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Chronische lymphatische Leukämie

«Das Dreiphasenkonzept könnte die CLL-Behandlung nachhaltig verändern»

<p class="article-intro">Am Kongress der European Hematology Association (EHA) in Madrid präsentierte die deutsche CLL-Studiengruppe das Design und die ersten Resultate ihrer CLL2-BAG-Studie. Dr. med. Jeroen Goede, Winterthur, erläutert im nachfolgenden Interview, weshalb diese Studie etwas Besonderes darstellt, und weist auf einige weitere Punkte hin, die am Kongress thematisiert worden sind.</p> <hr /> <p class="article-content"><p><strong>Herr Doktor Goede, was ist das Besondere an der CLL2-BAG-Studie, von welcher das Design und erste Resultate in Madrid vorgestellt worden sind?<br /> J. Goede:</strong> Das vollst&auml;ndig Neue an dieser prospektiven multizentrischen Phase-II-Studie der deutschen CLL-Studiengruppe ist, dass sie bei der Behandlung der CLL drei verschiedene Phasen unterscheidet. Sofern indiziert, erfolgt zuerst ein Debulking mit zwei 28-t&auml;gigen Bendamustin-Zyklen, um damit die Erkrankungslast schon einmal grossteils zu reduzieren. Danach folgt die Induktionsphase mit sechs 28-t&auml;gigen Zyklen Obinutuzumab plus Venetoclax. Das Ziel dieser Phase wird sein, ein m&ouml;glichst komplettes Ansprechen zu erreichen und auch bez&uuml;glich der &laquo;minimal residual disease&raquo; (MRD) ein m&ouml;glichst niedriges Niveau zu erreichen. Die daran anschliessende Erhaltungsphase mit zwei bis acht 84-t&auml;gigen Zyklen Obinutuzumab und Venetoclax soll das Resultat der Induktionstherapie dann noch weiter konsolidieren. Solch ein Vorgehen hat es bisher noch nicht gegeben. In die Studie sind bisher 66 Patienten eingeschlossen worden. Auffallend ist, dass sowohl therapienaive als auch bereits vorbehandelte Patienten aufgenommen worden sind. Typischerweise wiesen die bereits vorbehandelten Patienten ein schlechteres genetisches Risikoprofil auf als die therapienaiven. Dementsprechend sind auch die Resultate der Erstlinien-Patienten etwas besser. Hier f&auml;llt die extrem hohe Ansprechrate auf: Das Therapieansprechen lag nach der Induktion gem&auml;ss IWCLL-Kriterien bei den Erstlinien-Patienten bei 100 Prozent und bei den vorbehandelten bei 90 Prozent. Fast noch wichtiger ist aber der Anteil an Patienten mit einer MRD-Negativit&auml;t. Dieser lag bei &uuml;ber 80 Prozent und damit in einem Bereich, den wir mit den bisherigen Therapiekonzepten nicht erreicht hatten.<br /><br /> <strong>Aus welchen Gr&uuml;nden wurden f&uuml;r die Induktions- und die Erhaltungstherapie nach dem Bendamustin-Debulking Obinutuzumab und Venetoclax gew&auml;hlt?<br /> J. Goede: </strong>Das Ziel solcher Therapien ist ja grunds&auml;tzlich, Wege zu finden, um von den klassischen Chemotherapien wegzukommen. In dieser Studie erhielten die Patienten eigentlich nur in zwei Zyklen eine klassische Chemotherapie &ndash; und auch nur diejenigen, die tats&auml;chlich ein Debulking ben&ouml;tigt hatten. Im Weiteren wird man sich dar&uuml;ber Gedanken gemacht haben, welcher Antik&ouml;rper wohl am wirkungsvollsten ist, und diesen hat man dann mit einem BCL-2- Hemmer kombiniert. Wir wissen mittlerweile, dass B-Zell-Rezeptor-Antagonisten wie Ibrutinib oder Idelalisib nicht sehr tiefe Remissionen erreichen k&ouml;nnen, wenn doch, dann nur nach einer l&auml;ngeren Therapiedauer. Die CLL2-BAG-Studie verfolgt jedoch das Konzept, eine MRDNegativit&auml;t zu erreichen, damit die Patienten anschliessend m&ouml;glichst lange ohne Therapie auskommen. Mit diesem Ziel vor Augen ist mit Venetoclax die vermutlich in dieser Hinsicht effektivste Substanz gew&auml;hlt worden.<br /><br /> <strong>Welche Auswirkungen k&ouml;nnte die CLL2-BAG-Studie auf die CLL-Behandlung im Alltag haben?