
Optionenvielfalt nutzen bei therapieresistenter Depression
Bericht:
Hanna Gabriel, BA, MSc
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Wenn antidepressive Therapien erfolglos bleiben, ist das sowohl für Betroffene als auch für Behandelnde herausfordernd. Dann gilt es, aus dem Angebot erprobter und innovativer Behandlungen individuell auszuwählen. Die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik bot dazu einen Wegweiser.
Die leitliniengerechte Behandlung der unipolaren Depression bietet eine Vielzahl effektiver antidepressiver Therapieoptionen. „Wenn die Therapie adäquat ist, ist die Prognose sehr gut. Dennoch entwickelt etwa ein Drittel der Patientinnen und Patienten eine therapieresistente Depression“, sagt PD Dr. Dr. Lucie Bartova, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien.
Im Rahmen der diesjährigen Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) präsentierte die Expertin gemeinsam mit anderen Spezialist:innen der Wiener Universitätsklinik einen Überblick über die Behandlungsoptionen bei therapieresistenter Depression (TRD). Als Teil des Forschungsprojekts „The European Group for the Study of Resistant Depression“ (GSRD) verfolge man das Ziel, die Depression und die entsprechenden Behandlungsoptionen besser zu verstehen, um Therapieresistenzen und Chronizität zu vermeiden, erläutert Bartova.
TRD oder Pseudoresistenz?
Als erster Behandlungsschritt ist die Abklärung einer TRD von entscheidender Bedeutung. Die TRD ist definiert durch das Nichtansprechen auf zumindest zwei konsekutive Behandlungen mit Antidepressiva gleicher oder unterschiedlicher Wirkstoffklassen, welche über einen ausreichenden Behandlungszeitraum (>4 Wochen) und in einer ausreichenden Tagesdosis bei therapieadhärenten Patient:innen verabreicht wurden.1
Im Rahmen der Differenzialdiagnostik ist der Ausschluss einer Pseudoresistenz ein wesentlicher Bestandteil.2 „Die Pseudoresistenz ist der häufigste Grund dafür, dass unsere Patientinnen und Patienten nicht adäquat auf die Behandlung ansprechen“, betont Bartova. Daher ist es wichtig, die Therapiedauer und Dosis zu überprüfen und Nebenwirkungen aktiv zu explorieren, da sie die Therapieadhärenz reduzieren können. Auch eine abweichende Verstoffwechslung der Medikamente kann ursächlich für eine Pseudoresistenz sein. „Die klinische Exploration kann uns wertvolle Hinweise liefern, damit wir die optimale Therapiestrategie finden“, so Bartova.
State of the Art
Der Therapiealgorithmus bei Major Depressive Disorder (siehe Abb. 1) sieht mehrere Schritte als Reaktion auf ein Nichtansprechen vor. Diese reichen von einer Dosisoptimierung über Kombinations-, Augmentations- oder Switching-Strategien bis hin zu innovativen Behandlungsoptionen.1,2
Des Weiteren stellen die Psychotherapie und andere nichtpharmakologische Therapien wertvolle Ressourcen dar. „Außerdem sollten wir den Wert unserer alltäglichen Arbeit nicht unterschätzen, da diese einen substanziellen Einfluss auf den Therapieerfolg haben kann“, unterstreicht Bartova die Wichtigkeit regelmäßiger Gespräche mit den Patient:innen und einer zukunftsorientierten Kommunikation.
Hinsichtlich der klassischen Psychopharmakotherapeutika zeigte eine Metaanalyse über 522 Studien, dass alle verfügbaren antidepressiven Optionen gegenüber Placebo Therapieerfolge erzielen.4 Somit ist eine individuelle Auswahl möglich. Bartova betont jedoch, dass das Therapieansprechen jeweils nach zwei und vier Wochen evaluiert werden sollte, um eine Response einschätzen zu können.
