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Genetik der Alzheimerdemenz
Jatros
Autor:
Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Elisabeth Stögmann
Universitätsklinik für Neurologie, Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: elisabeth.stoegmann@meduniwien.ac.at
30
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08.09.2016
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<p class="article-intro">Der große Anteil der Alzheimerdemenzpatienten mit einem Krankheitsbeginn nach dem 65. Lebensjahr („late-onset Alzheimer’s disease“, LOAD) präsentiert sich im Sinne einer genetisch komplexen Erkrankung. Die individuelle Neigung, an einer Alzheimerdemenz zu erkranken, wird hier als Kombination von vererbten (genetischen) und nicht vererbten (Umwelt-)Faktoren angesehen. Zwillingsstudien deuten darauf hin, dass der Anteil der genetischen Faktoren den der nicht genetischen bei Weitem übersteigt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Heritabilität – damit bezeichnet man den Anteil der phänotypischen Varianz, der durch genetische Faktoren erklärt werden kann – wird für die Alzheimerdemenz (AD) mit 60–80 % angegeben. Es existiert derzeit aber kein klares Modell, wie die Interaktion der verschiedenen Gene miteinander bzw. die der Gene mit der Umwelt aussieht. Nur in einem geringen Anteil der Alzheimerdemenzpatienten ist die Genetik der eindeutige ätiologische Hintergrund. Diese Patientengruppe stellt einen kleinen Anteil unter den ohnehin schon wenigen Patienten mit einem frühen Krankheitsbeginn vor dem 65. Lebensjahr dar („early-onset Alzheimer’s disease“, EOAD) (Abb. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite23_1.jpg" alt="" width="785" height="286" /></p> <h2>Monogene Alzheimerdemenzformen</h2> <p>Nicht einmal 10 % aller Alzheimerdemenzpatienten sind sogenannte „Early-onset“-Fälle (EOAD). Unter diesen finden sich etwa 5–10 % mit einem klassischen autosomal-dominanten Vererbungsmodus. In solchen Familien konnten vor über 20 Jahren hochpenetrante Mutationen in drei Genen, sog. Hochrisikogenen, gefunden werden: Presenilin 1 <em>(PSEN1)</em>, „amyloid precursor protein“<em> (APP)</em> und Presenilin 2<em> (PSEN2)</em> (Abb. 1 und Tab. 1). Der Vererbungsweg dieser Mutationen ist autosomal-dominant, d.h., es reicht eine Mutation in einer der beiden elterlichen Genkopien (Allele), um die Erkrankung zu verursachen. Autosomal-dominante Vererbung ist typischerweise durch einen „vertikalen“ Vererbungsweg gekennzeichnet, d.h., die Erkrankung vererbt sich über Generationen hinweg. Kinder von Betroffenen haben ein 50 % -Risiko, das mutierte Allel zu erben und auch selber wieder weiterzugeben. Die Identifizierung dieser drei Gene erfolgte mithilfe eines aufwendigen Verfahrens. In sogenannten Kopplungsanalysen (Linkage-Analysen) wurden jene genomischen Bereiche identifiziert, die alle Betroffenen in einer Familie gemeinsam haben, denn nur in diesen Bereichen kann sich das mutierte Gen befinden (je mehr Betroffene es in einer Familie gibt, desto weniger solcher Abschnitte gibt es und desto erfolgversprechender ist die Gensuche). In einem zweiten Schritt, der sogenannten Sequenzierung, wurden alle proteinkodierenden Abschnitte, die sich in diesen Bereichen befinden, auf ihre genaue Nukleinsäureabfolge untersucht. Damit eine Mutation aber als ursächlich bewiesen werden kann, muss diese innerhalb einer Familie segregieren, d.h., es sollten alle Betroffenen in dieser Familie Träger dieser Mutation sein und alle Nichtbetroffenen Nichtträger (vorausgesetzt, sie haben das für diese Familie typische Erkrankungsalter erreicht).