© Getty Images/iStockphoto

Anästhesie beim älteren Patienten: postoperative kognitive Störungen

<p class="article-intro">Postoperative kognitive Störungen beim älteren Patienten imponieren als passageres postoperatives Delir (POD) oder als lang anhaltende postoperative kognitive Dysfunktion (POCD). Für die perioperative anästhesiologische Betreuung dieser Patientenpopulation besteht die Herausforderung neben den Behandlungen der Komorbiditäten auch in der Risikominimierung dieser postoperativen Störungen. POD und POCD stellen einen wichtigen Outcomeparameter für ältere Patienten dar.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Alter per se ist kein limitierender Faktor f&uuml;r eine Operation/ An&auml;sthesie.</li> <li>Vor&uuml;bergehende kognitive St&ouml;rungen im postoperativen Verlauf bei alten Patienten werden h&auml;ufig beobachtet (postoperatives Delir, kognitive Dysfunktion).</li> <li>Regionalan&auml;sthesieverfahren senken die unmittelbare postoperative Morbidit&auml;t.</li> <li>Es gibt noch keine gesicherte Evidenz, dass die Wahl des An&auml;sthesieverfahrens (Allgemein- oder Regionalan&auml;sthesie) das kognitive Langzeit- Outcome beeinflusst.</li> <li>Peri- und postoperative Observanz (intraoperatives zerebrales Monitoring, Stabilisierung, rasche Mobilisation, Fr&uuml;hrehabilitation) k&ouml;nnen die Inzidenz von postoperativem Delir und kognitiven St&ouml;rungen deutlich minimieren.</li> </ul> </div> <p>Der demografischen Entwicklung der gesteigerten Lebenserwartung unserer Bev&ouml;lkerung entsprechend, m&uuml;ssen sich immer mehr Menschen bis ins hohe Alter einer Operation und An&auml;sthesie unterziehen. Neben zahlreichen altersbedingt vorbestehenden Organerkrankungen (Herz, Lunge, Niere, Stoffwechsel) stellt die Beeinflussung der kognitiven F&auml;higkeiten nach einer Operation eine gro&szlig;e Herausforderung dar und ist ein wesentlicher Faktor, weshalb alte Patienten vermehrt Angst vor einer Narkose haben.<br /><br /> Physiologische Altersprozesse betreffen die funktionellen Reserven vieler Organsysteme, was den alten Patienten in seiner eingeschr&auml;nkten Reservekapazit&auml;t vergleichbar macht mit sehr jungen Patienten, bei denen die limitierte Stressanpassung durch die Unreife der Organsysteme bedingt ist. Altersbedingte Ver&auml;nderungen in der Neuroanatomie und Neurophysiologie machen verst&auml;ndlich, weshalb betagte Patienten einen bis zu 50 % geringeren An&auml;sthetikabedarf aufweisen als junge Patienten.<sup>1</sup><br /><br /> Im postoperativen Verlauf werden h&auml;ufig vor&uuml;bergehende kognitive Beeintr&auml;chtigungen beobachtet, einerseits als kurzfristige delirante Zust&auml;nde (POD &ndash; postoperatives Delir), die 48 bis 72 Stunden andauern k&ouml;nnen, andererseits jedoch auch kognitive Dysfunktionen (POCD &ndash; postoperative kognitive Dysfunktion), die Wochen bis Monate bestehen bleiben k&ouml;nnen und vereinzelt auch irreversibel sein k&ouml;nnen. Dementsprechend beeinflussen postoperative kognitive St&ouml;rungen auch das Outcome der Patienten und stellen einen wesentlichen Kostenfaktor durch l&auml;ngere Aufenthaltsdauer und Pflegebed&uuml;rftigkeit dar. Die Kosten werden im europ&auml;ischen Raum auf &uuml;ber 1.000 Euro pro Patient gesch&auml;tzt. Dar&uuml;ber hinaus erh&ouml;ht ein postoperatives Delir die Mortalit&auml;tswahrscheinlichkeit um 30 % .