Pharmakologische Entwicklungen
Trotz der Effektivität der erprobten Therapieoptionen besteht weiterhin Bedarf an Medikamenten mit schneller und anhaltender Wirksamkeit, um die Therapieergebnisse bei TRD zu verbessern.5 „Da alle Erst- und Zweitlinientherapien auf Monoamine abzielen, benötigen einige Patient:innen möglicherweise Behandlungen, die andere Wirkmechanismen nutzen“, führt em. O. Univ.-Prof. Dr. h. c. mult. Dr. Siegfried Kasper aus. „Die Entwicklung neuer Therapien wird die Grundlagenforschung zu den Wirkmechanismen vorantreiben, um die Pathophysiologie der Depression und die Behandlungsoptionen besser zu verstehen“, betont Kasper mit Blick auf die zunehmende Bedeutung der Backtranslation aus der Klinik in die Forschung. Zu den innovativen Medikamenten aus der Gruppe der „rapid-acting antidepressants“ (RAAD) zählen das in der EU zugelassene Esketamin sowie einige Wirkstoffe, die sich derzeit in klinischer Entwicklung befinden. Der antidepressive Wirkmechanismus von Esketamin ist bislang nicht vollständig geklärt, jedoch konnte nachgewiesen werden, dass es zu einer Volumenvergrößerung im Hippocampus führt.6 Bei intranasaler Applikation von Esketamin in Kombination mit oralen Antidepressiva zeigten sich in klinischen Studien eine rasche Verbesserung auf derMontgomery-Åsberg-Depressionsskala (MADRS) sowie eine stabile Remission bei Fortsetzung der Behandlung.7,8 Außerdem war die zusätzliche Gabe von Esketamin-Nasenspray gegenüber der Augmentation mit einem Antipsychotikum der 2. Generation bei TRD überlegen.9,10
Andere, noch nicht in Europa erhältliche innovative Optionen sind die in den USA zugelassene Fixkombination AXS-05 (Dextromethorphan-Bupropion) sowie das Neurosteroid Zuranolon. Auch Psychedelika sind aktuell Gegenstand der Diskussion, beispielsweise Psilocybin, das in einer Phase-II-Studie bei TRD positive Ergebnisse erzielte.11 Aktuelle Bestrebungen zielen darauf ab, Wirkstoffe zu entwickeln, die den Wirkmechanismus der Psychedelika nutzen, ohne psychedelische Effekte zu erzeugen, so Kasper.
EKT: nichtmedikamentös und bewährt
Neben den medikamentösen Therapien ist zu allen Zeitpunkten einer TRD-Therapie außerdem in Betracht zu ziehen, ob Patient:innen von nichtmedikamentösen Optionen profitieren könnten, wie Assoc. Prof. PD Dr. Dr. Pia Baldinger-Melich ausführt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) betont in einer Stellungnahme, dass EKT nicht als Ultima Ratio dargestellt werden sollte, sondern zu jedem Zeitpunkt der Behandlung in Erwägung gezogen werden kann.12
An der Universitätsklinik in Wien werden laut Baldinger-Melich jährlich etwa 530 Elektrokonvulsionstherapien (EKT) durchgeführt. Bei dieser Hirnstimulationstechnik wird unter kontrollierten Bedingungen ein generalisierter epileptischer Anfall induziert. Der gesamte Eingriff dauert etwa 20 Minuten und eine vollständige EKT-Behandlung umfasst in der Regel acht bis zwölf Sitzungen. Laut DGPPN ist die EKT in mehreren Fällen in Erwägung zu ziehen: wenn eine schnelle Verbesserung aufgrund der Schwere der psychiatrischen Erkrankung erforderlich ist, die Risiken der EKT geringer sind als die anderer Behandlungen, ein schlechtes Ansprechen oder Nebenwirkungen bei Psychopharmaka aus der Vorgeschichte bekannt sind oder auf frühere EKT gut angesprochen wurde.12 Die häufigste Indikation für die EKT ist die TRD mit Remissionsraten über 50%.13 Als positive Prädiktoren gelten ein höheres Alter sowie psychotische Symptome.14 Auch bei akuter Suizidalität zeigt die EKT eine gute Wirksamkeit.15
Entscheidungshilfe
Zum Schluss weist Baldinger-Melich darauf hin, dass der Vergleich zwischen Esketamin und EKT bislang konträre Ergebnisse geliefert hat.16–18 Daher bedarf es weiterer Studien, um festzustellen, welche Behandlung in welcher Situation zu bevorzugen ist. Als Entscheidungsgrundlage für die Praxis können jedoch die obigen positiven Prädiktoren sowie der Wunsch der Patient:innen herangezogen werden. „Es liegt in unserer Verantwortung als Behandler:innen, an nichtpharmakologische Therapiealternativen zu denken und diese anzubieten“, betont Baldinger-Melich. Insgesamt sei bei der Therapiewahl wesentlich, die individuelle Vorgeschichte der Patient:innen miteinzubeziehen. Wenn Patient:innen in der Vergangenheit ein gutes Ansprechen auf eine der Behandlungsstrategien zeigten, sollte man dabei bleiben, sind sich alle drei Expert:innen einig. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Verfügbarkeit neuer Therapieoptionen nicht bedeutet, dass herkömmliche Medikamente ihre Wirksamkeit verlieren würden, wie Kasper unterstreicht. Vielmehr gilt es, das volle Repertoire an Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.
