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Hahnenkampf am Hühnerhof

Die aufmerksame Beobachterin und der aufmerksame Beobachter merken schnell: In der österreichischen Gesundheitspolitik werden Ideen geboren, es wird geplant, implementiert und kommentiert. Bei näherer Betrachtung erscheint aber nicht jeder Gedanke zu Ende gedacht, „aus-gedacht“ eben.


Ein armer Bauer geht zum Rabbi und klagt: „Rabbi, ich habe Hühner, aber es sind jetzt etliche auf einmal gestorben. Was soll ich tun?“ Der Rabbi antwortet: „Ich werde in den Büchern nachschlagen, komm morgen wieder, dann gebe ich Dir einen Rat.“ Am nächsten Tag kommt der Bauer und der Rabbi rät ihm: „Du sollst Deine Hühner füttern nur mit Mais!“ Nach einer Woche ist der Bauer wieder da und sagt: „Rabbi, es sind wieder viele meiner Hühner gestorben, was soll ich tun?“ Der Rabbi vertröstet ihn wieder auf den nächsten Tag, um in den Büchern nachzuschlagen, und gibt ihm dann den Rat: „Du sollst Deine Hühner füttern nur mit in Milch gequollener Gerste!“ Vier Tage später ist der Bauer wieder da und fragt: „Rabbi, es wird nicht besser! Hast Du noch eine Idee?“ Antwortet der Rabbi: „Ideen hab ich noch viele – aber sag: Hast Du noch Hühner?“

In vielen Bereichen unserer öffentlichen Dienstleistungen (Medizin, Lehrer, Polizei etc.) wird vor dem drohenden Nachwuchsmangel gewarnt. Die Nichtbesetzbarkeit von Kassenstellen hat mittlerweile nicht epidemische, aber endemische Ausmaße angenommen. In einigen Wiener Bezirken gibt es keine Gynäkologen mit Kassenvertrag, in manchen Bundesländern gibt es keine Gerichtssachverständigen für Urologie und die Wartelisten für Operationen werden immer länger. Das liegt aber nicht (ausschließlich) daran, dass die Ärzte in der Privatpraxis verschwinden, sondern auch am Mangel an Pflegepersonal.

Wenn sich die Patienten an Entscheidungsträger in Politik und den zuständigen Organisationen wenden, geht es ihnen wie dem armen Bauern. Es gibt jeden Tag neue Vorschläge und Ideen, wobei immer nur an den Symptomen gefeilt wird.

Es kam beispielsweise die Idee auf, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen, um den Ärztemangel auszugleichen. Wenn man bedenkt, dass man sich schon vor Jahren genau ausrechnen konnte, wann die Babyboomer in Pension gehen werden (nämlich schon in den letzten Jahren und jetzt), kann man sich genauso gut ausrechnen, wann sich die Erhöhung der Studienplätze auswirken wird – frühestens in 10 Jahren. Wer bis dahin die medizinische Versorgung sicherstellen wird – großes Fragezeichen.

Ein anderer Vorschlag war, die Wahlärzte in ihrer Tätigkeit einzuschränken. Es ist keine Umfrage bekannt, die erhob, wie viele der Wahlärzte dann einen Kassenvertrag übernehmen würden. Das G’riss um diese Verträge ist überschaubar. Die Überlegung, ob es möglicherweise an der Art der Verträge liegt, ist bis jetzt in der Politik noch nicht laut geworden.

Auch die Wiener Idee der Konzentration verschiedener Fächer auf bestimmte Spitäler hat es weder für die Patienten noch die Transportdienste einfacher gemacht. Die Überlegung, die Arbeitszeit auf 32 Stunden/Woche zu verkürzen, klingt ebenfalls beeindruckend, wenn man Patientenorientierung, Kommunikationsqualität, Teamarbeit und Ausbildung außer Acht lässt.

Die Primärversorgungszentren sind zwar gedanklich eine interessante Überlegung. Die Bereitschaft, sich auf Gedeih und Verderb mit anderen Personen zusammenzuschließen, setzt schon eine hohe ideelle Motivation voraus (als ob man sich mit anderen in eine Raumkapsel einschlösse, um den Weltraum zu erforschen – über Jahre). Damit verglichen sollte der Aufwand, einen zweiten Arzt in eine bestehende Ordination hineinzunehmen und einen Kassenvertrag zu teilen, wesentlich geringer sein – ist es aber anscheinend nicht.

Eine Umfrage bei den zahlreich ins Ausland abgewanderten Kollegen nach ihren Gründen ist nicht bekannt – die Bezahlung allein ist es nicht, weil man in der Schweiz z.B. eine 48-Stunden-Woche hat.

So erinnert das alles ein wenig an Tetris – das Computerspiel, wo herabfallende Steine verschiedener Form so eingeordnet werden müssen, dass Reihen voll werden und damit wieder Platz frei wird. Nur läuft das Spiel umgekehrt – je mehr Ächzen und Stöhnen von den tragenden Steinen nach oben dringt, desto weniger lassen sich von oben fallen.

Die Frage nach neuen Ideen ist eine ideale Ablenkung von alten Problemen. Wie viele Hühner haben wir noch, die bei uns glücklich sind, gerne Eier legen und scharren und das tun, was Hühner eben so tun? Oder haben wir zu viele Hähne, die oben am Misthaufen Lärm machen und mit den Flügeln schlagen? Die Diskussionen sehen manchmal mehr nach Hahnenkampf aus als nach der Suche nach einer gemeinsam umsetzbaren Lösung.

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