
©
Getty Images/iStockphoto
«Das Dreiphasenkonzept könnte die CLL-Behandlung nachhaltig verändern»
Leading Opinions
30
Min. Lesezeit
21.09.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Am Kongress der European Hematology Association (EHA) in Madrid präsentierte die deutsche CLL-Studiengruppe das Design und die ersten Resultate ihrer CLL2-BAG-Studie. Dr. med. Jeroen Goede, Winterthur, erläutert im nachfolgenden Interview, weshalb diese Studie etwas Besonderes darstellt, und weist auf einige weitere Punkte hin, die am Kongress thematisiert worden sind.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><strong>Herr Doktor Goede, was ist das Besondere an der CLL2-BAG-Studie, von welcher das Design und erste Resultate in Madrid vorgestellt worden sind?<br /> J. Goede:</strong> Das vollständig Neue an dieser prospektiven multizentrischen Phase-II-Studie der deutschen CLL-Studiengruppe ist, dass sie bei der Behandlung der CLL drei verschiedene Phasen unterscheidet. Sofern indiziert, erfolgt zuerst ein Debulking mit zwei 28-tägigen Bendamustin-Zyklen, um damit die Erkrankungslast schon einmal grossteils zu reduzieren. Danach folgt die Induktionsphase mit sechs 28-tägigen Zyklen Obinutuzumab plus Venetoclax. Das Ziel dieser Phase wird sein, ein möglichst komplettes Ansprechen zu erreichen und auch bezüglich der «minimal residual disease» (MRD) ein möglichst niedriges Niveau zu erreichen. Die daran anschliessende Erhaltungsphase mit zwei bis acht 84-tägigen Zyklen Obinutuzumab und Venetoclax soll das Resultat der Induktionstherapie dann noch weiter konsolidieren. Solch ein Vorgehen hat es bisher noch nicht gegeben. In die Studie sind bisher 66 Patienten eingeschlossen worden. Auffallend ist, dass sowohl therapienaive als auch bereits vorbehandelte Patienten aufgenommen worden sind. Typischerweise wiesen die bereits vorbehandelten Patienten ein schlechteres genetisches Risikoprofil auf als die therapienaiven. Dementsprechend sind auch die Resultate der Erstlinien-Patienten etwas besser. Hier fällt die extrem hohe Ansprechrate auf: Das Therapieansprechen lag nach der Induktion gemäss IWCLL-Kriterien bei den Erstlinien-Patienten bei 100 Prozent und bei den vorbehandelten bei 90 Prozent. Fast noch wichtiger ist aber der Anteil an Patienten mit einer MRD-Negativität. Dieser lag bei über 80 Prozent und damit in einem Bereich, den wir mit den bisherigen Therapiekonzepten nicht erreicht hatten.<br /><br /> <strong>Aus welchen Gründen wurden für die Induktions- und die Erhaltungstherapie nach dem Bendamustin-Debulking Obinutuzumab und Venetoclax gewählt?<br /> J. Goede: </strong>Das Ziel solcher Therapien ist ja grundsätzlich, Wege zu finden, um von den klassischen Chemotherapien wegzukommen. In dieser Studie erhielten die Patienten eigentlich nur in zwei Zyklen eine klassische Chemotherapie – und auch nur diejenigen, die tatsächlich ein Debulking benötigt hatten. Im Weiteren wird man sich darüber Gedanken gemacht haben, welcher Antikörper wohl am wirkungsvollsten ist, und diesen hat man dann mit einem BCL-2- Hemmer kombiniert. Wir wissen mittlerweile, dass B-Zell-Rezeptor-Antagonisten wie Ibrutinib oder Idelalisib nicht sehr tiefe Remissionen erreichen können, wenn doch, dann nur nach einer längeren Therapiedauer. Die CLL2-BAG-Studie verfolgt jedoch das Konzept, eine MRDNegativität zu erreichen, damit die Patienten anschliessend möglichst lange ohne Therapie auskommen. Mit diesem Ziel vor Augen ist mit Venetoclax die vermutlich in dieser Hinsicht effektivste Substanz gewählt worden.<br /><br /> <strong>Welche Auswirkungen könnte die CLL2-BAG-Studie auf die CLL-Behandlung im Alltag haben?