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Ligamentäre Verletzungen des Kniegelenkes bei älteren Patient:innen

Isolierte VKB-Rupturen können bei älteren Patient:innen grundsätzlich konservativ anbehandelt werden. Bei anhaltend bestehender subjektiver Instabilität ist eine VKB-Plastik indiziert, wobei hier ähnliche klinische Ergebnisse wie bei den jüngeren Patient:innen zu erwarten sind. Bei multiligamentären Knieverletzungen sollte das primäre Ziel eine Versorgung der Kollateralstrukturen sein, um eine spätere prothetische Versorgung zu vereinfachen.

Ligamentäre Verletzungen des Kniegelenkes, insbesondere des vorderen Kreuzbandes (VKB), gehören zu den häufigsten ligamentären Verletzungen.1 Diese Verletzungen sind allerdings typisch für sportlich aktive bzw. arbeitstätige Patient:innen.1 Bei subjektiver Instabilität oder bei sportlichem Anspruch ist der Goldstandard eine VKB-Plastik mit autologer Sehne.2

Eine Verletzung mehrerer Ligamente des Kniegelenkes, z.B. im Rahmen einer Knieluxation, wird als multiligamentäre Knieverletzung bezeichnet, wobei sowohl mediale Strukturen („medial collateral ligament“, „posterior oblique ligament“) als auch laterale Strukturen („lateral collateral ligament“, Popliteussehne) beteiligt sein können.3 Es handelt sich dabei um sehr schwere Verletzungen, die in Kombination mit einer Gefäßverletzung auch lebensbedrohlich sein können.4 Hierbei unterscheidet man zwischen „High-velocity“-Verletzungen, typisch für aktive Patient:innen, und „Low-velocity“-Verletzungen, welche tendenziell deutlich schlechtere Ergebnisse aufweisen.5

Ligamentäre Knieverletzungen betreffen generell eher jüngere Patient:innen, wobei unabhängig von biologischem Alter und Aktivität isolierte Kreuzband- und teilweise auch multiligamentäre Knieverletzungen konservativ behandelt werden.

Bei isolierter VKB-Ruptur sollte grundsätzlich das Aktivitätslevel des Patienten beurteilt werden. In der Literatur sind die Ergebnisse der VKB-Rekonstruktion bei über 40-Jährigen,6 über 50-Jährigen7 und über 60-Jährigen8 vergleichbar mit denen junger Patienten, auch wenn es häufiger Zeichen der Früharthrose gibt. Es ist wichtig, den Patient:innen zu kommunizieren, dass die Operation ausschließlich für die Stabilität eine Besserung bringt, eine vorbestehende Arthrose persistiert und die Wahrscheinlichkeit einer Arthrose grundsätzlich steigt, unabhängig von der Stabilisierung des Gelenkes.2,9

Die vorbestehende Arthrose zeigt sich in Fällen einer akuten VKB-Ruptur als leicht protektiv für die Stabilität.10 In dieser Patientengruppe ist ein konservativer Versuch mit physiotherapeutischer Behandlung und Stärkung der Muskulatur sowie Propriozeptionstraining eine sehr gute Methode, da es sich rasch zeigt, ob der Patient mit der Stabilität im (aktiven) Alltag zurechtkommen wird.

Ein deutlich komplexeres Problem stellen die multiligamentären Verletzungen dar. Eine konservative Therapie führt zu deutlich schlechteren Ergebnissen,11 die mit zunehmendem Alter noch schlechter werden.3 Erstes Problem ist eine mittel- und langfristig deutliche Zunahme der Arthrose in 23% bis sogar 100% der Fälle,12–14 auch bei einer sehr erfolgreichen Bandrekonstruktion. Das zweite Problem ist die Instabilität der Kollateralbänder bei konservativer Behandlung, die bei der Zunahme der Arthrose und prothetischer Versorgung eine höhergradige Kopplung benötigen. Somit ist in einer Situation, wo nur die mediale oder laterale Seite betroffen sind (Schenck-Typ III),15 die Rekonstruktion oder zumindest eine Naht der Seitenbänder empfohlen. Bei Ruptur des VKB und hinteren Kreuzbandes (HKB) im Rahmen einer multiligamentären Verletzung sollte nach dem individuellen Anspruch des Patienten entschieden werden. Kurzfristig gesehen sind die Ergebnisse bei konservativer Behandlung des HKB schlechter, aber akzeptabel.16 Bei Progression der Arthrose ist bei stabiler Kollateralbandsituation trotzdem ein primärer Oberflächenersatz möglich.

Eine Ausnahme stellen die Knieluxationen mit Beteiligung von medialer und lateraler Seite sowie VKB und/oder HKB (Schenck-Typ IV oder V)15 dar. Hier ist die Prognose grundsätzlich am schlechtesten und die postoperative Erholung dauert grundsätzlich sehr lang (bis zu 2 Jahre). Dies stellt insbesondere für ältere Patient:innen eine extreme Reduktion der Lebensqualität dar.17 In Kombination mit vorbestehender Arthrose besteht hier noch die Option, direkt eine gekoppelte Knieprothese zu implantieren.18 Dies erlaubt gleichzeitig einen Ersatz der Gelenkfläche und eine Stabilisierung, welche zur frühen Mobilisation und Vollbelastung führt. Insbesondere für ältere Patient:innen ist dies ein erheblicher Vorteil, der allerdings aufgrund des höheren Koppelungsgrades mit erhöhten Revisionsraten einhergeht.19

Zusammenfassung

Isolierte VKB-Rupturen können bei älteren Patient:innen grundsätzlich konservativ anbehandelt werden. Bei anhaltend bestehender subjektiver Instabilität ist eine VKB-Plastik indiziert, wobei hier ähnliche klinische Ergebnisse wie bei den jüngeren Patient:innen zu erwarten sind. Durch den Eingriff besteht letztendlich jedoch nur eine stabilisierende Funktion und keine Vorbeugung der Arthrose.

Multiligamentäre Knieverletzungen gehen mit einer sehr hohen Arthroserate einher. Das primäre Ziel sollte eine Versorgung der Kollateralstrukturen sein, um eine spätere prothetische Versorgung zu vereinfachen. In extremen Fällen von multidirektionaler Instabilität, wie bei einer Knieluxation, besteht die Möglichkeit einer initialen Versorgung mit gekoppelter Knieprothese mit dem Vorteil der sofortigen Belastung. Ein konservatives Vorgehen ist auch bei älteren Patient:innen wegen schlechter Ergebnisse in Bezug auf die Stabilität nicht empfohlen.

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