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Interview mit dem Präsidenten der Österreichischen HNO-Gesellschaft

„Wir befinden uns mitten im Strukturwandel und dürfen nicht ewig daran vorbeischauen“

Nachwuchsprobleme, aktuelle Schließungen von HNO-Abteilungen und Qualitätssicherungsprogramme: Im Interview mit JATROS Pneumologie & HNOerörtert der amtierende Präsident der Österreichischen HNO-Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Georg Mathias Sprinzl, St. Pölten, die derzeitigen Herausforderungen in der HNO-Versorgung, neue Entwicklungen sowie den kommenden Jahreskongress.

Ich höre von HNO-Ärzt:innen immer wieder, dass sie sich aufgrund der unglaublichen Bandbreite für das Fach entschieden haben. War das bei Ihnen auch so?

G. M. Sprinzl: Ich bin seit 30 Jahren im HNO-Bereich tätig, seit 26 Jahren Facharzt und in meinen Augen ist es das tollste Fach in der Medizin – genau wegen dieser großen Bandbreite. Außerdem sind wir das einzige Fach, das heute ein Sinnesorgan rehabilitieren kann, und wir haben mit der modernen Implantologie unglaubliche Möglichkeiten bekommen, personalisierte Medizin zu betreiben. Wir betreuen Menschen jeglichen Alters: von den ganz Kleinen, die etwa sechs Monate alt sind oder teilweise sogar noch jünger, bis hin zu den ganz Alten – das macht also schon viel Spaß.

Das klingt nach wenig Nachwuchsproblemen.

G. M. Sprinzl: Kommt natürlich darauf an, aus welcher Perspektive man auf das Problem schaut. Mir geht es diesbezüglich sehr gut. Ja, ich kann hier jede Assistent:innenstelle doppelt besetzen – die Begeisterung für das Fach ist ungebrochen, das ist gar keine Frage. Unser Problem ist, dass wir gar nicht so schnell Fachärzt:innen ausbilden können, wie sie momentan vom Gesundheitswesen gebracuht werden. Das führt zu den Problemen, die wir jetzt im Land sehen. Wir haben eine gewisse Drainage aus der Klinik hinaus in den niedergelassenen Bereich. Als niedergelassene:r HNO-Arzt/Ärztin verdient man wesentlich besser und hat vielleicht auch eine andere Dienstbelastung. Das ist natürlich derzeit wesentlich attraktiver als ein Job in der Klinik mit Nachtdiensten und einem doch überschaubaren Gehalt. Zudem gehen viele Menschen in den nächsten zehn Jahren in Pension und es nutzt mir wenig, wenn ich viele Assistent:innen einstellen kann, aber die Kollegenschaft nicht schnell genug in die Oberarztposition bekomme.

Wir befinden uns mitten in einem Strukturwandel und wir dürfen nicht ewig daran vorbeischauen. In den letzten zehn Jahren haben sich viele Dinge geändert. Nicht immer zum Besseren, aber man kann daraus seine Lehren ziehen und etwas verbessern. Insgesamt sind wir momentan jedoch mit der Situation konfrontiert, dass man versucht, die HNO etwas zu reduzieren.

Sprechen Sie damit die Zusammenlegungen bzw. Schließungen ganzer HNO-Abteilungen in den letzten Wochen an?

G. M. Sprinzl: Ja! Erst im März wurde z.B. die HNO-Abteilung in Mistelbach aufgelassen und auf eine tagesklinische Ambulanz reduziert. Grund dafür: Sechs Fachärzt:innen haben gekündigt und sind in den niedergelassenen Bereich abgewandert. Aber auch in Wien werden gerade vier HNO-Abteilungen zu zwei Schwerpunktkliniken zusammengelegt: Das Team von der Klinik Favoriten zieht in die Klinik Donaustadt, das aus Hietzing in die Klinik Landstraße. Da müssen wir uns als Gesellschaft fragen: Ist das so gewollt? Wollen wir das in Zukunft so haben, oder müssen wir nicht wieder Strukturen aufbauen? Das ist natürlich ein mühsamer Prozess, der Geld kosten wird. Darüber muss die Politik entscheiden und schlussendlich die Gesellschaft.