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite23_2.jpg" alt="" width="1472" height="429" /></p> <p>Obwohl weltweit nur wenige Familien mit solchen Mutationen bekannt sind, haben sie doch bahnbrechende Einsichten in die zugrunde liegenden pathophysiologischen Mechanismen gebracht. Das von <em>APP</em> kodierte „amyloid precursor protein“ (APP) wird durch einen Multiproteinkomplex geschnitten und die daraus entstehenden Abbauprodukte, sogenannte Amyloid-beta-Peptide weisen eine Länge von 38 bis 42 Aminosäuren auf. Es zeigte sich, dass das Amyloid-beta-Peptid mit einer Aminosäurelänge von 42 (Amyloid beta 42) bei Patienten mit Alzheimerdemenz vermehrt produziert wird und besonders zur Aggregation und damit zur Bildung der typischen Amyloidplaques führt. Die durch <em>APP-</em>Mutationen verursachten Proteinveränderungen liegen an bestimmten Schnittstellen des „amyloid precursor protein“ und führen auf diesem Weg zu einer vermehrten Produktion der pathogenen Amyloid-beta-40- und Amyloid-beta-42-Peptide. <em>PSEN1</em> und <em>PSEN2</em> kodieren für die Transmembranproteine Presenilin 1 und Presenilin 2, welche als Teile des Gamma-Sekretase-Komplexes auch in die Spaltung des „amyloid precursor protein“ (APP) involviert sind. <em>PSEN1</em>- und <em>PSEN2</em>-Mutationen führen über diesen Weg ebenfalls zu vermehrter Produktion der pathogenen Amyloid-beta-42-Fragmente (Abb. 2).<br /> Die Genetik lieferte hier also einen wertvollen Beitrag zum Erkenntnisprozess der Amyloid-Hypothese und damit zu einem der gängigsten Modelle im derzeitigen Verständnis der Ätiologie der Alzheimerdemenz. Ein regelmäßiges Update von neu beschriebenen Mutationen in Hochrisikogenen findet sich unter <a href="http://www.molgen.ua.ac.be" target="_blank">http://www.molgen.ua.ac.be</a>.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Neuro_1604_Weblinks_Seite24.jpg" alt="" width="878" height="692" /></p> <h2>Multifaktorielle Alzheimerdemenzformen</h2> <p>Der große Anteil der Alzheimerdemenzformen mit einem Krankheitsbeginn nach dem 65. Lebensjahr hat eine multifaktorielle Ätiologie. Obgleich die Heritabilität auch für die „late-onset Alzheimer’s disease“ (LOAD) als hoch eingeschätzt wird, kann bei den allermeisten Patienten kein klarer mendelscher Vererbungsweg festgemacht werden. Man vermutet, dass komplexe genetische Interaktionen bzw. Genetik-Umwelt-Interaktionen, welche bis heute nicht komplett verstanden werden, diese hohe Heritabilität bedingen (Tab. 1).<br /> <br /><strong> Apolipoprotein E</strong> <br /> In über 30 Jahren von Forschung wurden viele DNA-Polymorphismen in vielen möglichen Alzheimerdemenzkandidatengenen untersucht, um den genetischen Hintergrund der LOAD zu entschlüsseln. Seit der erstmaligen Beschreibung im Jahr 1993 blieb jedoch Apolipoprotein E (<em>ApoE</em>) für lange Zeit der einzige große genetische Risikofaktor für die häufigen LOAD-Fälle. <em>ApoE</em> bindet an Amyloid beta und vermittelt Amyloid-beta-Abbau. Es existiert in drei allelischen Varianten:<em> ApoE2, ApoE3</em> und <em>ApoE4</em>, wobei <em>ApoE4</em> nicht so effektiv im Amyloid-beta-Abbau sein dürfte wie die anderen beiden Allele. Heterozygote Träger mit der Allelkombination <em>ApoE3/4</em> (ca. 20–25 % der Bevölkerung) haben ein ca. 3-fach erhöhtes Lebenszeitrisiko für eine Demenz im Vergleich zu <em>ApoE3/3</em>-Trägern (ca. 60 % der Bevölkerung). Homozygote <em>ApoE4/4</em>-Träger (ca. 2 % der Bevölkerung) haben ein bis zu zehnfach erhöhtes Risiko, an einer Alzheimerdemenz zu erkranken. Hetero- oder homozygote <em>ApoE2-</em>Träger mit den Kombinationen 2/3 und 2/2 (zusammen ca. 5 % der Bevölkerung) haben ein geringeres Erkrankungsrisiko. 