<br /> J. Goede:</strong> Sollten sich die Resultate weiterhin best&auml;tigen und l&auml;ngerfristig nicht noch unerwartete Langzeitnebenwirkungen auftreten, wird das Schema der CLL2-BAG-Studie wohl das gesamte bisherige Konzept der CLL-Behandlung, wie wir es in den letzten 20 Jahren gekannt haben, nachhaltig ver&auml;ndern. Wir m&uuml;ssen uns aber dessen bewusst sein, dass dadurch die Gesamtdauer einer Therapie deutlich verl&auml;ngert wird. Heute dauert eine CLL-Behandlung etwa sechs Monate. Bei dem neuen Schema sprechen wir dagegen von zwei Monaten Debulking, gefolgt von einer sechsmonatigen Induktionsphase und einer Erhaltungstherapie von zwei Jahren &ndash; falls vorher keine MRD-Negativit&auml;t erreicht wird. Das w&auml;re also etwas v&ouml;llig Neues und w&uuml;rde neben den hohen Medikamentenkosten auch eine grosse zeitliche Herausforderung f&uuml;r die betreuenden &Auml;rzte bedeuten. Wir d&uuml;rfen nicht vergessen, dass CLL die h&auml;ufigste Leuk&auml;mieform bei Erwachsenen ist. Die Umsetzung des Konzeptes w&uuml;rde aber im Weiteren auch dazu f&uuml;hren, dass die MRD-Messung im klinischen Alltag ankommt. Bisher wird diese nicht von allen behandelnden &Auml;rzten eingesetzt. Wird die Dauer der Erhaltungstherapie jedoch vom Erreichen einer MRD-Negativit&auml;t abh&auml;ngig gemacht, dann muss diese auch aktiv gesucht werden. Das bedeutet, dass mehr Diagnostik betrieben w&uuml;rde, was nicht zuletzt auch f&uuml;r die Laboratorien eine Herausforderung w&auml;re.<br /><br /> <strong>Noch zu einem anderen Thema: Wie sieht aktuell die Behandlung der &uuml;ber 65-j&auml;hrigen CLL-Patienten aus? Ist dazu am Kongress etwas Neues berichtet worden?<br /> J. Goede:</strong> Etwas wirklich Neues gab es in diesem Bereich nicht zu h&ouml;ren. Was aber in Bezug auf die Behandlung &auml;lterer Patienten vermehrt deutlich gemacht wurde, ist das nicht zu untersch&auml;tzende Nebenwirkungspotenzial einer lang anhaltenden Behandlung mit Idelalisib oder Ibrutinib. Dabei handelt es sich um Nebenwirkungen, denen wir bisher mit den klassischen Behandlungen nur selten begegnet sind. Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel pl&ouml;tzlich Durchfall oder pneumonitische Beschwerden auftreten, die mit diesen Medikamenten zusammenh&auml;ngen k&ouml;nnen. Darauf muss man gerade bei &auml;lteren Patienten eingestellt sein und auch entsprechend reagieren. F&uuml;r einen 80-j&auml;hrigen Patienten mit Schwierigkeiten beim Gehen ist schon ein Durchfall vom Grad 2, das heisst bis zu sechs Stuhlg&auml;nge pro Tag, eine enorme Belastung; das kann durchaus auch ein Grund daf&uuml;r sein, einen Therapiewechsel in Betracht zu ziehen, selbst wenn die Nebenwirkung an und f&uuml;r sich nicht lebensbedrohend ist.<br /><br /> <strong>Gab es zur CLL am Kongress etwas zu h&ouml;ren, das Sie besonders &uuml;berrascht hat, sei es positiv oder negativ?<br /> J. Goede:</strong> Bereits vor einer Weile wurden die ersten Resultate der GREEN-Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit der Kombination von Obinutuzumab mit verschiedenen Chemotherapien bei unbehandelten und bei vorbehandelten CLLPatienten vorgestellt. In der Subgruppe der therapienaiven Patienten zeigte die Studie f&uuml;r Obinutuzumab plus Bendamustin damals vielversprechende Resultate. Am Kongress wurden nun die Daten einer Phase-II-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Kombination bei unbehandelten Patienten vorgestellt. Es konnten sehr gute Ansprechraten und eine hohe Rate einer MRD-Negativit&auml;t erreicht werden. Ich k&ouml;nnte mir vorstellen, dass diese mehr klassische Kombination &ndash; ein Antik&ouml;rper und ein Chemotherapeutikum &ndash; ein erhebliches Potenzial hat, insbesondere im Fall, dass sich das Konzept der CLL2-BAG-Studie in Zukunft nicht durchsetzen sollte. Nat&uuml;rlich m&uuml;sste dabei auch die Vertr&auml;glichkeit beachtet werden. Aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen, dass Obinutuzumab plus Bendamustin meist vergleichsweise gut vertr&auml;glich ist und ein sehr gutes, tiefes Ansprechen bewirkt.<br /><br /> <strong>Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p></p>
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