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Biologisch basierter Ansatz zur Krankheitseinteilung

„SynNeurGe“: neue Parkinsonklassifikation

Die bisherige klinische Einteilung der Parkinsonkrankheit wird dem heutigen Wissen über die komplexen Pathomechanismen und die biologische Heterogenität nicht mehr gerecht. Forschende schlagen nun eine biologisch basierte, dreiteilige Klassifikation vor. Eine exakte Einteilung und Stratifizierung seien für die Entwicklung kausaler bzw. krankheitsmodifizierender Therapien essenziell, so die Autor:innen der Studie.

Parkinson ist eine chronische neurodegenerative Erkrankung mit weltweit kontinuierlich steigender Inzidenz und Prävalenz. Eine kausale Therapie gibt es bislang nicht, sie ist allerdings gut symptomatisch behandelbar.

Die Diagnose wird anhand klinischer Merkmale, ergänzt durch eine MRT-Bildgebung des Gehirns, gestellt. Auch die Einteilung verschiedener Parkinsonformen erfolgt in erster Linie anhand klinischer Kriterien. In der Prodromalphase und im Frühstadium können die Parkinsonkrankheit und verwandte Synucleinopathien oft nur schwer voneinander unterschieden werden. Den Synucleinopathien gemeinsam sind pathologische Ablagerungen des Proteins α-Synuclein in bestimmten Hirnregionen. Diese Aggregationen von α-Synuclein in den Nervenzellen entstehen aufgrund einer fehlerhaften molekularen Proteinstruktur – es bilden sich zunächst kleinste Fibrillen, die dann verklumpen und zelltoxische Wirkung haben. Meistens sind diese Aggregate als Lewy-Körperchen histologisch im Gewebe nachweisbar. Betroffen sind v. a. dopaminproduzierende Neuronen, durch deren Untergang dann die Parkinsonsymptomatik entsteht.

Es sind verschiedene Genmutationen bekannt, die aber nur eine kleine Zahl der Parkinsonkrankheitsfälle direkt verursachen. Außerdem gibt es genetische Faktoren, die zu einer erhöhten Krankheitsdisposition führen. Bei den sporadischen und den genetischen Parkinsonformen sind die Pathomechanismen die gleichen; es sind aber inzwischen auch Parkinsonformen ohne Lewy-Körperchen bekannt.

Die Forschung macht seit Jahren immer größere Fortschritte bei der Aufklärung der kausalen Parkinsonpathomechanismen und ihres komplexen Zusammenspiels, sodass man hofft, in den nächsten zehn Jahren Therapien einsetzen zu können, die an den molekularen Ursachen ansetzen.

„SynNeurGe“-Klassifikation umfasst drei Komponenten

Die Fortschritte in der Entwicklung sensitiver und spezifischer In-vivo-Biomarker für das Vorhandensein der α-Synuclein-Pathologie hätten die Parkinsonforschung jedoch an einen kritischen Punkt gebracht, an dem eine Verschiebung der weitgehend klinisch basierten Diagnoseansätze zu einer Betonung der biologischen Grundlagen der Krankheit notwendig sei, so die Autor:innen eines in Lancet Neurology veröffentlichten Artikels.1

Das darin publizierte „SynNeurGe“-System soll ermöglichen, die molekularen Grundlagen der Parkinsonkrankheit bereits vor dem Auftreten von Symptomen zu definieren, zu identifizieren und gezielt therapeutisch anzugehen. Es umfasst drei Hauptkomponenten: 1) die „Parkinson-Typ-Synukleinopathie“, d.h. die Anwesenheit oder Abwesenheit von pathologischem α-Synuclein (S) in Geweben oder im Liquor, 2) Hinweise auf eine Parkinson-assoziierte Neurodegeneration (N), die durch spezifische neurobildgebende Verfahren definiert wird, und 3) der Nachweis von Parkinson-spezifischen pathogenen Genvarianten (G), die eine Parkinsonkrankheit verursachen oder stark dazu prädisponieren.

Diese biologische „SynNeurGe“- bzw. S-N-G-Klassifikation wird mit einem klinischen Syndrom, das durch ein hochspezifisches Merkmal oder mehrere weniger spezifische Merkmale definiert ist, in Verbindung gebracht.

Grundstein für Präzisionsmedizin

Dieser Übergang von einer rein klinisch basierten Diagnose hin zu einer biologischen Klassifikation sei unerlässlich für die nächste Phase von Grundlagen- und klinischen Forschungsstudien und bringe die Forschung näher an die für die Entwicklung klinisch bedeutsamer krankheitsmodifizierender Therapien erforderliche Präzisionsmedizin, so das Autorenteam.

