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Schlaf und Neuropsychologie

„Ich schlafe, also bin ich“

Schlaf ist ein täglich wiederkehrendes Phänomen unseres Lebens, das sich nur teilweise subjektiv (v.a. durch Träume) bewusst erleben und objektiv erfassen (z.B. durch Messung der Veränderungen der hirnelektrischen Aktivität mithilfe von Oberflächenelektroden) lässt. Tatsache ist, dass gesunder Schlaf uns dazu verhilft, im Wachzustand eine große Zahl von Gedächtnisinhalten mühelos abzurufen und unser Verhalten an die vielfältigen Herausforderungen im Alltag anzupassen.

Keypoints

  • Schlaf wird durch die Schlafhomöostase und den zirkadianen Rhythmus reguliert, wobei die Abstimmung dieser beiden Vorgänge für einen guten Schlaf essenziell ist.

  • Ruhe- und Schlafzeiten geben dem Gehirn die Möglichkeit, Gedächtnisinhalte zu reaktivieren und langfristig im Neokortex zu konsolidieren.

  • Schlaf-wach-Störungen wie die chronische Insomnie und die Schlafapnoe gehen regelhaft mit kognitiven Beeinträchtigungen einher.

  • Nichtmedikamentöse Therapieansätze wie die kognitive Verhaltenstherapie (KVT-I) sind mittlerweile Standard in der Behandlung von Schlafstörungen.

Für eine Annäherung an diese einzelnen Funktionen und deren Störungen müssen wir festhalten, wie Schlaf reguliert wird und welche kurz- und langfristigen gesundheitserhaltenden Funktionen Schlaf besitzt. Diesen Schritt nennt man „Schlafedukation“, und dieser ist, neben der Stimuluskontrolle, Schlafkompression und der Restrukturierung von dysfunktionalen Gedanken zum Schlaf, ein integraler Bestandteil der kognitiven Verhaltenstherapie bei Insomnie (KVT-I).

Schlaf-wach-Regulation

Nach dem 2-Prozess-Modell von Borbelý nimmt unser Schlafdruck durch den Prozess S (Schlafhomöostase) während des Wachzustandes annähernd linear zu und mit Schlafbeginn wieder rasch ab. Dieser Vorgang steht im Wechselspiel mit dem Prozess C, der in einem zirkadianen 24-Stunden-Rhythmus ein Wach-Signal generiert (Abb. 1). Dieses wird in erster Linie durch den potentesten Zeitgeber, das Licht und dessen non-visuelle Effekte gesteuert. In der Netzhaut wird über das Protein Melanopsin während heller Umweltbedingungen ein Signal an den Nucleus suprachiasmaticus (innere Uhr, „master clock“) und über eine neuronale Umschaltstelle im oberen Halsmark an die Zirbeldrüse (Glandula pinealis) gesendet, welches die Produktion von Melatonin supprimiert.

Abb. 1: Das 2-Prozess-Modell der Schlaf-Wach-Regulation nach Borbély. Die Schlafhomöostase (Prozess „S“) und der zirkadiane Prozess (Prozess „C“) regulieren im Wechselspiel die Schlafbereitschaft über 24 Stunden. Aus: Pérez-Carbonell et al. 2022

Wenn die Synchronizität dieser beiden Prozesse durch exogene (Reisen über mehr als 5 Zeitzonen) oder endogene (Blindheit) Faktoren vorübergehend oder anhaltend verloren geht, kommt es zu klinischen Symptomen wie Ein-/Durchschlafstörungen und/oder erhöhter Tagesschläfrigkeit. Entsprechend der 3. Ausgabe der Internationalen Klassifikation von Schlafstörungen (ICSD-III) spricht man in diesen Fällen von zirkadianen Schlaf-wach-Rhythmusstörungen. Die bekanntesten Beispiele aus dieser Kategorie sind der Jetlag („jetlag disorder“) und das Schichtarbeitersyndrom („shift work disorder“).

Auf zerebraler Ebene wird Schlaf, sobald sich durch das optimale Zusammenspiel von Prozess C und S das „Schlaffenster“ abends öffnet, durch GABAerge Projektionen von der ventrolateralen präoptischen Area (VLPO) initiiert und die arousalfördernden Areale im lateralen Hypothalamus und Hirnstamm inhibiert. Das Wechselspiel von monoaminerger und cholinerger Neurotransmission ermöglicht schließlich die typische Abfolge von Non-REM und REM-Schlaf, während die orexinergen Projektionen den Schlaf stabilisieren und die Arousalschwelle modulieren.

Schlaf und Gedächtniskonsolidierung

Bereits vor knapp 100 Jahren konnte gezeigt werden, dass Probanden, die in der Lage waren, nachts ausreichend schlafen zu können, eine höhere Anzahl von tags zuvor gelernten Silben wiedergeben konnten als Probanden, die eine Schlafdeprivation erlebten. Heute ist bekannt, dass Gedächtniskonsolidierung, d.h. der Transfer von kurzfristig, hippocampal gespeicherten, deklarativen Inhalten in den Neokortex, über einen längeren Zeitraum passiert. Sowohl Schlaf als auch Ruhezeiten (Tagträume, Yoga, Entspannungsübungen) fazilitieren diesen Prozess. Neurophysiologisch kommt es dabei zu einer Synchronisation neuronaler Aktivität im Hippocampus und neokortikalen Regionen, die in Form von schnellen Schwingungen, sogenannten „Ripples“, im EEG messbar sind.

