer geschlechtsangleichenden und insbesondere Hormonsubstitutionstherapie (HRT oder auch GAHT [Gender-affirmative Hormontherapie]) einhergehen können.3
Erythrozytose bei Testosterongabe
Um einen Körper so zu verändern, dass er als biologisch männlich wahrgenommen wird, wird Testosteron eingesetzt. Es wird subkutan, intramuskulär, transdermal oder oral verabreicht und muss so lange zugeführt werden, wie das männliche Erscheinungsbild erwünscht ist. Eine der hämatologischen Hauptkomplikationen bei Testosterongabe ist die sekundäre exogene Erythrozytose.4
Wie erkenne ich eine Erythrozytose?
Erythrozytose ist definiert als eine Blutbildabweichung mit einem Hämoglobinlevel über 18,5g/dl und einem Hämatokrit über 49% bei biologischen Männern, respektive 16,5g/dl und 48% bei biologischen Frauen. Diese Werte schwanken je nach Quelle.5 Physiologisch drückt sie sich durch eine Erythrozytenmenge aus, die die zu erwartende Menge nach Geschlecht und Körpergewicht um 125% übersteigt.6 Eine sekundäre Erythrozytose unterscheidet sich von einer primären vor allem durch das Erythropoietinlevel im Serum.5
Die Symptome einer sekundären Erythrozytose sind:
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Hyperviskosität
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Thorax- und Abdominalschmerzen
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Schwächegefühl
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Fatigue
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Kopfschmerzen
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Sehstörungen
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Parästhesie
Eine nicht zu vernachlässigende Konsequenz von Erythrozytose ist eine mögliche Thrombose. Auf Dauer kann ein erhöhter Hämatokrit zu steigendem Risiko kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität führen.5 Daten, die dieses Risiko bei Testosteron-HRT bestätigen, sind bisher noch nicht verfügbar.6
Handlungsmöglichkeiten
Auf eine Erythrozytose kann mit der Anpassung der Testosterondosis oder des Verabreichungsweges oder mit einer Therapiepause reagiert werden. Die US-amerikanischen Guidelines empfehlen eine Therapieunterbrechung bei einem Hämatokrit ab 54%, die europäischen Leitlinien raten bei diesem Wert bereits zu einer Phlebotomie. Auch eine antikoagulative Therapie sollte in Erwägung gezogen werden. Ein Hämatokrit unter 50% erlaubt ein Fortsetzen der Testosterongabe.5,6
Ein Wechsel des Präparates ist jedoch meist von Vorteil: Injektionspräparate sind mit einem höheren Erythrozytoserisiko assoziiert. Das gilt vor allem für intramuskuläre Injektionen, die eine Erythrozytose-Inzidenz von bis zu 40% zeigen. Transdermale Applikationen hingegen weisen ein niedrigeres Risiko auf.5, 6
Vor Beginn einer HRT sollte überpüft werden, ob die zu behandelnden Transmänner in eine hämatologische Risikogruppe fallen. Zu Risikofaktoren für Erythrozytose gehören:
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Nikotinkonsum
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Adipositas
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Typ-2-Diabetes
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hohes Alter
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Thrombophilie
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Antiphospholipid-Syndrom
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Prothrombin-Genmutationen
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hohe Faktor-VIII-Level
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hohe Homozysteinlevel
Liegen einer oder mehrere dieser Faktoren vor, sollten engmaschige Kontrollen erfolgen und Verabreichungswege gewählt werden, die das Erythrozytoserisiko senken. Außerdem sollten vor Therapiebeginn die Hämoglobin- und Hämatokritwerte dokumentiert werden.6
Thrombose bei Östrogentherapie
Ein biologisch weibliches Erscheinungsbild wird über eine Östrogentherapie erreicht. Östrogen kann oral, transdermal oder intramuskulär zugeführt werden. Zusätzlich können Testosteronblocker zum Einsatz kommen.7,8
Die venöse Thrombembolie
Zu einer der wichtigsten hämatologischen Komplikationen bei Östrogentherapie zählt die venöse Thrombembolie (VTE). Symptome einer VTE können sein:9
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Schwellung
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Schmerzen
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Rubor
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respiratorische Schwierigkeiten
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Tachykardie
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Synkopen
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Husten
In einer systematischen Metaanalyse medizinischer Daten von 11542 Transfrauen mit Östrogen-HRT wurden im Durchschnitt 2% Fälle von VTE ermittelt (95% CI: 1,0–3,0%). Bei Personen über 37,5 Jahre stieg die Inzidenz auf 3%, bei solchen unter dieser Altersschwelle und mit einer Therapiedauer von unter 53 Monaten schien das Thromboserisiko vernachlässigbar.10,11 Wiederum sind transdermale Applikationen mit einem verringerten Risiko assoziiert.11
Vergleich erschwert, Prävention wichtig
Erschwert werden Datensammlung und -analyse durch die große Heterogenität in Studienpopulationen und Therapiemodi und durch die fehlende Vergleichbarkeit mit der Thromboseinzidenz bei anderen Patient*innengruppen, die keinen Transgender-Hintergrund haben und zumeist mit anderen Präparaten, Dosierungen und ohne Testosteronblocker behandelt werden.11