So werde dieses Klassifikationssystem als Grundlage für zukünftige biomarkerbasierte Subgruppen- und Staging-Systeme dienen, welche die Implementierung von Präzisionsmedizinansätzen zur Krankheitsmodifikation ermöglichen. Denn nur, wenn in künftigen Studien zu den verschiedenen Parkinsonformen bzw. Synucleinopathien eine exakte Definition bzw. Stratifizierung der untersuchten Kohorten erfolgt, können neue Medikamente, die an unterschiedlichen molekularen Mechanismen ansetzen, valide auf ihre Wirksamkeit untersucht werden.

Forschung mit biologischem Fokus

„Der aktuelle Forschungsvorschlag ist der erste Schritt in einem entscheidenden Prozess, um die Parkinsonforschung von einem rein klinischen Ansatz hin zu einem biologischen Ansatz zu bewegen – was die Hoffnung auf die Entwicklung von krankheitsmodifizierenden Therapien weiter stärkt“, erläutert Prof. Dr. Günter Höglinger, Neurologische Klinik und Poliklinik, LMU München. Wie der Experte allerdings betont, werden diese Kriterien vorerst ausschließlich für die Forschung vorgeschlagen. (red)

Pressemitteilung Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), 23.01.2024

1 Höglinger GU et al.: A biological classification of Parkinson‘s disease: the SynNeurGe research diagnostic criteria. Lancet Neurol 2024; 23(2): 191-204

Expertinnenkommentar zu den SynNeurGe-Forschungskriterien

„Sie tragen dazu bei, das Bewusstsein für die beteiligten Prozesse zu stärken“

Die „SynNeurGe“-Klassifikation von Parkinson empfiehlt eine biologisch basierte Einteilung der Krankheit. Wie wichtig ist dieser neue Schritt – weg von der rein klinischen Diagnosestellung hin zu einem biologischen Ansatz?

R. Katzenschlager: Derzeit liegt die Bedeutung der vorgeschlagenen biologisch definierten Krankheitsstadien vor allem in der verbesserten Möglichkeit, Patient:innen nach genau definierten Kriterien und schon sehr früh in Studien einzuschließen, die gegenwärtig weltweit laufen und das hohe Ziel haben, krankheitsmodifizierende Ansätze zu finden.

Aktuell werden die „SynNeurGe“-Kriterien ausschließlich für die Forschung vorgeschlagen. Welchen Platz bzw. welche Relevanz sehen Sie für diese Kriterien auch im klinischen Alltag?

R. Katzenschlager: Da sich immer klarer abzeichnet, dass unterschiedliche genetische Grundlagen auch mit unterschiedlichen Verläufen verbunden sind, tragen die vorgestellten diagnostischen Kriterien auch dazu bei, das Bewusstsein für die beteiligten Prozesse und die laufende Forschung zu stärken. Derzeit sind Therapieempfehlungen immer noch im Einzelfall unabhängig von den vorgestellten Diagnosekriterien zu stellen, aber Aspekte daraus werden bereits jetzt im klinischen Einsatz berücksichtigt, wie etwa die Zurückhaltung bei der Empfehlung der tiefen Hirnstimulation bei bestimmten Mutationen im GBA-Gen.

Welche Auswirkungen könnten diese neuen Klassifikationskriterien auf die Entwicklung von präzisionsmedizinischen Therapieansätzen für Parkinsonerkrankte haben? Wird zukünftig sogar eine kausale Therapie möglich werden?

R. Katzenschlager: Ein präziser Einschluss von Patient:innen in Studien, die Therapieansätze bei bestimmten genetischen Konstellationen untersuchen, und die Möglichkeit eines Einschlusses schon vor dem Auftreten klassischer motorischer Symptome sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Studien mit krankheitsmodifizierendem Ansatz zu klaren Aussagen führen. Erste positive Signale sind aus Phase-II-Studien bereits berichtet worden, und erstmals besteht berechtigte Hoffnung, dass Therapieansätze, die auf genetischen Grundlagen beruhen oder die bestimmte Zellstoffwechselvorgänge beeinflussen, allein oder in Kombination zu einer echten Änderung des Krankheitsverlaufs führen werden.

Unsere Gesprächspartnerin:
Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager
Klinische Abteilung für Neurologie
Klinik Donaustadt, Wien

Das Interview führte
Dr. Bettina Janits, BA

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