Was derzeit passiert, ist ein massiver Missstand, wir brauchen mehr Ressourcen. Aber da wird von der politischen Seite einfach weggehört. Man lügt sich sozusagen die Welt schön, auch wenn die Realität – wenn man sieht, dass eine Abteilung komplett in die Knie geht – keine schöne ist. Und man muss sich ja auch am Kopf kratzen und fragen: „Wenn ich jetzt zwei Abteilungen zu Ambulanzen reduziere, müsste ich dann in den anderen drei bestehenden Abteilungen dementsprechende OP-Kapazitäten erweitern?“ Aber das passiert nicht. Und weil das nicht passiert, rufen die Wiener Patient:innen teilweise auch in Niederösterreich an, fragen nach den OP-Wartezeiten und schon geht das Karussellfahren los. Die Patient:innen sind verzweifelt und fangen an zu reisen. Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist.

Es fehlt also an Kapazitäten?

G. M. Sprinzl: Heute leben viel mehr Leute in Österreich als noch vor 30 Jahren – da waren wir siebeneinhalb Millionen, heute sind wir knapp neun. Und trotzdem unterhalten wir uns immer noch über Bettenreduktion. Vielleicht sollten wir endlich in die Richtung denken, die Struktur an den gestiegenen Bedarf anzupassen. Neue Techniken verkürzen zwar den Krankenhausaufenthalt, aber ich muss die Patient:innen ja trotzdem irgendwo hinlegen. Wir sollten uns auch fragen, warum es so lange Wartezeiten gibt. Es liegt nicht daran, dass wir hier auf der faulen Haut liegen und nicht operieren wollen. Wir tun das jeden Tag. Ich habe hier in St. Pölten den glücklichen Umstand, dass ich immer noch drei OP-Tische jeden Tag fahren kann. In der begrenzten Zeit, die mir zur Verfügung steht, bekomme ich aber nur 15 Patient:innen jeden Tag durch. Da kann sich ja jeder ausrechnen, auf welche Zahlen man da im Jahr kommt. Zu uns kommen Patient:innen mit Komplikationen, akuten Erkrankungen, die wir alle versorgen – ich führe ja keine Privatklinik, in der ich mir die Rosinen herauspicken kann.

Von dem Strukturwandel ist aber nicht nur die Ärzteschaft betroffen?

G. M. Sprinzl: Uns betreffen strukturelle Probleme in erster Linie im Pflegebereich. Der Pflegeberuf ist durch die Covid-bedingten Belastungen der letzten Jahre unattraktiver geworden. Fachkräfte kündigen und gehen z.T. in die Industrie und wir stehen einfach ohne Mitarbeiter:innen da. Die Situation bei mir ist kein ärztliches Problem. Ich habe genügend ärztliche Mitarbeiter:innen und ich habe ein wirklich sehr, sehr gutes Team, auf das ich furchtbar stolz bin. Die Situation sozusagen an den Flanken, die wird schwieriger. Und das gilt nicht nur für die Pflege, auch für die Administration. Wir müssen darauf achten, diese Strukturen so weit zu bedienen, dass wir auch vernünftig arbeiten können. Man kann das nicht nur unendlich mit Spracherkennungsprogrammen kompensieren, die mir eine:n Sekretär:in einsparen. Ich brauche immer noch den Menschen in der Kommunikation mit dem anderen Menschen.

Sie sehen die Digitalisierung bzw. die Rolle der KI derzeit noch ein wenig als Trugschluss?

G. M. Sprinzl: Wenn ich ein System schon umstelle, dann muss ich natürlich dafür Sorge tragen, dass es reibungslos funktioniert. Von einem reibungslosen Funktionieren – auch mit künstlicher Intelligenz – sind wir noch weit weg. Das wird übrigens auch ein Thema bei uns am HNO-Kongress in Baden sein.

