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Frauen müssen selbstbewusster werden

Zwar machen inzwischen mehr Frauen als Männer einen Abschluss in Medizin, aber leitende Positionen werden größtenteils immer noch von Ärzten besetzt. Um das zu ändern, müssen sich die persönliche Einstellung und die Gesellschaft grundlegend ändern.

2022 arbeiteten in Österreich 4766 Turnusärztinnen und 3899 Turnusärzte. Das sieht auf den ersten Blick so aus, als hätten wir ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis,gar mit weiblicher Dominanz, erreicht. Doch der Schein trügt. 2022 gab es 12853 Fachärzte und nur 9248 Fachärztinnen. Weiter oben in der Karriereleiter wird die Luft noch dünner. So wurde im Jahr 2021 nur jede fünfte ärztliche Direktion und nur jede siebte Abteilung von einer Frau geleitet. Krass sieht es auch in der österreichischen Ärztekammer und auf den Lehrstühlen aus: Von den 86 Funktionären in der Ärztekammer sind nur fünf weiblich, und 2019 war nur jede vierte Professur der MedUnis in Wien, Graz und Innsbruck von einer Frau besetzt. Die Medizin ist also weiblicher geworden, die medizinische Führung jedoch nicht.

Solange die gesellschaftliche Haltung zur Position der Frau so ist wie zurzeit, wird sich wenig ändern. Frauen sind durch ihre biologische Funktion als Mutter derartig geschwächt, dass sich Spitzenpositionen und Mutterschaft nur schwer vereinbaren lassen. Es fehlt nicht nur an Einrichtungen für die Kinderbetreuung, es fehlt vor allem an einem gesellschaftlichen Wandel. Es ist immer noch „normal“, dass die Frauen in Karenz gehen, dass sie halbtags arbeiten, zurückstecken, ihrem Mann den Rücken freihalten. Den Großteil der Hausarbeit erledigen nach wie vor die Frauen. Dabei sind eigentlich die Voraussetzungen gegeben. Frauen machen genauso gute Examina wie Männer und haben oftmals Eigenschaften, die sie für leitende Positionen prädestinieren: Sie sind empathisch, diplomatisch und können meist besser delegieren.

Die Karriereblockade fängt mit der ersten Schwangerschaft an. Die Frau geht in Karenz, danach reduziert sie auf eine halbe Stelle, bittet um Streichung der Nachtdienste. So lässt sich aber ein Facharztkatalog nur schwer vollkriegen. Insbesondere in der Geburtshilfe lassen sich Eingriffe nicht vorplanen.Babys kommen gerne nachts oder außerhalb der Dienstzeiten auf die Welt. Wie soll eine junge Kollegin ihren Katalog mit Geburten und Kaiserschnitten erfüllen, wenn sie halbtags arbeiten und keine Nachtdienste machen will?

Gäbe es eine bessere Kinderbetreuung, wo Kinder auch noch abends um sieben abgeholt werden können, könnten die Frauen ebenfalls Vollzeit arbeiten. Vorausgesetzt natürlich, sie lassen es zu, ihr Kind nicht so oft zu sehen,sich manchmal als Rabenmütter zu fühlen und wahrscheinlich von anderen Müttern schief angeschaut zu werden. Engagierte Väter und Mütter – beide Geschlechter spüren diesen Konflikt, Karriere machen und gleichzeitig ein Kind haben zu wollen. Die Männer machen sich aber üblicherweise davon frei, weil sie wissen, dass zu Hause ihre Frau ist, die sich um den Nachwuchs kümmert. Die Ärztin, die Karriere machen möchte, fühlt sich aber für die Kinderbetreuung verantwortlich.Rasch ist dann das zweite Kind da und die Karriere schon fast unmöglich.

Für das Problem gibt es Lösungen. Die Frau verzichtet auf die Mutterschaft. Die Frau muss selbstbewusster werden und ihrem Mann sagen: „Ja, gerne Kinder, aber nur, wenn wir uns halbe-halbe um sie kümmern.“ Die Gesellschaft muss sich nachhaltig ändern. Männer müssen die Hälfte der Familienarbeit und die Hälfte der Kindererziehung übernehmen. Frauen müssen darauf bestehen, genauso viel Gehalt zu bekommen wie Männer.

Es wird keine Pauschallösung dafür geben, dass Ärztinnen kaum Karriere machen. Nicht die Frau alleine, sondern jedes Paar muss gemeinsam überlegen, was für Wünsche und Prioritäten jeder hat, was Beruf und Familie angeht, und wie man das in Anbetracht der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Einklang bringen kann.Die Gesellschaft darf Männer und Frauen für ihre Entscheidung dann nicht verurteilen oder kritisieren, sondern wir sollten kritische Diskussionen darüber forcieren. Es sollte normal werden, dass Männer einen Teil der Hausarbeit übernehmen und dass Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn bekommen. Andersherum sollte sich ein Paar auch nicht in seiner persönlichen Entscheidung von der Gesellschaft beeinflussen lassen. Wenn sich ein Paar für eine traditionelle Lebensform entscheidet und halbtags arbeitet, ist das seine freie Entscheidung und nicht zu verurteilen. Wir dürfen das Paar nicht dafür verantwortlich machen, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen.

Man wird wesentlich mehr Geld ins Gesundheitssystem pumpen müssen, damit die Ärzt:innen nicht ständig Überstunden machen müssen, die zwangsläufig mit einer Abwesenheit von der Familie verbunden und oft schlecht bezahlt sind. Wenn das System kollabiert – was es nun tut –, dann ist es nicht die Schuld von Ärzt:innen, die pünktlich nach Hause gehen, um ihr Kind von der Krippe abzuholen, sondern der inakzeptablen Arbeitsbedingungen.

Wie wäre es, wenn die Gesellschaft aufhört, Reproduktion einzufordern? Damit aufhört, vorauszusetzen, dass zu einem „gelungenen“ Leben Job, Haus und Kind gehören? Wir brauchen nicht so viele Menschen auf der Erde. Würden sich Frauen weniger dadurch unter Druck gesetzt fühlen, dass ein Kind zu einem erfüllten Leben dazugehören muss, und würden kinderlose Frauen nicht mitleidig angeschaut, könnten sie freier auf Kinder verzichten und hätten mehr Zeit für ihre Karriere. Vielleicht überlegen sich junge Kolleginnen, die Karriere machen wollen, ob es nicht auch ein sehr erfüllter Lebensentwurf sein kann: eine Position als Chefärztin, Abteilungsleiterin oder Lehrstuhlinhaberin, und in der Freizeit Vollzeittante.

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