Nicht nur die Symptome haben Einfluss auf die Lebensqualität
Autorin:
Sigrid Zimmermann, DGKP
Universitätsklinik für Neurologie
Medizinische Universität Innsbruck
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Mit der Diagnose Morbus Parkinson konfrontiert zu werden bedeutet eine massive Zäsur im Leben der betroffenen Patientinnen und Patienten. Sie müssen akzeptieren lernen, dass sie an einer neurodegenerativen Krankheit leiden, die nicht heilbar ist und ihr Leben sowie das ihrer Familie zunehmend beeinflussen wird.
Jetzt stellt sich für uns die Frage: Ist unser Gesundheitssystem dafür gerüstet, dass diese Krankheit aufgrund unserer steigenden Lebenserwartung immer häufiger wird? Und können wir die Patienten ihrer Situation entsprechend umfassend betreuen?
Ein:e Patient:in mit neu diagnostiziertem Parkinsonsyndrom wird mit einer adäquaten medikamentösen Einstellung manchmal mehrere Jahre („Honeymoon – Flitterwochen“) wenige lebenseinschränkende Probleme haben. Schreitet die Krankheit jedoch fort, gibt es in zunehmendem Maße kaum eine Körperfunktion, die nicht in irgendeiner Weise von der Krankheit betroffen ist. Hierbei geht es nicht nur um die motorischen Probleme, sondern insbesondere auch um die nichtmotorischen Symptome, die die Patient:innen massiv in ihrer Lebensqualität beeinflussen.
1997 wurden Patientenrechte laut der European Parkinson’s Disease Association (EPDA) genau definiert. Patienten haben demnach das Recht auf:
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speziell ausgebildete Ärzte
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genaue Diagnostik
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Zugang zu Serviceeinrichtungen
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Betreuung und Unterstützung
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Selbstbestimmung
In der Realität stellen sich jedoch für Betroffene viele Fragen, die für ihre Zukunft essenziell sind und die allem voran mit ihrer weiteren Lebensqualität umfassend zu tun haben. Ich habe anhand vieler Gespräche mit Betroffenen und Angehörigen die häufigsten Fragen zusammengestellt und möchte hiermit ein wenig Einblick geben in die Ungewissheit, mit der viele unserer Patient:innen tagtäglich konfrontiert sind.
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Was kann medikamentös verbessert werden?
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Habe ich die Möglichkeit einer adäquaten Bewegungstherapie oder von speziellen Sportangeboten?
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Wie lange kann ich durch Angehörige zu Hause betreut werden?
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Wenn nicht, gibt es einen Platz in einem nahe gelegenen Pflegeheim?
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Wäre eine 24-Stunden-Betreuung eine mach- und finanzierbare Option?
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Wird ein Reha-Aufenthalt in regelmäßigen Abständen genehmigt?
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Wer kann mir behilflich sein, falls ich eine kontinuierliche (Pumpen- etc.)Therapie benötige?
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Steht mir im Falle einer plötzlichen Verschlechterung ein Krankenhausbett zeitnah zur Verfügung?
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Gibt es Unterstützung für Angehörige (pflegerisch, psychologisch, Selbsthilfegruppen)?
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Habe ich Zugang zu Sozialarbeit, die über sämtliche Hilfsangebote informieren kann bzw. bei diversen Anträgen behilflich ist?
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Was ist, wenn mein Lebenspartner plötzlich die Betreuung nicht mehr übernehmen kann?