Sie sprechen den Kongress an – was wird uns heuer erwarten?

G. M. Sprinzl: In erster Linie erwartet uns die Abbildung der Stärke der HNO-Gesellschaft. Das heißt, wir haben natürlich ein Programm, das auf diese ganzen Spitzentechnologien eingeht, das auf die personalisierte Medizin eingeht, auf künstliche Intelligenz, auf die Hörimplantologie, auf roboterassistierte Chirurgie, auf rekonstruktive Chirurgie bei Patient:innen mit ausgedehnten, fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren. Wir haben aber auch versucht, die Interessen der niedergelassenen Kolleg:innen im Programm zu integrieren. Die österreichische HNO-Gesellschaft ist ja nicht nur ein Abbild der klinischen Medizin, sondern auch der niedergelassenen Medizin, die einen unglaublich hohen Stellenwert in der tagtäglichen Versorgung der Patient:innen einnimmt.

Inwieweit wird der Strukturwandel beim HNO-Kongress thematisiert werden?

G. M. Sprinzl: Wir haben immer mehr Qualitätssicherungssysteme. Ich habe hier bei uns in St. Pölten das erste zertifizierte CI-Programm Österreichs. Das ist eine Initiative, die ursprünglich von den Kolleg:innen in Deutschland ausgegangen ist. Dort ist es bereits Usus, dass die Versicherungen bestimmte Behandlungen nur mehr dort finanzieren, wo es zertifizierte Prozesse gibt. Diese Vorgehensweise wird sicherlich auch bei uns Einzug halten – nicht nur in der klinischen Medizin in den großen Universitätskliniken, sondern in zehn Jahren möglicherweise auch bei niedergelassenen Kolleg:innen, die ihre Prozesse abbilden und zertifiziert haben müssen.

Ich war immer ein starker Verfechter des ärztlichen Berufes, der ein freier Beruf und nicht überreguliert sein sollte. Aber es gibt gewisse Behandlungen, die extrem teuer sind. Manch eine Versorgung kostet auch in Österreich um die 50000 bis 60000Euro, wenn man das ganze Produkt sieht mit Operation, Rehabilitation usw. So etwas muss vernünftig abgebildet sein. Ich denke, für die Qualitätssicherung pro futuro ist es wichtig, solche Behandlungen an zertifizierten Zentren durchzuführen, die Prozesse definiert haben.

Ich weiß, dass ein weiteres Zentrum bereits an der Zertifizierung arbeitet, und ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir in Österreich nicht nur ein, sondern mehrere zertifizierte Zentren haben. Wir speisen dann ja alle in die gleiche Datenbank ein, von der wir alle profitieren könnten hinsichtlich Komplikationen mit Implantaten etc.

Inwieweit ist so eine Zertifizierung mit einer Verbürokratisierung vergesellschaftet?

G. M. Sprinzl: Natürlich, am Anfang ist es etwas mehr Arbeit. Sobald die Prozesse jedoch – wie es bei uns schon der Fall ist – eingefahren sind, läuft ein starkes Programm. Sonst hätten wir nicht so viele, die wir versorgen. Das ermöglicht uns jetzt außerdem auch die Etablierung eines Registers, einer Datenbank, sodass wir unsere Patient:innen nachverfolgen können. Das ist ein ganz wichtiges Faktum.

Wir wissen, dass die CI-Versorgung etwas sehr Positives für die gesamte Gesellschaft ist, weil wir Menschen rehabilitieren können, die dann in der Welt der Hörenden integriert sind. Es gilt aber natürlich auch hier im Rahmen der Qualitätssicherung, das vernünftig abzubilden – ein Muss in der heutigen Zeit.

