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Hirngesundheit

Was kann man dafür tun?

Die Teilnehmer:innen einer Podiumsdiskussion zum Thema Hirngesundheit waren sich einig, dass es in Österreich nicht ganz einfach ist, Präventionsprogramme umzusetzen, obwohl sie in allen vergangenen Regierungsprogrammen erwähnt waren. Für eine erfolgreiche Umsetzung ist wohl eine enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen und Fachgesellschaften, aber auch von Behörden erforderlich.

Geleitet wurde das Podiumsgespräch auf der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) von Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien. „Wenn wir über Hirngesundheit sprechen, dann reden wir nicht primär über die Diagnostik und Therapie von neurologischen Erkrankungen“, eröffnete er die Diskussion, „sondern hier geht es ja in erster Linie um Vorsorge, um das Management von Risikofaktoren, um das Eingreifen auf der Ebene des Lebensstils.“

Krankheitslast reduzieren

„Laut WHO leidet jeder Dritte an einer neurologischen Erkrankung“, betonte der aktuelle Präsident der ÖGN, Univ.-Prof. Dr. Christian Enzinger. „Schon daraus ergibt sich die klare Notwendigkeit, mehr für Hirngesundheit zu tun. Wir wollen diese hohe Krankheitslast reduzieren und das Leiden, das damit verbunden ist, lindern.“

Das erste Ziel der Initiative zur Hirngesundheit besteht darin, die beteiligten Risikofaktoren zu verstehen und in den Griff zu bekommen. Um hier wirksam einzugreifen, ist die Entwicklung von Public-Health-Strategien erforderlich. „Möglichst niedrigschwellige Angebote sind hier wichtig“, so Enzinger.

Gesundheitskompetenz fördern

„Aus meiner Sicht ist die Hirngesundheit ein sehr wichtiger Bereich“, betonte Dr. Alexandra Ferdin, Neurologin und Abteilungsleiterin im Gesundheitsministerium. „Ich glaube, dass wir uns noch mehr der mittleren Altersgruppe widmen und hier auf mehr Gesundheitskompetenz hinarbeiten müssen. Die sektorenübergreifende Zusammenarbeit spielt eine entscheidende Rolle.“

Dr. Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom und Sprecher für Gesundheit des IHS, beklagte zunächst die großen Datenlücken in Österreich. „Wir haben zum Beispiel keine Information darüber, wie viele Menschen in den österreichischen Pflegeheimen an Demenz leiden. Das wäre aber von grundlegender Wichtigkeit, weil wir ja sonst auch keine realistischen Prognosen über den in Zukunft bestehenden Pflegebedarf machen können.“

Es ist bekannt, dass es derzeit vor allem im Pflegebereich in den Spitälern massive Engpässe gibt. Hier gibt es eine Schere zwischen zu wenig Personal einerseits und dem schon aufgrund der demografischen Entwicklung steigenden Bedarf andererseits, die immer weiter aufgeht.

„Es gäbe gerade in der Demenzprävention, mit der man sich und den Betroffenen viel ersparen könnte, eine Menge zu tun. Hier liegt ein Potenzial, das wir nicht ausnützen“, kritisierte Czypionka. Ähnliches gilt z.B. für die suffiziente Blutdruckeinstellung als wichtigen Aspekt der Schlaganfallprophylaxe. „Wir vergeben hier sehr viele Optimierungsmöglichkeiten, die den Patienten zugute kommen würden.“

Prävention ist wichtig

„Die Sozialversicherung ist ja gesetzlich eigentlich nicht für Prävention zuständig“, betonte Priv.-Doz. Dr. Eva Hilger, Chefärztin der SVS. Da das Gesundheitssystem in seiner Finanzierung sehr zersplittert ist und zum Teil von Bund und Ländern, zum Teil von der Sozialversicherung finanziert wird, gibt es hierzulande sehr häufig – durchaus ermüdende – Diskussionen darüber, wer nun bestimmte Maßnahmen bezahlen soll.