20–25 % der Bevölkerung und 45–60 % der AD-Patienten haben ein oder mehr <em>ApoE4</em>-Allele (von den Demenzkranken mit Alzheimerdemenz sind ca. 45 % heterozygote und 10–12 % homozygote Träger des Epsilon-4-Allels). Weiters zeigt das <em>ApoE4</em>-Allel einen dosis­abhängigen Effekt auf das Alter bei Beginn der Erkrankung, das heißt, es findet sich ein früherer mittlerer Krankheitsbeginn für jede zusätzliche Kopie eines <em>ApoE4</em>-Allels. Der Effekt von <em>ApoE4</em> scheint etwa 30 % der geschätzten Heritabilität von 80 % zu erklären. Die Suche nach dem Rest der Heritabilität war die treibende Kraft hinter den letzten Dekaden der genetischen Risikofaktorensuche.<br /> <br /><strong> Genomweite Assoziationsstudien (GWAS)</strong><br /> Die zugrunde liegende Theorie für die Durchführung von genomweiten Assoziationsstudien ist die „Common disease/common variant“-Hypothese. Hier ist die Annahme, dass häufige Varianten im Genom zu häufigen Erkrankungen führen. In GWAS wurde das Vorkommen von Hunderttausenden „single nucleotide polymorphisms“ (SNPs) mit einer Risikoallelfrequenz von >5 % zwischen Tausenden Betroffenen und Gesunden verglichen. Etwa im Jahr 2008 führte dies mithilfe von großen Kooperationen wie dem Interna­tional Genomics of Alzheimer’s Project (IGAP) zu konsistenten Assoziations­beweisen, wobei Replikationen in mehreren unabhängigen Populationen sowie eine hohe statistische Durchschlagskraft (p-value <5x10<sup>-8</sup>) gefordert wurden. Auf diese Art konnten etwa 20 zusätzliche verlässliche Risikoloci für AD gefunden werden, ein regelmäßiges Update findet sich unter <a href="http://www.alzgene.org" target="_blank">http://www.alzgene.org</a>. Die tatsächlichen Risikovarianten, die von diesen Risikoloci repräsentiert werden, bleiben jedoch unklar. Keiner dieser Risikoloci hat einen Effekt in der Größe von ApoE4, alle haben lediglich Odds-Ratios in der Höhe von 1,1 bis 2,0 pro Risikoallel. Man schätzt, dass alle diese Risikofaktoren gemeinsam nicht mehr Heritabilität als <em>ApoE4</em> alleine erklären und dass GWAS-Ergebnisse und <em>ApoE4</em> gemeinsam nur etwa die Hälfte der gesamten Heritabilität ausmachen. Der wirkliche Benefit dieser Ergebnisse liegt vermutlich in der Einsicht in neue pathophysiologische Faktoren der AD. Obwohl viele GWAS-identifizierten Suszeptibilitätsgene mit Amyloid-beta- und/oder Tau-Pathologie vergesellschaftet sind, war es interessant zu sehen, dass die assoziierten Gene in mehr oder weniger 3 Hauptwegen zusammentreffen: Cholesterol- und Lipidstoffwechsel, Immunsystem und inflammatorische Antwort sowie endosomaler Vesikeltransport.