Quelle:
Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP)
Literatur:
1 Bartova L et al.: Results of the European Group for the Study of Resistant Depression (GSRD) — basis for further research and clinical practice. World J Biol Psychiatry 2019; 20(6): 427-48 2 Kraus C et al.: Prognosis and improved outcomes in major depression: a review. Transl Psychiatry 2019; 9(1): 127 3 Kasper S et al.: Therapieresistente Depression: Diagnose und Behandlung, Konsensus-Statement. Sonderheft JATROS Neurologie & Psychiatrie März 2021 4 Cipriani A et al.: Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: a systematic review and network meta-analysis. Lancet 2018; 391: 1357-66 5 Thase ME: New medications for treatment-resistant depression: a brief review of recent developments. CNS Spectr 2017; 22(S1): 39-48 6 Höflich A et al.: Translating the immediate effects of S-Ketamine using hippocampal subfield analysis in healthy subjects-results of a randomized controlled trial. Transl Psychiatry 2021; 11(1): 200 7 Popova V et al.: Efficacy and safety of flexibly dosed esketamine nasal spray combined with a newly initiated oral antidepressant in treatment-resistant depression: a randomized double-blind active-controlled study. Am J Psychiatry 2019; 176(6): 428-38 8 Daly EJ et al.: Efficacy of esketamine nasal spray plus oral antidepressant treatment for relapse prevention in patients with treatment-resistant depression: a randomized clinical trial. JAMA Psychiatry 2019; 76(9): 893-903 9 Dold M et al.: Treatment response of add-on esketamine nasal spray in resistant major depression in relation to add-on second-generation antipsychotic treatment. Int J Neuropsychopharmacol 2020; 23(7): 440-5 10 Reif A et al.: Esketamine nasal spray versus quetiapine for treatment-resistant depression. N Engl J Med 2023; 389(14): 1298-1309 11 Goodwin GM et al.: Single-dose psilocybin for a treatment-resistant episode of major depression. N Engl J Med 2022; 387(18): 1637-48 12 DGPPN: Indikationen zur Elektrokonvulsionstherapie, Stellungnahme 2022: https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/9cd2c06b085a4fa3315f5a68b27a832b7309d34a/2022-07-04_DGPPN-Stellungnahme_EKT_FIN.pdf (Zugriff Mai 2024) 13 Kirov G et al.: Electroconvulsive therapy for depression: 80 years of progress. Br J Psychiatry 2021; 219(5): 594-7 14 van Diermen L et al.: Prediction of electroconvulsive therapy response and remission in major depression: meta-analysis. Br J Psychiatry 2018; 212(2): 71-80 15 Pinna M et al.: Clinical and biological predictors of response to electroconvulsive therapy (ECT): a review. Neurosci Lett 2018; 669: 32-42 16 Rhee TG et al.: Efficacy and safety of ketamine vs electroconvulsive therapy among patients with major depressive episode: a systematic review and meta-analysis. JAMA Psychiatry 2022; 79(12): 1162-72 17 Ekstrand J et al.: Racemic ketamine as an alternative to electroconvulsive therapy for unipolar depression: a randomized, open-label, non-inferiority trial (KetECT). Int J Neuropsychopharmacol 2022; 25(5): 339-49 18 Anand A et al.: Ketamine versus ECT for nonpsychotic treatment-resistant major depression. N Engl J Med 2023; 388(25): 2315-25