Status quo
Spezialisierte Therapeuten, die auch in LSVT®-BIG*-Training ausgebildet sind, sowie Logopäd:innen und Ergotherapeut:innen für Hausbesuche sind schwer zu finden. Außerdem herrscht ein eklatanter Personalmangel in der Pflege. Das hat auch auf die Betreuung schwer kranker Parkinsonpatient:innen folgenschwere Auswirkungen. Es gibt in vielen Pflegeeinrichtungen extrem lange Wartezeiten für einen Platz. Es können weiters derzeit kaum Fortbildungen besucht werden, weil das Personal dringend auf den Abteilungen benötigt wird. Das wiederum führt dazu, dass das Fachpersonal nicht genügend ausgebildet und nicht ausreichend mit den Besonderheiten der Parkinsonkrankheit vertraut ist (Medikamenteneinnahme, Pumpenbehandlungen, Tipps für die Aktivitäten des täglichen Lebens, Gedächtnistraining etc.). Es bleibt in fast allen Pflegeeinrichtungen nicht genügend Zeit, die Patient:innen umfassend und bedürfnisorientiert zu betreuen. Leider ist durch diese schwierige personelle Situation auch die pflegerische Unterstützung im häuslichen Bereich bzw. im sozialen Umfeld sehr schwierig. Invaliditätspensionen und Reha-Anträge werden nicht selten abgelehnt. Dabei ist längst bewiesen, dass gerade in der Behandlung von Parkinsonpatient:innen neurorehabilitative Maßnahmen eine sehr große Rolle spielen und die Lebensqualität nachhaltig verbessern können. Pflegegeldeinstufungen sind oft schwer nachvollziehbar, weil sie nicht mit der tatsächlichen Pflegesituation der Patient:innen kompatibel sind. Ein Beispiel wäre hier das Nichtbeachten eines Parkinsondemenzsyndroms. Ein solches hat zweifellos massive Auswirkungen auf den Pflegebedarf.
Was braucht es?
Allem voran braucht es für diese Patient:innen ein Netzwerk, das strukturiert ineinandergreift und mit einem niederschwelligen Zugang vergesellschaftet ist (Abb. 1). Zum Beispiel ist schwer akzeptabel, dass Betroffene oder ihre Angehörigen viele Wege und Telefonate auf sich nehmen müssen, um eine Physio- oder Logotherapie im häuslichen Umfeld in Anspruch nehmen zu können. Auch hören wir immer wieder, dass kleine Packungsgrößen verschrieben werden, obwohl ein großer Teil der häufigsten Parkinsonmedikamente in Großpackungen erhältlich ist. Aus ökologischer Sicht sowie mit Rücksicht auf den Zeitfaktor der Besorgung wären diese in jedem Fall zu bevorzugen.
Abb. 1: Beispiel eines Netzwerkes für die umfassende Betreuung von Parkinsonpatient:innen
Auch der Ausbau der Telemedizin, wie sie in anderen Ländern (beispielsweise in den Niederlanden) längst Usus ist, wäre in vielerlei Hinsicht ein großer Vorteil. Es stellt sich hierbei die berechtigte Frage, ob die Patient:innen bei jeder Visite lange Wege (oft per Krankentransport) auf sich nehmen müssen, damit eine kleine Nachevaluierung der Medikation vorgenommen werden kann. Telemedizin würde nicht nur den Patient:innen viele Erleichterungen bringen, sondern auch den klinischen Einrichtungen personelle und zeitliche Ressourcen sparen, die dann für wirklich komplexe, vor allem akute Patientensituationen sinnvoll genutzt werden könnten.
Ein wichtiger Schritt für eine adäquate pflegerische Betreuung ist auch die Möglichkeit, eine Weiterbildung für „Parkinson Nurses“ zu besuchen. Dieses umfassende Curriculum wird am Ausbildungszentrum West für Gesundheitsberufe, Innsbruck, in berufsbegleitenden Modulen angeboten. Derzeit sind bereits in allen Bundesländern Parkinson Nurses im Einsatz, jedoch kann die Anzahl dieser Spezialist:innen den Bedarf bei Weitem nicht abdecken. Wünschenswert aus pflegerischer Sicht wäre allem voran mehr Zeit für die Patient:innen. Dadurch könnte das Pflegepersonal wesentlich achtsamer mit den Bedürfnissen der zu betreuenden Personen umgehen, sie in vielen Belangen unterstützen und damit einen erheblichen Beitrag leisten, damit sie mit ihren Angehörigen die Konsequenzen dieser diffizilen Erkrankung und die Aktivitäten des täglichen Lebens auch weiterhin selbstbestimmt und in Würde meistern können.
*LSVT(Lee Silverman Voice Treatment)-BIG® ist ein intensives amplitudenbasiertes Übungsprogramm für die Motorik von Extremitäten und Rumpf. Dieser Therapieansatz wurde in den 2000er-Jahren für die Therapie der idiopathischen Parkinsonerkrankung entwickelt.
Literatur:
bei der Verfasserin
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