</p> <h2>Definitionen der kognitiven St&ouml;rungen</h2> <p>Das postoperative Delir (POD) ist gekennzeichnet durch eine transiente, fluktuierende Bewusstseinslage mit gest&ouml;rter Wahrnehmung, Orientierung, Aufmerksamkeit und Einschr&auml;nkungen im Ged&auml;chtnis. Neben den h&auml;ufigeren hyperaktiven Formen, bei denen Patienten sehr unruhig bis aggressiv reagieren k&ouml;nnen, sind vor allem die hypoaktiven Formen problematisch, da sie h&auml;ufig untersch&auml;tzt oder &uuml;bersehen werden, weil sich der Patient antriebslos bis apathisch pr&auml;sentiert.<br /><br /> Postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) imponiert in einer lang anhaltenden verminderten kognitiven Leistungsf&auml;higkeit bis hin zu Symptomen einer ausgepr&auml;gten Demenz. Genaue pathophysiologische Ursachen sind noch hypothetisch, jedoch kommt es zu einer St&ouml;rung der cholinergen &Uuml;bertragung und zu einer Imbalance im Neurotransmittersystem, was sich auch bei ZNS-Biomarkern wie Amyloid-&szlig; manifestiert. So konnte gezeigt werden, dass ein pr&auml;operativ erniedrigtes ZNS-Amyloid-&szlig; mit dem Auftreten einer POCD korreliert, auch ohne klinische Vorzeichen einer Alzheimererkrankung.<sup>2</sup> Eine direkte neurotoxische Sch&auml;digung durch An&auml;sthetika oder gar ein kausaler Zusammenhang f&uuml;r die Entstehung einer Demenz konnte bis heute nicht nachgewiesen werden. Tierexperimentelle Daten, die Neuroapoptosen durch den Einfluss von An&auml;sthetika auf das unreife und vulnerable Gehirn vermuten lie&szlig;en, k&ouml;nnen derzeit nicht auf das menschliche Gehirn extrapoliert werden.<br /><br /> Kognitive St&ouml;rungen korrelieren in ihrer Inzidenz mit dem Alter, der ASA-Risikogruppe und der Belastung durch den operativen Eingriff mit gro&szlig;er Variationsbreite (Tab. 1). Insbesondere stellt ein massiver intraoperativer Blutverlust einen wesentlichen Parameter f&uuml;r die Entstehung einer postoperativen kognitiven Dysfunktion dar, der sensitiver ist als das Alter des Patienten per se.<sup>3</sup> Ein im postoperativen Verlauf sp&auml;ter auftretendes Delir ist meist ein Fr&uuml;halarmzeichen f&uuml;r eine somatische Komplikation (z.B. chirurgische Komplikation, Inflammation).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Neuro_1701_Weblinks_s24_tab1.jpg" alt="" width="2151" height="640" /></p> <h2>Pr&auml;disponierende Faktoren f&uuml;r das Auftreten postoperativer kognitiver St&ouml;rungen sind:</h2> <ul> <li>Alter &gt;70 Jahre, Pr&auml;morbidit&auml;ten (ASA III, vorbestehendes kognitives Defizit, St&ouml;rungen im Schlaf-wach-Rhythmus, Depression, Alkoholabh&auml;ngigkeit, anticholinerge Medikamente)</li> <li>Lange OP-Dauer mit gro&szlig;en Volumenshifts (Herz-, Gef&auml;&szlig;-, Unfallchirurgie)</li> <li>Schmerz, Inflammation</li> <li>Metabolische St&ouml;rungen (Elektrolyte, Blutzucker, S&auml;ure-Basen-Status)</li> <li>Hypovol&auml;mie, H&auml;mostase, Hypoxie</li> </ul> <p>In zahlreichen Studien wurde evaluiert, inwieweit die Wahl des An&auml;sthesieverfahrens einen positiven Einfluss auf die kognitive Funktion von &auml;lteren Patienten haben k&ouml;nnte. Es zeigte sich, dass der unmittelbare postoperative Verlauf nach Regionalan&auml;sthesieverfahren bezogen auf die Morbidit&auml;t deutlich bessere Ergebnisse erzielt als nach Allgemeinan&auml;sthesie. Dies