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Ist es wirklich Epilepsie?
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13.12.2018
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<p class="article-intro">Für gewöhnlich wird beim Basler Epilepsietag über Epilepsie gesprochen. Nicht so dieses Jahr – es standen andere Erkrankungen im Mittelpunkt. Solche, die anfallsartige Ereignisse hervorrufen können, welche epileptischen Anfällen auf den ersten Blick ähnlich sehen – «epilepsy mimics». Und so diskutierten am Ende die Experten dann doch wieder über Epilepsie – wenn auch indirekt.</p>
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<p class="article-content"><p>Synkopen, kardiale und hormonelle Störungen, Migräne, Schlaganfälle, Schlaf- und psychische Erkrankungen: Sie alle können Anfälle auslösen, die epileptischen Anfällen ähnlich sind, zum Teil so ähnlich, dass eine eindeutige Unterscheidung sehr schwierig ist. Verständlich also, dass auch epileptische Anfälle initial falsch diagnostiziert werden. 20 % aller Patienten mit Einweisungsdiagnose «akuter ischämischer Schlaganfall» haben einen «stroke mimic», berichtete Prof. Dr. med. Barbara Tettenborn, Chefärztin der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St. Gallen. Da aber gemäss dem Dogma «time is brain» bei einem Schlaganfall rasches Handeln angesagt ist, hat dies zur Folge, dass viele Patienten eine intravenöse Thrombolyse erhalten, ohne dass ein Schlaganfall vorliegt: 17 % laut der European Cooperative Acute Stroke Study II.<sup>1</sup> Der epileptische Anfall war dabei der häufigste «stroke mimic».</p> <h2>«Stroke mimic» – im Zweifel Thrombolyse</h2> <p>Rein klinisch ist die sichere Differenzierung zwischen einer akuten zerebralen Ischämie und einem epileptischen Anfall nicht möglich.<sup>2–4</sup> Die Computertomografie (CT) gilt als Standard-Zusatzuntersuchung in der Erstdiagnostik bei Verdacht auf einen Schlaganfall. Die primäre Intention dieser Untersuchung liegt dabei auf dem Ausschluss einer Blutung, sie ist jedoch nicht in der Lage, «stroke mimics» zu diagnostizieren. Das MRI mit Diffusionsund Perfusionsaufnahmen hingegen ist aktuell am besten zur Differenzierung geeignet:<sup>2–4</sup> Bei einem epileptischen Anfall kommt es in der Regel zu einer fokalen Hyperperfusion, bei einer zerebralen Ischämie zu einer fokalen Hypoperfusion, die noch dazu einem arteriellen Versorgungsgebiet zugeordnet werden kann. Zusätzlich sind bei einem epileptischen Anfall das zerebrale Blutvolumen und der Blutfluss fokal erhöht und es kommt zu einer Reduktion der «mean transit time». Zu beachten gilt allerdings: Selten findet man im Perfusions-MRI auch postiktal eine Hypoperfusion, diese ist dann aber nicht an ein arterielles Versorgungsgebiet gebunden.</p> <p>Die Bemühungen, bei einem ischämischen Anfall den Zeitraum zwischen Symptombeginn und Thrombolyse so kurz wie möglich zu halten, erfordern ein umgehendes und rasches Handeln. Dies birgt das Risiko von Fehlbehandlungen und damit verbundenen therapiebedingten Nebenwirkungen. Untersuchungen haben ergeben, dass Patienten, die eine Lysebehandlung bei einem «stroke mimic» erhalten, deutlich seltener Nebenwirkungen der Therapie, insbesondere Blutungen, aufweisen als Patienten mit Lysetherapie nach einem Schlaganfall.<sup>2–4</sup> Zudem sind ihre stationären Aufenthalte in der Regel kürzer und sie haben ein besseres Outcome als die lysierten Schlaganfallpatienten. Im Zweifel sollte daher einem Patienten eine Thrombolyse nicht vorenthalten werden.</p> <h2>PNEA – eine diagnostische Herausforderung</h2> <p>Psychogene nicht epileptische Anfälle (PNEA) sind Anfälle, die wie epileptische Anfälle aussehen, aber keine sind, weil sie die für die Epilepsie typischen Veränderungen im EEG nicht aufweisen.<sup>5</sup> Sie sind eine neuropsychiatrische Bedingung, treten unwillkürlich auf und werden vom Patienten NICHT simuliert. Folglich können PNEA vom Patienten selbst auch nicht beendet oder unterbrochen werden. Es wäre wichtig, dies den Patienten zu vermitteln, denn oft würde ihnen das Stigma der Simulation anhaften, so PD Dr. med. Martinus Hauf, Leiter der Epileptologie an der Klinik Bethesda in Tschugg.