<br /> „Missing heritability“ nennt man das Missverhältnis zwischen der geschätzten Heritabilität und dem Anteil der Heritabilität, den man durch die bis jetzt bekannten genetischen Faktoren (Hochriskogene, GWAS-Gene, <em>ApoE</em> etc.) erklären kann. Das Phänomen der „missing heritability“ findet sich bei vielen genetisch komplexen Erkrankungen. Erklärungen hierfür gibt es verschiedene, z.B., dass wichtige Varianten noch nicht gefunden wurden, oder aber, dass das Ausmaß der Heritabilität initial überschätzt wurde. Eine weitere Überlegung ist, dass die Interaktion von Genen, sogenannte epistatische Effekte, nicht mit einbezogen wurden, was als „phantom heritability“ bezeichnet wird. Oder aber, dass epigenetische Mechanismen eine Rolle spielen, deren Nachweis derzeit technologisch noch nicht gelingt.<br /> <br /><strong> Next Generation Sequencing (NGS)</strong><br /> Eine Möglichkeit, die „missing heritability“ zu erklären, findet sich in der „Common disease/rare variant“-Hypothese. Hier geht man davon aus, dass seltene Varianten mit einer Risikoallelfrequenz von <5 % und noch weniger verantwortlich für die Entstehung von komplexen Erkrankungen sind. Diese Varianten wären in GWAS nicht detektiert worden. Eine entsprechende Technologie zur Detektion von seltenen Varianten kam 2010 mithilfe des Next Generation Sequencing (NGS) auf den Markt. Hiermit wurde es möglich, dass große Teile des Genoms („whole genome sequencing“) oder der gesamte proteinkodierende Teil des Genoms („whole exome sequencing“) innerhalb weniger Tage komplett sequenziert werden kann. Die entsprechende Literatur ist noch limitiert, für die AD gibt es derzeit zwei interessante Ergebnisse aus solchen NGS-Studien (Tab. 1).<br /> Im aus monogenen AD-Formen bekannten <em>APP</em> („amyloid precursor protein“) wurde in der isländischen Population eine seltene Variante gefunden (Ala673Thr), welche offenbar über einen direkten Effekt an der Beta-Sekretase-Spaltungsseite des „amyloid precursor protein“ die Produktion von Amyloid-beta-40- und -42-Peptiden reduziert (Abb. 2 und Tab. 1). Auf diese Weise übt diese Variante einen protektiven Effekt aus, und Träger dieser Variante haben ein 5-fach geringeres Risiko, an einer AD zu erkranken. Auch der kognitive Abbau in nicht dementen Individuen im Alter zwischen 80 und 100 Lebensjahren war bei Trägern dieser seltenen protektiven Variante verlangsamt.<br /> <em>TREM2</em> („triggering receptor expressed on myeloid cells 2“) kodiert für ein Protein, das offensichtlich entzündliche Aktivität der Mikroglia reguliert. In diesem Gen wurde ebenfalls in der isländischen Bevölkerung, aber zeitgleich auch in einer anderen Population, eine seltene Variante gefunden (Arg47His), welche bei ihren Trägern zu einem 3-fach erhöhten AD-Risiko führt. Auch für diese Variante wurde ein Effekt für nicht demente Individuen im Alter zwischen 80 und 100 Lebensjahren gefunden, wobei Träger dieser Variante schlechtere kognitive Funktionen aufwiesen als Nichtträger. Die Effektgröße dieser Variante ist ähnlich hoch wie die von <em>ApoE4</em>, aber die Frequenz der Variante mit einer Risikoallelfrequenz von etwa 0,5 % so niedrig, dass der Einfluss auf die Gesamtbevölkerung deutlich weniger Bedeutung hat.<br /> Das Management der großen Datenmengen bei NGS-Untersuchungen stellt derzeit noch eine große Herausforderung dar und kann daher nur in hochspezialisierten Genomzentren durchgeführt werden. Auch verursacht die Interpretation der NGS-Daten noch Probleme. Aufgrund der niedrigen Risikoallelfrequenz kann es passieren, dass Varianten, die initial in hochwertigen Studien mit vielen Probanden als pathogen beschrieben wurden, in späteren Studien nicht bestätigt werden können. Das Publizieren sogenannter „genomic fairytales“ erinnert teilweise an die Prä-GWAS-Phase, aber es existieren derzeit noch keine klaren Richtlinien, wie solche in NGS-Studien beschriebenen seltenen Varianten statistisch interpretiert werden sollen.