betrifft vor allem die bessere Analgesie, eine geringere Inzidenz von respiratorischen und h&auml;modynamischen Komplikationen,<sup>4, 5</sup> aber auch eine geringere Neigung zu postoperativem Delir. Nach derzeitiger Evidenz gilt dieser Vorteil gegen&uuml;ber der Allgemeinan&auml;sthesie allerdings nur f&uuml;r die unmittelbare postoperative Phase. Bezogen auf das kognitive Langzeit- Outcome konnte jedoch kein signifikanter Vorteil der Regionalan&auml;sthesie gegen&uuml;ber der Allgemeinan&auml;sthesie nachgewiesen werden.<sup>5, 6</sup><br /><br /> Demgegen&uuml;ber stehen uns dennoch pr&auml;ventive Ma&szlig;nahmen zur Verf&uuml;gung, die nicht nur die intraoperative An&auml;sthesief&uuml;hrung betreffen, sondern weitgehend auch die postoperative Betreuung geriatrischer Patienten. W&auml;hrend der Allgemeinan&auml;sthesie kann differenziertes zerebrales Monitoring eingesetzt werden, einerseits, um mittels kontinuierlicher EEGKontrolle (BIS-Monitoring) die An&auml;sthesiedosierung individuell anzupassen, andererseits, um mittels &bdquo;near infrared spectroscopy&ldquo; (NIRS) die zerebrale Sauerstoffs&auml;ttigung kontinuierlich zu &uuml;berwachen. Diese Ma&szlig;nahmen unterst&uuml;tzen eine m&ouml;glichst stabile, stressfreie intraoperative An&auml;sthesief&uuml;hrung.<sup>7, 8</sup> In der postoperativen Phase sind Stressphasen durch Schmerz, An&auml;mie, Hypovol&auml;mie und Organdekompensationen durch entsprechende &Uuml;berwachung zu vermeiden. Daneben k&ouml;nnen konventionelle Vermeidungsstrategien, eine rasche Mobilisation und Wiederherstellung des Schlaf-wach- Rhythmus von entscheidender Bedeutung sein. Allein mit diesen postoperativen Ma&szlig;nahmen konnten 20&ndash;50 % bessere Ergebnisse erzielt werden. Damit wird klar, dass f&uuml;r geriatrische Patienten nicht nur die intraoperative An&auml;sthesief&uuml;hrung und Observanz, sondern im Besonderen die postoperative Stabilisierung, &Uuml;berwachung und Akutrehabilitation einen Outcomeparameter darstellen. Diese zum Teil sehr personal- und zeitintensive Betreuung k&ouml;nnte angesichts der Altersentwicklung unserer Patienten zur Herausforderung der n&auml;chsten Jahrzehnte werden.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Brown EN: The aging brain and anesthesia. Curr Opin Anesth 2013; 26: 414-9 <strong>2</strong> Evered L: Cerebrospinal fluid biomarker for Alzheimer disease predicts postoperative cognitive dysfunction. Anesthesiology 2016; 124: 353-61 <strong>3</strong> Olin K: Postoperative delirium in elderly patients after major abdominal surgery. Br J Surg 2005; 92: 1559-64 <strong>4</strong> Rodgers A: Reduction of postoperative mortality and morbidity with epidural or spinal anaesthesia: results from overview of randomised trials. BMJ 2000; 321: 1493-7 <strong>5</strong> Hopkins KM: Does regional anaesthesia improve outcome? Br J Anaesth 2015; 115: 26-33 <strong>6</strong> Evered L: Postoperative cognitive dysfunction is independent of type of surgery and anesthetic. Anesth Analg 2011; 112: 1179-85 <strong>7</strong> Erdogan MA et al: The effects of cognitive impairment on anaesthetic requirement in the elderly. Eur J Anaesthesiol 2012; 29: 326-31 <strong>8</strong> Chan MT et al: BIS-guided anesthesia decreases postoperative delirium and cognitive decline. J Neurosurg Anesthesiol 2013; 25: 33-42</p> </div> </p>
Back to top