
Komorbidität bei Migräne: Zufall oder Zusammenhang?
Bericht:
Martha-Luise Storre
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Ist das gemeinsame Auftreten von Migräne und Komorbiditäten mehr als nur Zufall? Die Pathophysiologie der Migräne wird zwar immer besser verstanden, jedoch sind noch zahlreiche Fragen hinsichtlich einer Assoziation mit Begleiterkrankungen offen. Diskutiert werden unter anderem gemeinsame molekulare Mechanismen der Schmerzmodulation sowie immunologische Phänomene.
Es lohne sich, beim Thema Migräne und Komorbidität über den Tellerrand zu schauen, meinte Dr. med. Sebastian Strauß, Arzt in Weiterbildung an der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Greifswald. So gebe es interessante gemeinsame pathophysiologische Aspekte beispielsweise zwischen primären Kopfschmerzen und dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS), deren Verständnis von Vorteil für Therapieansätze sein könnte.
CRPS ist eine seltene Erkrankung, zu der es in der Literatur schwankende Inzidenzraten gibt (5,46 bis 26,2/100000 Menschen).1–3 Es sind deutlich mehr Frauen von CRPS betroffen als Männer.3,4 In 48,5% der Fälle entwickelt sich ein CRPS nach einer Fraktur bzw. im Rahmen anschliessender Operationen.4 Klinisch sei das Syndrom durch neuropathische Schmerzen gekennzeichnet sowie durch Allodynie, Ödeme, trophische Veränderungen, Schwäche bis hin zu ausgeprägten Paresen und Atrophien, erläuterte Strauß. Zudem komme es zu Veränderungen der Hauttemperatur, der Hautfarbe sowie des Schwitzens. Diese klinischen Befunde spiegeln sich auch in den Diagnosekriterien der IASP* wider, laut denen anhaltende Schmerzen in Kombination mit einer Störung der Sensorik, Vasomotorik, Sudomotorik, Motorik oder Trophik vorliegen müssen.5 Über diese Kriterien hinaus sollten zudem neuropsychologische Befunde sowie Veränderungen der Plastizität, insbesondere kortikal, berücksichtigt werden.6 Pathophysiologisch entstehen bei CRPS im Rahmen eines Traumas Gewebs- oder Nervenverletzungen, eine darauf folgende Inflammation führt zu einer peripheren Sensitivierung. Daraufhin kommt es zu einer Störung des vegetativen Nervensystems mit einer Steigerung des sympathischen Outflows sowie einer zentralen Sensitivierung.7 Studiendaten zeigen, dass sich CRPS-Betroffene in einem proinflammatorischen Zustand befinden.8
Gemeinsamkeiten von Migräne und CRPS
Es handele sich bei diesen beschriebenen Merkmalen keinesfalls um ein Alleinstellungsmerkmal des CRPS, so Strauß. Vielmehr finde man die Symptome wie Schmerz, Allodynie, Sensitivierung und Proinflammation auch bei Migräne. Eigene Daten einer im Review befindlichen Befragung von 200 CRPS-Patientinnen und -Patienten ergaben ein dreifach erhöhtes Risiko für eine Migräne bei den Teilnehmenden. Dies könne einerseits epidemiologisch begründet sein. Läge andererseits ein pathophysiologischer Zusammenhang vor, müsse es eine gegenseitige Beeinflussung geben. In der gleichen Untersuchung liessen Strauß und Kollegen die Betroffenen ihren Schmerz in der betroffenen Hand bewerten. Es zeigte sich, dass bei begleitender Migräne höhere Schmerzen angegeben wurden – sowohl in Ruhe (p=0,006) als auch in Bewegung (p=0,01) – im Vergleich zu Befragten ohne Kopfschmerzen. Zudem konnte ein schwereres CRPS entsprechend CRPS Severity Score bei vorliegender Migräne beobachtet werden (p=0,023). Eine chronische Migräne verstärke die CRPS-Symptomatik stärker als eine episodische, zudem bestehe eine Korrelation zwischen der Zunahme der Migränetage sowie der Zunahme des CRPS, führte Strauß aus.
Neurophysiologisch konnte mithilfe des nozizeptiven Blinkreflexes (nBR) eine verminderte Habituation als Zeichen einer unspezifischen maladaptiven Schmerzreizverarbeitung auf Hirnstammebene bei CRPS9 und Migräne10 gezeigt werden. Auch auf Kortexebene gibt es Zeichen einer zentralen maladaptiven Plastizität bei Migräne und neuropathischen Schmerzen inklusive CRPS mit daraus folgender Disinhibition.11,12 Eine US-amerikanische Studie stellt die Hypothese auf, dass Migräne ein Risikofaktor für die Entstehung eines CRPS sein kann.13 Hier lasse sich jedoch noch kein abschliessendes Urteil fällen, so Strauß.