Die Integrität der Schlaf-wach-Regulation und ein ungestörter Schlaf wiederum fazilitieren den Abtransport von neuronalen Abfallprodukten wie Tau und Beta-Amyloid über das perivaskuläre Netzwerk (glymphatisches System). Schlaf-wach-Störungen führen über die gemeinsame Endstrecke eines Hyperarousals und konsekutiver Verminderung der Schlafkontinuität zu einer Störung des glymphatischen Systems und begünstigen langfristig die Entwicklung von neurodegenerativen Krankheiten (z.B. Morbus Alzheimer). Die REM-Schlafverhaltensstörung, eine REM-Schlaf-Parasomnie, stellt wiederum ein typisches Prodromalsymptom von neurodegenerativen Erkrankungen, v.a. Morbus Parkinson und Demenz mit Lewy-Körperchen, dar. Klinisch kommt es dabei zur Aufhebung der Atonie im REM-Schlaf und dem Ausagieren von Trauminhalten mit teils erheblichem Selbst- und Fremdgefährdungspotenzial.

Schlaf-wach-Störungen und „Tagessymptome“

Die Schlaf-wach-Störungen mit der höchsten Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung sind die chronische Insomnie (10%), die Schlafapnoe (5–10%) und das Restless Legs Syndrome (RLS) (5%). Trotz des häufig verwendeten Terminus „Schlafstörungen“ ist bei diesen Krankheiten von 24-Stunden-Störungen mit alltagsrelevanten Symptomen auszugehen. Im Falle der chronischen Insomnie stellt das Hyperarousal das zentrale pathophysiologische Element dar. Bei den beiden anderen Krankheitsbildern, der Schlafapnoe und dem RLS, führen spezifische Symptome (Atempausen im Schlaf bzw. periodische Beinbewegungen im Schlaf) während des Schlafs zu einem klinisch relevanten Anstieg von Arousals, einer Schlaffragmentierung und Störung der einzelnen Schlafstadien.

Patient:innen mit chronischer Insomnie schätzen ihre Gesamtschlafzeit eher kürzer ein als objektiv, z.B. mittels ambulanter Polysomnografie, messbar. Abbildung 2 zeigt das Hypnogramm einer Patientin mit einem großen Missverhältnis zwischen subjektiver und objektiver Gesamtschlafzeit, dem Hauptmerkmal eines Subtyps der Insomnie, der paradoxen Insomnie. Ein zweiter wesentlicher Aspekt, die REM-Schlaf-Fragmentation, ist ebenfalls mittels Polysomnografie dokumentierbar. Diese Störung der Schlafarchitektur behindert vor allem die Konsolidierung von emotionalen Erlebnissen und prädisponiert zur Reaktivierung dieser Inhalte bzw. in weiterer Folge zur Entwicklung einer chronischen psychischen Erkrankung.

Abb. 2: 45-jährige Patientin mit paradoxer Insomnie (subjektive Gesamtschlafdauer 1,5 Stunden, objektive Gesamtschlafdauer 8 Stunden) und deutlicher REM-Schlaf-Fragmentation

Als Folge eines Hyperarousals kommt es, relativ unabhängig von der zugrunde liegenden Schlaf-wach-Störung, zu den typischen Tagessymptomen der Konzentrations- sowie Kurzzeitgedächtnisstörung, erhöhter Irritabilität und Erschöpfbarkeit (Fatigue). In vegetativer Hinsicht sind ein erhöhter Blutdruck, Episoden mit Herzstolpern oder -rasen, Schweißausbrüche und Verdauungsstörungen häufig. Langfristig ist bei Menschen mit chronischer Insomnie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas und psychische Erkrankungen (v.a. Depression und Angststörungen) zwei- bis dreifach erhöht. Neben Belegen für die funktionelle Störung des präfrontalen Kortex und damit v.a. von exekutiven Funktionen bei Insomniepatient:innen zeigen bildgebende Daten beispielsweise, dass das kortikale Volumen des präfrontalen Kortex bei Patient:innen mit unbehandelter Schlafapnoe im Vergleich zu gesunden Kontrollen langfristig signifikant stärker abnimmt.

Therapie und Rehabilitation von Schlaf-wach-Störungen

In der klinischen Praxis ist ein multimodaler Ansatz in der Therapie von Schlaf-wach-Störungen entscheidend für einen langfristigen Behandlungserfolg. Erfreulicherweise eröffnet aktuell die Zulassung des dualen Orexin-Rezeptor-Antagonisten Daridorexant in Österreich neue Perspektiven in der medikamentösen Therapie der Insomnie. Nichtsdestotrotz stehen wir vor der großen Herausforderung, die „first line“ der nichtmedikamentösen Therapie, die KVT-I, für Betroffene flächendeckend anzubieten und die Adhärenz im Alltag von Patient:innen zu verbessern. Aufgrund der Komplexität der Einflussfaktoren auf den Schlaf bzw. für die Entstehung der Insomnie sind jedoch häufig weitere Themen zu adressieren. Dazu zählen eine verbesserte Ernährung, die Steigerung der körperlichen Aktivität und regelmäßige Lichtexposition tagsüber, berufliche Fragen/Veränderungen, psychosoziale Belastungsfaktoren, Förderung von persönlichen/kreativen Ressourcen in der Freizeit etc. Die stationäre neurologisch-psychosomatische Rehabilitation bietet hierfür den optimalen Rahmen, damit im multiprofessionellen Team alltagstaugliche Strategien erarbeitet werden können.

beim Verfasser

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