</p> <h2>Testung und Beratung von Patienten und Angehörigen</h2> <p><strong>Vermuteter autosomal-dominanter Erbgang</strong><br /> Der direkteste Ansatz ist die genetische Testung der drei beschriebenen Hochrisikogene (<em>PSEN1, APP, PSEN2</em>). Bei Verdacht auf eine monogen vererbte Demenzerkrankung (z.B. bei früh beginnender Demenz in Verbindung mit einer richtungsweisenden Familienanamnese) soll eine genetische Beratung angeboten werden. Im Rahmen dieses Angebots soll darauf hingewiesen werden, dass sich aus der molekulargenetischen Diagnostik keine kausale Therapie oder Prävention der klinischen Manifestation ergibt und das Wissen um eine monogen determinierte Demenz Implikationen für Patienten und Angehörige hat. Nach Beratung kann eine molekulargenetische Diagnostik angeboten werden. Die klassischen drei Gene sind aber oft nicht positiv (Abb. 1). Eine Testung verläuft dann negativ, ohne dass eine genetische Ursache der Erkrankung ausgeschlossen werden konnte. Darum geht man zunehmend dazu über, mehrere Gene gleichzeitig zu testen. In dieser sogenannten „Demenz-Panel-Diagnostik“ werden etwa 20 Gene, die in der Vergangenheit mit verschiedenen Demenzformen assoziiert wurden, auf einmal getestet. Dies ist für die Alzheimerdemenz relevant, da kausale Mutationen unter anderem auch in den Genen <em>MAPT, GRN</em> und <em>C9orf72</em> gefunden wurden, welche in der Vergangenheit vor allem mit frontotemporalen Demenzen assoziiert wurden. Ein Zentrum, das sich auf diese Panel-Diagnostik spezialisiert hat, ist das CeGat in Tübingen, Deutschland (<a href="http://www.cegat.de" target="_blank">www.cegat.de</a>). Aber auch mithilfe einer Panel-Diagnostik kann nicht immer eine klare genetische Ursache gefunden werden, was die Existenz von bis heute noch nicht beschriebenen Genen vermuten lässt (Abb. 1).<br /> <br /><strong> Unklarer Erbgang</strong><br /> Bei den häufigen Patienten mit „late-onset Alzheimer’s disease“ (LOAD) ist die Rolle der genetischen Beratung unklar. Weder die Ergebnisse aus GWAS noch die aus NGS haben derzeit in der klinischen Routine einen Wert als Diagnostikparameter oder Krankheitsprädiktor. Obwohl <em>ApoE4</em> einer der bedeutendsten Risikofaktoren für LOAD-Fälle darstellt, ist sein Wert in Diagnostik und Krankheitsprädiktion limitiert und die routinemäßige Testung weiterhin nicht empfohlen. <em>ApoE4</em> ist weder notwendig noch ausreichend, um an einer AD zu erkranken. Mehrere Suszeptibilitätsgene in einem „global genetic risk score“ zu kombinieren, hat langfristig eventuell eine größere Zukunft. Sensitivität und Spezifität solcher Untersuchungen sind aber derzeit noch niedrig und daher nicht von klinischer Relevanz.<br /> Bei zunehmender medialer Präsenz der Thematik und etwa 25 % der Allgemeinbevölkerung über dem 55. Lebensjahr mit einer positiven Familienanamnese für AD stellt sich die Frage nach dem persönlichen genetischen Risiko in der klinischen Routine schon heute immer öfter. Hilfreich sind hier Studien, die das Lebenszeitrisiko für die Entwicklung einer AD zwischen Individuen mit und solchen ohne positive Familienanamnese (in Verwandten 1. Grades) verglichen haben. Diese Studien kommen zu dem Schluss, dass Menschen mit Verwandten 1. Grades mit AD vermutlich ein etwa 2,5-fach erhöhtes Lebenszeitrisiko für die Entwicklung einer AD gegenüber solchen ohne positive Familienanamnese haben.