Auf der peripheren Ebene komme das CGRP («calcitonin gene-related peptide») mit seinen immunmodulatorischen Eigenschaften als verbindendes Element in Betracht: Hier gebe es hinsichtlich des CRPS eine heterogene Studienlage, führte der Experte aus. Es zeige sich jedoch, dass CRPS-Betroffene einen erhöhten CGRP-Level aufweisen, der unter Therapie wieder sinke. Derzeit werde hier in einer eigenen Untersuchung weitere Evidenz gesammelt. Es gebe erste Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit der bei Migräne etablierten CGRP-Antikörper auch bei CRPS.
Migräne und Autoimmunerkrankungen
CGRP spielt nicht nur bei der Migräne, sondern auch bei zahlreichen Autoimmunerkrankungen eine Rolle, erinnerte Dr. med. Armin Scheffler, Assistenzarzt an der Klinik für Neurologie der Universitätsmedizin Essen. Die Bindung des CGRP-Rezeptors könne in Kombination mit anderen Neuropeptiden eine neurogene Inflammation begünstigen. Während einer Migräneattacke komme es zu entsprechenden Zytokinveränderungen. Es stelle sich die Frage, ob es eine inflammatorische Rückkopplung gebe, so Scheffler. Betrachtet man die Komorbiditäten von Migräne, so zeigen sich neben den häufigsten Begleiterkrankungen wie Insomnie, Depressionen und Angststörungen auch vermehrt rheumatoide Arthritis (RA) und Psoriasis im Vergleich zur Kontrolle ohne Migräne (s. Abb. 1).14 Eine Fallkontrollstudie mit 624 Teilnehmenden ergab, dass im Vergleich zur nichtpsoriatischen Kontrollgruppe Psoriasispatientinnen und -patienten ein deutlich höheres Risiko für Migräne aufweisen (Odds Ratio [OR] 2,789). Das Migränerisiko stieg deutlich mit zunehmendem Schweregrad der Psoriasis sowie mit dem Vorliegen einer Psoriasis-Arthritis.15 Registerdaten aus Dänemark bestätigen diese Ergebnisse.16
Abb. 1: Relative Migränewahrscheinlichkeit (und 95 % CI) im Vergleich zu migränefreien Kontrollpersonen für jede komorbide Erkrankung*. *Bereinigt um soziodemografische Merkmale (Alter, Geschlecht, hispanische Herkunft, Ethnie, Familienstand, Beschäftigung, Haushaltseinkommen); Referenzgruppe ist die Nicht-Migräne-Kohorte; Gl … gastrointestinal; OR … Odds Ratio; TIA = transitorische ischämische Attacke
Auch bei der RA ergab eine Metaanalyse von fünf Untersuchungen ein erhöhtes relatives Risiko, bei Migräne an einer RA zu leiden (OR 1,94).17 Auch hier unterstreichen Real-World-Daten – in diesem Fall aus Korea und Taiwan – einen wechselseitigen Zusammenhang der beiden Krankheitsbilder.18,19 Hinsichtlich einer Assoziation von Migräne mit Multipler Sklerose seien die vorhandenen Daten mit Vorsicht zu betrachten, so Scheffler, da die in diversen Metaanalysen herangezogenen Untersuchungen nur schwer zu vergleichen seien und relevante Informationen teilweise nicht erhoben wurden. Es gebe jedoch auch bei dieser Autoimmunerkrankung eine mögliche Tendenz für ein erhöhtes Risiko, auch an einer Migräne zu leiden, führte der Experte aus.
Im Zusammenhang mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) gibt es ebenfalls Untersuchungen, die ein um das 1,5-Fache erhöhtes Migränerisiko für diese Kohorte zeigen.20 Eine britische Biobank-Studie mit 500000 Datensätzen konnte dies jedoch nicht bestätigen – hier ergab sich lediglich eine Assoziation von Migräne mit Reizdarm und Ulcera.21
All diesen Autoimmunerkrankungen sei gemein, dass eine höhere Anfälligkeit vorhanden sei, auf Inflammation zu reagieren – ebenso wie bei der Migräne, schlussfolgerte Scheffler. Es gebe hier jedoch weiterhin noch einen hohen Forschungsbedarf.
Quelle:
Deutscher Schmerzkongress, 18. bis 21. Oktober 2023, Mannheim
Literatur:
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