Was liegt Ihnen als amtierender HNO-Präsident besonders am Herzen?
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Abb.: Als Leiter einer Abteilung stehen neben klinischen auch administrative Aufgaben auf der Tagesordnung

G. M. Sprinzl: Ich möchte die Begeisterung für das Fach bei all denjenigen wecken, die uns durch das Studium begegnen. Ich finde, die Etablierung der Karl Landsteiner Privatuniversität hier war ein genialer Schachzug, weil wir dadurch den Zugang zu jungen Menschen bekommen. Und ich glaube, dass es wichtig ist, junge Menschen für etwas zu begeistern, was nicht nur einen finanziellen Mehrwert hat, sondern auch einen ideellen Mehrwert und die Gesellschaft weiterbringt. Wenn man als Arzt/Ärztin arbeitet, kann man Gutes für die Gesellschaft tun. Auch in einer verantwortungsvollen Position in einem Spital. Da schließe ich alle ein, die Assistent:innen, die Oberärzt:innen, den Chef und natürlich auch das Leitungspersonal im Stab der Klinik. Auch wenn es manchmal anstrengend ist, ist es ein toller Beruf, und das möchte ich so weitertransportieren.

Wenn ich so zurückschaue auf die letzten 30 Jahre, hat sich unglaublich viel getan und ich habe diese Entwicklung mitbegleiten dürfen. Damals war das erste Cochlea-Implantat eine Pionierleistung, heute gehört dieser Prozess zur Regelversorgung, die unglaublich gute Ergebnisse erzielen kann. Es ist beeindruckend, zu sehen, wie sich auch die Medizin vor deinen Augen entwickelt. Das gilt im Übrigen auch für die onkologische Tumorbehandlung sowie für die Behandlung von Patient:innen mit chronischen Nasennebenhöhlenerkrankungen, Stichwort Biologika, mit denen wir an unterschiedlichen Stellen der Entzündungskaskade eingreifen können.

Gibt es bahnbrechende Entwicklungen oder Neuerungen, die Sie in den nächsten Jahren erwarten?

G. M. Sprinzl: Naja, keiner hat die Kristallkugel in der Hosentasche und weiß, was morgen passiert. Wir hoffen natürlich schon noch, dass wir die eine oder andere bahnbrechende Entwicklungin die Hand bekommen. Auf dem Gebiet der Implantologie arbeitet die Industrie schon mit Vehemenz auch am voll implantierbaren Hörimplantat, sowohl für taubeMenschen als auch für Menschen mit Resthörigkeit. Ich glaubeauch, dass sich durch die Anwendung von künstlicher Intelligenz in der Onkologie noch einiges tun wird. Außerdem werden wir eine weitere Personalisierung der Medizin sehen, die mehr Einsichten in unser Tun, aber auch ein genaueres Bild vonden Patient:innen und damit bessere Ergebnisse bringen wird.

Wie bewerten Sie die robotergestützte Chirurgie?

G. M. Sprinzl: Ich gehe davon aus, dass auch durch die Roboterchirurgie der Chirurg nicht obsolet wird. Wir alle sind Menschen. Wir wollen nicht vom Roboter behandelt werden, sondern von Ärzt:innen. Genauso wie der Laser ist der Roboter auch nur ein Instrument und er löst nicht das Problem per se, sondern er hilft uns dabei, Patient:innen möglicherweise mit weniger Invasivität zu behandeln. Das heißt, wir bescheren diesen Patient:innen mehr Lebensqualität – ein wichtiger Faktor bei onkologischen Erkrankungen wie den Kopf-Hals-Tumoren. Hier sind zwar die Heilungsraten in den letzten 30 Jahren nicht unbedingt besser geworden, wir haben aber durch die robotergestützte Chirurgie und die Molekularbiologie Tools in die Hand bekommen, mit denen sich die Lebensqualität der Betroffenen deutlich bessern lässt. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich gerade in der HNO-Onkologie noch viel tun wird.

Vielen Dank für das Gespräch!
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