Trotz fehlender Vergleichbarkeit und bisher nicht statistisch signifikanter Korrelation ist jedoch besondere Vorsicht geboten, wenn Transfrauen generelle Risikofaktoren für VTE aufweisen. Dazu zählen:11
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Thrombophilie
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Nikotinkonsum
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Adipositas
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hohes Alter
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chirurgische Interventionen
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Frakturen
Gerade bei Transfrauen über 45 Jahre sollten transdermale Östrogengaben bevorzugt werden.12
Hämatologie und Onkologie: Luft nach oben
Zu vielen hämatologischen Erkrankungen bei Transgender-Personen gibt es bisher nur wenige Daten. In den meisten Fällen liegen nur einzelne Fallberichte vor, so zum Beispiel zur Sichelzellanämie. Sowohl HRT als auch Sichelzellanämie können mit Stigmatisierung Betroffener verbunden sein, sodass neben tatsächlichen hämatologischen Komplikationen auch Faktoren wie die Therapieadhärenz von Ärzt*innen berücksichtigt werden müssen.13, 14
In einer Studie mit 15 Transgender-Patient*innen mit malignen hämatoonkologischen Erkrankungen und 25 mit soliden malignen Tumoren zeigten sich bei 13,5% mögliche Wechselwirkungen zwischen HRT und onkologischer Therapie. 16 dieser Patient*innen begannen die HRT erst nach der Krebsdiagnose. 33 konsultierten ihre Onkolog*innen nach Beginn der geschlechtsangleichenden Therapie, und das auch noch nach Ende der onkologischen Therapie. Studien identifizieren einen hohen Verbesserungsbedarf in der hämatoonkologischen Versorgung von Transgender-Personen. Eine adäquate Versorgung geht jedoch über medizinische Daten hinaus: Sie inkludiert auch die Akzeptanz der Genderidentität der Patient*innen, und so zum Beispiel als Mindestmaß die Anwendung der gewünschten Pronomen.15, 16 Eine adäquate Dokumentation erleichtert die Auswertung Transgender-bezogener Daten.2,16
queermed: Helfen Sie mit!
queermed.at ist eine Website, auf der ein Verzeichnis queer- und transfreundlicher Ärzt*innen und Therapeut*innen zu finden ist.17 Als transfreundlich gelten sowohl Mediziner*innen, die Fachwissen zu Transgender-Themen besitzen, als auch jene, die ihren Praxisalltag offen, vorurteilsfrei und inklusiv gestalten.
Das queermed-Verzeichnis wird vor allem durch Empfehlungen und Vorschläge aus der LGBTQIAP+-Gemeinschaft gepflegt. Sollten auch Sie Kolleg*innen haben, die eine wertvolle Ergänzung im Verzeichnis darstellen würden, oder würden Sie sich selber als transfreundlich beschreiben, fordern Sie gerne Ihre Patient*innen dazu auf, Sie auf queermed eintragen zu lassen – denn Hämatolog*innen und Onkolog*innen sind in der Liste noch nicht vertreten.
Literatur:
1 Stadt Wien: Körperlicher Geschlechtswechsel durch medizinische Behandlung. Online unter https://www.wien.gv.at/menschen/queer/transgender/geschlechtswechsel/koerperlich/index.html . Abgerufen am 19.10.2022 2 Alpert AB et al.: A novel method for identifying transgender and gender diverse patients with lymphoma: a single center experience. Blood 2019; 134(1): 5825 3 Connors JM et al.: Transgender patients and the role of the coagulation clinician. J Thromb Haemost 2019; 17: 1790-7 4 White J et al.: Testosterone therapy and secondary erythrocytosis. Int J Impot Res 2022; Online ahead of print 5 Cervi A et al.: Testosterone use causing erythrocytosis. Can Med Assoc J 2017; 189(41): E1286-8 6 Ohlander SJ et al.: Erythrocytosis following testosterone therapy. Sex Med Rev 2018; 6(1): 77-85 7 UCSF Transgender Care: Information on estrogen hormone therapy. Online unter https://transcare.ucsf.edu/article/information-estrogen-hormone-therapy . Abgerufen am 19.10.2022 8 Khan J et al.: Venous thrombotic risk in transgender women undergoing estrogen therapy: a systematic review and metaanalysis. Clin Chem 2019; 65(1): 57-66 9 CDC: What is venous thromboembolism? Online unter https://www.cdc.gov/ncbddd/dvt/facts.html . Abgerufen am 19.10.2022 10 Mullins ES et al.: Thrombosis risk in transgender adolescents receiving gender-affirming hormone therapy. Blood 2020; 136(Suppl 1): 5 11 Totaro M et al.: Risk of venous thromboembolism in transgender people undergoing hormone feminizing therapy: a prevalence meta-analysis and meta-regression study. Front Endocrinol 2021; 12: 741866 12 Balcerek MI et al.: Feminizing hormone therapy prescription patterns and cardiovascular risk factors in aging transgender individuals in Australia. Front Endocrinol 2021; 12: 667403 13 sickle-cell.com: Transgender care and sickle cell. Online unter https://sickle-cell.com/clinical/transgender-care . Abgerufen am 19.10.2022 14 Ronda J et al.: Challenges in the management of the transgender patient with sickle cell disease. Am J Hematol 2018; 93(11): E360-2 15 Burns ZT et al.: Clinical characteristics, experiences, and outcomes of transgender patients with cancer. JAMA Oncol 2021; 7(1): e205671 16 Burns ZT et al.: Towards a standard of care in oncology for transgender patients. Lancet 2019; 20(3): 331-3 17 queermed: Verzeichnis von queer- & trans-friendly Ärzt_innen und Therapeut_innen. Online unter https://www.queermed.at/ . Abgerufen am 19.10.2022
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