„Die gute Nachricht ist aber, dass die Sozialversicherung freiwillige Leistungen anbieten kann. Infolgedessen können wir in der Prävention sehr wohl viel machen. Es gibt sogar den Slogan bei der Sozialversicherung, dass die Prävention nicht weniger wichtig ist als die Reparaturmedizin. Wir haben große Programme, sogar schon für Kinder, da gibt es Feriencamps, da geht es um Bewegung, aber auch zum Beispiel um die Arbeit mit Teilleistungsstörungen.“ Auch Impfprogramme und Vorsorgeuntersuchungen sind Teil dieser Bemühungen. „Gerade im Bereich der Vorsorgeuntersuchungen konnten wir die Zahlen verdrei- oder vervierfachen“, fuhr Hilger fort.

„Incentivierung“ für Arbeitgeber

„Man spricht oft von ,Incentivierung‘ für die Patienten und Arbeitnehmer, aber gibt es so was, eine Incentivierung, auch für Arbeitgeber?“, wollte Berger wissen.

„Das beste Incentive für Arbeitgeber sind zweifellos gesunde Arbeitnehmer, die bis zum Pensionsalter voll arbeiten können“, stellte Dr. Eva Höltl, Arbeitsmedizinerin, Leiterin des Gesundheitszentrums der Erste Bank und Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin, klar. „Der Arbeitsplatz ist ein extrem interessantes Setting, weil man dort die Chance hat, auch Gruppen zu erreichen, mit denen man sich sonst schwertut. Ich denke da zum Beispiel an Bau- oder Reinigungsfirmen. Wir servicieren bei der Erste Bank 9000 Mitarbeiter, aber auch 300 Reinigungskräfte. Und ich muss sagen, dass wir leider die Gesundheitskompetenz vieler Menschen überschätzen.“

„Und obwohl in jedem Regierungsprogramm Prävention drinsteht, tun wir uns in Österreich, aus den schon genannten Gründen, mit der Umsetzung enorm schwer“, berichtete die Arbeitsmedizinerin. „Jeder macht in seinem Bereich ein bisschen was, aber es fehlt die übergreifende Strategie.“

Es sollte möglich sein, bezüglich der Gesundheitskompetenz nationale Ziele zu definieren, die dann unter anderem in der Arbeitsmedizin einheitlich umgesetzt werden können, so Höltls Vorschlag.

Herausforderung „treat to target“

„Ich halte einen Schulterschluss von mehreren Fachgesellschaften, die für wesentliche Risikofaktoren zuständig sind, für äußerst sinnvoll und wichtig“, so Mag. Ingo Raimon, Präsident der Pharmig. „Ich meine damit Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes oder Adipositas, die ja starke, aber gleichzeitig modifizierbare Risikofaktoren für Demenz darstellen.“

„Und ich sehe zwischen Primärprävention einerseits und frühzeitiger Diagnose und Therapie von Erkrankungen eigentlich keinen Widerspruch. Hier kann die pharmazeutische Industrie sicher auch helfen, mit Aufklärung, mit Awareness-Kampagnen, das tun wir ja auch schon jeden Tag. Die größte Herausforderung liegt aber wohl im ,treat to target‘, dem Erreichen von Therapiezielen, die zwischen Arzt und Patient vereinbart werden. Hier ist es unsere Aufgabe als Arzneimittelentwickler, ihnen neue Therapien zu geben, mit denen diese Ziele bestmöglich erreichbar sind.“

„In meiner Wahrnehmung ist hier ein wesentlicher Schritt passiert, ich habe aus dieser Diskussion sehr viel mitgenommen. Vielen Dank für die guten Ideen und Ratschläge. Wir werden dieses Thema mit Sicherheit weiterführen“, so Berger zusammenfassend.

Podiumsdiskussion „Brain Health Partner“ im Rahmen der 21. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, 14. März 2024 in Wien

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