</p> <h2>Therapiestudien in genetischen AD-Fällen</h2> <p>Trotz zunehmender Einsichten in die Pathophysiologie der AD gibt es Schwierigkeiten beim Transfer von präklinischen Studien zu effektiven Therapien. Einer der Gründe dürfte in der Untersuchung der ätiologisch inhomogenen Gruppe der LOAD-Patienten liegen, weshalb die Prä­selektion einer homogenen Studienpopulation anhand der Genetik eventuell einen sinnvollen Ansatz darstellt.<br /> DIAN (Dominantly Inherited Alzheimer Network) ist ein internationales Register von Betroffenen mit autosomal-dominant vererbter AD, welches in asymptomatischen und symptomatischen Mutationsträgern von <em>APP, PSEN1</em> und <em>PSEN2</em> einerseits die zeitliche Abfolge von diagnostischen Biomarkern und andererseits die Wirksamkeit von Anti-Amyloid-beta-Antikörpern (Solanezumab und Gantenerumab) untersucht. Entsprechende Ergebnisse sind Ende 2019 zu erwarten.<br /> API (Alzheimer’s Prevention Initiative) verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Ein Studienarm untersucht im weltweit größten bekannten autosomal-dominant vererbten AD-Stammbaum mit etwa 1.500 <em>PSEN1</em>-Mutationsträgern in Kolumbien einerseits die zeitliche Abfolge von diagnostischen Biomarkern und andererseits die Wirksamkeit eines Anti-Amyloid-beta-Antikörpers (Crenezumab). Entsprechende Ergebnisse werden für Ende 2020 erwartet. Ein zweiter Studienarm, auch bekannt als API ApoE4, untersucht in <em>ApoE4</em>-homozygoten Individuen die Wirksamkeit eines Anti-Amyloid-beta-Antikörpers und eines Beta-Sekretase-Inhibitors. Das voraussichtliche Studienende ist mit 2023 angegeben.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Genetisches molekulares Profiling kann in der Therapie von komplexen Erkrankungen wesentliche Vorteile bringen, dies hat uns der Fachbereich der Onkologie bewiesen. Es ist allerdings noch ein langer Weg zur personalisierten Medizin auf dem Gebiet der Alzheimerdemenz, wenngleich zuletzt moderne Technologien die kontinuierliche Aufarbeitung des genetischen Hintergrundes der Alzheimerdemenz vorangebracht haben und dies weiterhin tun werden.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Cacace R et al: Molecular genetics of early-onset Alzheimer’s disease revisited. Alzheimers Dement 2016; 12: 733-48 <br /><strong>2</strong> Van Cauwenberghe C et al: The genetic landscape of Alzheimer disease: clinical implications and perspectives. Genet Med 2015; doi: 10.1038/gim.2015.117 <br /><strong>3</strong> Bertram L: Next Generation Sequencing in Alzheimer’s Disease. Methods Mol Biol 2016; 1303: 281-97 <br /><strong>4</strong> Cirulli ET: Uncovering the roles of rare variants in common disease through whole-genome sequencing. Nat Rev Genet 2010; 11: 415-25 <br /><strong>5</strong> Sleegers K et al: A 22-single nucleotide polymorphism Alzheimer’s disease risk score correlates with family history, onset age, and cerebrospinal fluid Aβ42. Alzheimers Dement 2015; 11: 1452-60 <br /><strong>6</strong> Bateman RJ et al: Clinical and biomarker changes in dominantly inherited Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2012; 367: 795-804</p>
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</p>
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