<br /> J. Goede:</strong> Sollten sich die Resultate weiterhin bestätigen und längerfristig nicht noch unerwartete Langzeitnebenwirkungen auftreten, wird das Schema der CLL2-BAG-Studie wohl das gesamte bisherige Konzept der CLL-Behandlung, wie wir es in den letzten 20 Jahren gekannt haben, nachhaltig verändern. Wir müssen uns aber dessen bewusst sein, dass dadurch die Gesamtdauer einer Therapie deutlich verlängert wird. Heute dauert eine CLL-Behandlung etwa sechs Monate. Bei dem neuen Schema sprechen wir dagegen von zwei Monaten Debulking, gefolgt von einer sechsmonatigen Induktionsphase und einer Erhaltungstherapie von zwei Jahren – falls vorher keine MRD-Negativität erreicht wird. Das wäre also etwas völlig Neues und würde neben den hohen Medikamentenkosten auch eine grosse zeitliche Herausforderung für die betreuenden Ärzte bedeuten. Wir dürfen nicht vergessen, dass CLL die häufigste Leukämieform bei Erwachsenen ist. Die Umsetzung des Konzeptes würde aber im Weiteren auch dazu führen, dass die MRD-Messung im klinischen Alltag ankommt. Bisher wird diese nicht von allen behandelnden Ärzten eingesetzt. Wird die Dauer der Erhaltungstherapie jedoch vom Erreichen einer MRD-Negativität abhängig gemacht, dann muss diese auch aktiv gesucht werden. Das bedeutet, dass mehr Diagnostik betrieben würde, was nicht zuletzt auch für die Laboratorien eine Herausforderung wäre.<br /><br /> <strong>Noch zu einem anderen Thema: Wie sieht aktuell die Behandlung der über 65-jährigen CLL-Patienten aus? Ist dazu am Kongress etwas Neues berichtet worden?<br /> J. Goede:</strong> Etwas wirklich Neues gab es in diesem Bereich nicht zu hören. Was aber in Bezug auf die Behandlung älterer Patienten vermehrt deutlich gemacht wurde, ist das nicht zu unterschätzende Nebenwirkungspotenzial einer lang anhaltenden Behandlung mit Idelalisib oder Ibrutinib. Dabei handelt es sich um Nebenwirkungen, denen wir bisher mit den klassischen Behandlungen nur selten begegnet sind. Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel plötzlich Durchfall oder pneumonitische Beschwerden auftreten, die mit diesen Medikamenten zusammenhängen können. Darauf muss man gerade bei älteren Patienten eingestellt sein und auch entsprechend reagieren. Für einen 80-jährigen Patienten mit Schwierigkeiten beim Gehen ist schon ein Durchfall vom Grad 2, das heisst bis zu sechs Stuhlgänge pro Tag, eine enorme Belastung; das kann durchaus auch ein Grund dafür sein, einen Therapiewechsel in Betracht zu ziehen, selbst wenn die Nebenwirkung an und für sich nicht lebensbedrohend ist.<br /><br /> <strong>Gab es zur CLL am Kongress etwas zu hören, das Sie besonders überrascht hat, sei es positiv oder negativ?<br /> J. Goede:</strong> Bereits vor einer Weile wurden die ersten Resultate der GREEN-Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit der Kombination von Obinutuzumab mit verschiedenen Chemotherapien bei unbehandelten und bei vorbehandelten CLLPatienten vorgestellt. In der Subgruppe der therapienaiven Patienten zeigte die Studie für Obinutuzumab plus Bendamustin damals vielversprechende Resultate. Am Kongress wurden nun die Daten einer Phase-II-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit dieser Kombination bei unbehandelten Patienten vorgestellt. Es konnten sehr gute Ansprechraten und eine hohe Rate einer MRD-Negativität erreicht werden. Ich könnte mir vorstellen, dass diese mehr klassische Kombination – ein Antikörper und ein Chemotherapeutikum – ein erhebliches Potenzial hat, insbesondere im Fall, dass sich das Konzept der CLL2-BAG-Studie in Zukunft nicht durchsetzen sollte. Natürlich müsste dabei auch die Verträglichkeit beachtet werden. Aus eigener Erfahrung kann ich aber sagen, dass Obinutuzumab plus Bendamustin meist vergleichsweise gut verträglich ist und ein sehr gutes, tiefes Ansprechen bewirkt.<br /><br /> <strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>