<br /> Die Inzidenz für PNEA liegt bei 1,4– 4,9/100 000/Jahr, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. PNEA treten sehr häufig (20–50 % ) in Kombination mit der Epilepsie auf, umgekehrt jedoch eher selten (3,6 % ).<sup>6</sup> Die Zahl der mit PNEA assoziierten epileptischen Anfälle steigt aber bedeutend an, betrachtet man jene Epilepsiepatienten getrennt, die in tertiären Epilepsie-Zentren vorstellig werden. Es handelt sich dabei vor allem um schwierige Epilepsiefälle wie z.B. therapierefraktäre Anfälle. In dieser ausgewählten Kohorte werden bei 20–40 % aller Patienten PNEA als Komorbidität diagnostiziert.<br /> PNEA stellen eine diagnostische Herausforderung dar. Als reine Ausschlussdiagnose gibt es kein Symptom und keine klinische Beobachtung, die eine eindeutige Diagnose erlaubt und es ermöglicht, Behandlungsansätze zu finden. Zur Unterstützung hat die ILEA Taskforce die Grade der diagnostischen Sicherheit für PNEA definiert und zusammengefasst.<sup>10</sup> Reuben und Eiger haben darüber hinaus klinische und historische Anzeichen zusammengefasst, die die Diagnose eines PNEA nahelegen.<sup>11</sup></p> <h2>Integrative Behandlungsstrategie</h2> <p>Eine frühe Diagnose der PNEA ist wichtig. Sie kann die Gefahr einer falschen Behandlung verhindern, vor allem die Anhäufung nicht zielführender oder nicht wirksamer Antiepileptika oder von Medikamenten, die Wechselwirkungen oder unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Nicht zu unterschätzen sind die persönlichen Konsequenzen, die nicht diagnostizierte und unbehandelte PNEA mit sich bringen. Sie führen sehr häufig zur Isolation des Betroffenen, der dadurch verstärkt in eine psychiatrische Symptomatik geraten kann.<br /> Zur Behandlung der PNEA wird ein dreistufiges Behandlungsschema aus einem formalisierten, multidisziplinären Diagnosegespräch, der Anfallskontrolle und der Erhaltungstherapie vorgeschlagen. An der Klinik Bethesda Tschugg werden den Patienten im Diagnosegespräch PNEA im Sinne einer Stressverarbeitungsstörung oder Abrufstörung vermittelt. Dies soll ihnen ein Konzept geben, das sie als Diagnose einfacher annehmen können und so sicherstellen, dass auch alle weiteren Massnahmen zielführend sind. Im Zuge dieses Gesprächs kann man oft Antiepileptika reduzieren oder gegebenenfalls eine unterstützende SSRI/NSRITherapie beginnen. Da dieses Gespräch alleine nicht zu einem dauerhaften Therapieerfolg führt, sollte den Patienten zur Anfallskontrolle eine kognitive Verhaltenstherapie angeboten werden.<sup>12</sup> Für die Erhaltungstherapie gibt es aktuell keine Richtlinien. In der Klinik Bethesda Tschugg hat sich ein Massnahmenpaket aus ambulanter psychotherapeutischer Betreuung, sinnstiftender Beschäftigung, geregelter Tagesstruktur und neurologischer Weiterbetreuung als positiv erwiesen.</p> <p><br /><strong>Termin:</strong><br />11. Jahrestagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Epileptologie und der Schweizerischen Epilepsie-Liga.<br /> 8.–11. Mai 2019 · Congress Center Basel<br /> <a href="http://www.epilepsie-tagung.de">www.epilepsie-tagung.de</a></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Basler Epilepsietag 2018, 16. August 2018, Basel
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Hacke W et al.: Lancet 1998; 352: 1245-51 <strong>2</strong> Webb J et al.: J Emerg Med 2017; 52: 645-53 <strong>3</strong> A lvarez V et a l.: J Neurol 2013; 260: 55-61 <strong>4</strong> Winkler DT et al.: Stroke 2009; 40: 1522-5 <strong>5</strong> Devinsky O et al.: Nat Rev Neurol 2011; 7: 210-20 <strong>6</strong> Sigurdadottir KR, Olafssonn E: Epilepsia 1998; 39(7): 749-52 <strong>8</strong> Duncan R et al.: Epilepsy and Behavior 2011; 20: 308-11 <strong>9</strong> Bodde NM et al.: Seizure 2009; 18: 543- 53 <strong>10</strong> LaFrance WC et al.: ILEA Taskforce Epilepsia 2013; 54(11): 2005-18 <strong>11</strong> Reuber M, Elger CE: Epilepsy Behav 2003; 4: 205-16 <strong>12</strong> Mayor R et al.: Epilepsy Behav 2012; 25: 676-81</p>
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