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„Post-mortem-MRT ist ein technisch schwieriges Unterfangen“
Jatros
30
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13.12.2018
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<p class="article-intro">Der strukturellen und funktionellen Bildgebung zum besseren Verständnis der Krankheitsprogression war beim ECTRIMS eine Hot Topic Session gewidmet. Der österreichische Experte für neuronale Bildgebung Prof. Christian Enzinger erklärt im Gespräch, wie neueste technische Entwicklungen das Verständnis der Pathogenese der Multiplen Sklerose verbessern.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Herr Professor Enzinger, was kann man sich unter der longitudinalen funktionellen Magnetresonanztomografie vorstellen? <br />C. Enzinger:</strong> Die Technik des funktionellen MRT ist aus einem Zufallsbefund heraus entstanden. Man hat entdeckt, dass bei Änderungen des Blutflusses im Gehirn auch Änderungen im magnetischen Signal und damit in der Nervenzellaktivität auftreten. Diese Technik wurde mittlerweile gut implementiert, wir verwenden sie in der Klinik, um prächirurgisch die Funktionen von Hirnarealen zu kartieren und dem Chirurgen mitzuteilen, welches Hirngewebe schonend entfernt werden kann. <br />In der Forschung selbst haben nun Wissenschaftler mit dieser Methode zutage gebracht, dass das Gehirn von MS-Betroffenen über die Zeit in Reaktion auf die zunehmende Gewebsschädigung Funktionsänderungen aufweist. Diese gestalten sich zu Beginn derart, dass sie die Symptome und Konsequenzen der Gewebsschädigung am Zentralnervensystem limitieren können. In weiterer Folge scheinen sich diese Ressourcen aber zu erschöpfen, und mit Zunahme der Schädigung am Gehirn wird diese „Hirnantwort“ weniger gerichtet, chaotischer. Die funktionale Effizienz geht verloren und kognitive Störungen und motorische Ausfälle treten auf. Diese Erkenntnisse erlangt man letztendlich nur, wenn man die Methode im Längsschnitt, das bedeutet, wiederholt über längere Zeiträume, an Patienten einsetzt, Daten akquiriert und analysiert.</p> <p><strong>Über welche Zeiträume sprechen wir hier? <br />C. Enzinger:</strong> Wir sprechen hier über ein bis zwei Jahre. Es gibt Ergebnisse aus unserer Forschungsgruppe, die Folgendes gezeigt haben: Gelingt es, den Erkrankungsprozess mit entsprechenden Therapien gut zu kontrollieren, sprich, die Behinderungen oder Defizite bleiben konstant, kognitive Funktionen bleiben intakt und die Veränderungen am Gehirn – soweit man sie mittels MRT messen kann – nehmen nicht zu, dann gelingt es auch, die Patienten im gleichen Hirnzustand zu halten. Ist das nicht der Fall, dann sind vor allem jene Betroffenen, die schon zu Beginn mehr zerebrale Atrophie und einen höheren Grad an Behinderung aufweisen, über diesen Zeitraum von ein bis zwei Jahren gefährdet, die Effizienz ihrer neuronalen Verbände zu verlieren.</p> <p><strong>Ein weiteres Thema war Postmortem- Imaging. Welche neuen Erkenntnisse gibt es hier? <br />C. Enzinger:</strong> Post-mortem-MRT, sprich Untersuchungen an Gehirnen von Verstorbenen in situ, ist ein technisch schwieriges Unterfangen. Eine Forschungsgruppe aus Amsterdam hat eine 24 Stunden erreichbare Hotline aufgebaut, um das zu realisieren. Wir haben dadurch auf diesem Gebiet sehr viele Erkenntnisse gewonnen, zum Beispiel über das Vorhandensein von Veränderungen am Cortex. Diese wurden bei der MS bisher als selten angenommen, ebenso wie die Korrelate in der Bildgebung, die lange Zeit unklar oder unbekannt waren. Denn das Problem ist, dass die Läsionen im Cortex deutlich weniger Ödem haben und weniger Myelinisierung aufweisen und insofern mit der normalen MRT nicht visualisierbar sind. <br />Ein anderer Punkt, der mittels Postmortem- MRT gezeigt werden konnte, ist der Zusammenhang zwischen der Ausdünnung des Cortex und dem Ausmaß an neuronaler Schädigung in Form von Verbindungs- und Nervenzellverlusten. Das sind Daten, die wir nun in der Forschung sehr nutzbringend einsetzen können, um zu verhindern, dass diese neurodegenerative Komponente der MS überhaupt bzw. in einem beschleunigten Maß abläuft. <br />Was man aus diesen Untersuchungen auch weiß, ist, dass das Ausmaß der Hirnsubstanzabnahme, das bei Personen mit MS doppelt so groß ist wie bei gesunden Personen, bei bestimmten Subgruppen und tiefen Hirnkernen wie zum Beispiel dem Thalamus sogar drei- bis viermal so hoch ist.</p> <p>Das vollständige Interview finden Sie im ECTRIMS Newsroom unter: www.universimed.com/ectrims2018</p> <p>Lesen sie auch:</p> <ul> <li><a href="/1000001039">„Der sensitivste Vergleich findet auf der Qualitätsebene statt“</a></li> <li><a href="/1000001040">„Unsere Patienten sind global – genauso sollte unsere Dokumentation sein“</a></li> <li><a href="/1000001042">„Nicht medikamentöse Ansätze sind ein wichtiger Baustein“</a></li> </ul></p>
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